Problem von Anonym - 27 Jahre

Selbsthass weil ich schwul bin

Liebes Kummerkasten-Team,

ich komme leider nicht mehr mit mir selbst klar. Ich bin schwul und kann es mir selbst nicht zugestehen. Es ist mir Unerklärbar wieso ich es nicht akzeptieren kann. Generell habe ich überhaupt nichts gegen Homosexuelle. Aber ich selbst? Vielleicht bin ich zu Eitel, zu stolz…woran es auch liegt, es veranlasst mich dazu, mich von der Außenwelt abzuschirmen und im stillen zu leiden.

Mir ist es seit dem 15. Lebensjahr bewusst. Seitdem kämpfe ich mit mir selbst. Für Andere wirke ich freundlich, hilfsbereit, lustig, ironisch… alles nur um die Tatsache zu kaschieren, dass ich irgendwelche Probleme habe sollte.
Jedoch habe ich keinerlei Selbstwertgefühl, bin unsicher, habe so gut wie keine sozialen Kontakte, bin Unmotiviert, fast alles ist mir Gleichgültig und das Schlimmste ist, dass ich ganz genau weiß das ich selbst daran Schuld bin und nichts dagegen machen kann/will. Dafür hasse ich mich selbst, da ich es nicht schaffe es zu akzeptieren.

Als ich mir sicher war, dass ich schwul bin, habe ich mich mit dem Gedanken angefreundet, dieses Geheimnis mit ins Grab zu nehmen. Damit ich meine Eltern nicht enttäusche.
Jedoch ist meine Psyche nicht so stabil wie ich es mir damals erhofft hatte.
Die ersten sieben Jahre hatte ich nur leichte Depressionen und hatte keine Probleme damit, den Schein zu wahren.
Das Einzige was meine Familie beunruhigt hatte war, wieso ich in dem Alter immer noch keine Freundin hätte – worauf ich verschiedene Antworten hatte.

Jedoch habe ich mich täglich gefragt was ich eigentlich mache. Was der Sinn ist, immer aufzustehen, zur Arbeit zu gehen damit ich mir dieses nicht lebenswerte Leben leisten kann.
Mit der Zeit wurden die Depressionen immer schlimmer. So habe ich immer neun bis elf Stunden in der Arbeit verbracht, damit ich abgelenkt bin und nicht an ständig an meine Probleme denken muss.
Als ich jedoch alleine war, kamen Gedanken auf, wie es wäre wenn ich einschlafe und nicht mehr aufwache, wie es wäre am nächsten Morgen einen tödlichen Autounfall zu haben. Das schlimme daran ist, dass es mich erleichtert hätte – es waren fast die Einzigen positiven Gefühle der vergangenen Jahre.

Es ist mir nicht mehr möglich ständig einen glücklichen Eindruck zu hinterlassen. Vor einem Jahr hat mein Vater deswegen bereits eine Familiensitzung einberufen – ich konnte es nicht sagen. Total idiotisch, ich würde mich dafür selbst ohrfeigen weil meine Homosexualität an sich nichts Schlimmes ist…

Es ist richtig frustrierend, dass ich mir selbst nicht erlaube glücklich zu sein – ich habe eigentlich keinen Grund es nicht zu sein. Ich bin nicht hässlich, habe ein relativ gutes Auskommen, mein Abitur + Ausbildung + Fachwirt + Ausbilderschein habe ich ohne eine Minute zu lernen geschafft, mein Chef ist von mir mehr oder weniger begeistert da ich ja „so motiviert und engagiert“ bin und hat mir für die nächsten Jahre eine Führungsposition in Aussicht gestellt.
Aber ich schmolle vor mich hin, mache mich selbst schlechter als ich bin – Alles nur weil es mich so sehr belastet und ich mich dafür hasse.

Da ich es nicht alleine schaffe aus dem Loch zukommen, hatte ich bereits vor einiger Zeit den Gedanken, dass es mir helfen würde einen richtigen Freund zu haben… Jedoch bekomme ich auf diversen Partnerbörsen nur Anfragen für schnellen Sex oder haufenweise Post von notgeilen 50+ Männer. Die typischen Klischees. Ein weiterer Grund wieso ich mich dafür schäme einer von ihnen zu sein und bezweifle, dass dieser Versuch ein positives Ergebnis erziehlen wird.

Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich weiß nicht einmal was ich mir von diesem Beitrag erhoffe.

Trotzdem Danke, das sich eventuell jemand die Zeit genommen hat und sich das Ganze durchgelesen hat.

StefanC Anwort von StefanC

Lieber Ratsuchender,
danke, dass du dich mit deinem Problem an uns gewandt hast.

Als ich deine ziemlich komplexe Schilderung gelesen habe, klangt es für mich zusammenfassend nach einem hauptsächlichen Problem mit deinem Selbstwertgefühl, vielleicht durch deine innere Abwehr gegenüber deiner Sexualität begründet.

Dass du deine Eltern mit einem Outing nicht enttäuschen möchtest, kenne ich von vielen Leuten und finde es auch durchaus Okay. Es ist einfach Etwas, das jeder für sich selbst entscheiden muss.
Auch wenn du deine Familie aus „der Sache“ raus halten willst, heißt es doch aber noch nicht, dass du es niemandem sagen und anvertrauen kannst. Wie du selbst merkst, führt dieses „Totschweigen“ nur zu Problemen mit sich selbst. Da nicht jeder unbedingt passende Kontakte für solch sensible und persönliche Themen hat, würde ich dir zu Kontakten in einer schwulen Internet-Community raten, und damit meine ich (anfangs) ausdrücklich keine „Partner“-Börsen (nähere Infos dazu auch unter http://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/42/Coming-Out-Eo-Zu-sich-selbst-stehen.html). Wenn du aus einer größeren Stadt kommt, könntest du dich auch nach Schwulen Vereinen erkunden. Diese bieten oft auch Gesprächsgruppen oder ComingOut-Gruppen an. Dort kannst du (sogar anonym bzw. mit einem Pseudonym) Kontakt zu anderen Schwulen aufnehmen und mit ihnen ins Gespräch kommen. Glaube mir, nichts hilft so gut, wie mit „Gleichgesinnten“ offen reden zu können. Wichtig erscheint mir für dich vorerst, dass du mit dir selbst „ins Reine“ kommst. Vorher stelle ich mir auch eine Beziehung schwierig vor.

Versuche (ich weiß, wie schwer es ist) dir nicht zu viele Gedanken über deine Sexualität zu machen. Für „normale Kontakte“ (Arbeitskollegen o.ä.) ist es eigentlich egal, ob du schwul/hetero/bisexuell bist. Warum solltest du es ihnen auch sagen? Zu dir kam bestimmt niemand um dich darüber zu informieren, dass er/sie heterosexuell ist. Ich glaube, dass du ziemlich sympathisch auf andere wirkst und sie eben genau deshalb auch Kontakt mit dir haben möchten.

Aufgrund deiner länger andauernden Depression empfehle ich dir unbedingt einen Psychotherapeuten aufzusuchen! (Infos dazu findest du hier: http://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/31/Professionelle-Hilfe-Wie-finde-ich-einen-Psychotherapeuten.html) Eine Depression ist kein Hirngespinst und gerade über einen so langen Zeitraum definitiv behandlungsbedürftig! Manchmal gibt es eben Situationen, in denen man allein nicht mehr rauskommt sondern Hilfe in Anspruch nehmen MUSS! Den ersten Schritt zur Selbsthilfe hast du bereits getan (in dem du dich an uns gewandt hast!), also bleib an der Sache dran!

Ich wünsche dir auf jeden Fall alles erdenklich Gute! Gern kannst du dich auch erneut an uns wenden.

Liebe Grüße,
Stefan