Problem von Anonym - 20 Jahre

psychisch veranlagte identitätsstörung?

Guten Tag, ich habe ein Problem was mich wirklich zum weinen bringt... Vorgestern habe Ich bei meiner Freundin geschlafen, ich hab ihr gesagt dass sie mich mit make up schön machen darf *-* auf jeden Fall, hat sie das echt fabelhaft gemacht, dann hat sie mir Kleidung von ihr gegeben und eine Perücke, sodass ich wie ein richtiges Mädchen ausgesehen habe. Danach sind wir nach außen gegangen und sind ein bisschen spazieren gewesen, ich hab mich in der rolle als Mädchen pudelwohl gefühlt *--* auf jeden Fall, waren wir spazieren und als wir dann wieder bei hr ankamen wollte ich gar nicht mehr raus aus den Sachen, es hat sich so entspannend angefühlt... Und den Tag darauf wollte ich das unbedingt wieder machen, einfach weil das Gefühl durch seine Anwesenheit in riesen loch hinterlässt... Aber meine Freundin fragt mich mindestens 20 mal ob ich lieber ein Mädchen wäre... Um ehrlich zu sein hab ich mir schon mit sieben vorgestellt ein Mädchen zu sein und habe damals geweint und das fast jede Nacht, weil ich wusste dass ich irgendwann mal ein mann sein werde... Jetzt habe ich aber das Problem nicht zu wissen was ich überhaupt will... Ein Mädchen zu sein ist wundervoll aber mit meiner Freundin zusammen zu sein ist ebenfalls genauso wundervoll... Beides will ich nicht gehen lassen... Aber ich weiß noch nichtmal ob ich ein Mädchen sein will oder es nur schön finde... Obwohl ich als Kind immer ein Mädchen sein wollte :'( ich hab schon mehrmals osychiter davon zu überzeugen dass ich eine Identitätsstörung habe... Aber diese haben gesagt das komme von meiner depression... Die aber auch davon ausgelöst ist.. Weiß halt nur niemand... Bitte helft mir... Ich halte das nicht mehr aus :'(

PaulG Anwort von PaulG

Lieber Anonymer,

dein Problem ist tatsächlich sehr komplex, und ich kann mir vorstellen, dass es nicht leicht zu schultern ist. Ich werde mich bemühen, alle Details zu bedenken, und dir ein paar Ratschläge zu geben, die vielleicht hilfreich sind. Trotzdem muss ich vorausschicken: Du steckst wohl in einem Prozess, der noch nicht ganz abgeschlossen ist; zwar ist es belastend, aber eigentlich doch ganz gut, zu wissen, dass etwas im Werden ist, oder? Leider kann ich deine Unsicherheit nicht von dir nehmen. Was ich kann, ist, dir zu sagen: Ganz egal, was am Ende dieser Entwicklung steht, es wird in jedem Fall etwas Gutes sein. Kann das einen nicht hoffen lassen? Schön fände ich es.

Du hast geschrieben, dass du bereits seit deiner Kindheit darüber nachdenkst, wie es wäre, ein Mädchen zu sein, und dich lange Zeit mit dem Wissen, ein Mann zu sein / zu werden, sehr unwohl gefühlt hast. Spontan könnte man sagen: Die Sache ist klar. Dein Körper entspricht nicht dem, was deinem Wohlbefinden gerecht würde. Dafür wärst du lieber ein Mädchen. Auf der anderen Seite fühlt es sich für dich auch schön an, mit deiner Freundin zusammen zu sein. Das lässt dich zweifeln, was dein Weg ist, und doch müssen wir sagen: Beides für sich genommen, sind es doch jeweils sehr schöne Dinge, oder? Ich denke mal, selbst wenn du dich innerlich als Frau begreifst, muss das noch lange nicht ausschließen, dass du eine Frau lieben kannst. Es ist verwirrend, weil diese Liebe nahezulegen scheint, dass das Männliche doch eher das Deine ist; jedoch, Frauen können auch Frauen lieben, oder täusche ich mich da? Und offenbar auch, wenn sie, physisch betrachtet, (noch) keine Frauen sind. Ich höre durch dich zum ersten Mal von einer solchen Geschichte - und in der Tat, die Dinge sind ziemlich verschachtelt. Aber ist es nicht trotzdem eine ganz logische Vermutung, die auch nicht allzu fern liegt: Du wärst lieber eine Frau / ein Mädchen, fühlst dich außerdem eher zu Frauen hingezogen. Könnte das dein Weg und deine Orientierung sein? Letztendlich kannst nur du das beantworten.

Welche Meinung einzelne Ärzte dazu haben, legt für dich ja nicht fest, was du glauben musst. Möglicherweise war bei deinen bisherigen Therapeuten stets der Ansatz falsch: Es hieß, du hättest eine Depression, die äußerst sich so und so... in Wahrheit ist es andersherum. Wenn du es als hilfreich ansiehst, dich einem Therapeuten mitteilen zu können, dann wäre die Suche nach einem weiteren ratsam, der dich eher versteht, und dem du deinen Zustand in der Form schilderst, wie du es bei uns getan hast. Wenn dich die Besuche bei Therapeuten - die, egal wie lange sie studiert haben, und wieviel Erfahrung sie mitbringen, dir deine eigene Meinung nicht nehmen sollen -, wenn diese Besuche dich eher belasten, dann sei dir bewusst: Du bist zunächst und vor allem von deinem eigenen Wohlbefinden, deiner eigenen Meinung und Initiative abhängig. Nicht von irgendjemandem, der deine Gedanken nicht hören oder nicht anerkennen will. Denn helfen kann man dir nur, wenn man das, was dir durch den Kopf geht, erst einmal hinnimmt, und nicht sofort versucht, dich umzumoddeln. Am Ende bist du nicht darauf angewiesen, ob jemand dir diagnostiziert hat, dass in deinem Jungenkörper ein Mädchen verborgen ist.

Wie ich schon sagte: An und für sich, ist doch keines dieser scheinbar widerstreitenden Gefühle ein schlechtes? Was es kompliziert machen könnte, ist vielleicht, wenn deine Freundin lieber mit einem Mann zusammen wäre, ihr also zur gegebenen Zeit nicht mehr zusammen sein könntet. Obwohl, ich rede um den heißen Brei rum, decken wir doch die Karten auf: Es gibt die Möglichkeit, sein Geschlecht zu wechseln, auch wenn dies durchaus nicht leicht, vielleicht nicht schmerzfrei, und gewiss nicht billig ist. Nun müssen wir uns fragen: Ist der Wunsch, ein Mädchen zu sein, für dich äußerst dringend? Kannst du den männlichen Körper, in welchem du (im Augenblick) noch lebst, in keinem Fall dauerhaft akzeptieren? Oder wäre es vielleicht, zumindest vorerst, ein gangbarer Weg, die Beziehung mit deiner Freundin als Mann fortzuführen, bei der du dich aber zu gewissen Zeiten in ein Mädchen verwandelst? Sie scheint es zu akzeptieren, sie unterstützt dich sogar darin - das ist doch toll! Vielleicht könnt ihr das, was ihr neulich gemacht habt, als Ritual befestigen, das dir alles ein wenig leichter macht. Falls du dir irgendwann sicher bist, auf Dauer kein Mann bleiben zu wollen, könnt ihr immer noch weitersehen. Ganz gleich, ob du dich für ein Leben als Mann oder als Frau entscheidest: Beides hat etwas für sich, nichts davon wertet dich ab. Es ist dein Recht, und zum Glück ist die Medizin bereits so weit, deinen Weg in dem Körper zu gehen, den du dir wünschst. Ob das so sein soll, und was das für deine Partnerschaft bedeutet, kann sich noch entscheiden. Vorerst mal ist dir Liebe gegeben, das Angenehme des Gefühls, eine Frau "auf Zeit" zu sein, und überdies das Verständnis deiner Freundin. Das sind doch erstmal hoffnungsvolle Bausteine.

Im Ganzen wichtig finde ich, dass du die negative Bewertung von dem, was du an Zweifeln erlebst, unterlässt. Deine Gedanken sind noch nicht ganz am Ende, lass sie fließen. Es sind gewichtige Entscheidungen, die vielleicht daraus resultieren, und für die solltest du dir Zeit nehmen. Daher fände ich es wichtiger, wenn du erst einmal das, was dir jetzt gegeben ist, genießt. Und was ich auch toll fände, wenn du deiner Freundin noch einmal sagst, wieviel dir das bedeutet hat, und dass du ihr für ihre Unterstützung dankst. Andererseits kannst du sie auch bitten, dir noch etwas Zeit zu geben, ehe du ihre - berechtigte - Frage beantworten kannst, ob du lieber ein Mädchen wärst. Wie die Antwort auch ausfällt, sie ist von großer Bedeutung, du gibst sie nicht leichtfertig; erlaube dir daher selbst, den Gedanken bis zum Ende auszutragen. Ich wünsche dir, dass du zu einem Ende und einer Entscheidung kommst, die für dich angenehm ist, und dein weiteres Vorgehen für dich klärt. Vergiss dabei nicht: Du bist schwer in Ordnung - ob als Mann oder als Frau, die ein Mann wird, und dann mal ein Mann war. Was du erlebst, ist schwierig, aber du hast es dir nicht ausgesucht. Da ist es umso wichtiger, die schönen Erlebnisse am Weg mitzunehmen und auszukosten, die dir vielleicht die Richtung in eine ausgeglichenere Zukunft weisen.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul