Problem von Anonym - 17 Jahre

Sehnsucht

Hey, ich habe folgendes Problem: Ich suche seit längerem einen Freund, der vor ca. 2 jahren noch drogensüchtig war. Seit dem letzten Treffen habe ich nichts mehr von ihm gehört. Ich würde ihn so gern vergessen, aber ich kann nicht. Ich würde gerne einmal wissen, wieso er sich nicht verabschiedet hat! Ich will hören, warum er aufeinmal spurlos verschwunden war. Von einer Freundin, die ihn neulich gesehen hat, habe ich gehört, dass es ihm gut geht: Er ist von Drogen weg und geht wieder zur Schule.
Aber leider kann ich darüber mit keinem reden, alle meinten, dass er mir nicht gut täte und ich habe einen Freund, der auch nicht begeistert darüber wäre.
Ich will ich nur noch einmal in seine Augen sehen und ich will wissen, warum er ohne ein Wort zu sagen gegangen ist. Er war derjenige, dem ich alles anvertraut habe, dem ich aus jeder Situation geholfen habe und für den ich meine Hand ins Feuer gelegt hätte. Wir waren lange befreundet und hatten unsere Tiefen und Höhen an unserem letzten Treffen haben wir uns geküsst. Er hat mich dennoch vorher oft sitzen gelassen und immer wieder Hoffnungen gemacht. Aus diesem Grund denken meine Freunde schlecht über ihn.
Ich habe in Telefonbüchern, im Internet und Sozialennetzwerken gesucht, aber meine Suche was erfolglos.
Ich hoffe wirklich, dass ihr mir vielleicht Tipps geben könnt und euch in meine Lage versetzten könnt.
Danke im vorraus!

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

vor einigen Jahren bekam die Oma meines besten Freundes Besuch. Es war ein älterer Herr, der recht verlegen war, und mehr schlecht als recht Deutsch sprach. Man muss ihm angemerkt haben, dass er sich vor ihrem Mann, dem Opa meines Freundes, nicht gerade leicht tat - ich weiß es nur aus Erzählungen. Aber die beiden verbrachten einen Tag zusammen, und tauschten sich über ihre Jugend aus, so gut es eben ging. Danach reiste er wieder ab, und alle blieben eher betreten als befriedigt zurück.

Der Besucher war nicht irgendjemand. Er war schon einmal in Deutschland gewesen, nur ganz kurz nach dem Krieg: Ein amerikanischer Soldat, blutjung und schnell entschlossen, mit dem jungen Mädchen eine Familie zu gründen. Was dann doch nicht geschah. Er verschwand (unter nicht gerade angenehmen Umständen) aus ihrem Leben, sie zog irgendwann weg und heiratete; einer ihrer Enkel landete in der ersten Klasse auf dem Platz neben Paulchen. So kann ich dir das Ganze jetzt skizzieren.

Als ich (auch schon eine Weile her) bei meiner eigenen Oma saß, kam ihre Nachbarin herein, wie immer herzlich gesprächig. Sie erzählte von ihren ersten Gehversuchen mit Facebook. Dort hatte sie gemeinsam mit ihrer Tochter deren Profil angeschaut, und sich erklären lassen, wie das so geht. Nun, es drängte sich ihr eine Frage auf:

"Hanni, also sag mal - da drin kann ich ja jeden finden, wenn ich nur den Namen weiß, und er angemeldet ist, oder?"

"Klar doch, Mama - wenn er seinen Namen richtig angegeben hat..."

"Schon gut, ich meine, such doch mal... Manfred L... " (Das war ihr erster Freund!)

Folgende Nachricht (so ungefähr) empfing der Mann im Facebook:

"Du, ich sage nur so viel: Wir zwei - vor vierzig Jahren - Küchengarten bei..."

Man muss hinzufügen, dass das über den Account ihrer Tochter geschah. Er war also reichlich perplex, aber man kam ins Gespräch. Unter Anderem musste die Dame mit Befriedigung feststellen, dass ihr Verflossener das Mädchen, für die er sie verlassen hat, entgegen seiner damaligen Aussage doch nicht geheiratet hatte. Das war eine schöne Sache für sie, wie es ihm ging, weiß ich nicht; auch nicht, ob daraus ein dauerhafter Kontakt wurde. Jedenfalls hat sie wohl mittlerweile ein eigenes Profil.

Diese Geschichten können dir jetzt Hoffnung machen, oder besonders schmerzhaft sein, ich weiß es nicht. Im Grunde möchte ich eines ausdrücken: Das Leben wird euch mal wieder zusammen führen, wenn es so sein soll. Aber im Moment würdest du dir sicher keinen Gefallen damit tun. Und du selbst hast die Gründe genannt, warum.

Meine erste Freundin rief eine ganze Weile nach der Trennung wieder bei mir an. Ich hatte mich halbwegs damit arrangiert, dass sie mich verlassen hatte, und anfangs war es auch gar nicht schlimm. Der Kontakt fand nur im Netz statt - aber ich merkte zusehends, wie mir dabei mulmig wurde. Ich warf ihr die Trennung keinesfalls vor, und tue es bis heute nicht; denn ich habe ja gesehen, was uns unterscheidet. Für mich nahm sie den Stellenwert ein, den sie als meine Freundin auch gehabt hatte. Und entsprechend ehrlich und ausführlich schilderte ich ihr, in wen ich gerade verliebt war. Genauso berichtete sie mir von ihrem neuen Freund.

Was mich viel mehr aufregte, als ich zugeben mochte. Zwar war ich mit keinem Mädchen, über die ich ihr erzählte, jemals zusammen. Das allein macht aber keine Entschuldigung für meine ungeheure Naivität: Ich hätte nie im Leben damit gerechnet, dass sie noch Gefühle für mich hatte. Oder wieder hatte. Dass, so sehr sie in ihren neuen Freund verliebt war, meine Eifersucht doch nicht spurlos an ihr vorüber ging. Sie hat es gewiss nicht so geplant. Aber irgendwann trennten sie sich, und sie gestand mir ihre Liebe. Ich schwankte zwischen Schreck und Triumph.

Das nächste war, dass ich ihr - in der Absicht, meinen Standpunkt klar zu machen - eine Mail schrieb, die zwar ehrlich war, aber für sie sehr, sehr verletzend gewesen sein muss. Eiskalt hatte ich alles aufgezählt, was mich damals gestört hatte. Heute weiß ich, dass es unsere Beziehung wohl auch nicht gerettet hätte, ihr das alles vor der Trennung zu erzählen. Tatsache, es war keinem von uns geholfen. Es tut mir bis heute leid - aber kurz darauf brach der Kontakt wieder ab. Wie es genau dazu kam, weiß ich immer noch nicht. Auch als wir viel später nochmals schrieben, erfuhr ich es nicht, und die Frage danach blieb in den Anfängen stecken. Ich gab den Kontakt endgültig auf. Ihr das zu schreiben, tat mir gut, auch wenn es für sie schmerzhaft gewesen sein muss. Ich weiß heute: Es war nicht falsch, wieder voneinander zu hören. Es war sogar sehr sinnvoll, um mit der Beziehung abzuschließen. Aber eines ist klar, wäre es nie zu dem neuen Kontakt gekommen, wäre uns beiden viel Schmerz erspart geblieben. Die erste Liebe hat immer etwas Heiliges, und das hat sie bis heute für mich. Ich hoffe sehr, dass, wo immer sie ist, es ihr gut geht. Aber hoffen ist hoffen, und das werde ich ewig; wissen muss ich es nicht unbedingt. Bist du dir sicher, dass es bei dir und deinem Freund nicht ähnlich ist?

Ich denke doch, mich in deine Lage versetzen zu können. Aber selbst wenn ich einen Vorschlag hätte, wie du ihn finden kannst, wäre mein Rat trotzdem: Lass es Vorschlag bleiben, und suche nicht wieder den Kontakt.

Es mag sein, dass es für euch beide nicht schlimm wäre. Das Gegenteil ist aber durchaus auch möglich. Dein Freund hat durch seine Drogensucht sehr viel mitgemacht, und es ist möglich, dass er zwar aus Höflichkeit auf dich eingehen, im Inneren aber doch große Gewissensnöte leiden würde. Die vielen Erinnerungen, die schönen wie die schlechten, aufzurühren; die Tatsache, dass sein Fortgehen vielleicht Zufall war, vielleicht gar nicht von ihm selbst gewollt - vielleicht aber auch der einfachere Weg; die Tatsache, dass du eine Frage stellen möchtest, auf die er sich selbst vielleicht keine befriedigende Antwort geben kann - das alles kann bewirken, dass es euch beiden nicht helfen würde.

Du hast den großen Vorteil, eine ungefähre Ahnung zu haben, dass es ihm besser geht, und er auf dem Weg in ein freieres Leben ist. Sicher mit Menschen um sich, die ihn unterstützen und auffangen. Ein Stück seines Weges hast du zu ihnen gehört, das darf dich stolz machen. Aber kann es nicht sein, dass eure Zeit besser das bleibt, was sie ist? Dass du nicht das Risiko eingehst, Urteile zu hinterfragen, die du dir gebildet hast, und Erinnerungen sich ändern, die dir gefallen? Wenn du dankbar bist, ihn zu kennen, und für ihn durch Feuer und Wasser gegangen zu sein - nun, dann hast du dir nichts vorzuwerfen. Das ist schön - das darf stehen bleiben, oder? Wenn du ihn aber wieder triffst, wo ihr es vermeiden könnt, wo du mit vorgefertigten Fragen kommst, die er nicht erwartet, und mit einem Bild im Kopf, das er auf keinen Fall mehr erfüllt - da ist Gefahr im Verzug. Es muss nicht sein, aber es wäre gut möglich. Und meiner Meinung nach besser, wenn du nicht riskieren würdest, euch beiden neue Fragen und neue Ungewissheit aufzubürden, die ihr nicht bewältigen könnt. Denn dafür ist zuviel Zeit vergangen, zuviel vorgefallen, zuviel durch immer wieder Erinnern und Überlegen verzerrt worden; die Wirklichkeit kann niemand mehr wiedergeben. Daher ist auch mein Rat, lass es lieber sein.

Es steht dir frei, deinem Freund alles Glück der Welt zu wünschen; und genauso, eure Zeit immer in Ehren zu halten. Worüber du nicht bestimmen kannst, ist, was du vorfindest, wenn ihr euch wieder trefft. Und ob es annähernd dem entspricht, was du erinnerst und dir überlegt hast, und ob es dich freut - oder vielleicht verstört, durcheinander bringt. Und nicht nur dich, sondern bei ihm wäre es andersrum ebenso. Möchtest du das - oder möchtest du nicht, dass ihr beide, und besonders er, euren Weg unbeirrt weiter gehen könnt?

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul