Anwort von PaulG

Liebe Melli,

eines ist doch schon mal positiv: Du bist dir jetzt sicher, wen du liebst - und du würdest gerne dazu stehen, dass es ein Mädchen ist. Unabhängig davon, ob sie dich auch liebt, steht dahinter ja viel mehr. Du hast deine Orientierung gefunden, und dazu beglückwünsche ich dich herzlich!

Lass dich von dem Jungen nicht unter Druck setzen. Seine Gefühle haben ihm die Sicht vernebelt. Er scheint nicht zu begreifen, dass er dich - die er liebt - zutiefst verletzt mit dem, was er tut. Oder er weiß es sehr genau, und möchte sich für deine Zurückweisung rächen. Das wirft kein gutes Licht auf ihn. Du solltest dich nicht hinreißen lassen, jetzt auch aggressiv zu werden. Rede am besten zuerst mit deinen Eltern, damit du in der Familie nicht völlig mit der Tür ins Haus fällst - oder er, wenn er dir zuvor kommt. Ich verstehe, dass es nicht einfach ist, gerade wenn deine Großeltern ein Problem damit haben. Aber Melli, sie werden es hinnehmen müssen. Es ist dein Leben, und du bestimmst darüber. Lesbisch sein ist genauso viel wert wie hetero sein, und die Liebe von Frau zu Frau fühlt sich bestimmt genauso schön an. Du musst eine Aussprache riskieren, denn: Wenn du es heute verdrängst, holt es dich in einem Jahr wieder ein. Dabei ist es doch gar nichts Schlimmes - du hast es dir nicht ausgesucht, es fühlt sich aber super an, und deswegen soll keiner anfangen, es dir auszureden. Was sowieso nicht geht. Du liebst ein Mädchen, und das ist gut, das hat keiner schlecht zu finden. Im Moment ist das Wichtigste, dass du den Druck für dich raus nimmst. Daher solltest du es erzählen, bevor er es tut. Natürlich ist es nicht leicht, aber du kannst ja hinzufügen, was sich mit ihm ereignet hat. Das ohne Vorwurf, sondern so, wie du es uns geschrieben hast: Dass du ihn nicht verletzen wolltest, aber auch nicht anders kannst, als deinen Gefühlen nachzugehen. Um deine Sichtweise zu untermauern, kannst du ja auch vorzeigen, was ihr euch so geschrieben habt. Dann wird jeder einsehen, dass du es nicht böse gemeint hast. Vielleicht beruhigt er sich ja auch, zumindest wäre das zu hoffen. Bevor du dich outest, kannst du ihm eine letzte Nachricht schreiben, in der du nochmal um Entschuldigung bittest, aber auch deutlich machst, dass er sich nicht richtig verhält: "Lieber Nadan, es tut mir wirklich sehr leid, dass ich deine Gefühle nicht erwidern kann. Aber ich suche mir das nicht aus. Es war nicht meine Absicht, dich zu verletzen. Wie kannst du sagen, dass du mich liebst, und dich dann so verhalten? Bitte überlass es mir, meiner Familie davon zu erzählen. Eben wolltest du noch mein Freund sein, und jetzt machst du sowas. Findest du das in Ordnung? Ich nicht. Tu es nicht, bitte."

Gegen den Alkohol hilft erstmal nur, ihm aus dem Weg zu gehen. Es ist lieb gemeint von deiner Freundin, dir was mitzubringen, aber - hoppla, 35 Prozent? Ich bin echt kein Spießer, Melli, aber wenn du die Gefahr für dich siehst, dass der Alkohol dir schadet, musst du es ablehnen. Nicht für immer, aber vorerst. Dafür solltest du darauf achten, dass du möglichst nicht in Situationen kommst, wo du aus gutem Willen oder "Höflichkeit" mittrinkst. Sage deinen Freunden, dass du in der nächsten Zeit vom Alkohol Abstand nehmen willst, und bitte sie, dir keinen mitzubringen. Und auf Partys zu respektieren, dass du es nicht möchtest. Das ist wichtig, damit niemand dich in der Absicht, dir was Gutes zu tun, dazu drängt. Wenn du noch irgendwas daheim hast, schenk es weg, und bitte eine Freundin, darüber zu wachen. Du kannst mit ihr verabreden, dass sie immer wieder mal anruft, und fragt, ob irgendwas an Alkohol bei dir ist. Sie soll dir schreiben "Schütte es weg, oder schenke es weiter, falls du was hast!" Das hemmt dich, auch wenn du dich gerade nicht traust, ihr zu schreiben, dass du Alk bei dir hast. Wenn sie kommt, kann sie mal in die Schränke linsen, wenn das für dich okay ist. Und bei der Gelegenheit kann sie auch alle Scheren oder Klingen mitnehmen. Wo du für die Schule eine brauchst, kannst du dort ja eine aufbewahren. Und weil man zuhause ja auch nicht ohne Scheren sein kann, lege sie in die Küche, oder irgendwohin, wo man abschließen kann. Im Fall eines Falles - wenn du gar nicht mit dem Schneiden aufhören kannst - solltest du auch darüber mit deinen Eltern reden. Deine Wunden sind auch ein Beweis dafür, wie schlecht es dir gerade geht, und niemand hat darüber zu lachen. So zeigt sich, wie sehr dir die Sache mit Nadan und deiner unglücklichen Liebe aufs Gemüt schlägt. Sag nicht, du seist ein Feigling. Es ist einfach schwierig, das ist klar, es ist viel verlangt. Aber es geht um dich, und die Lage ist ernst. Wenn es einmal alles raus ist, wird es dir besser gehen. Was zählt, ist nicht, dass alle Probleme von heute auf morgen gelöst werden, sondern dass sie bekannt sind, und man was dagegen unternehmen kann. Wenn du auf lange Sicht nicht von dem Selbstverletzen und Trinken loskommst, könnt ihr in der Familie darüber nachdenken, ob eine Therapie in Frage kommt. Das mag hart klingen - aber es ist ja noch keine Frage, die jetzt gleich besprochen werden muss. Es ist nur der letzte Notfallplan, davor kommen andere Dinge.

Was das Mädchen angeht, in die du verliebt bist: Da kannst du dir noch etwas Zeit geben. Du hast geschrieben, dass du ohnehin praktisch sicher bist, dass sie auf Jungs steht. Wenn du mit ihrer Zurückweisung rechnest, kann es dich noch mehr belasten, wenn du das von ihr hörst. Warte lieber noch ein bisschen ab, bis es dir besser geht. Nicht nur, weil sich dann ausloten lässt, ob nicht vielleicht doch eine klitzekleine Chance besteht - sondern auch, weil du nur tiefer ins Elend rutschst, wenn du jetzt von ihr einen Korb bekämst. Gib dir Zeit; vielleicht führt sie dich zu einem anderen, ganz tollen Mädchen? Bis dahin gilt es, die übrigen Probleme entschlossen anzugehen. Niemand kann dir abnehmen, dich zu öffnen, das ist wahr - und es ist besser, wenn du es tust. Aber dafür hassen und beschimpfen solltest du dich nicht, das ist auch ungerecht. Es sind viele Fragen und Probleme, die da zusammen kommen - aber du hast sie nicht verschuldet. Du willst das alles ja nicht, und du leidest am meisten darunter. Dafür darf dich niemand beschimpfen, erpressen oder auslachen. Was du willst, ist doch nichts, als zu deiner Liebe stehen - und dazu, dass sie Frauen gilt. Ist das etwas Schlimmes? Nein! Wir sind alle auf die eine oder andere Weise gemacht; die Zeiten, in denen man Homosexualität verdammt hat, gehen vorbei. Von Anfang an gibt es beides, und wenn deine Großeltern es ablehnen, dann liegt es daran, dass sie noch zu einer anderen Zeit aufgewachsen sind. Spott wird es geben, das ist sicher. Aber ist das eigentlich Spott - oder ist das einfach nur erbärmlich? Sie haben keine Ahnung, was du durchmachst. Sie haben genauso wenig einen Einfluss darauf, hetero zu sein. Nicht du musst dich ändern - dein Umfeld hat keine Wahl, als es zu akzeptieren. Es heißt nicht, dass sie dich als ihre Tochter und Enkelin und Freundin nicht mehr schätzen, wenn es ihnen schwer fällt - sie haben einfach keine oder wenig Erfahrung damit. Das wird sich aber legen. Und dann wirst du dich auch besser fühlen. Wie schon gesagt: Es ist dein Leben, deine Liebe, und du allein sollst darüber bestimmen. Alles Andere ist nicht gerecht. Ich wünsche dir, dass du bald einen Ausweg aus deinem Schmerz findest - und das Glück in der Liebe, das du dir wünschst.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul