Problem von Polly - 16 Jahre

Zu introvertiert?

Hallo liebes Team!
Ich habe vor ein paar Jahren schon einmal Hilfe von euch bekommen, vielleicht klappt es ja dieses Mal auch...

Ich weiß nicht genau, wie ich meinen Zustand beschreiben soll. Ich fühle mich seit einiger Zeit einfach total unwohl in meiner Haut. Letztes Jahr ging es soweit, dass ich mich einige Monate lang geritzt habe, bis meine Eltern das rausgefunden und mich zu einem Psychologen geschleppt haben. Leider fühlte ich mich dort nicht wirklich verstanden und bin nach der fünften Sitzung nicht wieder hingegangen. Ich schätze, meine Eltern gehen jetzt davon aus, dass alles wieder in Ordnung ist. Aber das ist es nicht, und ich würde gerne mit ihnen darüber sprechen, aber aus irgendeinem Grund traue ich mich nicht, sie darauf anzusprechen. Vielleicht, weil meine Mutter oft kein Verständnis für mich hat. Zum Beispiel, wenn ich aus der Schule nach Hause komme, weil ich mich schlecht fühle, sagt sie, ich solle mich eben zusammenreißen. Wie soll ich ihr denn dann sagen, dass ich eigentlich physisch keine Probleme habe, sondern psychisch? Dass ich mich in der Schule mies und unfähig fühle und das nicht gerade dazu beiträgt, dass ich mich wohler fühle. Ich weiß, es sind meine Eltern und ich kann ihnen vertrauen, aber mein Kopf sperrt sich total dagegen. Es fühlt sich an, als wäre ich einfach zu schüchtern, um über meine Probleme zu sprechen. Ich rede nicht einmal mit meinen Freunden darüber, obwohl ich ihnen in mancher Hinsicht mehr anvertrauen würde als meinen Eltern. Ich möchte einfach niemanden mit meinen Problemen belasten. Ich habe mit meiner großen Schwester eine Art Schweigegelübde geschlossen - wir führen ein gemeinsames Tagebuch, dessen Inhalt nur zwischen uns beiden bleibt - aber selbst da schreibe ich nicht immer, was ich wirklich denke und fühle, weil ich nicht möchte, dass meine Schwester sich zu viele Sorgen um mich macht.

Ich könnte gar nicht richtig beschreiben, was eigentlich mit mir los ist, ich weiß nur, dass es sich nicht gut anfühlt.
Ende diesen Sommers komme ich in die Gymnasiale Quali-Phase, aber eigentlich hängt mir die Schule zum Hals raus und ich habe auch keine guten Noten mehr. Darüber habe ich auch schon mit meinen Eltern gesprochen, aber die sagen, wenn ich abbrechen will, soll ich eine Alternative haben, also eine Ausbildung oder so. Aber ich habe schlichtweg keine Ahnung, was ich mit meinem Leben mal anfangen will - ob ich überhaupt was damit anfangen will. Ich hatte überlegt, Synchronsprecher zu werden, aber alles, was ich darüber gelesen habe, ist negativ und besagt im Großen und Ganzen, dass man davon nicht leben kann und eh keine Chance hat, sich in der Branche zu behaupten. Im Winter habe ich ein Praktikum in einer Bücherei gemacht, was mir ziemlich viel Spaß gemacht hat, aber ich weiß nicht, ob ich das mein Leben lang machen will. Und eigentlich möchte ich sowieso Autorin werden, aber ich habe kein Manuskript, das ich an einen Verlag schicken könnte, weil ich zu unmotiviert und unproduktiv zum Schreiben bin und ständig prokrastiniere. Ich weiß, dass das ein Teufelskreis ist, aber ich habe keine Ahnung, was ich dagegen tun kann. Immer, wenn ich denke, ich wäre gerade motiviert genug, etwas zu tun, verliere ich nach zehn Minuten die Lust und mache doch was anderes. Und auf diese Weise nervt mich mein komplettes Leben.
Zudem leide ich seit ein paar Monaten unter Schlafstörungen. Ich kann immer erst sehr spät am Abend einschlafen (nicht vor 12) und wache gegen 7 wieder auf, bin aber zwischendurch auch immer wieder wach, sodass ich keinen entspannenden Schlaf finden kann. Ich denke, ich sollte einen Arzt deswegen besuchen, aber wie soll ich das wieder meinen Eltern erklären? Ich höre sie jetzt schon meckern: "Warum sagst du das denn erst jetzt? Du hättest doch viel früher kommen können!" Ich kann ihnen ja wohl schlecht sagen, dass ich ihnen nicht vertraue... obwohl ich es ja gerne würde.

Also, liebes KuKa-Team, ich hoffe sehr, dass ihr mir vielleicht ein bisschen weiterhelfen könnt :)
Liebe Grüße, Polly

Tobias Anwort von Tobias

Hallo Polly,

vielen Dank für dein Vertrauen, ich hoffe dir helfen zu können!

Was du beschreibst spiegelt eindeutig deine Unsicherheit wieder. Es ist jedoch schön und auch mutig von dir, nun mit deinem Problem an uns heran zu treten. Mit deinem Schreiben hast du bereits ein Stück deiner Introversion übersprungen und für dich selbst einen großen Schritt nach Außen getätigt.

Du schilderst vor allem Zweifel. Zweifel an dir selbst und Zweifel an deiner Umwelt.
Dein Problem scheint zu sein dich auf etwas bestimmtes festlegen zu können.
Das dein Therapeut deine genaue Situation nicht versteht, liegt vielleicht auch daran, dass du ihm gegenüber auch nicht vollkommen ehrlich bist.
Woran könnte das liegen? Es ist schwierig mit anderen über die eigene Psyche zu sprechen. Deine Mitmenschen können dir nur bis vor den Kopf schauen. Alles was sich in deinem Inneren abspielt ist für Außenstehende nicht erreichbar, oder setzt sich aus dem zusammen was du mit ihnen teilst.
Gerade bei psychischen Problemen ist es oft schwierig Akzeptanz zu finden, aber auch Akzeptanz zu erwarten. Oftmals schwächt man selbst die eigenen Schwierigkeiten ab und stuft sie selbst herunter. Probleme mit dem Inneren sind für die Außenwelt nicht sichtbar, sie sind weder visuell erschreckend, noch können sie unmittelbar mit medizinischen Mitteln behandelt werden. Trotzdem müssen Sie genauso behandelt werden, wie physische Verletzungen.
Mache dir deshalb selbst eindeutig bewusst, dass dich etwas belastet und du etwas an deiner Situation ändern möchtest.

Du scheinst für dich selbst Ziele gesteckt zu haben und das ist gut! Es ist jedoch ein Fehler zu glauben, dass große Dinge von allein und sofort geschehen. Du besitzt große Erwartungen und misst dich selbst mit deiner Sicht der Zukunft. Es sind aber nicht immer die großen Schritte, die uns reifer machen; die Details und die vielen Facetten erkennt man erst, sobald man sich Zeit nimmt und die Umgebung betrachtet! Versuche kleine Schritte zu tätigen. Beginne damit aufzuschreiben was dir durch den Kopf geht. Ein Tagebuch ist dafür ein sehr guter Anfang! Schreibe kleine Gedichte, Kurzgeschichten und trage sie Freunden und Bekannten vor. Mit der Zeit wirst du erkennen ob dir diese Art der Beschäftigung liegt. Das positive Feedback deiner Umgebung wird in jedem Fall motivierend auf dich wirken und dich zu neuen Projekten inspirieren. Lass dir von niemandem, auch nicht aus einem Forum erzählen, du könntest etwas nicht erreichen. Jeder beschreitet seinen eigenen Lebensweg und du, und auch wirklich nur du, bist dafür verantwortlich diesen Weg zu gehen! Wo Talent, Überzeugung und Motivation aufeinander treffen ist alles möglich!

Versuche vor dem Schlafen gehen einen kleinen Zeitraum nur für dich selbst zu reservieren. Lasse den Tag Revue passieren, schreibe deine Gedanken auf und versuche für dich selbst alle positiven Aspekte des Tages herauszustellen. Es muss nichts Großes sein. Nimm dir eine positive Situation in der du dich gut gefühlt hast, oder lobe dich für eine erfolgreiche Leistung. Setz dir ein kleines Ziel für den nächsten Tag und versuche mit gutem Gewissen in den Schlaf zu gehen.

Beginne dir selbst zu vertrauen und öffne dich deinen Mitmenschen, tätige kleine Schritte, nimm dir Kleinigkeiten vor und ich verspreche dir du wirst einen anderen Blick auf die Dinge gewinnen!

Ich hoffe dir mit meinen Worten helfen zu können.

Viel Erfolg und alles Gute!