Problem von Charlott (Lotti) - 15 Jahre

Ich habe Angst und Vertraue niemandem mehr. Bitte helft mir

Erstmals finde ich es sehr toll wie ihr anderen helft!
Und ich hoffe ihr könnt mir auch helfen.
Ich würde mich freuen wenn Dana meine Mail beantworten könnte.

Nun zu mir, ich bin 15 Jahre und heiße Charlott (Lotti).
Meine Eltern haben sich getrennt als ich 6 Jahre alt war, deswegen sind wir (Meine Mutter, ihr neuer Freund und ich ) sehr oft umgezogen.
Ich wurde oft gehänselt wegen meinem Namen und weil ich früher sehr viel geweint hab.
Ich habe nie wirklich nähe und Geborgenheit bekommen.
Ich war alle zwei Wochen immer bei meinem Papa, er hat mich immer geschlagen, wegen dem war ich dann 3 Jahre beim Psychologen, aber ich hab einen Riesen Pech mit Psychologen.
Vor 2 Jahren kamen dann von meinem Papa seiner seite meine Halbgeschwister (Mats, Mila )seit die beiden jetzt da sind gehe ich wieder zu meinem Vater.
Aber nur um meine Geschwister nicht im Stich zu lassen.
Die zwei sind meine einzigsten Geschwister.
Ich habe keine beste Freundin oder nichts.
Nur einen Freund, mit ihm bin ich jetzt bald 2 Jahre zusammen.
Bis vor zwei Wochen war alles super und toll, bis mein Vater wieder angefangen hat zu schlagen, ich hatte (bzw. Hab) sehr große Angst vor ihm.
Aber Mila und Mats hängen sehr an mir und ich kann sie nicht im Stich lassen.
Ich sehe in anderen Männern oder Jungs meinen Vater und hab Angst, deswegen hab ich auch mit meinem Freund Schluss gemacht.
Ich vertrau niemandem mehr und hoffe das der Albtraum bald ein Ende hat.
Denn ich kann nicht mehr und solangsam will ich auch nicht mehr.
Ich hab Angst, ich möchte aber nicht zu meiner Mama, weil ihr Freund einfach nur bescheuert ist und wenn meine Mama nicht da ist, zwingt er mich alles zu machen was er will.
Ich habe moch schon sehr oft selbst verletzt und wollte mich auch eine Zeit mal Umbringen.
Ich hab Angst.
Ich brauche Hilfe, ich weiß nicht mehr weiter.
Ich kann einfach nicht mehr.

Ich hoffe ihr antwortet mir.
Denn ich bin am verzweifeln.
LG Lotti

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Charlott,

ich beginne mit dem ganzen Namen, da ich ihn sehr schön finde. In der Form "Charlotte" ist er häufiger, es gibt ihn auch als Carlotta (Karlotta), was italienisch, oder als Carlota, was spanisch ist. Sogar Charlot, mit einem T, ist schon vorgekommen. Du siehst, dass also ein Buchstabe mehr oder weniger nichts ändern; der Name hat, in welcher Schreibweise auch immer, einen sehr schönen Klang. Vielleicht gibt das oft mehr den Ausschlag, ihn seiner Tochter zu geben, als die eigentliche Bedeutung - "Kleine Tüchtige". Obwohl das auf dich mehr als zutrifft, würde ich sagen.

Verzeih, dass ich dir antworte. Dana kam gerade nicht dazu, aber sie findet es sehr wichtig, dass deine Zuschrift beantwortet wird, und hat mir ihr Vertrauen ausgesprochen. Grundsätzlich finde ich, dass du deine Situation sehr gut einschätzt und, obwohl du sehr leidest, trotzdem schon die Ursachen klar vor dir siehst. Ich sehe bei dir kein stummes Aushalten, sondern du versuchst, alles zu analysieren; dazu gehört, dass du erkannt hast, woher deine Angst vor Männern kommt. Es hat nichts mit deinem Freund als Person zu tun, und du sagst selbst, dass eure gemeinsame Zeit sehr schön war. Mein erster Gedanke: Warum nicht ihm einen Brief schreiben, indem du offen legst, was dich beschäftigt? Ich glaube, er würde dich verstehen, wenn du dich ihm öffnest. Und selbst wenn du den Brief nicht abschickst, ist schon mal etwas von dem Schmerz in die Feder (oder Tastatur) geflossen.

Du weißt gerade nicht, wohin. Egal auf welche Seite du dich wendest, es führt dich nicht weiter, weil dir überall - auf die eine oder andere Art - Gewalt droht. Es ist wirklich Pech, dass du an keine guten Therapeuten geraten bist. Das heißt aber ja noch nicht, dass das immer so sein muss? Für dich ist es wichtig, nach Auswegen aus deiner Situation zu suchen. Wenn du deiner Mutter nicht vertraust - traurig genug, wenn sie ihren Partner dir vorzieht - gibt es dann jemand anders aus eurer Familie, eine Nachbarin oder Lehrerin, der du dich anvertrauen könntest? Auf die Dauer muss auch zur Sprache kommen, was dein Vater dir antut. Damit meine ich nicht, dass du ihn jetzt anzeigen müsstest. Aber es wäre wichtig, diese große Angst von dir zu nehmen, indem du sie teilst. Jemand muss davon erfahren, der dir wirklich helfen kann. Und selbst wenn du bis zum Jugendamt gehen musst, um deine Situation zu schildern. Denn es ist niemals alle Hoffnung verloren. Ich verstehe, dass es dir schwer fällt - aber hey, du bist so weit gekommen! Ich freue mich sehr, dass du an den zwei Kleinen hängst, und ihnen die große Schwester nicht nehmen möchtest. Vergiss aber nie: Gerade sie, die noch keine richtige Vorstellung von dem Schmerz haben, den du leidest, spüren ihn überdeutlich. Sie haben vielleicht keine Worte dafür. Aber irgendwo in deinen Bewegungen, in deinem Gesicht und Blicken ahnen sie das stumme Grauen. Du hast nicht geschrieben, wozu genau der Freund deiner Mutter dich zwingt. Was es auch sei - dass er jetzt lieb zu den Kleinen ist (wenn dem so ist), muss nicht heißen, dass es immer so bleibt. Dieselbe Rücksichtslosigkeit, auf die eine oder andere Art, werden auch sie zu spüren bekommen. Spätestens, wenn sie nicht mehr so klein und niedlich sind. Das ist auch eine Verantwortung, und vielleicht schaffst du es aus Zuneigung zu ihnen, dich zu öffnen. Dass du es hier im Kummerkasten getan hast, ist schon ein großer Schritt. Ich wünsche dir, dass es bei diesem nicht bleiben möge.

Mit Sicherheit kennst du den Song "Superheroes" von The Script.

When you've been fighting for it all your life
You've been struggling to make things right
That's how a superhero learns to fly.

Das ist deutlich. Ich glaube, eines darf nicht vergessen werden: Wirkliches Mitgefühl kann nur haben, wer es selber einmal brauchte und nicht bekommen hat. Zu diesen Menschen kannst du dich zählen. Das ist schrecklich, gleichzeitig können wir sagen, dass es dich mit einer Fähigkeit zur Selbstbetrachtung ausgestattet hat, die vielen Menschen fehlt. Denn du möchtest im Grunde nichts, als ein Ende machen; nach der Schuld der Anderen fragst du kaum mehr. Daran zeigt sich dein Schmerz, aber auch deine Vernunft: Denn nur wenn es zu einem Ende kommt - auch in dir selbst - kann es dir einmal besser gehen. Deshalb solltest du dich zuallererst darum kümmern, dass du in Sicherheit kommst. Es ist schwer, aber ich vertraue auf dich. Und wann immer du siehst, wie jemand ungerecht leidet, wird sich diese Seite in dir regen; wird die Löwin wach werden. Und du wirst etwas aus dir machen. Deine Sinne sind geschärft, und dein Ehrgeiz kann wachsen. Sag mir, geschieht das nicht schon? Willst du nicht lieber dein Recht einfordern, als dich der Dunkelheit ganz zu überlassen? Du kannst nichts für das, was dir angetan wird. Aber du kannst ausbrechen, und es ihnen zeigen. Was dir passiert, das kannst du einmal besser machen. Das ist es, was die Welt voranbringt: In jeder Generation der Versuch, alles anders und besser zu machen. Nicht allen gelingt es. Dir aber mit Sicherheit. Warum? Weil du bereit bist, dich auch in Andere hinein zu denken. Weil du nicht aufgegeben hast, für die Kleinen. Weil du deinem Freund dankbar bist, und eure Zeit wertschätzt. Weil du nicht nur weißt, dass deine Ängste auf das Gesicht deines Vaters zurückgehen, das du in jedem Mann wiederfindest - sondern weil du auch bereit bist, das nicht anzuerkennen. Oder? Willst du nicht lieber zurück zu der Geborgenheit, die du in deiner Beziehung hattest? Ob er es jetzt ist, oder ein anderer junger Mann? Du könntest dich hinter Trotz verstecken - "Ich muss jetzt halt Schluss machen, es wird mir zuviel!" - oder einen Hass auf alle Männer entwickeln. Das tust du alles nicht. Deine Betrachtung ist sinnvoll. Und dein Exfreund, so schlimm es für ihn sein mag, wird sich darüber freuen. Viele Beziehungen werden zunichte geredet, tausend Träume und schöne Bilder zerstört, weil man nach der Trennung unbedingt sagen soll, warum es aus ist. In deinem Fall ist nicht er der Grund, sondern dein Vater; und zu lesen, dass bis vor kurzem alles wunderschön war, könnte das Herz deines Freundes mehr erfreuen, als jede unsichere, wankelmütige, ängstliche Liebeserklärung. Das macht die Superheldin aus.

Was mich sehr beruhigt, ist, dass deine Gedanken, dich umzubringen, nicht angedauert haben. Sie mögen wieder kommen, aber doch fühlst du dich dem Leben verpflichtet. Das Selbstverletzen betäubt den inneren, seelischen Schmerz durch den körperlichen, und niemand kann dir das vorwerfen. Aber versuche, wenn es dir möglich ist, dagegen anzukämpfen. Eine zukünftige Therapie kann dir Möglichkeiten an die Hand geben, es völlig zu beenden. Im Augenblick wäre das Beste, wenn du auch damit nicht allein bleibst. Denk daran: Du hast deine Situation nicht verschuldet. Du bist im Recht, und bei aller Verzweiflung, vergiss nicht, dass sie die Strafe verdienen. Nicht du. Lass dir nicht einreden, dass du falsch und schlecht wärst, fehl am Platz und nicht wert zu leben. Du bist sehr wohl eine einfühlsame, herzliche und mit Sicherheit auch schöne junge Frau. Wie aber solltest du das nach außen tragen können, wenn du immer mit der Angst umhergehst, noch mehr verletzt zu werden? Mit der Befürchtung leben musst, jemand, den du magst, könnte es mitbekommen? Das alles ist dir ja aufgezwungen worden. Es sagt nichts darüber aus, dass du nicht das Zeug hättest, eine gute und begehrte Freundin zu sein. Schon dein Freund hat ja die Werte in dir erkannt, und ich kann sie dir noch einmal bestätigen. Auch, wenn ich dich nicht kenne.

Ich wünsche dir, dass du die Kraft und den Mut aufbringst, deine Öffnung weiter zu betreiben. Und dass du nie vergisst, dass du im Recht bist, und diese Welt etwas sehr Gutes an dir hat. Denke an das Morgen, an die Zukunft - trau dich, zu träumen. Es geht immer weiter, ich vertraue auf dich. Und irgendwann wird das, was dich jetzt quält, wie ein verwehender Schatten hinter dir zurücksinken. Du hast die Stärke, es abzuschütteln - glaub mir. Und ich hoffe sehr, dass du es annehmen kannst.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul