Anwort von PaulG

Liebe Marie,

es tut mir wirklich sehr leid, was dir widerfahren ist. Es muss schrecklich sein, deine Mutter und Tante in so kurzer Zeit zu verlieren, und das auf so grausame Weise... dass du begonnen hast, zu rauchen und dich zu verletzen, kann man begreifen. Ich werfe es dir auch nicht vor. Was mir jedoch Angst macht, ist, dass du wirklich umkommen könntest. Sei es, weil du dich zu schwer verletzt, oder ein Selbstmordversuch dir gelingt. Das wäre furchtbar. Ich bitte dich sehr, es nicht mehr zu versuchen. Denn mit dir würde etwas verloren gehen.

Der Tod deiner Mutter und Tante, die ganze Talfahrt mit all ihren Ereignissen, hat in dir den Gedanken erzeugt, dass dein Leben sinnlos und du nichts wert wärst. Auch wenn du es mir nicht glauben magst: Das ist nicht so. Denn an dem Suizid deiner Mutter trägst du keine Schuld, gleichsam nicht am Tod deiner Tante. Du musst dir die Verantwortung dafür nicht aufbürden, denn du konntest es nicht verhindern. Es ist nicht deine Schuld gewesen, und wird es nie sein. Du hast einen wichtigen und guten Schritt getan, eine Psychologin zu suchen. Dass ihr nicht miteinander klar gekommen seid, kommt vor. Kannst du dir vorstellen, die Suche nach einer Therapeutin fortzusetzen? Was vor allem zählt, ist, den Kampf nicht aufzugeben. So hoffnungslos dir alles vorkommen mag: Das Leben hat dir noch viel zu bieten. Es gibt schöne Dinge, die auf dich warten, und Menschen, die auch dich brauchen.

Noch kennst du sie nicht. Aber ich kann mit Gewissheit sagen, dass es so ist. Was geschehen ist, liegt nicht an dir. Du konntest nichts dazu. Es ist toll, dass Punk für dich ein Lebensinhalt ist, den du dir gewählt hast. Davon solltest du dich auch nicht abbringen lassen. Sei dir immer bewusst: Es ist dein Weg, und auch wenn er manchen nicht gefällt, er gehört dir und schadet niemandem. Wer aus der Reihe fällt, selbst wenn er nichts Böses im Schilde führt - und dazu gehören Punks -, wird oftmals schief angeschaut, oder sogar beleidigt. Sieh es doch lieber als Aufforderung, deinen Weg weiter zu verfolgen: Du hast viel mitmachen und erleiden müssen, auf das du keinen Einfluss hattest. Hier ist etwas, das ganz in deiner Hand liegt. Lass es dir nicht ausreden - aber weise auch keine Schuld zu, wenn Andere es nicht gut finden. Du weißt es viel besser, was Punk dir bedeutet. Und wenn Leute es nicht kennen lernen wollen, nicht vernünftig mit dir reden wollen, ist es ihr Problem. Natürlich gehören immer zwei dazu. Ein wenig Verständnis, dass nicht jeder mit dir klar kommt, wird dir gut tun. Denn so wird es immer sein. Wenn du dagegen immer mit Zuspruch rechnest, wirst du umso mehr enttäuscht werden, wenn du ihn nicht erhältst. Wie schon gesagt, die Ablehnung liegt nicht an Hass auf dich als Person, sondern an Unkenntnis. Und darum musst du dich ja nicht kümmern, oder? Sei so stolz, für dich zu behalten, was ihnen entgeht.

Ist dick sein wirklich hässlich? Ich kann nicht beurteilen, ob du Übergewicht hast, da ich es nicht kenne. Aber was ich mit der Frage meine, ist das: Unbedingt schlank sein zu wollen, kann zu einem langen Leidensweg führen - aber nicht immer ans Ziel. Möchtest du wirklich den Rest deines Lebens diesen Kampf kämpfen? Möchtest du wirklich bei jedem Kilo, das du mehr wiegst, als es dir geboten scheint, in Verzweiflung geraten? Ich glaube, dass du auch so sehr schön bist. Denn ganz egal, ob man uns was Anderes weismachen will: Nicht nur Schlanke sind schön, und füllig kann sehr schön sein. Wer breit gebaut ist, tut wohl besser daran, es zu akzeptieren, statt sich zu quälen. Ich kann mir vorstellen, dass es dir schwer fällt. Und doch ist es mein Rat: Sei so freundlich zu dir, dir zu sagen, dass du schön bist. Ich wüsste keinen Grund, warum es nicht so sein sollte.

Liebe Marie, der Weg, den du eingeschlagen hast, soll und darf hier noch nicht zuende sein. Ich hoffe, dass du ein wenig freundlicher zu dir sein kannst, und dich ermahnen kannst, nicht aufzugeben. Das wäre sehr schön. Die schwere Zeit, durch die du gehst, ist noch nicht vorbei, das stimmt. Wahrscheinlich wird der Schmerz um deine Mutter und deine Tante, dich auch immer begleiten. Das Beste ist aber, nicht zu kapitulieren, sondern weiterzumachen. Deine Mutter war so verzweifelt, dass sie keinen Ausweg wusste. Doch wenn sie eins nicht gewollt hat, dann war es, dass du ihr nachfolgst. Du bist ihre Tochter, die sie liebt, und für die sie sich immer etwas Gutes gewünscht hat. Allein sich selbst hat sie das Gute dieser Welt versagt. Kannst du den Auftrag deiner Mutter annehmen, und dich nicht aufgeben? Es gibt ein Weiter, es gibt ein Morgen. Ich bin ganz sicher - und wünsche dir, dass es dir bald besser geht.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul