Problem von Luisa - 15 Jahre

Suizid

Hey, ich weiß auch gar nicht wieso ich nun ausgerechnet hier schreibe... ich weiß nicht... ich weiß nur das ich mich gerade wiedermal schneiden wollte... doch meine therapeutin meinte ich soll irgendjemanden davon erzählen wenn etwas nicht stimmt. Also, hier bin ich nun. Ich weiß nicht genau wie man so etwas macht. Ich fange einfach mal an.
Schon als ich ein kleines Kind war, wusste ich dass ich "anders" bin. Vielleicht habe ich es auch geerbt.
Beider meiner Elternteile hatten Depression, und meine Großmutter eine Persönlichkeitsstörung. Also. Ich bin seit sieben Jahren in Therapie, und bis jetzt will man mich auf keinen Fall schon entlassen.
Meine Therapeutin und meine Mutter wollten mich schon öfters in eine Klinik stecken, weil mein Verhalten ziemlich... miserabel war.
Oft war ich abwesend, habe mit Menschne geredet die es nicht gab, habe mich geschnitten, geritzt, gehungert, gegessen einfahc alles. Doch dann war es irgendwann ganz schlimm. Ich fing an irgendwelche Stimmen zu hören.
Also ging ich in die Klinik.
Diagnosen: schwere Depression, selbstgefährdetes Verhalten, fremdgefährdetes Verhalten, andeutungen zur Schizophrenie, Klaustrophobie und Angststörung.
Das ist einfach zu viel für ein fünfzehn Jähriges Mädchen.
Aber alles hat einen Grund.
Der begann, als mein einziger Freund im Kinderalter starb. In der Weihnachtszeit. Ich hatte ihn so vermisst, und Schuldgefühle aufgebaut.
Oft hatte ich geweint, hatte schon in der Grundschule ein selbstzerstörisches Verhalten. Heulkrämpfe, Panikattacken.
Als sich meine Eltern trennten zog ich von Bayern nach Niedersachsen. Zu den neuen Freund meiner Mutter.
Dort passierte das, weiß keiner weiß bis auf mein Freund mit den ich seit zwei Jahren zusammen bin.
Mein Stiefvater hat mich oft geschlagen und irgendwann angefangen sexuell zu belästigen.
Meine Mutter trennte sich irgendwann von ihn, und wir zogen zurück nach Bayern. Dort hatte ich schnell einen festen Freund. Ich hatte ihn falsche Andeutungen gemacht mit ihn zu schlafen. Davor hatte ich doch Angst, wegen meinen Stiefvater.
Er wollte mich aber nicht in Ruhe lassen. Begrabschte mich, und hätte es fast geschafft mich zu vergewaltigen.
Seit den habe ich Angst. Angst vor Nähe. Das fällt meinen Freund sehr s chwer. Manchmal lasse ich es zu, doch andererseits zucke ich zusammen oder fange an zu weinen wenn er mich berührt oder nur in den Arm nimmt.
Einfach so, unkontrollierbar.
Es verletzt mich selber dann wenn er traurig ist.
Sonst noch wichtige Details:
-1 Klinikaufenthalt (7 Wochen Geschlossene, 4 1/2 Monate Offene Rauswurf wegen Platzmangel ansonsten noch keine Entlassung in Aussicht)
-Schlafstörungen
-Mehrere Suizidversuche
-Eine Wiederbelebung
-Zwei IQ Tests. Einmal vor der Klinik, einmal nach der Klinik. Verblüffende Ergebnisse. Vorher: 93 danach: 140
---> grund warum man mich nicht als hochintelligent anerkennt
Depressionen und so etwas sind etwas schreckliches.
Aber es gibt Hoffnung. Irgendwo.
Mein Leben in kurzfassung:
-Freund tod
-Missbrauch
-Ansatzweise Vergewaltigung
-Rauswurf von der Mutter
-Morddrohung von der Mutter
-einmal Pflegefamilie, nun beim Vater lebend
-Klinikaufenthalt insgesamt 6 Monate
Klar, ich hasse mein Leben. Ich hasse mich. Alles an mir. Ich schneide mich so tief, dass ich krankenhausbekannt bin. Oft genäht werden muss.
Bei der Polizei bin.
Doch was wenn sich das Leben ändern muss?
Momentan ist der Grund meines stark depressiven Verhalten:
-häufige Panikattacken
-Verlust des besten Freundes
-Stress mit festen Freund
-Stress innerhalb der Familie
-Stress mit der Schule
-Selbsthass
-schizophrenes Verhalten
Euch wünsche ich allen viel Glück!

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Luisa,

du hast zwischendurch einen Satz eingestreut, von dem ich nicht weiß, ob du selbst daran glaubst:

"Aber es gibt Hoffnung. Irgendwo."

Vielleicht hast du es nur geschrieben, weil du es schon so oft gehört hast. Vielleicht hast du es geschrieben, weil du dir wünschst, daran glauben zu können. Vielleicht, weil du den Satz aus tiefstem Herzen hasst. Vielleicht, weil du uns nicht zu sehr beunruhigen wolltest. Vielleicht auch aus einem ganz anderen Grund.

Anyway, die Frage ist: Willst du, dass es Hoffnung gibt? Willst du, dass sich etwas ändert? Oder willst du eigentlich sagen, dass du dieses Leben satt hast, und alles, was es außer diesem Leben und dieser Welt gibt, nur besser sein kann? Ich könnte es verstehen. Was sich ändern muss, bist nicht du. Es ist auch nicht das Leben. Was sich, hoffe ich, ändern kann, ist dein Hass auf dich selbst. Und wenn das im Ansatz gelingt, wirst du dein Leben in die Hände nehmen können.

Warum hasst du dich selbst? Es gibt viele Menschen, die du hassen könntest und wahrscheinlich auch hasst. Aber dich selber? Was an dir gibt es, das hassenswert wäre? Warum deutest du die Probleme, die dich von außen betroffen haben, und für die du nichts kannst, in eigene Schwächen um? Du bist nicht hässlich, nicht dumm und nicht falsch. Vielmehr hat dich ein Unglück nach dem anderen eingeholt, bis du soweit warst, dich schon gar nicht mehr dagegen zu stemmen. Stemmen zu können. Du hast für die Hilflosigkeit und den Selbsthass, die du ausstrahlst, traurige Berühmtheit erlangt. Ich könnte dir schreiben, dass ich Mitleid habe, und du würdest es wohl zum tausendsten Mal hören, in Worten oder durch Blicke, ich weiß es nicht; ich nehme an, du wirst es nicht hören wollen. Denn was weiß ich von deinen Problemen? Ich kann die Schnitte nicht von dir nehmen, und nicht die Angst, wenn dein Freund dich berührt. Nicht den Schmerz um deinen verstorbenen Freund, und nicht den Streit mit deiner Mutter. Ich kann nur versuchen, dir aufzuzeigen, dass du nicht verloren bist - es sei denn, du gibst dich selbst verloren. Und es ist nie zu spät, neu anzufangen.

Die Ergebnisse der IQ-Tests sind der eindrückliche Beweis dafür, wie deine Intelligenz und Herzlichkeit gar nicht zum Tragen kommen können, solange du durch so viele Probleme verhindert bist. Das heißt jetzt nicht, dass es an dir liegt. Trotzdem bist du die Einzige, die es ändern kann. Hast du die Hilfe, die du dir wünschst? Und wenn, kannst du darauf eingehen? Ich weiß nicht, was es konkret für Möglichkeiten gibt, das Schneiden einzudämmen. Es bildet für dich einen Weg, dich selbst zu spüren. Vielleicht ist es auch so, dass der körperliche Schmerz den seelischen überdeckt. Du könntest dir für den Anfang vornehmen, die Schnitte nicht mehr so tief zu setzen. Oder wenigstens bestimmte Stellen deines Körpers auszusparen. Dich selbst zu verletzen, ist für dich eine Hilfe, obwohl es deinen Körper schwer zeichnet. Es ist dir auch Beweis dafür, dass deine Lage hoffnungslos wäre, und somit wirkt es nach außen als Provokation. Wenn du es nicht beenden möchtest - was nicht schnell und gleich geht -, aber wenn du nicht möchtest, dass es einmal aufhört, dann kann es sich nicht bessern. Du drückst mit den Schnitten deinen Hass auf deinen Körper aus, und meinst Recht zu haben; aber dadurch findest du nur noch mehr Anlass, so zu denken. Dein Freund findet Erregung an deinem Körper, das ist ein Beweis, das auch noch so viele Narben dich nicht hässlich machen können. Sie stehen für die Eindrücke eines Lebens, das schmerzhafter, aber dadurch auf gewisse Art auch intensiver, formender war als andere. Was jenen betrifft, der dich fast vergewaltigt hat: Da das so war, hättest du mit ihm wohl nicht besprechen können, wie es dir geht, und wann und warum du die Berührung oft nicht zulassen kannst. Vielleicht hast du es versucht, aber er war kein Mensch, der dafür empfänglich ist. Andererseits musst du dich dann auch nicht schuldig fühlen, ihm Hoffnung gemacht zu haben. Jetzt ist jemand da, dem du vertraust. Ich mag ihn darum. Ich finde es toll, dass du ihm so viel anvertrauen kannst, und er sich um dich kümmert. Genauso verstehe ich auch, dass es ihm schwer fällt. Nichtsdestotrotz: Es ist dein Körper, Luisa, und allein du bestimmst darüber. Dein Freund kann dich küssen, mit dir kuscheln und Sex haben, wenn du es auch willst; anders nie, oder er verdient es nicht, dein Freund zu sein. In Streit zu geraten, weil er mehr möchte, ist nur verständlich; aber wenn einer Rücksicht nehmen muss, ist er es, andernfalls kann er mit dir nicht zusammen sein. Natürlich solltest du versuchen, ihm entgegen zu kommen. Aber wie realistisch schätzt du es ein, dass ihr deine Ängste (weiterhin) offen beredet, und einen Kompromiss schließt? Diese Frage kannst nur du beantworten. Seine ungestillte Sehnsucht nimmt dich selbst mit, das ehrt dich, und ich kann nachvollziehen, wie es ihm geht. Aber das auch zu deinem Problem zu machen, wird dich am wenigsten ans Ziel bringen. Es geht zuerst darum, deine Angst einzudämmen; das Tempo legst nur du fest. Es muss mit niemandem Schritt halten - so sehr du ihn liebst, und so sehr auch ich ihn für das schätze, was er dir Gutes erweist.

Deine Therapie ist kein Mittel, dich zu unterdrücken, noch ist es die Schule, noch sind es andere Leute mit ihren Ansprüchen. Du hast vermutlich noch einen langen Weg vor dir, der erste Schritt - und zugleich der wichtigste - ist jedoch, dass du versuchst, die Hilfe anzunehmen. Als Erstes kannst du versuchen, dich mit deinem Freund zu versöhnen, wenigstens an der Oberfläche. Wo seine Berührung dich abschreckt, muss er sich zurückziehen, das ist klar. Aber kannst du ihm signalisieren, wann du es okay findest, von ihm berührt zu werden? Manchmal wirst du traurig sein, manchmal werdet ihr nur reden können, manchmal aber auch nicht. So wie es bisher war. Das schafft auch eine große Nähe zwischen euch, trotzdem ist der Wunsch deines Freundes verständlich. Vielleicht weißt du es nie vorher, wie du reagieren wirst. Aber es kann für ihn hoffnungsvoll sein, wenn du hin und wieder die Initiative ergreifst. Oder, wo du es kannst, ihm bedeutest, dass er dich in den Arm nehmen kann. Ihr könntet Rituale finden, die eure Zweisamkeit betonen, und Intimität ausdrücken, ohne dir Angst zu machen: Kannst du dir vorstellen, neben deinem Freund auf dem Bett zu liegen - sehr lange? Und euch erstmal einfach nur anzuschauen? Bis du langsam eine Hand nach ihm ausstreckst? Werde nicht müde, zu betonen, dass es nicht an ihm liegt. Du erhältst dir seine Wertschätzung, indem du ihm das Gefühl gibst, dass etwas im Fluss ist. Es mag noch so langsam sein, aber es geht voran. Das aber kann es nur, wenn du es willst - und dich nicht insgeheim schon aufgegeben hast. Wenn du nicht um deiner selbst willen am Leben sein willst - kannst du es seinetwegen bleiben?

Du bist diejenige, die dein Leben gestaltet. Es muss dieses Mädchen sich nicht um die kümmern, die dir Schmerz zugefügt haben; sie sind genug gestraft. Was aber viel wichtiger ist: Dass du es nicht mehr als zwangsläufig ansiehst. Als unveränderliches Schicksal. Das Leben liegt noch vor dir - wenn du je Träume hattest, erlaube sie dir wieder; wenn du keine hattest, versuche dir welche zu schaffen. Wenn es etwas gibt, von dem du nur sagen kannst "Ich wünschte, das könnte werden", bist du schon nicht mehr so weit davon entfernt, wie du es warst, als du sagtest "Es wird niemals anders sein." Es gibt unzählige Therapien und Kliniken, aber sie alle können dich nicht heilen, wenn du dich selbst verloren gibst. Musst du das? Oder entdeckst du nicht irgendwo tief in dir noch etwas, das all diese Dinge nicht wahrhaben will? Eine Spur von Kampfgeist, ein Rest von Widerstand? Er kann wachsen. Deiner Mutter, die selbst große Probleme hat, die schon vor dir bestanden, wirst du nicht helfen können. Versuche bei ihr zu bestehen, aber irgendwo wirst du dich nie durchsetzen können. Denke nicht, dass du eine Last für sie wärst, oder Ursache für ihre Probleme. Sie führt ihr Leben, du deines. Dein verstorbener Freund wird dir immer fehlen, auch wenn das das ist, was er am wenigsten gewollt hätte. Willst du zu ihm gehen? Willst du allen, die dir auf die eine oder andere Art Gewalt angetan haben, ihren Willen geben? Willst du geschlagen und gebrochen sein? Willst du dir gedankliche Etiketten verpassen, auf denen steht: "Ich bin als kleines, hoffnungsvolles Wesen in diese Welt gekommen. Ihr habt euch mich ausgesucht, zu treten und zu missbrauchen. Und weil ihr einmal damit angefangen habt, seid ihr auch im Recht, und ich werde den Rest meines Lebens dem Ausdruck verleihen, dass ich nichts weiter soll, als getreten und hin- und her geschoben zu werden?" Regt sich da nicht irgendwo ein Misstrauen, eine Wut, ein Wunsch, es ihnen zu zeigen? Erst wenn du nichts mehr in dir entdeckst, das zumindest zu ahnen glaubt, dass du schuldlos bist und das Leben verdienst, erst dann gibt es kein Morgen mehr. Dein Teil ist das glückliche Leben, immer im Bewusstsein deiner alten Wunden, die noch hin und wieder bluten. Aber es wird einen Mann an deiner Seite geben, der die Blutung stillt, und du wirst wieder Freundschaften knüpfen können. Wie das? Luisa, niemand verlangt von dir, dass du dich jetzt und sofort aufraffst und alles mitspielst. Man hat den Wunsch für dich, dass du einräumen kannst "Ich brauche Hilfe, aber es fällt mir schwer, sie anzunehmen, und die Umsetzung erst recht." In der Therapie zählt nicht nur der Erfolg, sondern auch die Bereitschaft, Schwierigkeiten zuzugeben; in der Bewältigung deiner Vergangenheit zählt nicht, alles still und heimlich zu begraben. Sondern es zählt vor allem, in sich ein bestimmtes Gefühl groß werden zu lassen: Das Gefühl der Weigerung gegen die Probleme, des Widerstandes, das Gefühl, dass man im Recht ist.

Ein "Ich bin misshandelt worden!", statt einem "Ich kenne und verdiene es nicht anders!"

Ein "Keine Narbe kann so tief reichen, dass sie mein Herz verunstaltet!", statt einem "Ich hasse meinen Körper, mein Leben, mich selbst!"

Ein "Ich wollte es nicht, und will es nicht anerkennen!", statt einem "Es wird sowieso nie anders, und es ist vorbei, ehe es beginnen konnte!"

Ein "Ich wünsche mir das Leben und das Glück!", statt einem "Nichts liegt mir ferner, als Leben und Glück!"

Ein "Ich suche und kämpfe!", statt einem "Ich werde es nicht schaffen!"

Ein "Ich will leben, leben, leben!", statt einem "Ich sinke, ich sinke, ich sinke..."

Lebe, liebe. Und kämpfe. Und wisse, dass du schön bist und im Recht. Ich wünsche es dir, und hoffe, dass es auch dein Wunsch werden kann.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul