Problem von Anonym - 20 Jahre

Ich entscheide ueber leben und tot..

hallo, es geht um meine Katze die ein Bauchspeicheldrüsen defekt hat und irreparabel ist.
Sie müsste wenn wir sie leben lassen mit Schmerzen und Medikamenten leben.
Mir fällt es schwer zu akzeptieren, dass ich der Rollende Ball bin der auf den Knopf drücken muss um da Schicksal meiner geliebten Katze beenden muss/kann.

Ich weine wenn ich an den Augenblick denke wo ich vor ihr knie und sie noch lebt und von der einen auf die andere Sekunde nicht mehr die Augen aufmacht. Ich weine während ich diese Zeilen schreibe und weiß nicht was ich machen soll.

Ich hoffe auf liebe Worte..

PaulG Anwort von PaulG

Liebe(r) Anonyme(r),

du bist wirklich in keiner einfachen Situation - und ich möchte mein Bestes versuchen, dir einige angemessene Worte mitzugeben. Wobei ich gleich betonen möchte, dass ich nicht mehr tun kann und will, als dir die Auseinandersetzung mit dieser Frage zu erleichtern (wenn mir das gelingt). Ich bitte dich, was ich dir schreibe, nicht als "Ratschlag" im eigentlichen Sinn aufzufassen; denn ich möchte mir nicht anmaßen, die Entscheidung statt dir zu treffen.

Spontan dachte ich an die Szene relativ am Ende von "Marley und Ich", in der der Hauptdarsteller seinen geliebten Hund verabschiedet, als dieser eingeschläfert wird. Okay, ich spoiler jetzt, aber dafür gebe ich auch gerne zu, dass der Film mich berührt hat - vielleicht kennst du ihn. Der Hund, um den es geht, war das Gegenteil von einem lieben, fügsamen Haustier, und er hat viele Krisen der Familie nicht nur begleitet, sondern zum Teil selbst verursacht. Letzteres wird auf deine Katze sicher nicht zutreffen. Trotzdem muss ich gerade daran denken, wie Marley, ein Labrador, einschläft. Er sagt ihm: "Du warst der beste Hund, den wir haben konnten. Der beste, den man sich vorstellen kann." Und das muss man wirklich sagen, ist vielleicht die beste Art, Abschied zu nehmen. Natürlich hat er noch anders gedacht, bevor er erfuhr, dass sein Tier schwer krank ist. Natürlich mag er sich einige Male gewünscht haben, es wäre nie dagewesen. Und doch erkennt er zuletzt, dass alles gut war, wie es gewesen ist; dass er kein besseres Haustier hätte haben können. Und ich gehe davon aus, dass du von deiner Katze dasselbe denkst. Es würde alles Andere als einfach, ihren Tod mitanzusehen. Aber du könntest davor und währenddessen die Worte formulieren, die sie hören soll, und mitbekommen für das Leben jenseits des Regenbogens. (Oder wie du es ausdrücken möchtest.) Und jetzt lass den Gedanken nicht zu, sie würde es nicht verstehen oder nicht mehr mitbekommen. Dein Tier und du, ihr versteht euch. Sie ahnt, dass du nach Hause kommst, lange bevor man dich sehen kann. Und weil ihr zusammen gehört, versteht ihr euch ohne Worte, und versteht ihr - sag mir, ob es so ist? - doch auch die Sprache des Anderen?

Seit ich klein war, hatten wir einen Kater. Es gibt Fotos von ihm, wie er vor meiner Strampeldecke liegt, und auf mich aufpasst. Okay, es war nicht immer einfach mit ihm. Er hatte sich nie abgewöhnt, bei Tisch und beim Kochen zu betteln (aber hatte mein Vater auch Anteil dran :) ) Er focht Kämpfe aus und kam zerkratzt und blutig heim. Er legte meiner Mutter nicht nur Mäuse vors Bett, sondern auch Vögel aller Arten, Maulwürfe und sogar Fledermäuse. Ich erinnere mich aber auch, wie lieb er sein konnte, wenn er neben einem auf dem Sofa lag, wo er stets einen besonderen Platz hatte. Und unser Garten blieb frei von den Katern der Nachbarschaft. Und alle bewunderten ihn, wenn er beim Gartentor lag, im Schatten unter den Forsythien, wo schon kein Halm mehr wuchs - weil er so oft dort einschlief. Dann wurde meine Schwester geboren, und sie hatte schnell einen Narren an ihn gefressen. Von ihr ließ er alles mit sich machen, und sie wurden unzertrennlich. Häufig fragte sie argwöhnisch beim Essen, ob ihn auch alle lieb hätten und gut behandeln. Er war ein schöner Kater, seine Vorfahren waren Kartäuser - und er wurde über neunzehn Jahre alt. Als ich Kind war, konnte ich oft nicht schlafen, weil er durch die Räume ging und laut schrie. Wir gaben ihm zu fressen oder ließen ihn nach draußen, oft schimpften wir auch - was uns gerade richtig schien. Erst als er in dem Jahr vor seinem Tod immer magerer wurde, stellte die Tierärztin den Grund fest: Überfunktion der Schilddrüse. Im Klartext, er hatte nie böse gewollt. Aber sein Körper war deshalb dünn, und er hatte jede Nacht höllischen Hunger gehabt. Wir machten uns Vorwürfe - aber es konnte eben nicht mehr ändern. Seine letzten Monate verbrachte er bei seinen Lieblingsessen, und meine Schwester machte ihm seine Schlafplätze zurecht. Abends kam er zu meinem Vater und ließ sich streicheln, das hatte er nicht mehr gemacht, seit er ganz jung war. Zweimal war er in der Tierklinik. Die Ärztin, die ihn seit Ewigkeiten untersuchte und impfte, sagte uns: "Wenn Sie ihn einschläfern lassen wollen, muss ich das ein paar Tage vorher wissen. Ich kann das sonst nicht. Ich kenne ihn doch schon so lange." Dazu kam es aber nicht. Eines Mittags - zufällig war es der Geburtstag meiner Mutter - fanden sie ihn, auf dem Küchenboden, und sein Körper war schon kalt. Als ich von der Schule kam, hatten sie ihn schon begraben. Ich glaube nicht, dass er das einfachste Leben hatte - so wie wir nicht das einfachste mit ihm. Aber er ist gestorben, wie er gelebt hat, und ich denke, er war gern Kater bei Paul G's.

Für unsere Tiere müssen wir die Entscheidung treffen, die wir für unsere Partner und Verwandten nicht treffen dürfen: Die über ihren Tod. Im schlimmsten Fall, ohne zu wissen, was ihr Wunsch ist. Das hat etwas Krasses: Der Form nach entscheiden wir über die Tiere, als wären sie bloß "Eigentum" - sogar über ihr Leben und Sterben. Tatsächlich sind Haustiere ja viel mehr. Allerdings: Ist es nicht vielleicht einfacher, deiner Katze einen Abschied zu bereiten, der würdig ist und schmerzlos? Du kannst ihr Andenken gestalten, und diesen Moment in Ehren halten. Vielleicht wird irgendwann ein neues Kätzchen bei dir einziehen, das sie zwar nicht ersetzen kann, aber das du ebenso lieb haben wirst. Das aber ist Zukunftsmusik. Wie würdest du dich fühlen, wenn sie am Leben bliebe, bis es von selbst endet? Wenn das der Fall ist? Ich weiß jetzt nicht, wie alt deine Katze ist. Sollte sie noch jung sein, ist das umso schlimmer. Gleichzeitig müssen wir sagen: Wie würde es sich anfühlen, sie Tag für Tag zu sehen, wie sie immer weniger wird? Es steht uns nicht zu, zu sagen, ob das Tier leben wollte, könnte es diese Entscheidung so treffen wie wir. Und doch fürchte ich, würde dich stets ein entsetzliches Gefühl beschleichen, wenn du ihr unter Qualen ihre Medizin geben musst: Sie bleibt am Leben, nicht weil sie die Kraft dazu hat, sondern weil ich nicht von ihr lassen will. Das mag sehr krass formuliert sein, bitte fasse es nicht als Vorwurf auf. Trotzdem denke ich, du verstehst, was ich sagen will: Du wirst immer denken, sie leidet, weil du das so entschieden hast. Ist es dir das wert? Vielleicht wird es nicht so schlimm werden. Vielleicht dauert es auch nicht so lange. Aber kannst du diese Wochen, Monate - möglicherweise aber auch Jahre - mit ihr wirklich genießen? Würden dich nicht der Zweifel, die Sorge und auch die machtlose Wut innerlich auffressen?

Wenn deine Katze ein Mensch wäre, wie würde sie sich dann äußern? Sagen wir, es ginge nicht um Sterbehilfe, sondern um eine Trennung. Oder eine schlimme Krankheit, keine lebensgefährliche, die deine Partnerin oder eine Freundin durchmacht, und die alle deine Kräfte bindet. Jeder Mensch, dem wirklich an dir liegt, würde natürlich deine Fürsorge genießen. Und dennoch käme irgendwann der Punkt, an dem jeder wirklich gute Freund oder Freundin sagen würde: "Es ist jetzt lang genug, dass du dich für mich aufopferst. Du musst an dich denken, an dein Vorwärtskommen. Denn es gibt ein Leben ohne mich, und es gibt ein Leben nach mir, wenn es sein muss." Und so - da bin ich sicher - würde auch deine Katze sagen, wäre sie eine Menschenfrau. Denn es gibt andere offene Fragen in deinem Leben, die von nicht geringerer Tragweite sind: Du möchtest deine Ausbildung oder dein Studium beenden, hast tausend Pläne - und so ehrenvoll die Sorgen um dein Tier sind, schaden sie dir insofern, als sie dich darauf einschränken. Deshalb musst du entscheiden: Wäre es im Sinne dieser innigen Beziehung, die dich mit deinem Haustier verbindet, nicht nur sie, sondern auch dich solchen bohrenden Schmerzen und Selbstzweifeln auszusetzen? Oder wäre es gut, eine weitreichende Entscheidung zu treffen - damit das Leben weiter gehen kann? Ich bitte dich, dies nicht als Plädoyer für den Tod deines Tieres zu verstehen. Ich vermute nur, was wäre und was geschehen könnte, gehe dabei von mir aus, und mag falsch liegen. Letztlich ist die Entscheidung noch immer bei dir.

Wie du dich auch entscheidest - ich wünsche dir vor allem, dass du nicht in die Situation kommst, mit deinem Entschluss zu hadern. Denn beide Möglichkeiten haben ihr Für und Wider, und nur du kannst sagen, was du deinem Tier zumessen willst, und was ihm gerechter wird. Ich möchte hier nicht für eine Möglichkeit Stellung beziehen, und ich hoffe, diesen Eindruck nicht geweckt zu haben; denn es gibt niemanden außer dir, der wirklich kompetent entscheiden kann. Das Leben geht weiter - aber wie jeder Mensch, der dich begleitet, einzigartig ist, ist es auch deine Katze. Und dass du dir mehr als schwer tust, ist nur verständlich. Sieh es als Würdigung an das, was sie dir gegeben hat und gibt - aber denke daran, dass diese Bindung zeitlos ist, gleich, wie deine Entscheidung ausfällt. Denn der Tod ist immer sicher, aber ebenso sicher hat die Liebe kein Ende, zum Menschen wie zum Tier.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul