Problem von Jana - 18 Jahre

Vorletzte Nacht

Was passiert ist kann ich nicht in Worte fassen. Ich habe ANGST. Mir wird übel, wenn ich es versuche. Es kommt kein Ton aus meinem Mund. Es frisst mich von innen auf und es zerfrisst mich. Ich bin SCHULD. Es war nachts, Frankfurt. Rotlichtviertel und ein sehr sehr ungepflegter Mann. Immer wenn ich verzweifelt bin gehe ich da hin. Nur nicht nachts. Vorher habe ich noch versucht eine Freundin zu erreichen. Nichts. Eine andere Freundin. Auch nichts. Noch eine Freundin. Sie geht an ihr Handy und ich weine aber sie sagt nur kurz „gute Nacht schlaf gut“ legt auf. Ich fühle mich so alleingelassen. Niemand der mich von meinem Plan abhält? Ich lasse mich in meinen Plan fallen laufe einfach los und denke nicht mehr nach. Er hatte Turnschuhe an, weiße. Er war nicht groß, er war so ekelhaft. Ich weine noch als er mich sieht und er fragt mich ob wir spazieren gehen. Ich denke nicht nach, ich gehe einfach mit ihm mit… Er nimmt mich bei der Hand und wird schon jetzt sehr aufdringlich. Ich hätte es WISSEN müssen. Wir setzen uns auf eine Parkbank etwas abgeschottet. Ich lege mich auf seinen Schoß, will nur noch schlafen. Obwohl er fremd ist hatte ich keine Angst. Mir war alles egal… Aus kuscheln wurde langsam immer mehr. Mit seinen dreckigen Händen fasst er mich an, überall, aber auch das ist mir noch egal. Ich bin zu müde um mich noch dagegen zu wehren. Ich lass ihn einfach. Solange ICH nichts tun muss. Wir laufen danach noch ein Stück, bis wir allein sind. Ich lege mich wieder auf die kalte Treppe und er zieht mein Shirt hoch. Es ist kalt. Aber der Rest ist mir egal. Ich höre ihn irgendwann murmeln Schatz du machst mich geil kannst du mich anfassen? Ich will nicht. Ich sage ich bin zu müde und er nimmt meine Hand und legt sie auf seinen Schwanz. Auch das ist mir noch egal. Solange ich nichts tun muss… Aber alles wird schlimmer. Ich will aufstehen. Ich will nach Hause gehen. Ich sage das zu ihm aber er hält mich fest… Ich spüre immernoch keine Angst. Eine Kleine vielleicht. Er wird mich schon loslassen. Aber das tut er nicht. Er sagt von diesem Moment nichts mehr. Und ich falle in eine Starre wie in Trance. Ich weiß nicht mehr genau was passiert ist. Teile meiner Erinnerungen fehlen einfach. Ich kann nicht genau sagen was passiert ist. Ich bin zur Straßenbahn danach glaube ich. Oder U-Bahn auf jeden Fall bin ich nicht gelaufen… Nach dem allem habe ich mich auf die Bank im Bahnhof gelegt. Ich konnte nicht fassen was passiert ist und gleichzeitig wusste ich, dass es wirklich passiert ist. Die Menschen haben mich nicht beachtet. Ich sah auch schlimm aus. Wahrscheinlich dachten sie ich wäre ein Junkie oder eine Alkoholikerin. Ich weiß nicht mehr wann aber dann saß irgendwann eine Mitschülerin vor mir, wir sind zusammen zu Schule gegangen. Sie merkte dass was nicht in Ordnung ist ich muss total gezittert haben. Alles war so unreal. Meine alte Mitschülerin hat mich mit zu sich nach Hause genommen. Ich habe im Gästezimmer geschlafen. Am nächsten Morgen war mir immer noch schlecht, ich hatte Bauchschmerzen und Durchfall, Kopfschmerzen. Ich war immer noch so müde. Ich bin so wie ich war aufgestanden. Taxi ist teuer aber das war mir egal. Ich konnte und wollte nicht laufen. Ich wollte so schnell weg wie es geht weil ich alles gerne vergessen hätte. Hier bei meiner alten Mitschülerin erinnerte mich alles daran. Weil es nicht Alltag war. Ich wollte nach Hause weil es Alltag war. Jetzt ist nichts mehr so wie es war.

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Jana,

nichts wird mehr sein, wie es war... kannst du Vertrauen haben, dass es einmal besser sein wird?

So deutlich du jeden Moment, jede seiner Bewegungen und jedes Wort von IHM erinnerst - kannst du auch die nächsten Seiten der Geschichte spüren?

Die lastende Stimme des Polizisten, der mit jedem Satz immer tiefer in dem bohrt, was du am liebsten vergessen möchtest. Wie deine Spannung unaufhörlich wächst, um endlich den Tränen zu weichen, den Worten Platz zu machen, die du schon hier gefunden hast... und wieder finden wirst! Wie auf den Fluss grenzenlose Erleichterung folgt. Noch immer das Gefühl, benutzt zu sein, schuld zu sein; am ganzen Körper Schmutz, der gar nicht da ist. Wie ein Topf mit Fett, über dir ausgegossen, das heiß an dir herab rinnt, und durch die Tränen langsam, aber sicher hinweg gespült wird. Wie du bemerkst, dass es richtig war, nicht zu zögern mit deiner Anzeige. Und selbst wenn sie ihn nie finden, dies ist dein erster Moment der Reinigung, das erste, sachte Anklopfen der Erkenntnis, dass du dich nicht schuldig gemacht hast. Dass Gedanken, die sich nicht fortschicken ließen, dich dorthin getrieben haben; und dass du mit Erfahrungen, die zu schrecklich waren, um darum wissen zu können, sie ahnen zu wollen, zurück ins Leben kamst. Wie ein Krampf durch dich geht, keiner, der dich vor Schmerz zerreißt, sondern eine gerechte Wut, deine geballten Fäuste, die mit dem Gefühl der Schmutzigkeit auch seine schmierigen Pranken von dir stoßen. Das Gefühl, im Recht zu sein.

Die Sonne, die nach einem langen Winter des Herzens deine Wange kitzelt. In einem Augenblick glaubst du, Jahre geschlafen zu haben, und unter einer Decke aus Schnee und verweinter, erschöpfender Schlaflosigkeit hervor zu kriechen ins Licht des Morgens. Es umfließt dich und macht dich rein, die Sonne ist dein Freund; wann hast du zum letzten Mal aufrecht gestanden? Jetzt tust du es wieder. Ein Vogelstimmchen, wie schön; ein dunkler Fetzen Erinnerung, der die Geräusche der Natur mit seiner ekligen Stimme kontrastiert, um dann zu weichen. Zu stark ist das Leben, das dich im Griff hält. Er ist fort, nicht in diesem Land, nicht mehr auf den Beinen, wer weiß? Doch du bist es, und jede Faser der gebleichten Haut, in die langsam rote Freude zurück strömt, ist bereit, zu zucken und zum Schlag auszuholen. Nie wieder das! Du kriegst mich nicht! Und ein frei machendes, selbstsicheres Lachen. Wassertropfen im Becken. Die erste Bahn im Frühling, nach so langer Kälte. Wie warm ist sie im Vergleich! Du tauchst unter, ein Anflug von Beklemmung, doch dann stößt du nach oben, und es ist, als würdest du weit weg getragen. Kraftvolle, das Leben bejahende Armschläge und Fußtritte, in ein weiches Element, das jede Angst und jedes Schuldgefühl von dir schwemmt. Du lebst! Du kämpfst wieder! Mag er in Rotz und Lüsternheit verschimmeln, du wehrst dich und durchmisst die gute, verlässliche Natur mit neu gekräftigten Muskeln. Ja, es war richtig, dir sagen zu lassen, dass du nicht schuld bist; ja, manchmal glaubst du sogar daran. Und wo nicht, da wird dein Hass zum Energieschub, der dich tun lässt, was du nie zu können glaubtest. Und mit jedem Niederfallen, wird das Aufstehen leichter, nach jedem verfinsternden Lidschlag, das einfallende Licht heller; mit jedem Mal die schleimige Gestalt erbärmlicher, die dich verfolgt.

Und wenn sie zurückkommt, in einsamen Nächten, in denen dein Laken auf einmal Holzbank und Stufen sind: Ein leiser Ruf, ein wehrender Tritt... und dann eine Stimme, die dich beruhigt. Eine warme, zärtliche Hand, eine liebende Hand, die dich nicht besitzen und verbrauchen, sondern pflegen und beschützen will. Mit einem kurzen Griff über die Decke, glaubst du dich ganz in eine Schale geborgen, warm ausgekleidet mit seiner duftenden Haut, über der seine Finger dich beschützen. Ein erleichtertes Aufatmen, er macht das Licht an, streichelt deine Wange, und mit fester, liebevoller Stimme fragt er dich "Alles in Ordnung?" Mit jeder Rührung seiner Lippen hörst du deinen Atem leiser gehen, dein Herz mäßiger klopfen, und deine Haare, ganz gelöst und sauber, gar nicht mehr schmierig, sinken aufs Kissen. Zwei Lippen, die dich kosen und in die süße Versenkung drücken, und mit dem schwindenden Licht ein tiefes, ehrliches, besorgtes "Schlaf weiter, schlaf schön, mein Schatz... alles ist gut. Ich passe auf dich auf. Dir geschieht nichts." Und ein winzige Träne, die von der Wärme seiner Zuneigung getrocknet und weggeweht wird. Ein schützender Nebel aus Geborgenheit, Dankbarkeit und auch dem Wissen, dass du es so verdienst, dass du ihn verdienst - er, der dich wirklich liebt, und den du finden wirst. Den Einen, der deine Tränen trocknen wird, und jede Erinnerung an eine hässliche Gestalt auf nächtlicher Straße zu bannen versteht. Der mit einem Wimpernzucken jeden Zweifel beendet, dass deine Anzeige und Aussprache, dein Kampf um dein Recht und deine Ehre, nicht vergeblich waren. Der dir noch hundert Millionen mal stärker als ich jetzt, zu verstehen geben kann: Du bist gut. Du bist nicht schuld. Du konntest es nicht wissen, es ist müßig, dich zu beschuldigen. Suche die Sonne, Jana - ich wünsche sie dir so sehr.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul