Problem von orientierungslose Ratsuchende - 22 Jahre

Orientierungslosigkeit, gewürzt mit etwas Verzweiflung...

Hallo liebes Kummerkasten-Team

Ich habe schon relativ oft versucht, euch etwas zu schreiben. Aufgeschrieben habe ich meine Probleme dann auch, aber das ist meistens so sehr ausgeartet über mehrere Seiten, dass ich euch das dann doch nicht zumuten wollte. Und meistens hat sich dann durch das bloße Aufschreiben meiner Gedanken dann auch schon eine Art Lösungsweg ergeben.
Aber jetzt bin ich wieder hier, und wieder schreibe ich ein Problem auf und dieses Mal glaube ich nicht, dass ich meine Gedanken nur sortieren muss und dann wird schon alles okay oder zumindest erträglich.

Die Wahrheit ist, dass ich selbst nicht genau weiß, was los ist. Das ist Teil meines Problems.
Aber vielleicht sollte ich erst mal etwas über mich erzählen. Ich bin 22 Jahre alt und studiere im 6. Semester Medizin, womit ich auch relativ gut zurechtkomme. Bisher bin ich noch nirgendwo durchgefallen, meine Noten sind okay und mit etwas Biss werde ich es schon schaffen, einen Abschluss zu erreichen.

Ich merke gerade, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll... irgendwie gibt es so viele Teilbereiche in meinem Leben, die dringend einer objektiven Betrachtung von außen bedürften, denn auf meine subjektive mag ich mich langsam nicht mehr verlassen.
Ich bin beispielsweise seit über 3 Jahren in einer Beziehung, wir wohnen auch seit 3 Jahren zusammen und ich hab oft keine Ahnung, ob ich wirklich diese Beziehung möchte oder einfach nur eine Beziehung, ob ich meinen Freund für das wertschätze, was er ist oder bloß für die Geborgenheit und die emotionale Stabilität, die er mir gibt.
Ja, ich glaube, dass ist der Punkt. Ich fühle mich oft so schrecklich labil, mein Selbstwertgefühl ist nicht das allergrößte und dass ich nicht wirklich weiß, wer ich bin und was ich will, sorgt dafür, dass ich mir niemals bei etwas wirklich sicher bin, nicht mal bei meiner eigenen Wahrnehmung. Deshalb weiß ich auch nicht, ob ich mir meine Probleme nicht nur einbilde. Ich weiß nicht, ob wirklich die Dinge mein Problem sind oder meine Wahrnehmung der Dinge.

Gerade mag ich mir gerne die Decke über den Kopf ziehen und mich einfach ablenken von allen Dingen, die ich an meinem Leben nicht gut finde.
Ganz ehrlich, ich kann das alles nicht einmal klar formulieren, geschweige denn eine Lösung finden. Es ist einfach alles so diffus. Ich bin chronisch unzufrieden und weiß nur sehr schemenhaft, warum. Vermutlich, weil ich einfach alles verdränge, so gut es geht, weil ich sonst überhaupt nicht mehr mit meinem Alltag zurechtkäme.
Ich hatte schon immer kleinere und größere Probleme, aber das waren immer einzelne Dinge, die handhabbar waren. Aber jetzt? Jetzt haben sie sich zu einer riesigen Matte verwoben und ich habe keinen Durchblick mehr. Vor mir sehe ich nur noch verfilztes Maschenwerk in dieser Matte aus Problemen und ich weiß nicht, an welcher Stelle ich ansetzen soll, um die Knoten zu lösen oder ob es nicht schon zu spät dafür ist.
Ich habe keine Freude mehr an meinem Leben und ich habe das Gefühl, nur in den Tag hinein zu leben, den Anforderungen nie gewachsen zu sein und irgendwie rechne ich schon mit meinem Scheitern (in jeglicher Hinsicht).
Ich weiß einfach nicht weiter. Es ist, als hätte ich die Verbindung zum großen Ganzen verloren, als würde ich im luftleeren Raum schweben mit Oropax in den Ohren, wie in einer Taucherglocke. Und das Leben spielt sich woanders ab, neben mir, weit weg von mir, losgelöst.

Irgendwie hasse ich mich selbst ein bisschen und bemitleide mich, aber irgendwie auch nicht. Eigentlich mag ich andere Menschen, aber eigentlich auch nicht.
Ich weiß einfach nichts mehr.

Ich erhoffe mir hier auch gar keine Antwort, denn mir ist die Frage ja nicht mal klar. Ich wüsste nur gerne, wodurch ich mehr Klarheit bekommen kann. Ich bin furchtbar orientierungslos und das macht mich über kurz oder lang einfach nur irre.
Meistens reiße ich mich zusammen und versuche einfach meine To-Do-Listen abzuarbeiten, was auch halbwegs gut gelingt. Ich komme zurecht, aber ich weiß nicht, wie lange noch. Und ich weiß nicht, wozu.

Beispielweise mein Studium: Ich sehe mich selbst nicht als Ärztin. (Das ist sowieso der größte Witz des Jahrhunderts, als ob ICH irgendjemandem helfen könnte, ich brauche ja selbst andauernd Hilfe!) Außerdem bin ich nicht gerade besonders sozialkompetent. Ich habe kaum Freunde und fühle mich in Gesellschaft anderer Menschen meistens ziemlich unwohl und deplatziert. Aber allein will ich auch nicht sein. Es ist so verwirrend...
Wie soll ich jemals den Anforderungen im Krankenhaus gewachsen sein, wenn von allen Seiten Ansprüche an mich gestellt werden?
Außerdem bin ich praktisch total unbegabt, ich bin unfassbar ungeschickt (schon immer gewesen, wenn mir überhaupt etwas liegen sollte, dann sind es eher theoretische Dinge, aber da ich mein Wissen nicht besonders gut an den Mann bringen kann und sozial sowieso total gehemmt bin, weiß ich nicht, wie man das in irgendeinem beruflichen Kontext einbringen sollte...
Und ich weiß auch gar nicht, ob ich mit dem Studium nur angefangen habe, weil ich das wirklich wollte oder weil mein Freund mich davon überzeugt hat, dass es eine gute Idee wäre.

Ich hatte am Ende der Schulzeit maximal unrealistische Vorstellungen von allen möglichen Berufen und habe nach langem Überlegen dann einfach das genommen, was ich momentan mache.
Am Anfang habe ich auch noch gehofft, dass ich mich vielleicht noch persönlich weiterentwickle und ein menschenbezogener Beruf mir hilft, offener und weniger gehemmt zu sein. Ich dachte, wenn ich mich sozialen Situationen einfach verstärkt aussetze, dann gewöhne ich mich irgendwann daran und dann... wird schon alles gut.
Doch seit meines ersten richtigen Krankenhauspraktikums vor einem halben Jahr ist mir irgendwie klar geworden, dass meine Probleme nicht einfach verschwinden. Aber egal. Ich kann jetzt nicht mehr wechseln und selbst wenn ich wollte (das weiß ich natürlich ebenfalls nicht), habe ich auch keine Ahnung, was ich stattdessen machen sollte.

Ziemlich oft denke ich daran, dass meine Eltern ja selber nicht studiert haben und dass es vielleicht einfach zu hoch gegriffen gewesen ist, zu studieren. Vielleicht hätte ich lieber etwas bodenständigeres anfangen sollen, etwas, das mehr meinen bescheidenen Fähigkeiten entspricht. Wo man einfach Anweisungen bekommt und ausführt, nicht nachdenken muss und wenig bis gar keine Anforderungen zu erfüllen hat. (Irgendwie weiß ich auch, dass das Blödsinn ist, ich weiß, dass ich viel (können) kann.
Aber ich fühle es nicht, tief in mir drin gibt es einfach keine Sicherheit und kein Selbstvertrauen. Ich fühle mich, als könnte ich gar nichts auf der Welt richtig machen, obwohl ich, wenn ich mich ganz stark bemühe, sehr genau weiß, dass das nicht stimmt.)

Ich habe schon oft darüber nachgedacht, eine Therapie anzufangen. Und ich war auch schon einmal bei der psychologischen Beratungsstelle von der Uni, wo mir genau das innerhalb eines kurzen Gesprächs nahegelegt wurde. Dann war ich auch wild entschlossen und habe einige Therapeuten angerufen, aber aus unterschiedlichsten Gründen habe ich es nicht einmal zu einem Erstgespräch geschafft. Die Wahrheit ist, dass ich:

a) am liebsten verdränge, dass ich wirklich substanzielle seelische Probleme habe
b) Angst habe, inwieweit eine Therapie meine späteren beruflichen Aussichten schmälern könnte
c) es mein Ego kränkt und mir das Gefühl gibt, unnormal und gestört zu sein, wenn ich irgendwann dann lese, was bei mir alles so diagnostiziert wurde und ich Angst habe, mein leben lang unter einer (möglicherweise falschen?) Diagnose zu leiden
e) ich einfach nicht weiß, mit welcher Indikation ich denn einen Therapeuten aufsuchen sollte. Massive Selbstzweifel? Orientierungslosigkeit im Leben? Unsicherheit im Umgang mit anderen Menschen? Das klingt für mich einfach nicht nach einem behandlungswürdigen psychischen Leiden.
Was soll ich denn da sagen? Ich weiß doch selbst nicht genau, was los ist und bisher komme ich ja (noch) relativ gut im Leben zurecht. Ich genieße es vielleicht nicht besonders, aber ich funktioniere. Alle Menschen haben Probleme, für niemanden ist das Leben leicht. Vielleicht sollte ich mich einfach zusammenreißen und hoffen, dass mein Problem von alleine verschwindet (wie ich es bisher immer getan habe). Dabei wünsche ich mir nichts sehnlicher als Unterstützung, jemanden, der mir hilft, mein Leben wirklich so zu leben, wie ->ICH<- es mir wünsche, und mich nicht von Ängsten, Hoffnungslosigkeit und Selbstzweifeln leiten zu lassen.
Und ich will so gerne hören, dass mit mir entweder alles in Ordnung ist oder was ich tun kann, damit ich heile und gesund werde.

Ich weiß einfach nicht weiter. Mir tut es auch sehr leid, dass das so unübersichtlich und lang und irgendwie nichtssagend geworden ist, aber ich kann diesen wunden Punkt in meinem Leben einfach nicht strukturiert darlegen.
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Ich habe den Text jetzt über eine Woche liegen gelassen und in der Zwischenzeit fast vergessen. Ich dachte, er sei nur aus einer meiner Launen und Stimmungsschwankungen entstanden, aber dem war nicht so. Das alles ist immer noch aktuell, belastet mich immer noch und ich habe immer noch keine Ahnung, was ich tun soll.

Vielleicht fällt euch ja irgendetwas zu der Sache ein. Mir wie gesagt nicht und auch mein herzensguter Freund weiß nicht weiter, obwohl wir sehr offen und oft darüber sprechen.

Wirklich, ich bin für jede Art von Rückmeldung dankbar. (Aber bitte anonymisiert und kürzt den Text, falls er auf eurer Seite auftauchen soll... ich habe nichts dagegen, dass mein Problem anderen Leuten zugänglich gemacht wird, aber bei dem Gedanken daran, dass das jemand lesen könnte, den ich kenne und der das auf mich zurückführen könnte, wird mir ganz anders...)

Vielen Dank.

Dana Anwort von Dana

Liebe Unbekannte!

Sehr gerne anonymisieren wir dich...aber den Text würde ich gerne genau so lassen. Grund? Der Text bist du. Der Text macht dich aus. Ich kann keine Antwort schreiben, wenn ich Teilbereiche entferne. Ich gehe nicht davon aus, dass jemand auf dich Rückschlüsse ziehen könnte, denn oft ist es so, dass Menschen, die im Umfeld oder der Familie leben, nur einen Bruchteil der Gedanken kennen, die man selbst hat. Wahrscheinlich würde selbst deine eigene Mutter dich hier nicht wieder erkennen. Mach dir deshalb keine Gedanken.

Dein großes, allumfassendes Problem hast du schon im Titel zusammen gefasst. Du bist orientierungslos. Scheinbar hast du dich noch nie mit dir selbst so richtig befasst. Du tust das, was andere Menschen dir sagen und schwimmst mit, statt mal selbst den ein oder anderen Armzug zu machen und deine Richtung selbst zu bestimmen. Bleiben wir mal bei der Metapher Schwimmen: im Prinzip treibst du immer weiter von dir selbst weg. Du bist an einer Stelle ins Wasser gesprungen, die dir andere angewiesen haben, hast schnell den Boden unter den Füßen verloren und treibst nun herum, ohne Grund. Ohne Grund zum Stehen, ohne Grund zum "Sein".

Du bist in den Fluten untergetaucht, nimmst das Leben nur nebenbei wahr...so als würden die Töne und Klänge unter Wasser dumpf und verschwommen an dich heran reichen.

Was hältst du von Auftauchen? Vom Paddeln ans Ufer? Um erst einmal in alle Richtungen in aller Ruhe schauen zu können?

Du bist 22. Wer sagt, dass es zu spät ist, sich selbst zu finden und den Weg zu gehen, den man selbst erarbeitet?

Ich möchte dir jetzt nicht raten, alles hinzuschmeißen. Das wäre genauso unreflektiert, wie dein Weg momentan gerade ist. Das bringt (noch) nichts. Aber wenn man orientierungslos ist, sollte man sich einen Plan suchen oder jemanden fragen, der sich auskennt. Du würdest ja auch in einer fremden Stadt, in der du dich verlaufen hast, nicht tagelang herum irren, ohne mal eine Frage an jemanden zu richten, der aussieht, als käme er von dort.

Wenn du selbst deinen Weg nicht kennst, sind sicher kleine Schritte in jede Richtung nicht schlecht...und irgendwann trifft einer dieser Schritte den Grund und Boden, der dir signalisiert: JAWOLL, hier will ich laufen, das ist angenehm!

Wie könnten jetzt diese kleinen Schritte aussehen? Ich kann dir diese Frage nicht komplett abnehmen, kann dir aber mal ein paar Schrittmöglichkeiten aufzählen, die ich für sinnvoll halte:

1. geh den Weg zu den Therapeuten nochmals und kneife diesmal nicht. Du wirst Hilfe vor Ort brauchen. Freunde und Familie können da nicht helfen, die sind nicht geschult und schnell überfordert.
2. geh zum Arbeitsamt und mach einen Termin mit einem Berufsberater. Es geht nicht darum, den Job zu wechseln, aber darum, mal zu erörtern, ob es nicht etwas gibt, das dir "Berufung" ist...denn Beruf steckt in "Berufung" drin...du musst deinen Beruf um die 40 Jahre ausüben...und wenn er dir keinen Spaß macht, wirst du in ein paar Jahren so unglücklich sein, dass selbst ein Therapeut es schwer haben wird.
3. nimm dir drei Wochen Urlaub (Semesterferien sind ja bald?) und reise in ein Land, das Hilfe braucht, zB Afrika. Lass dich für Arbeiten einteilen, so wie es Schüler in ihrem FSJ machen oder angehende Ärzte oder Studenten, die so etwas machen. Einfach mal ein anderes Land kennen lernen und das Anderssein nutzen, um selbst zu schauen: "WO stehe ich?"
4. es wird nicht ausbleiben, dass du dich selbst auf Herz und Nieren prüfst. Die Verdrängung funktioniert ja nicht, wie du merkst. Du wirst immer unsicherer, immer weniger bodenbehaftet, verlierst immer weiter den Stand, weil du einfach nicht weißt, was dich ausmacht, wer du eigentlich bist und vor allem: was du willst.

Was willst du? Und, was für dich vielleicht einfacher ist: was willst du eigentlich überhaupt nicht? Auf keinen Fall? Sei total ehrlich mit dir selbst, man sieht ja in deinem Schreiben schon, dass du da durchaus auf einem guten Weg bist, ehrlich mit dir selbst zu sein.

Am wichtigsten ist aber wirklich Punkt 1, denn darauf fußt sehr viel, was danach kommt. Gerade auch, was dich und dein Innerstes angeht. Es ist wichtig, wieder ein Gefühl für dich zu bekommen und es ist sicher auch angenehm, jemanden zu haben, der diese ersten Schritte mit geht und mit dir den Boden befühlt, ob er gangbar ist oder nicht. Auch wenn du vielleicht Angst haben magst oder dich sehr unwohl fühlst bei dem Gedanken, dich jemandem zu offenbaren, der vor dir sitzt...es ist immens wichtig. Ein Psychotherapeut/therapeutin ist vom Fach und kennt sich aus. Da sind Erfahrungen, die du selbst nicht hast. Du hast auch das Recht, dir einen/eine zu suchen, die/der dir perfekt passt. Manchmal passt die Chemie nicht, ich habe mehrere Bekannte, die Therapeuten sind, bei einer würde ich mich selbst einweisen, bei einer anderen würde ich niemals über die Schwelle treten, obwohl ich sie als Mensch durchaus akzeptieren kann. Teste sie auf Herz und Nieren und bleibe dort, wo du dich aufgehoben fühlst.

Es ist nötig, dass du in Bewegung kommst und nicht nur tatenlos von außen zusiehst, wie sich alles immer mehr in Dunst auflöst. Was, wenn du dich komplett verlierst? Das wäre schade. Der Brief an uns ist Zeichen, dass du gerne kämpfen möchtest, um wieder aufzutauchen, um nicht unter Wasser dahin zu treiben, bis es dir die Luft abdrückt. Ich finde das bewundernswert und kann nur hoffen, dass du genau da ansetzt und weiter machst.

Ich wünsche dir auf jeden Fall einen guten Willen, ein gutes Durchhaltevermögen und mehr von dem sich anbahnenden Wunsch, dein Leben so zu leben, dass du am Schluss zufrieden sein kannst. Und, wenn alles gut läuft, sogar glücklich.

Alles Liebe dir!

Dana