Problem von Max - 18 Jahre

Sehr negative Gedanken im Alltag - bitte um Hilfe

Guten Tag,
Bevor ich mich meinem eigentlichen Problem widmen werde, kurz einige Informationen zu meiner Person: Ich studiere momentan Medizin, spiele leidenschaftlich seit 12 Jahren Klavier und bin nun 9 Monate mit meiner jetzigen (und ersten) Freundin in einer Beziehung. Sie ist 2 1/2 Jahre älter als ich und geht noch in die zehnte Klasse eines Gymnasiums.
Als Person fällt es mir nach außen hin, gegenüber anderen, nicht schwer, mit Selbstbewusstsein aufzutreten und mich auch in der Menge angemessen zu präsentieren. Ich habe die erste Klasse übersprungen, weswegen ich immer 1-2 Jahre jünger, als der Rest war, so wurde ich in der 5./6. Klasse sehr gemobbt, was mich wirklich damals sehr belastet hat, sowie in der 9. Klasse, was jedoch nicht in dem Ausmaß stattgefunden habe. Ich nenne das hier nicht deswegen, weil ich dies möglicherweise noch nicht verarbeitet haben könnte o.ä., sondern weil ich wissen möchte, ob mich dies in meiner frühen Kindheit in gewisser Weise "traumatisiert" haben könnte und in meiner eigentlichen, folgenden Frage eine Rolle spielen könnte?
Negative Gedankengänge über alles und jeden, hauptsächlich über mich selbst, was ich tue und wie ich mich gegenüber anderen Menschen verhalte, und über meine Beziehung gehören zu meinem Alltag. Sei es beim Klavierspielen, lernen, lesen oder beim Einschlafen, ich zweifele immer an allem und dies ist schon in gewisser Weise zur Normalität geworden.
Fangen wir an mit der Beziehung: Wenn ich bei meiner Freundin bin und wir zusammen Zeit verbringen, habe ich überwiegend keine dieser Zweifel an irgendetwas an ihr, sie fangen erst an, wenn ich entfernt von ihr bin, also bspw. Zuhause. Ich stelle dann die gesamte Beziehung in Frage und denke nach, ob sie mich wirklich weiterbringt, weil sie ja noch so jung ist und habe auch sinnloserweise teilweise starke Eifersucht bezüglich anderen Jungen in ihrem Leben oder ihrem Ex (der ein ziemlich ekliger Mensch ist). Oft denke ich mir, dass die Beziehung mich persönlich und geistig nicht wirklich weiterbringen kann, und finde dann auch ihre Persönlichkeit nicht wirklich berauschend, etc.. Noch komischer als die Tatsache, dass diese Gedanken weggehen wenn ich bei ihr bin, ist für mich, dass, wenn wir mal wirklich Streit haben und Abstand voneinander/keinen Kontakt, ich einen gewissen Drang dazu verspüre, mit ihr darüber zu reden und schaue andauernd auf mein Handy, ob ich eine Nachricht von ihr bekomme. Diese Pausen sind teilweise unerträglich für mich, jedoch werden hier die negativen Gedanken die ich normalerweise habe, einfach umgewandelt. Also wenn dann wieder alles gut zwischen uns ist, fangen die negativen Gedanken wieder an, aber über andere Dinge. Sie lassen mich nie los und sind, wie oben bereits genannt, ein fester Teil meines Alltags. Nun kann man natürlich behaupten, das vergehe mit der Zeit, aber es ist schon, kann man sagen, seit Anfang der Beziehung so, davor waren es eben negative Gedanken über andere Dinge als Sie.
Denn auch über meine Persönlichkeit denke ich grundsätzlich negativ nach und ich zweifle an vielen Dingen, die ich mache. Als Beispiel: Wenn ich mit jemandem streite und für mich - in diesem Moment - schlüssige Argumente nenne, zweifle ich direkt danach an meinen Aussagen (also nachdem ich sie getroffen habe) und schäme mich fast dafür, was für einen Nonsense ich gerade von mir gegeben habe, auch wenn das möglicherweise nicht mal wirklich der Fall ist. Ich zweifle auch daran, ob das Studium das richtige für mich ist, den Weg den ich momentan gehe, aber mir ist es auch nie irgendwie Recht. Auf Dauer ist dies wirklich ziemlich belastend für mich, ich hoffe ich konnte mein Problem einigermaßen nachvollziehbar schildern und bin für einen ernst gemeinten Ratschlag wirklich dankbar. Brauche ich einen Psychologen ? Wäre es sinnvoll, mich in einer Seelsorge auszusprechen?
Vielen Dank schonmal im Voraus,
Max

PaulG Anwort von PaulG

Lieber Max,

ob ein Psychologe dir weiterhelfen könnte, kann ich aus der Ferne schwer beurteilen. Prinzipiell schlecht wäre es wohl nicht, aber ich würde auch nicht sagen, dass es unbedingt notwendig wäre. Der Erfolg eines solchen Vorstoßes hängt auch davon ab, ob du selbst das Bedürfnis verspürst, dich einem Menschen zu öffnen, der beruflich darauf spezialisiert ist. Wie würde es sich konkret auswirken, wenn du wüsstest: "Ich nehme Termine bei einem Therapeuten wahr?" Nähme das Druck von dir, weil sich etwas tut, oder befeuert es womöglich deine negativen Gedanken, weil du fremde Hilfe in Anspruch nimmst? Das kannst du selbst am besten beurteilen. Zunächst einmal finde ich, dass du deine eigene innere Situation sehr klar wahrnimmst, deine Probleme nicht verdrängst, und aufkommende Gedanken auf ihren Realitätsgehalt hinterfragst. Das ist auf jeden Fall schon mal viel wert, und ein Vorteil, den so mancher in der Situation nicht hat. Dafür kannst du dir auch durchaus mal auf die Schulter klopfen!

Ich möchte zu Anfang auf deine Beziehung eingehen, da sie - auch wenn dein Problem, die negativen Gedanken, sich nicht bloß daran entzündet - naturgemäß einen großen Stellenwert in deinem Leben einnimmt, oder? Ich glaube, du stehst vor zwei Fragen: Erstens, wie schaffst du es, deine Beziehung wieder mehr zu genießen, entspannter darin zu werden? Denn es wäre schließlich wünschenswert, auch positiv darüber denken zu können, wenn deine Freundin gerade nicht zugegen ist. Die zweite Frage, die immer wieder im Hintergrund auftaucht, ist die: Ist sie die Richtige für mich? Haben wir eine Zukunft? Passt es zwischen uns? Wäre eine andere Persönlichkeit an meiner Seite "kompatibler"?

Dafür frage ich dich: Liebst du deine Freundin? Findest du sie schön? Welche Eigenschaften schätzt du an ihr? Wann würdest du sie am liebsten heftig drücken? Was findest du sie einfach unschlagbar süß? Warum warst du dir mal sicher, dass ihr ein gutes Paar würdet? Es ist wichtig, dir diese Fragen zu stellen, damit du weißt, was der Mensch an deiner Seite dir trotz allem bedeutet. Wenn du das Überleben deiner Beziehung stets davon abhängig machst, ob deine Partnerin dir intellektuell gewachsen ist, und ob ihr Alter und ihr (vermuteter) Entwicklungsstand sie dafür qualifzieren, dauerhaft mit dir zusammen zu sein: Dann wirst du vielleicht niemals zufrieden mit irgendeiner Frau sein. Das solltest du dir bewusst machen. Denn Gott sei Dank ist Liebe ein Gefühl, das jenseits trockener Eignungstests liegt, jenseits der Vernunft überhaupt. Deine Freunde und Verwandten können dir viel sagen, wie sie sich die richtige Frau für dich vorstellen: Solange du sagen kannst, ich liebe SIE, solange ist sie die einzig Richtige. Und solange hat die Beziehung auch einen Sinn. Wenn du dich wohl fühlst, wenn sie bei dir ist, und du mit ihr reden kannst, warum sollte das Ganze falsch sein? Warum sollte es etwas Schlechtes bedeuten, auch Reibungspunkte zu haben? Dass du nicht permanent über sie nachdenken musst, wenn ihr euch gestritten habt, ist an und für sich ja begrüßenswert. Nur so kannst du auch den nötigen Abstand wahren. Es könnte aber eine Überlegung wert sein, warum deine negativen Gedanken sich dann auf ein anderes Ziel richten: Ist es rein aus Notwendigkeit? Oder empfindest du die Phasen ohne Kontakt, mit Streit - sozusagen "Trockenübungen für den Trennungsfall" - als erleichternd?

Kommt ihr gut miteinander aus, wenn ihr euch trefft, ist das doch angenehm. Immer übereinstimmen, immer gut reden können, ist da eher zweitrangig. Natürlich fallen dich die Fragen und Zweifel an, sobald ihr nicht zusammen seid: Was ist da gerade passiert? Will ich das eigentlich? Funktioniert das? Was habe ich darin? Verhalte ich mich richtig? Diese Fragen sind für dich quälend. Sie sind aber zunächst mal durchaus nicht schlecht. Denn dadurch hinterfragst du auch dein Verhalten gegenüber deiner Freundin immer wieder, deckst auf, wenn gerade etwas im Argen liegt, und findest dich selbst bereit, zur Bewältigung von Konflikten den ersten Schritt zu machen. Das alles sind gute Eigenschaften, die dich zu einem sehr wünschenswerten Partner machen. Jetzt geht es darum, diese Gedanken und Fragen und Zweifel auf ein menschliches Maß zu verringern, das dich auch Gefallen an deiner Beziehung finden lässt, wenn deine Freundin gerade nicht bei dir ist und dich voll in Anspruch nimmt. Dafür solltest du erst einmal versuchen, nicht schon die Gedanken selbst als negativ zu sehen - denn, wie gesagt, sie bedeuten auch eine Qualität.

Du hast geschrieben, dass du deine Persönlichkeit überhaupt negativ siehst, und immer wieder Zweifel über die Angemessenheit deines Seins und Handelns erlebst - habe ich das richtig verstanden? Wenn du dich zum Beispiel mit jemandem streitest, bist du dir zwar in einem Moment sicher, den richtigen Standpunkt gut vertreten zu haben, im nächsten erschrickst du vor dir selbst. Könnte es sein, dass deine Selbstzweifel dich dazu verleiten, dir Dinge wie "Recht haben" und "auf sein Recht bestehen" gar nicht zuzugestehen? Dann solltest du dir immer wieder klar machen: Was du aus der Situation heraus gesagt und getan hast, war sicher nicht falsch. Und selbst wenn, glaube ich kaum, dass du einen so unhöflichen und abweisenden Umgang pflegst, dass man nicht jeden Fehltritt besprechen und "ausbügeln" könnte, der trotz allem passiert? Du bist gut, so wie du bist. Und Diskutieren und Streiten ist ja dazu da, auch mal daneben zu liegen. Dir kann, um dich dauerhaft in deinem Sein und Tun zu befestigen, am besten helfen, dass du die fraglichen Situationen bewusst suchst. Denn im Augenblick magst du ein Lob nicht gut annehmen können, wird eine Kritik dir viel weltbewegender erscheinen, als sie es ist - das wird sich aber geben. Wichtig ist, dass du dich nicht zurückziehst, sondern dir rational klar machst: Du bist in Ordnung, und es ist recht und gut, wenn und wie du mit anderen Menschen interagierst. Geht etwas schief, kann man alles klären. Dieses Risiko gehen wir tagtäglich ein, alle - und täten wir es nicht, dann würde sich ja gar nichts bewegen. Dasselbe, was du jetzt mit Freunden, Familie, Kommilitonen erlebst, kann dir selbst bei einem Therapeuten passieren. Wo deine Gedanken und Zweifel dich einkreisen, zieh dich nicht in die Mitte des Kreises zurück, sondern geh ihn offen an - dann wirst du merken, dass ein Großteil auch deine eigenen Bewertungen sind, die die Realität weit schlimmer malen, als sie es ist.

Ich vermute mal, dass es für dich durchaus prägend war, über Jahre überwiegend mit Menschen zusammen zu sein, die dir - dieses Kompliment glaube ich dir machen zu können - an Intellekt und Reife oft unterlegen waren. Die dich aber andererseits aufgrund deines Alters nicht so ernst genommen haben. Womöglich war es stets dein Los, dich auf deine akademischen Erfolge zurückzuziehen - du studierst ja nicht umsonst Medizin. Ob dies dein Weg ist, das kann und wird sich noch weisen. Dafür darfst und solltest du dir auch noch ein, zwei Jahre Zeit geben. Du stehst an einem Punkt in deinem Leben, in dem sich nicht unbedingt etwas entscheidet, aber vieles bewegt, und diese Erfahrung ist stets einschneidend. Lass dich darin nicht zu sehr von anderen Menschen vereinnnahmen, auch von mir nicht, wenn dir das nicht passend erscheint. Du allein bist derjenige, der sich aktuell damit auseinander setzt, was aus dir überhaupt werden soll. Obwohl dir von deinen Fähigkeiten her eine Vielzahl von Möglichkeiten offen steht, ist diese Phase eben doch manchmal schmerzhaft. Daran ist nichts Falsches - vielleicht versuchst du, es als notwendigen Prozess auf dem Weg ins Leben zu begreifen. Wäre er nicht da, wäre das bedenklich. Tatsächlich gehst du in genau die richtige Richtung, wenn du dich dem aussetzt - mag es auch nicht immer ganz einfach sein. Sei furchtlos - ich traue dir absolut zu, dass am Ende für dich etwas Befriedigendes steht. Die Maßstäbe, die du über Jahre anwenden musstest, um dein Umfeld zu beurteilen, sind durch Menschen festgelegt worden, die zum Teil nicht wirklich deine Liga waren; gerade deshalb solltest du, wenn du über dein Studium, deine Freundin, dein ganzes Leben nachdenkst, stets auf dir selbst bestehen - lasse dich von dem leiten, was du am stärksten und unmittelbarsten empfindest. Nicht von dem, zu was man dich drängen und überzeugen will. Es ist schön, wenn man viele Menschen um sich hat, die das Beste für einen wollen; nur, sogar deine Eltern stecken nicht in deiner Haut. Niemand kennt dich besser als du selbst - und was gerade richtig ist, kannst du am besten selbst beurteilen. Wenn dich überzogene Zweifel und negatives Denken ankommen, so wie gerade oft der Fall, dann hast du Gott sei Dank die Fähigkeit, das zu erkennen, und es konkret zu überprüfen. Andere bräuchten weit mehr Anleitung und Anstoß, Max; in dir jedoch ist sehr viel Potenzial vorhanden, mit dem du dir selbst helfen kannst. Das solltest du dir immer wieder sagen, um deine Meinung von dir zu heben; wenn du darüber hinaus jemandem um Rat fragst, vielleicht einen Therapeuten, bist immer noch du es, der seinen Rat umsetzt. Und ich habe bisher den Eindruck, dass du Vieles, was er dir geraten haben könnte, schon gut umsetzt. Kannst du das von mir annehmen? Das wäre toll.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul