Problem von philosophia - 25 Jahre

An Bernd: Liebe ziehen lassen?

Lieber Bernd,

ich wende mich direkt an dich, weil es in meinem Leben leider niemanden gibt, der mir einen väterlichen Rat geben kann.

Ich bin seit ca. einem Jahr in einer Beziehung mit einem Mann. Ich fühlte mich immer aufgehoben und angekommen. Ich ging stets davon aus, dass wir Liebende sind und unser Leben mit einander verbringen, schließlich hatten wir gemeinsame Pläne.

Leider bin ich an einen Punkt gelangt, an dem ich die Beziehung anzweifel. Anfangs war mein Freund hinter Treffen mit mir her. Seit wir ein Paar sind, habe ich das Gefühl, seine Bemühungen haben stark nachgelassen. Ich bin die, die hinter Treffen herlaufen muss. Er meldet sich meist erst kurz vorher und hält mich dann meist bis zum Nachmittag auf Abruf. Ich habe das mehrfach mitnihm besprochen, geändert hat sich aber nichts. Mein Eindruck ist, ich mag mich irren, dass ich eine große Belastung für ihn bin. Er hat vor Wochen gesagt, er opfert mir seine Zeit. Ich war geschockt! Daraufhin meinte er, er habe es nur unglücklich formuliert. Vor ein Paar Tagen sagte ich ihm, dass ich verliebt in ihn sei, worauf er nichts sagte. Er meinte, Verliebtheit hält nur am Anfang einer Beziehung. Generell macht er oft verletzende ''Witze'', wie dass er sich eine andere Frau suchte, oder dass alle Leute, die wie ich im sozialen Bereich arbeiten, nerven.

Diskussionen sind bei uns leider nicht möglich, weil er entweder gar nichts sagt oder in eine Art Starre fällt, wenn ich ihm sage, dass ich mich gerne auf ihn verlassen können möchte. Ich habe den Eindruck, eine Freundin möchte er nebenbei haben. Sein Leben hat er jedoch eigentlichn seinen Hobbies gewidmet. Er scheint auf sich zentriert zu sein und schaut immer nur, wo er bleibt. Ohne Kompromisse. Würde ich, wie er, auch vier Tage in der Woche anderweitig verplanen, dann würden wir uns wohl gar nicht mehr sehen (ich arbeite in einem Kinderheim und habe dort 24 Stunden-Schichten). Also stecke ich zurück.

Vor einer Woche hatte ich einen Autounfall und habe mich dabei am Rücken und der Hüfte verletzt. Der andere Fahrer flüchtete. Seit dem bin ich krankgeschrieben und habe nur noch Termine (Ärzte, Anwälte) wahrzunehmen. Daraufhin hat mein Partner mir angeboten, sich einige Tage frei zunehmen, um mich zu unterstützen. Dafür war ich ihm sehr dankbar. Im Moment bin ich ziemlich durcheinander, weil ich durch den Unfall damit konfrontiert worden bin, dass das Leben schon Morgen zu Ende sein könnte, egal wie alt man ist. Daraus ergibt sich für mich die Frage: Wie möchte ich künftig leben?

Anstatt mich aber wie besprochen zu unterstützen lässt mein Freund mich nun schon den zweiten Tag mit allem alleine. Er hat sich zwar extra Urlaub genommen,hat sich jedoch gestern erst am Abend gemeldet, nach dem ich alle Termine alleine wahrgenommen habe. Daraufhin habe ich ihm gesagt, dass ich mit seiner Unzuverlässigkeit nicht klar komme und ihm gesagt, er soll sich für ein Leben als Paar entscheiden oder sich von mir trennen,wenn ihm alles zu viel ist. Er sagte, er möchte ein Leben zu zweit mit mir. Heute Morgen schrieb er mir, ich soll vor nachmittags nicht mit ihm rechnen. Daraufhin rief ich ihn an und fragte, ob ich also auch heute (obwohl er deshalb extra Urlaub genommen hat) alles alleine machen müsste. Daraufhin meinten er, er würde mir gerne helfen, aber nicht heute. Grund dafür sei, dass es ihm schlecht geht, weil er Angst hat mich zu verlieren. Also lässt er mich alleine? Wir könnten uns jedoch treffen, wenn ich alle Gänge zur Polizei, zum Anwalt und zu .Ärzten erledigt hätte.

Ich fühlte mich im Stich gelassen und habe ihm am Telefon noch einen schönen Urlaub gewünscht und aufgelegt. Danach schrieb ich ihm, dass ich einen solchen Mann nicht an meiner Seite brauche. Ich weiß, dass das kindisch war, aber ich fühle mich durch seine Unerreichbarkeit völlig ohnmächtig.

Bernd, was würdest du deiner Tochter raten? Liebeskummer, obwohl man ein Paar ist oder den Menschen, den man mehr bleibt als alles andere ziehen lassen? Wie soll ich mich verhalten?

Liebe Grüße
Philosophia

Bernd Anwort von Bernd

Liebe Philosophia,

dass Du einen väterlichen Rat von mir willst, macht es mir wirklich schwer. Wie kann ich da vergessen, was Du schon vorher geschrieben hattest?
Mir fällt da ein, was ich Dir geantwortet hatte. Aber auch, was unsere Franzi Dir geschrieben hatte.

Irgendwie komme ich um den Gedanken nicht herum, dass Du in ganz speziellen Lebenssituationen oft genau an den Partner geraten bist, der im Augenblick eigentlich nicht so sehr zu Dir passt.
Ich denke da 2 Jahre zurück: der, der Dir hinterhergelaufen ist. Dir "belanglose SMS'en" in die Vorlesungen geschickt hatte.
Aufmerksamkeit von Dir wollte. Ohne Rücksicht auf Deine Studienbelange.
Okay. Da waren die Aussichten, eine "lebensfähige" Beziehung zu führen vielleicht auch durch seinen recht lockeren Lebensstil recht eingeschränkt. Trotzdem: was mir in Erinnerung blieb ist, dass ihr vor allem keinen Konsens gefunden habt, was die "Bedürfnisse und Freiheiten" des Anderen zum Inhalt hatten.

Nun wünscht Du Dir Aufmerksamkeit und bist an einen geraten, der vielleicht ähnlich tickt, wie Du selbst vor 2 Jahren?
Nun bist Du die, die weniger auf persönliche Freiheiten pocht und mehr eigene Bedürfnisse an die Partnerschaft in den Vordergrund stellt.

Du schreibst:
"Vor ein Paar Tagen sagte ich ihm, dass ich verliebt in ihn sei, worauf er nichts sagte. Er meinte, Verliebtheit hält nur am Anfang einer Beziehung."
Nach meiner eigenen ganz persönlichen Definition gebe ich Deinem Freund Recht. Ich denke:
"Verliebt sein" bedeutet: Besitz ergreifen wollen!
Das Ziel einer Beziehung sollte die Liebe sein!

Liebe "besitzt" nichts! Aber kann alles erringen!
Liebe hört zu!
Liebe versteht und verzeiht.
Sucht die Gemeinsamkeit, ohne den Partner zu verbiegen. Ohne sich selbst zu verbiegen.
Sucht Kompromisse.
Liebe sucht in dem Partner das, was liebenswert an ihm ist.
Liebe sucht nicht, was an dem Partner noch alles "veränderungswürdig" ist.

Im Grunde, liebe Tochter, kann ich Dir nicht raten, wie Du mit der Beziehung umgehen solltest.
Nur allgemein:
Wenn Du einen anderen Menschen verstehen willst, horche in Dich selbst hinein!
Wenn Du einen anderen Menschen in frage stellst: stelle Dich selbst in frage!
Sei offen und ehrlich zu Dir selbst!
Vom Rest der Welt kannst Du nicht mehr Ehrlichkeit erwarten, als Du Dir selbst zu kommen lässt!

Und Männer?
Dein Freund sagt die Wahrheit: "Er meinte, Verliebtheit hält nur am Anfang einer Beziehung".
Was er Dir verschwiegen hat: Wenn sich das anfängliche Gefühl bei ihm nicht in tiefempfundene Liebe gewandelt hat, bist Du für ihn nichts weiter als ein Opfer, das dem "Jäger" leichte Beute war.

Ich habe da eine Theorie. Ist bisher nur von dem Freund einer ehemaligen Azubi bestätigt worden.
Vielleicht wir Dein Freund ja der Zweite?

Nach meiner Theorie sind Männer nicht in der Lage, sich zu ändern!
Was sie einzig können: sie können ihre Strategie anpassen, bis sie ihr Ziel erreicht haben!

Was das dann für Dich bedeutet, wenn ich Recht haben sollte?

Schau Dir Deine potentiellen Partner nicht erst an, wenn sie schon das "Balzverhalten" offen zeigen!
Schau sie Dir an, wie sie sich im ganz normalen Leben geben!
Und besonders, wenn Du die Initiative ergreifst, denke immer daran:
Grundlegend ändern wirst Du niemanden!

Alles Liebe,

Bernd