Problem von Natalie - 20 Jahre

Ständiges Gefühl von Verloren sein und Unfähigkeit

Liebes Kummerkasten-Team,

ich bin 20 Jahre alt und wohne im Moment ca. 400 km von meinen Eltern weg, um zu studieren. Ich habe bereits ein Studium angefangen, aber nach einem Jahr wieder abgebrochen. Nun würde ich diesen Herbst ein neues Studium beginnen. Ich wohne in einer Großstadt und da ich vom Land komme, habe ich mich hier nie richtig eingelebt, selbst nach 2 Jahren fühle ich mich noch immer fremd und verbringe auch nicht viel Zeit damit, die ganzen Vorteile der Großstadt zu nutzen. Ich bin ziemlich introvertiert und viele Menschen auf einem Platz lassen mich immer hilflos und verängstigt zurück. Da ich viel Zeit alleine in meiner Wohnung verbringe, habe ich auch so etwas wie chronisches Verdrängen entwickelt. Sachen, die ich erledigen müsste, und dafür auch meine Wohnung verlassen müsste, schieben ich so lange hinaus, dass es oft echt knapp wird, um diese noch zeitgerecht zu erledigen. Meine Angst vor Veränderung und dem Unbekannten ist sehr groß. Ich merke selbst, dass ich mein sicheres Umfeld (in diesem Fall meine Wohnung) nicht gerne verlasse und wann immer es geht fahre ich zurück nachhause zu meinen Eltern und die vertraute Umgebung, in der ich die letzten 18 Jahre verbracht habe. Es ist nicht so, dass ich mich einsam fühle, aber einfach sehr unfähig, die simpelsten Dinge zu tun, die es verlangen, dass ich tatsächlich unter Menschen muss und nur ich selbst erledigen kann. Im Endeffekt fühle ich mich nicht in der Lage mein Leben selbst in die Hand zu nehmen und endlich selbstständig zu werden. Das macht mir sehr viel Angst und lässt mich oft deprimiert zurück, unfähig etwas an meiner Lage zu ändern.
Ich frage mich in letzter Zeit sehr oft, ob ich wieder zu meinen Eltern ziehen soll, denn dieser Gedanke scheint so verlockend, da es eine geschützte Umgebung wäre, aber ich bin mir auch trotzdem bewusst, dass ich eine Ausbildung machen muss/sollte, solange ich noch die Unterstützung meiner Eltern habe.
Meine ältere Schwester wohnt in derselben Stadt, und obwohl ich mit ihr über alles reden könnte, kann ich ihr nicht von meiner Hilflosigkeit erzählen, denn ich finde es beschämend, da ich in meinem Alter zumindest über ein gewisses Maß an Selbständigkeit verfügen sollte. Habt ihr irgendeinen Tipp, wie ich an mir arbeiten könnte?

Liebe Grüße,
Natalie

Bernd Anwort von Bernd

Hallo Natalie,

Vielleicht sehe ich das falsch. Mag es Dich dennoch fragen:
ein Studium ist in der Regel damit verbunden, dass man (wenn man eine biologische Entwicklungsstufe damit verbinden will) es mit dem Zeitpunkt verknüpft, wo die Küken aus dem Nest geschubst werden, damit sie selber zu fliegen lernen?!

Bei Vögeln ist die Richtung klar: wenn sie aus dem Nest geschubst werden, gilt es zuerst, oben zu bleiben und bei zunehmender Kälte in Richtung Süden zu fliegen.

Lass uns über einen Satz aus deiner Zuschrift ein wenig näher nachdenken:
" Im Endeffekt fühle ich mich nicht in der Lage mein Leben selbst in die Hand zu nehmen und endlich selbstständig zu werden"

Studium bedeutet irgendwo auch: eigenverantwortliches (wissenschaftliches) Arbeiten.

Ich kenne einige mir wichtige Menschen, die Deine persönlichen Vorbehalte haben (Schüchternheit z.B.).

wenn dann das Herzblut in den Fachbereich fließt, werden dass trotzdem die Fachkräfte und Wissenschaftler, die sogar Kanzlerin werden können!

was mir bei Dir Bedenken macht? Du hast - zumindest hier und jetzt - keinen Hinweis darauf hinterlassen, was Du eigentlich wirklich erreichen willst! Keinen Traum! Kein Ziel!

Im Augenblick scheint es mir eher so, dass Du vielleicht den Träumen und Wünschen Deiner Eltern hinterher hechelst, statt DU selbst zu sein?

Zurück zu Deinem Satz:
"Im Endeffekt fühle ich mich nicht in der Lage mein Leben selbst in die Hand zu nehmen und endlich selbstständig zu werden"

Ich persönlich finde es stark, wenn Du zu Dir stehst!
Lass Dich nicht verbiegen, sondern ziehe Deinen Weg durch!
Das Leben ist niemals eine Einbahnstraße: was Du jetzt vielleicht versäumst, wird Dir deshalb nicht auf Dauer verwehrt!
Das wissen die wenigsten: Selbstständigkeit fängt dort an, wo wir uns selbst unbefangen annehmen und zu uns stehen.
Und (das wissen noch weniger): wo wir Hilfe annehmen, die uns angeboten wird!
Einfordern, wenn sie uns zusteht!
Aber auch einsehen, wo wir nicht alle unsere Probleme auslagern und abwälzen können!

Eigentlich hast Du selbst alle Gedanken ausgeschrieben!
Was Du willst und was Du dann erstreben solltest!

Verbieg dich nicht länger! Aber mache das, wonach Dir der Sinn steht in aller Selbstverantwortung!

Alles Liebe

Bernd