Problem von Anonym - 20 Jahre

Schwamm getränkt in fremdem Wasser

Es macht mich alles gerade ein wenig verrückt. Ich dachte ich hätte meine Gedanken und meinen Kopf im griff, doch die kleinste Unsicherheit und alles beginnt wieder von vorne. Vor ca. 1 Monat habe ich euch schon eine sehr lange E-Mail geschickt, die anscheinend jedoch nicht angekommen ist, zu mindest muss ich alles wieder los werden, denn langsam weiß ich tatsächlich nicht weiter (aber kurz und knackig).

Mein Leben könnte man als hohe Tiefe beschreiben, ein krasses auf und ab, diesen Sommer geprägt von einem dunklen Loch. Ich beobachte meinen letzten 5 Jahre und manchmal glaube ich, vielleicht in die Kategorie "manisch-depressiv" reinzupassen. Denn in diesen genannten Phasen bin ich nicht ich und entweder wende ich mich von allem ab, verleugne mich selber und ziehe mich zu 100% zurück oder mir wachsen Flügel, ich verliere den Halt unter meinem Boden und greife zu den Sternen. Doch zur Zeit habe ich Angst. Schreckliche Nervosität, innere Unruhe, Misstrauen, einfach nur ANGST: Ich weiß gar nicht wovor ich Angst habe, aber ich habe einfach Angst. Die Zukunft ist gerade so nah, so greifbar und dann doch nicht weniger als Sand, der einem durch die Finger gerinnt. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob mir das Leben wert ist, ob ich so atmen möchte und so mein Herz schlagen lassen werde. Manchmal wünsche ich mir, dieses Bewusstsein zu verlieren und mich im tiefen Schlaf nun endgültig stürzen möchte, eine Mischung aus Dornröschen und Schneewittchen. Nur in dieser Zeitspanne ist man vollkommen frei, vollkommen losgelöst von allem irdischen, man ist vollkommen, einfach vollkommen; sonst ist man immer ein Schauspieler, der sich seiner Umgebung anpasst, ein Spiegelbild Anderer oder ein Schwamm getränkt in fremdem Wasser.

Ich fürchte mich vor dem Menschen an sich, interpretiere in Gesten negative Dinge hinein und düstere Verschwörungstheorien, die mich zerstören wollen, misstraue selbst meinen sehr guten Freunden. Meiner Familie verschweige ich diesen Zustand, sie sich zu viele Sorgen machen, zudem wir schon einen psychiatrischen Fall haben. Ich komme aus einer tollen Familie ohne jegliche Probleme und dann schaffe ich mir Probleme, wo keine sein sollten. Es ärgert mich sehr, dass ich so schwach und labil bin. Es ärgert mich, durch mein Sein, meine Familie zu enttäuschen.

Wisst ihr, wäre ich jemand mit einer problematischen Kindheit, mit aggressiven Eltern, mit kaputten Beziehungen, keinen Begabungen, dumm&hässlich, würde ich mich besser lieben können, aber so zu sein, wie ich bin, verwöhnt und mit den besten Voraussetzungen um glücklich und normal Leben zu können, ohne Grund dieses ich angenommen zu haben, ist einfach nur feige.

Ich weiß nicht wem ich vertrauen kann. Ich lebe alleine. Ich habe Angst vor meinen Familie, Freunden, Mitbewohnern. Habe Angst vor mir selbst.

Doch dann bemerke ich meinen in mir zusammen erdachten Stuss und versuche mich zu beruhigen. Denn ich weiß, ich spinne.

Das geht auch immer für eine kurze Weile, doch ein seltsamer Blick, ein komisches Lächeln und ich beginne wieder absurde und schreckliche Dinge zusammen zu denken. Es schmerzt mir. Ich will nicht verrückt sein. Ich bin noch zu jung dafür. Ich bitte um Eure Hilfe! Bitte so schnell wie möglich. Wohin soll ich gehen? Was soll ich machen? So will ich nicht leben, wenn ich so leben muss, werde ich nicht mehr so leben.

Ich bin total durch einander. Ich will meiner Gedanken Herr sein und fürchte mich vor dem Chaos in meinem Kopf.

Danke für das Durchlesen.

Delia Anwort von Delia

Hallo liebe/r Unbekannte/r,

ich möchte hier keine Diagnosen stellen, denn ich bin kein Arzt und selbst wenn ich einer wäre, ist es unmöglich, allein auf Grund deiner Beschreibung eine Diagnose zu stellen.
Was aber für mich sehr deutlich wird, ist, dass es dir nicht gut geht und du nicht weißt, wie du dir selber helfen kannst. Ich habe auch deine letzte Zuschrift gelesen (sie ist angekommen aber wurde damals nicht beantwortet, wir bekommen immer mehr Zuschriften rein als wir beantworten können) und es ist klar, dass dein Problem schon einige Zeit besteht und wohl auch nicht von selbst weggeht.

Wahrscheinlich möchtest du es nicht hören, aber ich möchte dir wirklich ans Herz legen dich an einen Psychologen zu wenden. Das ist weder ein Zeichen von Schwäche, noch ein Zeichen von Verantwortungslosigkeit. Du hast in deiner vorigen Zuschrift geschrieben, dass du nicht zum Psychologen möchtest, weil alles auf deiner eigenen Schuld und deinen Entscheidungen beruht. Und da sage ich dir jetzt ganz einfach und gerade heraus: Das ist Schwachsinn!

Wir Menschen sind nichtmals halb so kontrolliert und selbstgesteuert wie wir es gerne hätten. Wir können ja nicht einmal bestimmen, wie und wo wir auf die Welt kommen, geschweige denn unsere ersten Jahre wirklich selbstständing sein. Und auch wenn wir schließlich in der Lage sind, selbstständig Entscheidungen zu treffen, sind wir oft noch lange nicht in der Lage die Folgen dieser Entscheidungen zu sehen. Wir tun Dinge aus einem Gefühl heraus, weil wir in dem Moment denken es ist richtig und erst im Nachhinein können wir verstehen, was diese Entscheidung wirklich bedeutet. Und selbst wenn wir uns eine Entscheidung vorher gründlich überlegen, uns alle Informationen einholen die wir bekommen können und uns eine Liste mit sämtlichen Möglichkeiten machen und Vor- und Nachteile sorgfältig miteinander abwägen, können wir trotzdem niemals sicher wissen, was am Ende dabei herauskommt. Alles was mit dir geschehen ist, deine ganze Umwelt, dein Verhalten, deine Entscheidungen, deine sozialen Beziehungen, all das wird natürlich durch dich beeinflusst, aber nicht du allein bist dafür verantwortlich. Es gibt so viele Faktoren die unser Leben beeinflussen und die wir nicht kontrollieren können. Und daher sage ich dir, dass AUF KEINEN FALL alles auf deiner Schuld und deinen Entscheidungen beruht. Vielleicht ein Teil davon, ja das ist durchaus möglich, aber du bist nicht allein dafür verantwortlich und wirst es auch nie sein.

Auch schreibst du, dass du Angst davor hast verrückt zu sein und dass du dafür zu jung bist. Von daher frage ich dich: Was ist denn verrückt? Verrückt wird doch zuerst einmal als abnormal bezeichnet, aber das wirft wiederum die Frage auf was überhaupt normal ist? Und ich muss dir ganz ehrlich sagen, dass ich dir diese Frage nicht beantworten kann und ich glaube auch nicht, dass es dafür eine konkrete Definition gibt.

Aber ich kann dir sagen, dass ich dich nicht für verrückt halte. Ich denke, dir geht es nicht gut und ich denke auch, dass du diesen Zustand unnötigerweise erträgst. Du bestrafst dich selbst indem du dir Hilfe von außen verweigerst. Du sagst, es ärgert dich, dass du deine Familie enttäuschst, bleibst aber weiterhin in diesem katatonischen Zustand, sodass du dich weiterhin verachten kannst. Du beschwerst dich über dich selbst und dein Verhalten, tust gleichzeitig aber alles dafür, damit die Situation genauso bleibt wie sie ist. Du glaubst, du hast nicht das Recht dich mies zu fühlen, du hast kein Recht, um Hilfe zu bitten und vor allem hast du nicht das Recht glücklich zu sein. Und spätestens hier solltest du merken, dass du dir selbst widersprichst. Du verweigerst dir die schlechten Gefühle, weil du denkst du hast durch deine intakt erscheinende Familie keinen Grund dafür, gleichzeitig verweigerst du dir aber auch die guten Gefühle, denn du denkst du bist verwöhnt und schaffst dir selbst Probleme.

Du befindest dich mit diesen Gedanken in einem Teufelskreis, was sich auch in deinen Hochs und Tiefs widerspiegelt. Wer am Boden ist, hat die Möglichkeit hoch aufzusteigen, doch wer hoch oben ist, kann auch tief fallen. Und so zieht sich dieses Muster durch dein Leben ohne dass du es beeinflussen kannst oder eher beeinflussen willst.

Du hast geschrieben: "Wohin soll ich gehen? Was soll ich machen? So will ich nicht leben, wenn ich so leben muss, werde ich nicht mehr so leben."

Du weißt was du tun musst, du bist intelligent und du kannst dich verständlich ausdrücken. Du bist nicht verrückt und du bist auch nicht Schuld daran dass es dir schlecht geht. Aber es ist nunmal eine Tatsache, dass es dir wirklich schlecht geht und dass du da nicht mehr ohne Hilfe raus kommst. Und es ist auch eine Tatsache, dass du das Recht hast, dir Hilfe zu suchen und sie anzunehmen. Ebenso ist es eine Tatsache, dass du nicht mehr so leben musst, dass du eine Wahl hast.

Bitte wende dich an einen Psychologen, gerne auch als erste Anlaufstelle an deinen Hausarzt. Du musst ihnen nicht sofort dein ganzes Herz ausschütten, das erwartet niemand und es ist auch vollkommen verständlich, wenn du das nicht kannst. Aber du musst etwas tun, du musst dich bewegen und etwas an deinen bisherigen Verhaltensmustern ändern. Tue etwas auf das du stolz sein kannst, wodurch du dich wieder wertvoll fühlen kannst, auch wenn du davor Angst hast. Du bist kein stiller Beobachter deines Lebens, du bist ein lebendiges, atmendes und handlungsfähiges Lebewesen, das auf seine Umwelt reagiert und Gefühle hat. Gib dich nicht auf, denn letztendlich sind all diese Selbstzweifel nur in deinem Kopf und sie spiegeln nicht die Realität wieder. Suche dir professionelle Hilfe und gib dir selbst die Chance aus diesem dunklen Loch wieder heraus zu kommen.

Ich wünsche dir wirklich und von ganzem Herzen alles Gute!