Problem von Jenny - 17 Jahre

Mama

im März habe ich meine Mutter regungslos auf dem Sofa gefunden. ich habe Hilfe gerufen dann kam sie ins Krankenhaus. ihr ist ein anorisma im Hirn geplatzt. danach war sie in einem betreuten wohnen was aber echt schlimm war. jetzt ist sie in einem besseren. die erste Zeit habe ich nur gefeiert und mich abgelenkt doch wirklich verarbeitet hab ich es nicht. sie ist im wachkoma. immer wenn ich sie besuche muss ich weinen sie kann zwar schon einiges aber es wird noch sehr lange dauern bis sie wieder zu hause ist. meine Schwester muss alles machen was sie getan hat. ich kann meine Gefühle nur selten zeigen und es fällt mir schwer darüber zu reden. ich brauche Hilfe wie ich damit umgehen soll. ich weiß sie braucht viel liebe und Zuneigung aber wenn ich meine Mutter so keuchend und sabbernd vor mir sehe finde ich sie einfach nur
ekelhaft vor allem wenn sie dann
noch eingemacht hat. ich hoffe ihr könnt mir helfen. danke für eure Zeit.
LG Jenny

Bernd Anwort von Bernd

Hallo Jenny,

Deine Gefühle kann ich gut nachvollziehen. Ist mir selber einmal ähnlich gegangen: kurz vor seinem Tod war mein Vater bettlägerig im Krankenhaus. Die Schwestern hatten regelmäßig keine Zeit und meine Mutter und ich kümmerten uns um ihn. Schon ihn zu rasieren empfand ich als recht befremdlich. Als mein Vater mich dann bat, ihm auf der Toilette zu helfen wollte ich es zwar tun, aber war dann doch recht froh, dass er zu einer Untersuchung abgeholt wurde - und damit in die Obhut der Pflegekräfte kam. Er starb am Tag danach.
Und nun schäme ich mich schon seit 4 Jahren für meine Scham. Und dieses Gefühl treibt recht merkwürdige Gedanken-Blüten: Wie verhindere ich nun, wo ich um solche Gefühle weiß, dass ich selber irgendwann einmal hilflos werde? "ekelhaft" für meine Kinder? Auf jeden Fall werde ich niemals erwarten, dass sie mir ihre Liebe zeigen, indem sie ihren Ekel vor mir unterdrücken.
Warum war es eigentlich so leicht für mich, meinen Söhnen den Po abzuputzen? Mich von ihnen anpinkeln zu lassen und ihr Gespucktes wegzumachen?
Ich will Dir sagen, warum das leicht für mich war: es war notwendig, dass auch ich meinen Ekel überwinde und mich um meine Kinder kümmere. Weil es kein anderer tut, bzw. keiner Verständnis dafür hat, wenn Vater sagt, dass es nur Aufgabe der Mutter ist.
Und weil es eben schlicht solange stinkt, bis einer sich überwunden hat und es weg macht.

Bei unseren Eltern ist es wohl leichter, jemand anderen dafür zu finden, der "zuständig" ist?
Es ist leichter, die Liebe unserer Eltern als selbstverständlich anzunehmen, als ihnen unsere Liebe zu zeigen?.
Vielleicht kommen wir mit der Hilflosigkeit unserer Eltern auch deshalb nicht klar, weil uns da oft zum ersten Mal unsere eigene Hilflosigkeit und Sterblichkeit begegnet? Unsere Eltern, die wir als Kinder doch als "stark" in Erinnerung haben? Die wir für "unsterblich" hielten?

Jenny, ich glaube, dass niemand das Recht hat, einem anderen vorzuschreiben, wie wir mit unseren Eltern umzugehen haben, wenn sie alt, krank und hilfsbedürftig sind.
Ekel zu empfinden ist eine Reaktion, die jeder in den Griff bekommen kann.
Es wird immer unserer Liebe und unseres Gewissens bedürfen, unsere persönliche Antwort zu finden.

Auch Du wirst Deine Antwort finden! Und für Deine Mutter wird es in Ordnung sein, wie Du Dich verhältst: sie kann nicht anders und wird Dich lieben, solange sie lebt!

Alles Liebe,

Bernd