Problem von Anonym - 24 Jahre

Mit unserem Latein am Ende mit Tochter

Hallo zusammen,

ich bin 24 Jahre alt und weiblich. Seit neun Monaten bin ich mit meiner Freundin zusammen, die zwei Kinder mit in die Beziehung gebracht hat; die Große wird im Juli neun Jahre alt und der Kleine im Juni sechs. Meine Freundin ist 32.
Wir haben mehrere Probleme, die sich alle irgendwie miteinander verknüpfen, es gibt deshalb auch kein sog. "Hauptproblem".
Meine Freundin war ungefähr zehn Jahre mit dem Vater der beiden Kinder verheiratet; so lange, bis er sie sie dann mehrfach betrogen und sie sich von ihm getrennt hat, als der Kleine zehn Monate alt war. Das ist natürlich für alle Beteiligten, allen Voran für die Kinder, eine schwierige Situation. Es folgten viele Umzüge und dann irgendwann ein neuer Partner für meine Freundin. Durch ihn ist sie aber in die Privatinsolvenz geraten und schon wieder hat sie sich getrennt und musste umziehen. Soweit, so gut.
Seit neun Monaten sind wir nun zusammen und es läuft eigentlich gut - natürlich kracht es hin und wieder mal, aber das ist ja bei zwei - sehr emotionalen und impulsiven Mädels - nicht anders zu erwarten. Wir reden dann darüber und fertig. Ich habe die Kinder wie meine eigenen angenommen und sie sprechen mich zwar mit meinem Namen an, definieren mich aber als "Mom 2". Natürlich haben sie auch Kontakt zum Vater, welcher sich allerdings für die Große als schwierig gestaltet. Er meckert regemäßig an ihr herum, weil sie zu dick ist (sie hat tatsächlich zu viel auf den Rippen, aber dazu später mehr). Noch dazu setzt er sie unter Druck, was die schulischen Leistungen angeht. Und er widersetzt sich völlig bewusst den Aussagen meiner Freundin, dem Kind weder ein Handy noch einen Fernseher zu schenken (wir beide sind uns da einig, dass sie beides nicht (!) benötigt). Was tut er? Kauft ihr ein Handy und trichtert ihr ein, sie dürfe Mama nichts davon erzählen. Durch einen Zufall ist es dann doch herausgekommen. Die Kinder sind alle zwei Wochen übers Wochenende bei ihm. Bei dem Kleinen ist es nicht so schlimm, der kennt es ja quasi nicht anders. Aber bei der Großen... sie fragt jeden Freitag, wo sie am Wochenende sind und wenn man antwortet "Ihr seid bei Papa, ist doch euer Wochenende", so fängt sie oft an zu weinen und sagt, sie wolle nicht hin. Wenn man sie dann aber hinbringt, ist es dann aber auch okay, immerhin hängt sie ja doch auch an ihm. Leider versteht sie aber noch nicht (wie auch, mit erst acht Jahren...?), dass er ihr nicht gut tut, im Gegenteil. Ich würde sie auch gern übers Wochenende bei uns behalten, aber meine Freundin sagt dann, sie möchte nicht der Auslöser dafür sein, dass das Kind ohne Vater aufwächst. Kann ich auch verstehen. Sie meint, irgendwann wird unsere Tochter das schon von alleine kapieren, immerhin wolle sie ja jetzt schon nicht mehr hin.
Wir glauben aber, dass ihr dieses Hin und Her, verständlicherweise, sehr zusetzt. Nur leider finden wir keine Lösung. Desweiteren wurde sie im 1. und 2. Schuljahr in ihrer Schule so sehr gemobbt, dass sie gezwungenermaßen die Schule gewechselt hat und nun die Schule hier im Ort besucht. Sie hat sich schnell eingelebt, so sehen es auch Lehrer und die Erzieher. Doch sie klagt seit zwei Wochen über Bauchschmerzen und dass ihr schlecht sei. Wir wissen, dass es nichts physisches/organisches ist, waren auch beim Kinderarzt. Sie will nicht in die Schule, weil sie "Stress" mit einer der Erzieherinnen hat. Ich habe ihr angeboten, mit ihr gemeinsam das Gespräch zu suchen und den Konflikt zu klären; "NEIN". Wir kommen an das Kind nicht ran. Ich ein bisschen mehr als ihre Mutter, da diese furchtbar hinein. Sie denkt den ganzen Tag nur ans Essen und wenn man sie lassen würde, würde sie essen, bis sie sich ungeduldig ist und weil ich selbst Erzieherin bin und ein wenig weiß, wie man bestimmte Dinge aus Kindern "herauskitzeln" kann. Dennoch - sie spricht nicht mit uns. Sie frisst es, im wahrsten Sinne des Wortes, in sich übergibt. Wir vermuten, dass dies eine Art Ersatzbefriedigung für sie ist. Sie isst auch nichts "Vernünftiges", wenn man sie nicht dazu zwingt, am liebsten wäre ihr alles in möglichst süß (Marmelade, Toast, Nutella, Süßigkeiten natürlich) und ungesund (Fritten etc.). Wir kriegen sie nicht motiviert, davon wegzukommen, egal, wie schön man das Gesunde auch anrichten mag. Und davon nimmt sie natürlich zu, was sie frustriert und dann haut der Vater auch noch drauf, was sie noch mehr frustriert und dann isst sie wieder. Es ist ein ewiger Teufelskreis.
Da sie körperlich ziemlich weit entwickelt ist, vermutet der Kinderarzt auch, dass sie bereits (prä-)pubertär ist. Also sie riecht mehr als andere Kinder nach Schweiß und ist vom Temperament her typisch pubertär: himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt. Noch dazu hat sie im Moment Stress, weil sie im Mai zur Kinderkommunion geht. Und die Schule dazu. Sie erzählte mir auch einmal, dass sie kaum Freunde habe in der Schule. Sie ist sehr sehr sehr (!!!!!) sensibel und nimmt sich alles zu Herzen, was man sagt. Selbst, wenn es überhaupt nichts mit ihr zu tun hat. Konflikte kann sie nicht selbständig lösen, im Gegenteil. Es wird gepetzt bis zum gehtnichtmehr. Ihre Frustrationstoleranz geht gegen Null, auch beim gemeinsamen Spielen hier zuhause. Wir glauben, ihre Grundstimmung ist derzeit zwischen Wut und Überforderung anzusehen; und oftmals lässt sie diese an ihrem kleinen Bruder aus; sie schlägt ihn, brüllt ihn an, obwohl er meistens nichts getan hat, was das rechtfertigen würde.

Im Januar waren meine Freundin und die Kinder drei Wochen in Mu-Ki-Kur auf Borkum. Es hat allen dreien sehr gut getan, nach der Kur hatten wir auch den Eindruck, dass die Große deutlich an Selbstvertrauen zugelegt hat. Gerade auch, weil sie in der Kur direkt Freunde fand und sich dort sehr wohl gefühlt hat. Doch nach ca. zwei Wochen fiel sie wieder in das alte Muster.
Meine Freundin und ich würden sie gern entlasten, aber wir wissen nicht, wie. Wir haben schon einen Termin bei einer Kinderpsychologin gehabt, wo sie einen Test zum Thema Depression (natürlich nicht so deklariert) ausfüllen musste und auch wir denken, dass sie mit ihren acht Jahren bereits depressiv ist. Aber wir wissen nicht, wo wir ansetzen sollen. Wie gesagt, da ist der Vater, das bereits Erlebte, Schulwechsel, Mobbing, kaum Freunde, enormer Druck in der Schule (wir beide befinden das G8-Schulsystem übrigens für eine mittelschwere Katastrophe, aber das nur am Rande). Wir wissen nicht weiter. Ich habe zwar auch so meine Tricks als Erzieherin, aber das mit ihr umzusetzen, ist schwierig, da wir hier eine völlig andere emotionale Ebene haben.
Das Theater morgens vor der Schule sollte ich vielleicht auch noch erwähnen. Sie braucht geschlagene zehn Minuten, um aus dem Bett zu kommen, sitzt erstmal 15 Minuten aufm Klo und trödelt in einer Tour. Das stresst natürlich alle, da wir alle pünktlich raus müssen. Ich wecke sie jeden Morgen etwas früher, damit sie mehr Zeit hat, aber das ist ja auch keine Lösung.
Wir versuchen, sie zu ermutigen, loben sie, geben ihr Aufgaben, damit sie selbstbewusster wird. Aber irgendwie.... keine Ahnung. Sie macht sich selbst so unglaublich winzig, so sehr, dass es mich wirklich erschreckt (und ich sehe viel auf der Arbeit, ich bin an einer OGS).

Habt ihr einen Rat? Wir sind mit unserem Latein am Ende.
Vielen Dank, dass ihr das hier macht. Das mit dem Aufschreiben hat schon ne Menge geholfen.

Monika Anwort von Monika

Hallo liebe Unbekannte,

vielen Dank für deine ausführliche Mail an uns.

Erst mal möchte ich dir ein großes Lob aussprechen! Du beobachtest deine neue Familie genau, schaust hin, machst dir Gedanken, versuchst mit deinem Wissen als Erzieherin einzugreifen und zu helfen!! Das finde ich super!!

Wie du bereits richtig festgestellt hast sind die "eigenen" Kinder doch was anderes als, wenn man es mit fremden zu tun hat. Man ist selbst ganz anders emotional involviert. Du steckst mittendrin und das macht es schwer, wirklich zu helfen.

Ich denke auch, dass du richtig erkannt hast, dass eure Tochter bereits einiges in ihrem kurzen Leben durchmachen musste. Von der Trennung ihrer Eltern, einer neuen Partnerin ihrer Mutter, finanzielle Nöte, Schulprobleme etc.
Dass sie das alles nicht so einfach wegstecken kann, finde ich sehr nachvollziehbar.

Was ihr braucht ist professionelle Hilfe. Du merkst selbst, dass ihr alleine an eure Grenzen stoßt und auch, dass es so nicht weiter gehen kann.
Die Kinderpsychologin ist schon mal ein guter Anfang. Wie geht es da denn weiter? Was wurde diagnostiziert? Was rät sie euch? Gibt es Stunden für die Kleine alleine?

Davon abgesehen würde ich euch auch als Familie eine Beratung ans Herz legen! Eure Tochter ist ja nur Teil eines Systems, welches nicht so gut funktioniert - nämlich eure Familie und dazu gehört auch ihr Vater! Sie ist die, die mit ihren Symptomen (depressiv, übermäßige Essen..) zeigt, dass sich bei euch etwas ändern muss. Und dazu müsst ihr alle euren Teil beitragen.
Es wird nicht reichen, wenn nur an ihren Symptomen rumgedoktert wird. Solange es mit ihrem Vater nicht gut läuft, es immer wieder Streit mit ihrem Bruder gibt, sich ihre Mutter und ihr Vater in Erziehungsfragen (z.B.:Handy oder nicht) uneinig sind, wird es nur schwer möglich sein, dass es ihr gut geht.
Daher schau einfach mal wo in eurer Stadt es eine Erziehungsberatungsstelle gibt und mach für euch einen Termin aus. Die Beratung dort ist normalerweise kostenlos und unterliegt auch der Schweigepflicht.

Ich glaube, du hast schon einen guten Ansatz gefunden. Versuchen ihr zuzuhören, gemeinsam mit ihr nach Lösungen zu suchen, versuchen ihre Gefühle zu verstehen. Einfach ein Ansprechpartner für sie sein. So wie du hier gesagt hast, das Niederschrieben hat dir bereits gut getan so geht es auch Kinder, wenn sie ein offenes Ohr bei einem Erwachsenen finden - da muss auch nicht sofort eine Lösung parat sein, alleine das Gefühl gehört zu werden kann schon viel bewirken!

Ich bin mir sicher, wenn ihr alle weiterhin so engagiert seid eure Probleme in den Griff zu bekommen werdet ihr das mit Hilfe von Fachleuten bestimmt schaffen. Das wird nicht von heute auf morgen gehen, ihr braucht Geduld, aber du wirst sehen, dass ihr voran kommt!

Ich wünsche euch alles Gute und viel Kraft für euren Weg!

Liebe Grüße
Monika