Problem von Regenmädchen - 22 Jahre

Hat er mich je geliebt?

Es ist spät und ich liege wieder wach und kann nicht schlafen. Ich könnte behaupten, es läge daran, dass ich in den letzten Wochen zu oft nachts gearbeitet habe, aber das wäre nur die halbe Wahrheit. Und gibt es das? Die halbe Wahrheit?

Ich bin traurig. Und wütend. Auf mich selbst. Weil ich im Selbstmitleid zu ertrinken drohe. Ich bin keine Frau, die einem Mann hinterher läuft, keine, die um einen Mann weint. Das dachte ich zumindest.

Ich hab es mit Alkohol versucht, mit Partys, mit Flirts. Mit jeglicher Form von Ablenkung. Sport, Konzert, Comedyshow. Ich hab versucht darüber zu reden. Mit Freunden. Menschen, denen ich vertraue. Ich hab versucht, sämtliche Gefühle zuzulassen, hab mich viel zu oft in den Schlaf geweint.

Meine einzige Hoffnung scheint Zeit zu sein. Doch wenn ich an Zeit denke, muss ich schon wieder an ihn denken. Daran, dass ich mit ihm Kino war. Dass er zur Kassiererin gesagt hat: "Wir möchten die Unendlichkeit der Zeit entdecken." Er ist ein verdammter Spinner, denke ich. Ein Träumer. Und der Mann, den ich liebe.

Ich hab ihn auf dem Weihnachtsmarkt kennengelernt. Vor einer gefühlten Ewigkeit. Bei unserem ersten Date hat er mir seine Teesammlung gezeigt. Ich muss noch immer lachen, wenn ich daran denke. Ich hatte von Anfang an das Gefühl zu ihm zu gehören. Er war der verlorene Teil meines Lebens. Ich bin Skeptiker. Er verträumt. Ich bin verschlossen, er offen. Ich bin launisch, er ausgeglichen. Ich bin organisiert, er ein Chaot. Ich bin ängstlich, er mutig. Ich konnte mit ihm wachsen. Und er hat etwas in mir gesehen, was ich selbst nicht erkennen kann.

Wir waren nie in einer Beziehung. Er hat es Affäre genannt. Ich wollte dem Ganzen keinen Namen geben. Wir beide haben viel gearbeitet. Hatten wenig Zeit. Der eigentliche Grund dafür, dass es keine "feste Beziehung" war, ist aber der, dass er, bevor er mich traf, eine Entscheidung gefällt hat. Er wandert im April nach Italien. Will sich auf die Suche nach sich selbst machen. Zu sich selbst finden. Das Gefühl von Freiheit entdecken.

Ein Jahr unterwegs, das ist sein Plan. Ohne Kontakt zu Familie und Freunden. Auf sich selbst gestellt. Er hat mich nie belogen. Bevor wir uns das erste Mal geküsst haben, hat er es mir gesagt. Mit Wehmut im Blick. Er hätte nicht geplant, sich jetzt noch auf eine Frau einzulassen.

Und ich war ihm längst hoffnungslos verfallen und wollte mich nicht mehr zurückziehen. Die erste Zeit war wunderschön. Alles war so verrückt. Ich war das erste Mal verliebt. Wir sind im Regen spazieren gegangen. Er ist mit einem Rucksack voller Essen zu mir gekommen. Ich hatte in seiner Gegenwart immer solche Bauchschmerzen, dass ich es kaum runter bekommen habe.

Er stand irgendwann mit einer merkwürdigen Flöte in der Hand vor meiner Tür. Sie hatte denselben Namen wie ich. Er sagte nur, dass er sie mitnehmen wolle, damit er Musik bei sich hat und dieses Instrument wäre genau das Richtige.

Der Sex war unglaublich. Sowieso hab ich mich körperlich noch nie so sehr von einem Mann angezogen gefühlt. Wenn ich mit ihm zusammen war, hätte ich immer über ihn herfallen können.

Im Februar ist es kompliziert geworden. Ich konnte nicht mehr verdrängen, dass es bald vorbei sein würde. Hab ihm gesagt, dass ich verliebt bin. Er hat versucht, mir zu erklären, dass er es nicht zulassen kann, weil es sonst zu schwer sein würde zu gehen. Aus Angst ihn zu verlieren, hab ich ihn eingeengt, woraufhin er sich zurückgezogen hat.

Ich hab ihn gebeten, mich zu verlassen. Mir zu sagen, dass er mich nicht will. Aus Wut hab ich ihm vorgeworfen, dass er ja doch nur Sex wollte. Er hat es nicht getan. Ist ruhig geblieben, hat mir meine Gefühlsausbrüche nie vorgeworfen, hat mir gesagt, dass ich weiß, dass es nicht nur Sex war. Irgendwann in einem verzweifelten Moment, hab ich ihm eine Nachricht geschickt, dass ich nicht mehr kann und hab seine Nummer blockiert. Er hat es akzeptiert und sich nicht gemeldet.

Es war schrecklich. Nach einer knappen Woche hab ich ihn angerufen. Hab gesagt: "Das ist gemein. Ich weiß, dass du noch hier bist und du fehlst mir." Er war überfordert. Hat mir erzählt, dass er vor ein paar Stunden an meiner Wohnung vorbei gefahren wäre und zu mir kommen wollte. Dass er es aber nicht noch schwerer machen will.

Ich wollte ihn ein letztes Mal sehen. Er saß im Auto, ist umgedreht und sofort zu mir gefahren. Es war abends. Kurz vor Mitternacht. Ich werde diese Nacht nie vergessen. Er hat nicht mit mir geschlafen. Ich hab nicht nach dem Warum gefragt. Vielleicht weil er nicht wollte, dass ich mich benutzt fühle? Ich weiß es nicht. Sein Körper wollte mich auf jeden Fall...
Er hat mich gehalten. Ich hab keinen Moment geschlafen. Wir haben uns angesehen. Er hat viel erzählt. Wollte nicht über seine Reise reden. Musste so vielen Menschen davon erzählen. War völlig ausgelaugt. Hatte sich am Tag zuvor von seinem besten Freund verabschiedet.

Am Morgen darauf hätte ich sein Handy am liebsten gegen die Wand geworfen, als der Wecker geklingelt hat. Er ist wach geworden. Hat mich umarmt. Gehalten. Fast erdrückt. Hat sich dann ans Bett gesetzt. Ich konnte nichts denken. Musste ihn nur ansehen. Er ist nicht aufgestanden. Hat mich wieder umarmt. Nichts gesagt. Es hat eine Ewigkeit gedauert, bis er sich angezogen hat. Und selbst danach ist er wieder zu mir gekommen. Wir konnten uns nicht küssen. Es war alles so unwirklich. Irgendwann, eigentlich viel zu spät und ich bin sicher, dass er zu spät zur Arbeit gekommen ist, stand er in der Tür, hat mich angesehen und sich umgesehen. Ich hab gefragt: "Hast du alles?" Und das Letzte, was er zu mir gesagt hat, war: "Ich hab nichts vergessen und trotzdem hab ich das Gefühl, dass ich etwas vergessen habe."

Was auch immer das bedeuten mag. Wahrscheinlich bedeutet es nichts. Frauen neigen ja immer zu Interpretationen. Aber ich liebe ihn. Liebe seine Spontaneität, die Wildheit, den Idealismus, den Wunsch die Welt ein kleines Bisschen besser zu machen.

Ich hab ihn losgelassen. Aber er hat einen Platz in meinem Herzen. Immer. Und das ist gut so. Doch wie werde ich diesen verdammten Liebeskummer los? Und wie werde ich dieses Gefühl los, dass immer ruft: "Er hat dich nie geliebt"? Warum hat er mich nicht gefragt, ob ich auf ihn warte? Ich hätte es getan. Selbst wenn er mir kein Lebenszeichen geschickt hätte. Er scheint mich einfach nicht gewollt zu haben.

Romina Anwort von Romina

Liebe Ratsuchende,

seit du dein Problem eingeschickt hast, ist schon einige Zeit vergangen. Ich möchte dir aber trotzdem gerne antworten. Wie du dir wahrscheinlich denken kannst, habe ich keine Lösung für dich parat. Ich kann dir lediglich ein paar meiner Gedanken aufschreiben.
Zuerst mal: Die Schilderung deines Problems hat mich berührt, sie ist anschaulich und schön zu lesen, aber auch sehr traurig.

Natürlich weiß ich auch nicht, ob er dich geliebt hat, aber für mich klingt es schon, als hätte er einiges an Gefühlen für dich gehabt.
Offenbar war ihm aber seine zuvor getroffene Entscheidung, nämlich sich selbst zu finden, wichtiger. Das muss nichts Schlechtes heißen, denn meiner Meinung nach sollte man selbst immer der wichtigste Mensch im Leben sein. Gut, vielleicht ändert sich das, wenn man Kinder hat, aber der Partner sollte nicht wichtiger sein als man selbst, finde ich. Nur wer sich selbst wichtig nimmt, auf sich achtet und sich akzeptiert kann gesunde Beziehungen zu anderen Menschen führen. Viele an seiner Stelle hätten wahrscheinlich die Reise abgeblasen und eine Beziehung begonnen, was natürlich auch verständlich wäre. Ich habe aber den Eindruck, dass du seine Entscheidung akzeptiert hast. Du darfst trotzdem wütend auf ihn sein, dass er gegangen ist, traurig sein und, wie du es nennst, im Selbstmitleid versinken. Deine Gefühle einfach zuzulassen hast du ja schon probiert und ich kann dir nur raten, das auch weiter zu tun. Gefühle lassen sich nicht gerne in den Hintergrund drängen, und wenn doch, dann kommen sie nur umso stärker wieder hervor.

Gegen den Liebeskummer hilft wirklich nur Zeit, fürchte ich. Zumindest kann ich dir aus eigener Erfahrung sagen, dass es irgendwann besser wird. Vielleicht kann dir dein Schreibtalent ein bisschen beim Verarbeiten helfen, vielleicht auch Musik oder was ganz anderes. Probiere es aus. Wahrscheinlich werden Tage kommen, an denen es dir besser geht und du schon denkst, dass das Schlimmste überstanden sei. Genauso wahrscheinlich wird es aber Rückfälle geben und das ist auch völlig in Ordnung so.

Die Frage, ob er dich geliebt hat, kann sicher quälen. Wir können es aber zu diesem Zeitpunkt einfach nicht wissen. Vielleicht kannst du ihn irgendwann fragen. Und überhaupt, was hättest du denn davon, wenn du wüsstest, dass er dich geliebt hat? Dann wäre es doch noch schlimmer, dass er gegangen ist, oder? Oder was wäre, wenn du wüsstest, dass er dich nicht geliebt hat? Würde das deine Erinnerungen an die Zeit mit ihm trüben?

Was die Frage zum Warten betrifft, kann ich auch nur spekulieren. Wahrscheinlich wollte er nicht sowas von dir verlangen, denn ein ganzes Jahr ist schon eine lange Zeit. Vielleicht hofft er auch, dass du es sowieso tust, aber aus freien Stücken und nicht, weil er dich darum gebeten hat.
Es kann natürlich auch sein, dass für ihn der Zauber eurer "Affäre" darin lag, dass sie nicht von Dauer sein würde.

Was auch immer in seinem Kopf vorgehen mag, ich finde, du solltest dich auf dich selbst konzentrieren. Sieh zu, dass du das Jahr gut überstehst. Wenn du dich danach wieder mit ihm treffen möchtest, dann tu es und wenn nicht, dann nicht. Hör auf dein Bauchgefühl. Wie es dann weitergeht wird sich zeigen. Vielleicht will er keinen Kontakt, vielleicht will er eine Beziehung, vielleicht hat er sich so verändert, dass du keine Beziehung mehr möchtest, vielleicht hast du bis dahin jemand anderes kennengelernt...

Jetzt lasse ich mal noch die hoffnungslose Romantikerin in mir zu Wort kommen: Wenn es "sein soll", dann werden sich deine Gefühle für ihn während des Jahres kaum verändern dann werdet ihr auch zusammenkommen. Wenn es nicht "sein soll", dann werden sich deine Gefühle für ihn abkühlen und du wirst dich früher oder später in einen anderen verlieben.

Ich bin sicher, dass du den für dich richtigen Weg finden wirst.

Alles Liebe

Romina