Problem von Anonym - 21 Jahre

Ich komm mit dem ungewollten Abort nicht klar

Hallo liebes Kummerkasten-Team,

vor 2 Jahren hatte ich eine Beziehung die nicht so schön war, aber na ja. Mein Problem ist das damals eine (anfangs ungewollte) Schwangerschaft entstand. Anfangs stand für mich fest das ich es definitiv nicht austragen werden, doch als ich dann bei einem Arzttermin den kleinen Zwerg auf dem Bildschirm sah, änderte sich schlagartig meine Meinung und die Freude darauf wuchs förmlich sekündlich. Ich besorgte mir förmlich jedes Infomaterial zur Schwangerschaft was es in meiner Umgebung gab, denn ich wollte alles richtig machen. Dann allerdings erlitt ich eine Blinddarmentzündung und schon schnell stand fest, das Ding muss raus. Ich ließ noch einmal ein Ultraschall machen um zu gucken ob mein Kleines vielleicht schon ein Schaden abbekommen hat, doch im Gegenteil, man sah sogar schon das winzig kleine Herz schlagen. Alle Ärzte sagten das absolut kein Risiko für mein Kleines gab und ich vertraute ihnen. Dann nach der OP am Tag meiner Entlassung wurde erneut ein Ultraschall gemacht und ich merkte sofort irgend etwas stimmte da nicht. Der Herzschlag war nicht mehr zu sehen, doch die Ärzten meinten, das sei normal. Vermutlich hatte die Ärztin vorher etwas falsch gemacht und es war kein Herzschlag gewesen. Wieder vertraute ich den Ärzten. Dann aber in der Nacht nach meiner Entlassung verspürte ich auf einmal ein starken Schmerz im unteren Bereich meines Bauches und kurz darauf folgte auch noch eine Blutung. Völlig in Panik weckte ich meine Mutter die daraufhin sofort mit mir zurück ins Krankenhaus fuhr, wo sich dann leider nur noch raus stellte das mein Körper das Kleine abgestoßen hätte, es war TOT. Seither komm ich nicht damit klar und leide jeden Tag, lasse es mir jedoch eher weniger anmerken. Ich habe bislang noch nie wirklich mit jemanden darüber geredet und somit auch noch nicht mal ansatzweise verarbeitet. Ich kann aber auch nicht wirklich mit wem darüber reden, denn ich habe das Gefühl mich versteht keiner. Also was soll ich tun? Jedes mal wenn ich Mütter mit Kindern sehe, mein Neffen der bei uns wohnt (er ist 10 Tage vor meinen Abort zur Welt gekommen) macht es mir auch nicht leichter und ich liebe ihn aber von ganzen Herzen. Auch Filme von Abtreibung reichen um mich aus der Bahn zuwerfen.

WAS SOLL ICH TUN?

Gruß Maria

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

es hat eine Weile gedauert, aber dein Problem ist sicher noch aktuell? Was ich dir zuerst sagen möchte, ist: Es wäre irgendwo schlimm, würde es dich nicht belasten. Sein Kind zu verlieren ist entsetzlich, und ich als Mann werde deinen Schmerz nie in seiner ganzen Tragweite erfassen können. Ich habe großen Respekt vor deiner Geschichte, und es tut mir wirklich sehr leid, das das geschehen ist. Ein gewisser Teil dieses Schmerzes wird vielleicht immer dein Begleiter sein, das kann man nicht leugnen. Aber umso deutlicher will ich dir sagen: Es gibt in deiner Situation kein "klar kommen" und "stark sein", du trägst eine schwere Last, und wer immer dich zurückweist, tut dir Unrecht. Gestehe dir zu, diesen Schmerz zu empfinden. Du trauerst um dein Kleines, und auch wenn du später Kinder bekommst, wird dir trotz aller Liebe irgendwo etwas fehlen. Das ist kein absolutes Urteil, heißt nicht, dass du dich nie damit wirst arrangieren können (furchtbares Wort, aber mir fiel kein besseres ein). Es vermehrt deine Liebe zu deiner Familie, wenn du eine gründen möchtest, und die Zuneigung, die du Kindern dein Leben lang entgegen bringen wirst. Ich kann dir dein Baby nicht wieder geben; ich kann dir nur sagen, dass ich gefesselt bin von der Liebe zu ihm, die aus deinen Zeilen spricht, ob sein Vater nun dein Traummann ist oder nicht. Wenn ich deinen Text lese, wechsle ich von einer Zeile zur nächsten genauso von Freude zu Trauer, von Hoffnung zu Entsetzen; eine ganze Tonleiter in wenigen, ehrlichen Sätzen. Dies kann nur eine liebende Mutter schreiben; und dies ist das erste von vielen Denkmälern, die du dem Kleinen gesetzt hast.

Wenn der Winter Zweige drücken
Wird mit Schnee, mit kalter Last,
Jahr um Jahr - hinaus zu blicken,
Ruft es wach, was du mir warst.
Wie der Winter kalt die Zweige
Drückt und sie mit Schnee beschwert,
Macht er, dass den Kopf ich neige,
Neu zu trauern. Hab dich stets entbehrt:
Wenn der Sommer durch die Fluren
Geht mit Wärme, freut mich das;
Doch ein jeder Schlag der Uhren
Den du fehlst, der raubt mir Spaß:
Du, mein Schatz, hast nie empfunden,
Was die Liebe, Wärme ist,
Die mich außen lässt gesunden.
Wärme, Licht, wenn Sommer ist.
Doch ganz tief an meinem Herzen,
Als mit schwachem Gegenklang
Deines schlug und nahm die Schmerzen,
Und im Takt mit meinem sang;
Als du warst bei mir geborgen,
Und in mir, schon wachsend, lagst,
Und mir fortnahmst alle Sorgen;
Als am Herzen mein du lagst,
Hast du Wärme wohl empfunden,
Und es strich ein sanfter Wind...
Wenn sich auch die Jahre runden,
Bleibst du doch bei mir, mein Kind.
Wie dein Herz so hoffnungsfroh
Schon im Takt mit meinem war,
Hör' ich weiter. Lebe so,
Viele Tage, wie als wär nichts.
Doch im Traum, da seh' ich greifbar
Jeden Winkel des Gesichts.
Nichts wird dich mir wiederbringen,
Aber sterben kann nicht mehr,
Was von dir die Blätter singen,
Was die Sonn' trägt zu mir her,
Wenn mich ihre Strahlen freuen:
Wo du bist, du bist geborgen;
Das allein kann nicht befreien,
Von der Trauer. Doch die Sorgen
Einer Mutter leid ich nicht um dich.
Mütter schützen ihre Kleinen;
Doch, mein Schatz, du schütztest mich.
Nichts kann mich mit dir vereinen.
Doch ich lieb' dich und du mich.

Dieses Gedicht habe ich geschrieben. Es ist das Einzige, was ich dir von mir persönlich geben kann. Ich glaube dir vollauf, dass du deinen Neffen liebst, trotzdem tut es dir weh, ihn zu sehen. Wo immer du es kannst, solltest du es vermeiden, mit dem Thema Abtreibung in Berührung zu kommen; sicher ist das schwierig, aber zumindest bei deinem Suchverhalten im Internet, oder der Auswahl der Filme, die du siehst, hast du es in der Hand. Um auf lange Sicht besser zurecht zu kommen, würde ich eine Therapie empfehlen, die es auch besonders auf dein Problem abgestimmt gibt, und dich vielleicht medikamentös einstellen kann. Schäm dich nicht, diese Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn sie nötig wird. In dir selbst wirst du den Schmerz nie ganz besiegen können - aber mit jedem Wort und jeder Geste gegenüber Kindern, wirst du in deinem Leben die Liebe austeilen, die daraus erwächst. Und die eine ganz besondere ist. Stell dich nicht vor die Aufgabe, dein Herz soweit zu verhärten, dass du es erträgst, sie ist unlösbar. Es kann dich immer wieder überwältigen, ganz plötzlich - aber du wirst nicht allein bleiben. Ich wünsche dir Hände, die zärtlich zu dir sind, wenn du es brauchst; Verständnis von deiner Familie und deinem Freundeskreis; und, wenn du immer noch einen Kinderwunsch hast oder bekommst, dass deine Kinder gesund sind und dir viel Freude bereiten werden. Sag nicht: Ich muss klar kommen! Sag dir: Ich lebe damit. Ich vergesse es nicht, und was ich Gutes tue, soll die Anderen es nie vergessen lassen. Da ist ein Platz in mir, der immer leer bleiben wird, und doch die ganze Zeit besetzt ist. Mein Schatz kann jedem, der ihn braucht, ein Stückchen davon geben. Daher brauchst du auch keine Angst zu haben, deinem Neffen Unrecht zu tun. Es ist genauso Zeichen deiner Liebe, wenn du dich zum passenden Moment, wenn es dir zuviel wird, zurückziehst; und so ist es mit allen: Dein ganzes Wesen hat eine Zeichnung erfahren, und wer dich schätzt, wird sie spüren und die Tiefe erfassen können, die deine Liebe hat.

Alles Gute, einen guten Start ins neue Jahr, und liebe Grüße,

Paul