Problem von Anonym - 23 Jahre

Bipolare Störung

Letztes Jahr um diese Zeit kam ich erstmals wegen Depressionen in eine psychiatrische Klinik... Mit mir war absolut nichts los, ich hatte keine Lust und keine Kraft... Ich wollte morgens nicht aufstehen, ich wollte mich nicht anziehen, ich wollte nichts mit anderen Menschen zu tun haben und ich wollte einfach nur alleine sein... Ich lag die meiste Zeit des Tages nur im Bett, habe über alles mögliche Nachgedacht, gegrübelt, ich habe oft geweint, war verzweifelt und wollte eigentlich nur sterben... Das überraschende war halt auch, das diese Depression aus heiterem Himmel kam.
Irgendwann drängten meine Freunde und meine Eltern mich dazu, einen Arzt aufzusuchen, dieser diagnostizierte eine "Depressive Episode" und verschrieb mir Citalopram.
Ich nahm dieses Medikament und nach etwa 2 bis 3 Wochen ging es mir wieder super!
Ich habe nachts, wenn überhaupt, nur 2 - 3 Stunden geschlafen, ich hatte die besten Ideen, ich gab viel Geld für Dinge wie Handys, Uhren, Laptops, Klamotten, Pflegeprodukte etc. auch und meine Freunde meinten, ich sei wieder der alte.
Zwischendurch haben sich jedoch wieder depressive Zustände eingeschlichen und ich lag wieder nur zuhause im Bett, war krank geschrieben, bis ich dann eine Überweisung zu einer psychiatrischen Klinik erhielt.
Ich kam dann in die Psychiatrie und bei mir wurde zuerst eine Depression diagnostiziert.
Die Ärzte probierten verschiedene Medikamentencocktails, erhöhten das eine Medikament, setzten das andere Medikament wieder ab etc. pp.
Irgendwie funktionierte das alles jedoch nicht so wirklich, entweder ich lag wieder heulend im Bett und wollte sterben oder ich war hoch motiviert, wurde nicht müde und mir schossen tausende (gute) Ideen durch den Kopf, bis ich mit einer Psychiaterin sprach und ihr diese Symptome nannte.
Sie telefonierte dann mit meinen Eltern und ein paar Freunden und ich erhielt dann endlich die richtige Diagnose: Bipolare Störung, vielleicht besser bekannt als Manisch-Depressive Störung.
Ich sprach daraufhin mit meinen Eltern und Freunden und blickte auf mein vergangenes Verhalten zurück, die erzählten mir von meinen Stimmungsschwankungen, das ich mal übertrieben gut gelaunt, euphorisch war, das ich überdreht war, rumgekaspert habe, das ich zuweilen peinliche oder gefährliche Sachen tat, das ich viel Geld für die sinnlosesten Sachen ausgegeben habe, ich habe mit ein Mantel für 300 Euro gekauft, ich bin spontan Freitags nach der Arbeit mit dem nächsten Zug nach Berlin gefahren, ich war kurz davor mir ein Flugticket nach Argentinien zu kaufen, ich habe die sinnlosesten Versicherungen abgeschlossen, ich hatte neben meiner eigentlich Arbeit noch dutzende Nebenjobs, ich schlief kaum, mir schossen Millionen von Ideen durch den Kopf, ich habe mich mit meinen besten Freunden verkracht... Das waren eben die Manischen Phasen! Und dann konnte die Stimmung bei mir urplötzlich kippen, ich wurde launisch, gereizt, zuweilen traurig, ich zog mich zurück, ich sprach von Selbstmordgedanken, wollte niemanden sehen oder hören, die Depressiven Phasen eben...
Mir selber fielen meine Stimmungsschwankungen nicht auf, wenn ich darauf angesprochen wurde, dachte ich mir immer "was wollen die denn, ich bin doch wie immer!" und reagierte zum Teil gereizt darauf.
Ich bekam Medikamente und nehme sie immer noch.
Zum Großteil ist meine Stimmung mittlerweile stabil, aber manchmal schwanken sie doch noch. Ich wache morgens auf, bin euphorisch, freue mich auf die Arbeit, auf der Arbeit gebe ich alles, habe super Ideen... Jedoch kann meine Stimmung binnen Stunden wieder kippen und meine Motivation ist dahin... Diesen Verlauf der Bipolaren Störung nennt man Ultradian Rapid Cycling oder Ultra-Ultra Rapid Cycling, d.h. das Depressive und (Hypo)Manische Phasen binnen Stunden wechseln, jedoch wird dieses "switching" durch die Medikamente etwas ausgebremst.
Trotzdem machen mich diese Stimmungsumschwünge fertig.
Ich bin gut gelaunt, motiviert, genieße das Leben... Aber im Hinterkopf weiß ich "das kann sich wieder ändern und im nächsten Moment liegst Du wieder heulend im Bett!"
Man sehnt sich förmlich nach der Manie, nach der Euphorie, nach dem Gefühl alles Schaffen und erreichen zu können!
Für außenstehende klingt das vielleicht nicht nachvollziehbar, aber es ist einfach zermürbend zu wissen, das Depressive Phasen wieder und wieder und wieder und wieder kommen werden.
Qualvoll und gefährlich sind auch die "gemischten" Zustände, d.h. wenn sich Depressionen und Manien vermischen. Man ist aufgekratzt, innerlich getrieben, aber gleichzeitig lustlos, frustriert, traurig und hat Suizidgedanken. Und in diesem Zustand begehen übrigens die meisten Bipolaren Selbstmord.
Was wahrscheinlich nicht viele wissen ist, das die Suizidrate bei keiner anderen psychischen Erkrankung so hoch ist, wie bei bipolaren Störungen.

Diese Krankheit raubt einem die Lebensqualität und zermürbt einen auf Dauer, ich habe demnächst ein Termin bei der Psychiatrischen Institutsambulanz und hoffe das sie es irgendwie schaffen, das meine Stimmungsschwankungen ein Ende haben...

Ich bedanke mich schon mal im Vorraus bei euch :)

Romina Anwort von Romina

Lieber Ratsuchender,

vielen Dank für dein Vertrauen in den Kummerkasten. Du hast in deinem Anschreiben eigentlich gar keine Frage gestellt, sondern einfach nur deine Situation geschildert und darüber bin ich froh, denn wir vom Kummerkastenteam sind ja weder Ärzte noch (fertig ausgebildete) Psychologen. Ich kann dir also keine medizinischen oder therapeutischen Ratschläge geben, aber ich denke, dass du das weißt. Alles was ich tun kann, ist dir meine Sicht der Situation zu beschreiben und ein paar Ideen dazu zu äußern.
Du schilderst deine Krankheit sehr anschaulich und ich habe mich mit dieser Diagnose auch schon eingehender beschäftigt, weil ich einen Betroffenen kenne.

Im Grund könnte man deine Krankheit mit einer chronischen körperlichen Erkrankung vergleichen, finde ich. Es ist ein "Schicksalsschlag", eine solche Krankheit zu bekommen und man muss lernen, mit ihr zu leben. Durch die kontinuierlichen Fortschritte der Medizin gibt es Behandlungsmöglichkeiten, die teilweise sehr vielversprechend sind. Was genau für dich passt, solltest du natürlich mit einem Arzt deines Vertrauens besprechen. Ich bin aber sicher, dass du dich damit arrangieren kannst. Das Wichtige ist nämlich folgendes: Du hast die Diagnose, bist sehr reflektiert und möchtest dich behandeln lassen. Besonders gefährdet (in jeder Hinsicht) sind Betroffene, die ihre Krankheit gar nicht wahrnehmen können oder leugnen. Dieser erste Schritt ist also geschafft.

Du weißt bestimmt auch, dass der Umgang mit einem manischen Menschen für Freunde und Angehörige oft schwierig ist. Während deiner manischen Phasen geht es dir zwar gut, aber die Gefahr ist groß, dass dein Umfeld unter dir leidet, weil du z.B. viel zu energiegeladen bist, um richtig zuzuhören. Wie du schon schilderst, bist du offenbar auch risikobereiter und neigst dazu, viel Geld auszugeben. Dir das einzugestehen ist ein riesengroßer Schritt. Ich stelle es mir sehr schwer vor, diese "schönste" Zeit mit anderen Augen zu betrachten und dem womöglich auch medikamentös entgegen zu wirken.
Deine depressiven Phasen sind sicher nur schwer auszuhalten, aber mit der Hilfe eines Therapeuten kannst du bestimmt wenigstens etwas besser damit umgehen.

Das ist jetzt schon das zweite Mal, dass ich folgendes andeute: Einmal habe ich "arrangieren" geschrieben und einmal "umgehen", damit meine ich, dass es wahrscheinlich (zumindest nach meinem Wissensstand) nicht möglich sein wird, die Stimmungsschwankungen vollkommen loszuwerden. Das ist aber kein Grund zum Verzweifeln! Sehr viele Menschen leben mit psychischen Erkrankungen und mit der richtigen Unterstützung lässt sich auch eine Bipolare Störung in den Alltag integrieren. Es ist möglich, sozusagen "die Wogen zu glätten".

Ich kann gut verstehen, dass dir die "gemischten" Zustände zu schaffen machen und es ist kein Wunder, dass man da Suizidgedanken bekommt. Aber auch hier sollten dir Fachleute helfen können. Sprich über deine Ängste und Befürchtungen.
Im Notfall kannst du auch eine Hotline wie z.B. die Telefonseelsorge anrufen ( http://www.telefonseelsorge.de/ ), dort wird auch Suizidprävention betrieben.

Ich fürchte, du kannst zumindest vorläufig nicht auf "Heilung" im eigentlich Sinne hoffen, aber du kannst für dich herausfinden, wie du am besten mit deiner Krankheit umgehen kannst und wie sie dir so wenig Lebensqualität wie möglich raubt. Eine Möglichkeit dafür wäre, sich einer Selbsthilfegruppe für Betroffene anzuschließen. Dort kannst du dich mit anderen Menschen mit bipolarer Störung austauschen und erfahren, wie sie ihr Leben mit der Krankheit organisieren. Das darf aber in keinem Fall eine Therapie ersetzen, du könntest es höchstens zusätzlich zur Therapie in Erwägung ziehen.
Einen guten Ruf zum Thema "mit der bipolaren Störung leben" hat das Buch "Lieber Matz, dein Papa hat 'ne Meise" von Sebastian Schlösser. Ich kenne es selbst nicht, aber vielleicht wäre es interessant für dich.

Jetzt noch zur Angst vor der nächsten depressiven Episode. Über diesen Teil meiner Antwort habe ich am längsten nachgedacht, weil ich nicht möchte, dass du mich missverstehst. Lass es mich so versuchen: Auch ein Mensch, der nicht von dieser Störung betroffen ist, hat Stimmungsschwankungen. In gewissem Maße gehören sie zum Leben dazu.Das klingt furchtbar nach Binsenweisheit. Aber macht es nicht auch die Schönheit eines Glücksmoments aus, dass er nicht von Dauer ist? Immer wenn man glücklich ist, weiß man, dass auch wieder Zeiten kommen, in denen es einem schlecht geht. Bei Nichtbetroffenen ist nur eben der Glückszustand nicht ganz so strahlend wie bei dir, dafür sind aber auch die traurigen Phasen nicht ganz so schwarz. Wir alle leben mit emotionalen Zuständen, deine sind eben stärker und deswegen ist es auch schwieriger, damit umzugehen.

Ich wünsche dir, dass du mit entsprechender medikamentöser und therapeutischer Hilfe mit deinen Stimmungsschwankungen umgehen kannst und auch in der tiefsten Depression weißt, dass es sicher wieder besser wird.


Alles Liebe

Romina