Problem von Xeri - 15 Jahre

ich hasse jeden und alles

Hallo,
mir geht es nicht gut. Alles läuft schief. Ich bin Unzufrieden mit meiner Familie, sie sind alle auf sich selbst fixiert und tun so, als würden sie Familienzusammenhalt wollen. Wir machen uns untereinander kaputt. Mobbing in der Familie ist bei uns nichts neues. Immer wieder ist mein 'Vater'- ich empfinde nur Hass für ihn dran, dann meine Schwester, diese spricht auch kaum noch oder ich bin es. Mich bekommen sie nicht unter, ich wehre mich immer, verbal. Sie können nichts und sind alle dumm. In meiner Kultur ist es irgendwie so verbreitet, dass man heiraten soll und meine Schwestern interessieren sich kaum für Bildung. Wie kann man nur so sein?
Dazu muss ich sagen, dass sie trotzdem alle studieren oder studiert haben. Die boxen sich irgendwie durch. Das liegt aber nicht an ihrem Wissen, sie haben nur das Glück auf ihrer Seite.
Ich bin unglücklich, weil es mir nicht gut geht. Ich habe nichts zu tun, ich darf keine Freizeitaktivitäten ausüben, weil meine Eltern wirklich einfach zu geizig sind. Ich hasse sie. Ich weiß auch nicht, wie ich schnell an Geld kommen kann, wir haben uns heute darüber gestritten, dass ich kein Taschengeld bekomme. Ich soll arbeiten, aber was ist denn dann mit meiner Schule. Ich schaffe das doch gar nicht!!
Ich bin wirklich wütend, ich schreibe sogar dem Kummerkasten.
Ich habe große Probleme mit meiner Familie. Das führt dazu, dass ich gegenüber ihnen sehr vorlaut bin. Gebe ich offen zu, aber sie haben mir meiner Meinung nach nichts geboten im Leben und sind dumm- mit dumm meine ich, dass meine Eltern 20 Jahre in Deutschland leben und immer noch nicht richtig die Deutsche Sprache beherrschen. Mit dumm meine ich außerdem, dass meine Geschwister sich nur auf das heiraten fixieren, okay, die eine hat ihr Studium erfolgreich beendet, aber trotzdem. Seitdem sie diesen neuen Jungen kennen gelernt hat ist sie nur noch am Handy. Ist zwar ihre Sache, aber das ärgert mich immer wieder aufs Neue, weil ich mich über die anderen Sachen aärger und so was wie eine Sündenbock brauche. Meine andere Schwester, die ist verlobt, aber die ist wirklich dumm- sie möchte ihr Studium abbrechen und mit einer Ausbildung anfangen und das liegt alles nur an ihrem Freund, der ist nämlich noch dümmer als sie. Ich hasse einfach alles und alle! Vor lauter ärger kann ich mich nicht einmal meinen Hausaufgaben widmen und bin einfach nur schlapp und überfordert. Ich weiß nicht mehr weiter. Ich könnte stundenlang weinen, aber das würde eine sensible Seite reflektieren, die hab ich nicht und will ich auch nicht haben. Manchmal weine ich aber trotzdem aus Wut.
Ich befürchte immer wieder, dass ich meine Schule nicht erfolgreich abschließen werde und das macht mich traurig, dass schlimme daran wäre, dass ich von meinen Geschwistern so viel erwarte und verlange, aber dann nichts erreichen würde- wie kann man mich zum Leben motivieren. Wir haben Ferien und ich ärger mich nur. Ich bin unglücklich. Die Welt ist so klein und unglücklich. Wohin soll das alles laufen mit mir. Ichmuss ein Ende finden. Aber mit Selbstmord habe ich mich noch nie beschäftigt, dafür bin ich mir zu schade, ich laufe den Problemen nicht weg, ich möchte mich ihnen stellen! Ich werde es auch schaffen, aber trotzdem hasse ich alles und meine Familie besonders.
Ich war schon immer stark und ich kann nur noch stärker werden.
Als Kind wurde ich ausserdem geschlagen und in der Toilette eingesperrt, aber daraus mache ich mir nichts. Ich möchte einfach mein Studium schaffen. Sind nämlich nur mit dem Abi 2 1/2 Jahre. Danach zeige ich allen, dass ich besser bin als sie.
Niemand aus der Familie wird mir das Wasser reichen können. Ich will einfach nur meine Schule schaffen, dann bin ich glücklich.
Helft mir bitte und drückt mir für alles die Daumen. Irgendwann, wenn ich alles geschafft habe, dann werde ich mich an euch erinnern und euch herzlich danken!
Auch im Voraus Danke. und schöne Feiertage.
Lieben Gruß

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Xeri,

du hast nicht geschrieben, woher genau deine Familie stammt, vielleicht war das deine Absicht. Ich muss es auch nicht wissen, da du das Wichtigste - und für mich Beruhigendste - bereits vorweggenommen hast: Du wirst deinen Schulabschluss machen (und wie ich dich einschätze, strebst du einen sehr guten Abischnitt an), wirst danach dein Studium in Angriff nehmen. Man hält dich auch nicht mit Gewalt davon ab - mit Argumenten ist dir ohnehin nicht beizukommen. Du bist kein bisschen auf den Mund gefallen, hast deine berufliche Entwicklung bereits vor Augen, und strotzt vor Ehrgeiz und Kampfbereitschaft. Ergo, ich habe allen Grund, für dich eine glänzende Zukunft anzunehmen. Und das wünsche ich dir natürlich auch. Für mich besteht nicht der geringste Zweifel daran, dass du deine Ziele meistern wirst. Ich möchte mich im Folgenden ein bisschen darüber verbreiten, wie der Umgang in eurer Familie ist, und wie dein Urteil über deine Eltern und Geschwister ausfällt.

Es mag sehr schwer für dich sein, das zu lesen; ich erwarte auch keineswegs, dass du es von mir annimmst. Trotzdem bitte ich dich: Sowenig du einen Grund siehst, deinen Eltern für irgendetwas zu danken, verhärte dein Herz nicht allzu sehr. Mit dieser Haltung durchs Leben zu kommen, die du jetzt hast, ist gut möglich. Ich sorge mich eher, dass du durch die Wut, die du gegen das Verhalten und die unflexible Haltung deiner Familie hegst, riskierst, in der deinen genauso verbohrt zu werden, wie sie es wohl sind. Das wäre absolut verständlich, und dir würde damit nichts an Lebensqualität fehlen. Trotzdem schlägt es sich unweigerlich in deiner Reaktion auf solche Haltungen nieder, wo immer sie dir begegnen. Wenn du deiner Familie schon nicht erlaubst, dir dein Leben zu diktieren, was ja nur gut ist, dann erlaube ihnen auch nicht, deinen Blick für das Menschliche so stark zu trüben.

Du entstammst einer Generation von Einwanderern, der oft vorgeworfen wird, sich nicht genug anzupassen und zu arrangieren. Für einige mag das zutreffen, für sehr, sehr viele trifft es nicht zu. Auch wenn deine Eltern zu ersterer Gruppe zählen, sagt das noch nichts darüber aus, dass ihre Sichtweise nicht auch ihre Berechtigung hat. Damit meine ich nicht, dass du geschlagen und eingesperrt wurdest, noch irgendein Denkmuster, das Frauen eine ausschließliche Rolle als Mutter und Hausfrau zuweist. Ich verstehe darunter die Vorprägung, die es für deine Eltern so schwer macht, Bildung und Karriere nicht suspekt zu finden. Ob es deinem Vater in seiner Arbeit nützlich wäre, flüssig Deutsch zu sprechen, weiß ich nicht. Man darf aber nie vergessen: So wenig du einen Grund hast, deinen Eltern für irgendetwas zu danken, deine Aufgeklärtheit gründet sich auch darauf, dass du eben der zweiten Generation angehörst. Das ist bei mir, der ich aus einer "alteingesessenen" Familie stamme, keineswegs anders. Ich hatte Mitschüler, die regelrechten Dynastien von Ärzten, Architekten und Juristen entstammten; ich hatte Mitschüler, deren Eltern Migrationshintergrund haben; ich selber gehöre zu der Gruppe, die erst jetzt über ihre Wurzeln hinaus wächst - so wie du auch. Meine Großeltern haben nur Volksschulbildung, für eine Ausbildung fehlte das Geld, an Studium war nicht zu denken. Mein Vater ist Handwerker, und so sind seine Geschwister und Freunde keine Professoren geworden, sondern in "bodenständigen" Berufen tätig. Was zwar ein weit besseres Auskommen ermöglicht, als meine (noch relativ nahen) Vorfahren es hatten, die Bauern waren. Am Schluss aber steht eine Feststellung: Ich gehöre zu der ersten Generation in meiner Familie, die Akademiker hervorbringt. So lange hat es gedauert. Ich will damit nicht sagen, dass du deinen Eltern danken sollst. Auch nicht, dass es in Ordnung ist, dir ein Denkmodell aufzuzwingen, das, man kann sagen was man will, überholt ist. Und keinesfalls will ich die Misshandlung entschuldigen, die dir angetan wurde. Aber vielleicht kannst du überdenken, ob es nicht auch sehr schwer ist, dich zu verstehen? Zumindest, wenn man wie dein Vater, durch nichts darauf vorbereitet worden ist, einmal mehr von seiner Tochter erwarten zu dürfen, als Enkelkinder. Und vor allem darauf hin erzogen ist, Geld zu verdienen, und sich im Übrigen keine Blöße zu geben. Wenn man, wie deine Mutter, sich nie damit auseinander gesetzt hat, es könnte Anerkennung jenseits eines guten Essens und gut erzogener Kinder geben. Hier stirbt eine Welt ab, Xeri. Sie bäumt sich noch auf, kann dich aber längst nicht mehr halten. Was für ein Glück! Aber deshalb kannst du doch so gnädig sein, sie nicht noch weiter in den Staub zu treten? Für dich fängt alles erst an. Deine Eltern und die ihres Alters, die ihre Ansichten teilen, moddelst du nicht mehr um. Belaste dich nicht damit, es verstehen zu wollen, noch, ihnen zu beweisen, dass sie "rückständig" sind - es ist genug, wenn du es besser machst. Das wollte ich dir sagen.

Geld verdienen kannst du auf viele Arten; im Moment fehlt dir eher die Zeit? Was wäre, wenn du das Angenehme mit dem Nützlichen verbindest, und zum Beispiel Nachhilfe gibst? Vielleicht ließe sich dafür in deiner Schule, oder deinem Freundeskreis etwas auftun? Deine Freizeit - was du darfst, und bis wann - hängt natürlich von den gesetzlichen Bestimmungen ab; darüber darf dir keine direkte Auskunft geben. Am Ende ist es doch immer Verhandlungssache mit deinen Eltern. Du merkst, dass du an einen Punkt kommst, wo du abhängig bist; du hast es die "sensible Seite" genannt. Und geschrieben, dass du sie nicht hast und nicht haben willst. Das ist eine Aussage, die keinen Einwand zulässt; ich treffe trotzdem einen: Wenn du dir selbst nicht erlaubst, auch mal schwach zu sein, schadest du dir selbst. Versuche bei allem Lerneifer, dich nicht zu sehr in deinen Ärger zu versenken. Denn du bindest Energien, die du nötig hast, um der Enge zu entfliehen, in der du jetzt noch bist. Schulische Erfolge sind zwar nicht alles, aber sie sind der Trumpf, den du in der Hand hältst, um einigermaßen deine Ruhe zu haben. So schwer es ist: Aber wenn du merkst, dass der Konflikt mit deinen Eltern dich von deinem Ziel entfernt, solltest du Prioritäten setzen. Das schließt nicht aus, dass du zumindest eine Weile "gute Miene zum bösen Spiel machst": Solange es dich vom Lernen abhält, lass die Diskussion mit deinen Eltern ruhen. Du kannst ihnen weiter Paroli bieten, aber wenn dich das alle Kraft kostet, ist es ja auch nichts wert. Denn die Schule ist das Mittel, um zu untermauern, dass du im Recht bist. Und wenn deine Eltern sehen, dass das funktioniert, werden sie auch eher zu einem Zugeständnis bereit sein. Aus diesem Grund habe ich den Absatz oben auch so ausführlich gemacht: Immer nur stark, stark, stark sein, nie Schwäche zeigen, täuscht darüber hinweg, dass niemand ganz ohne Unterstützung leben kann. Und nie ganz für sich allein. Je länger sich nicht nur deine Wut, sondern auch deine Verzweiflung aufstaut, desto größer wird die Gefahr, dass du einmal unterliegst. Wenn dann noch Noten dazu kommen, die deinen hohen Ansprüchen nicht genügen, rutschst du schnell in die völlige Überlastung. Und das Letzte, was du gebrauchen kannst, sind Depression und damit Zweifel an deinen Zielen.

Ich hoffe jedenfalls, dass du die Feiertage angenehm verbracht hast. Im schlimmsten Fall kann dir ein Gedanke helfen: Die Schule dauert nicht mehr ewig! Und es gibt viele Möglichkeiten, dein Studium zu finanzieren und unterzukommen, wenn deine Eltern dir Unterstützung versagen; Stipendien sind auch ein Weg. Aber bis dahin kann es, zugegeben, noch eine Durststrecke sein. Meinst du, deine Eltern würden sich darauf einlassen, dass du in den Schulferien mal ein Praktikum absolvierst? Das ist nie verkehrt, und nützt dir in jedem Fall, bringt vielleicht auch ein wenig Geld. Vor allem aber wäre es eine Möglichkeit, der Situation zuhause aus dem Weg zu gehen. Deine Schwestern haben vielleicht ihr Studium nur mit viel Glück bestanden, aber das ist ja ihre Sache, oder? Sie wollen ja eh nicht beruflich erfolgreich sein. Was, wenn es bei deiner Schwester demnächst wirklich ans Heiraten und Familie gründen geht? Dann wirst du schlecht außen vor bleiben können. Dass du ihre Art kindisch findest, dass es dich nervt, dass sie nur auf ihren Freund fixiert ist, ist das Eine; auf der anderen Seite ist sie deine natürliche Verbündete gegen deine Eltern. Du gewinnst deshalb nur, wenn du es zumindest bei ihr nicht darauf anlegst, dich mit ihr zu streiten. Wie gesagt: Es ist gut, dass du aus diesen Verhältnissen ausbrechen möchtest, und ich bin davon überzeugt, dass es dir mit Bravour gelingen wird. Aber behalte immer im Hinterkopf, dass es noch eine Weile dauert, bis du dir gar nichts mehr sagen lassen musst. Mit einer völligen Abwehrhaltung torpedierst du deine eigenen Pläne, da du nicht unendlich belastbar bist. Bei alldem bin ich mir aber sicher, dass du dein Abitur hervorragend meistern wirst, und, sobald dein Studium beginnt, aufblühen wirst - nicht zuletzt, weil du dann volljährig und freier bist als jetzt. Du kommst nicht umhin, noch ein paar Durststrecken zu überwinden. Wenn du aber dein Ziel vor Augen behältst, und nicht davor zurückschreckst, dich aus Taktik zu arrangieren, gelingt es dir umso besser!

Ich hoffe, du startest gut ins neue Jahr, und wünsche dir, dass es in jeder Hinsicht erfolgreich wird!

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul