Problem von Tobi - 17 Jahre

Guter Freund am Boden - Ratlos

Hallo Paul,

Mein heutiges Problem betrifft nicht mich, sondern einen guten Freund. Er weiß einfach nicht mehr wer er ist, ist am Boden zerstört.

Er sagte dass alles OK sei, doch ich merke das was nicht stimmt. Ich kenne ihn schon seit der Schule und wir Arbeiten im selben Unternehmen. Eines Tages erzählte er mir, dass sein Vater die Scheidung will, und immer nur Böse ist, ich hab mir dann gedacht das ich so viel wie möglich mit ihm Unternehmen sollte, so als Ablenkung.

Also hab ich ihn mal auf eine Party mitgenommen. Wir hatten ein langes Gespräch und so erzählte er mir, dass sein Vater seinen älteren Bruder bevorzugt. Er hasst ihn. Er hat schon überlegt seinem Leben ein Ende zu setzen, was ich aber bezweifle, dass er es wirklich tun würde.
Außerdem gab es seit der Schule ein Mädchen er hat sie sehr geliebt, er schrieb öfters mit ihr, er zerbrach sich oft den Kopf, wie es weitergehen sollte. Dann fragte er sie, was sie von ihm halte. Sie sagte im das er ganz nett sei, als Kumpel und das er einfach er selbst sein soll und nicht wie die anderen werden sollte.

Sie war der größte Rückhalt in seinem leben, jetzt war alles zerstört. Mein Freund ist ein sehr nachdenklicher Mensch, er hat sich dann gesagt, das er wirklich nicht weiß wer er ist. Er wird zunehmend gefühllos, es ist im egal, was aus seinen Eltern wird (er wuchs eh fast alleine auf).
Ich mach mir einfach Sorgen um ihn, ich weiß nicht was ich noch tun kann um ihm zu helfen.

PaulG Anwort von PaulG

Lieber Tobi,

es ist toll, dass du dich so um deinen Freund sorgst. Helfen kannst du ihm am besten, indem du so verfährst wie bisher: Für ihn da bist, ihn mitnimmst, ihm zuhörst und, soweit es geht, versuchst, ihn auf andere Gedanken zu bringen.

Das Eine sind die Zustände, in denen er lebt. Dass sein Vater ihn nicht wertschätzt, ist schlimm, aber man kann es erstmal nicht ändern. Erfährt er denn zuhause Gewalt, hat er konkrete Angst? Das würde es umso dringender machen. Sein Gefühl des Ungeliebt-Seins, das nur zu verständlich ist, wird sich nicht schnell bannen lassen. Es ist die Liebe aus vielen Lebensjahren, die er vermisst; und umso mehr hat ihm das Mädchen bedeutet, die er liebt. Das, wonach er sich sehnt - Familie und Partnerschaft - kannst du nicht ersetzen. Was du kannst, ist, mit deiner Freundschaft die schwere Zeit zu überbrücken. Das ist auch eine Aufgabe für dich, und bietet somit auch eine Strategie, deine eigenen Probleme zu lindern.

Ihn auf eine Party mitzunehmen, ist eine gute Möglichkeit. Achte aber auch darauf, ob du nicht zuviel von ihm verlangst. Es ist zwar wichtig, dass er unter Leute kommt, aber der Schmerz, den er leidet, erschöpft ihn auch. Dann wäre es besser, wenn man ihn nicht überfordert. Du kannst ihn vorsichtig, aber beharrlich, immer wieder darauf stoßen, ob er nicht was unternehmen will. Ansonsten bietet es sich an, öfter mal bei ihm anzurufen, zu fragen, wie es ihm geht. Alles, was er von sich erzählt, erleichtert sein Herz, auch wenn es nicht viel ist. Du musst dazu auch gar nicht viel sagen. Ich vermute mal, dass er nicht sofort bereit ist, was zu ändern: Du hast ja geschrieben, dass er schon über Selbstmord nachgedacht hat. Auch deshalb ist es gut, wenn du dich immer wieder bemerkbar machst. Die Erkenntnis, dass noch nicht alles verloren ist, wird sich so langsam festsetzen. Sag ihm ruhig, dass du dir Sorgen machst, und ihm gern helfen möchtest; mehr als diese Aussage muss es vorerst gar nicht sein. Ich weiß nicht, ob er sich wünscht, dass man eine Methode anbietet - dahinter steckt ja auch immer: "Schau, du machst etwas falsch, so solltest du..." Auch wenn es noch so lieb gemeint ist - ich glaube nicht, dass er sich vielen Menschen zu Dank verpflichtet fühlt. Wenn jetzt jemand kommt und ihm was über die Art erzählen will, sein Leben zu meistern, könnte er ungehalten reagieren.

Das ist auch wichtig: Über kurz oder lang wird seine Verzweiflung in Wut umschlagen, erstmal auf seinen Vater und Bruder, denke ich. Das ist sehr gut, denn es ist ein Zeichen von Heilung. Jedoch sollte aus dem Hass auf sich selbst, nicht ein Hass auf Andere werden, der sich verfestigt. Das ist genauso ungesund. Wenn er also nicht an harten Worten spart, was Andere betrifft, sag ihm auch, dass du es nicht sinnvoll findest. Genauso, wie du ihm widersprichst, wenn er schlecht über sich selbst redet. Für ihn wäre es gut, wenn er feststellt, dass die Anderen nicht wichtig sind: Es ist sein Leben, und er hat schon so viel erreicht. Viel mehr als man bei den Schwierigkeiten, die ihm in den Weg gelegt wurden, erwarten könnte. Wenn du kannst, ermutige ihn, sich nicht gehen zu lassen: Suche auf der Arbeit seine Nähe, versuche ihn zu motivieren. Selbst wenn er gerade keinen Sinn in dem sieht, was er tut, kannst du trotzdem darauf bestehen. Denn der Stillstand ist es, der ihn bedroht, nicht die Tätigkeit. Solange er nur etwas hat, das ihn ausfüllt, fühlt er sich schon besser. Ob das eure Arbeit ist, weiß ich nicht. Allerdings ist es sehr wichtig, dass er seine Zeit gestaltet, und sei es mit einfachsten Dingen.

Was seine Familie betrifft, liegt die Sache wohl klar: Er hat sich nicht mehr zu erwarten, als er bis jetzt bekommen hat. Beizeiten hat er vielleicht die Möglichkeit, auszuziehen, und erst einmal abzuschließen. Bis dahin sollte man versuchen, den Burgfrieden zu wahren. Streit tut ihm nicht gut - besser, er geht seinem Vater aus dem Weg. Jeden ungerechten Vergleich mit seinem Bruder kann man sowieso zurückweisen, er kommt nur aus der Beschränktheit des Vaters. Sie sind auch als Brüder viel zu verschieden, um sich messen zu können - sag du ihm, dass er Fähigkeiten hat, zähl sie auf, wenn du es dir zutraust. Sie sind da, nur bisher nicht gewürdigt worden. Wie steht es denn mit dem Verhältnis zu seiner Mutter? Falls er sie gern hat, mag er sie ja vielleicht ein wenig unterstützen, wenn es zur Scheidung kommt? Immerhin ist es seine Familie, selbst wenn er jetzt sagt, dass sie ihm egal sind. Natürlich kann es sein, dass er sich mit beiden Eltern nicht gut steht. Die Ehe seiner Eltern in die Brüche gehen zu sehen, muss den Korb, den er bekommen hat, noch deprimierender machen. Auch er wird eine Freundin finden. Das jedoch wird er womöglich nicht hören wollen, da es für ihn nur die Eine gibt. Warte also mit solchen Sätzen, bis du das Gefühl hast, dass er dafür empfänglich ist. Für eine Beziehung gibt es zum Glück kein "Jetzt muss!" und "Bis dahin und nicht später!", sondern alles kommt zu seiner Zeit. Der richtige Zeitpunkt ist bei jedem anders, und er ist dann, wenn man nicht damit rechnet. Das ist das Tolle, aber auch das Beängstigende daran. Du kannst versuchen, ihn über die Zwischenzeit zu unterstützen - aber zögere auch nicht, dir einzugestehen, wenn er professionelle Hilfe braucht, und ihm dazu zu raten. Denn du trägst eine Verantwortung, die zwar edel ist, aber nicht deine einzige. Trau dich auch, ihm deutlich zu machen, wenn du mit deinem Latein am Ende bist. Das ist keine Schande, sondern auch ein großer Freundschaftsdienst.

Ich hoffe, dass du deinen Freund stärken und ihm helfen kannst, etwas mehr Licht zu sehen. Es ist nicht einfach, für euch beide nicht, aber ich glaube, dass es zu schaffen ist. Du hast es bisher völlig richtig gemacht, und wirst es sicher weiterhin tun. Das kostet Kraft, bedenke das, und schone auch dich - höre auf dein Gefühl, was du ihm Gutes tun könntest. Manchmal ist das nur schweigen und zuhören. Gib ihm Zeit und lass ihn wissen, dass du da bist - das ist es, was ihm Zuversicht geben kann.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul