Problem von Anonym - 19 Jahre

Legalisierter Mord

Hi ihr,
Ich weiss garnicht wo ich anfangen soll...Eigentlich begann alles vor knapp einem Jahr. Ich war noch nicht lange 18 also hab ich mir natürlich das Nachtleben meiner Heimatstadt mal so bisschen genauer angeschaut. Auf einer Halloweenparty lernte ich dann einen Jungen kennen. Er war zwei Jahre älter als ich. Wie es eben kommen musste, hatten wir in der Nacht noch was miteinander. Das lief dann weiter so ca. bis März 2015.
Der verhängnisvolle Abend war der 23.12.2014. Ich fuhr ihn wie immer von der Arbeit abholen und wir hatten Sex. Schon ein paar Tage danach wusste ich das irgendwas mit mir nicht stimmt. Ich hatte es einfach im Gefühl. Wie sich dann auch Mitte Januar herausstellen sollte war ich schwanger. Ich habe 5 Tests gemacht die alle positiv waren.
Dann ging ich nochmal zum Frauenarzt welcher mir meine Gewissheit bestätigte. Jetzt war die Frage, was tun? Ich stand kurz vor dem Abitur ich hatte nichts. Ich wusste nicht wie ich das Kind versorgen sollte und wollte meinem Stiefvater nicht diesen Triumph bieten. (Dafür muss man wissen mein Stiefvater und ich hassen uns.)
Also entschied ich mich für die Abtreibung, noch bevor der Vater davon wusste das es dieses Kind gibt. Ich habe ehrlich gesagt sehr lange gebraucht um es ihm zu sagen. Eine medikamentöse Abtreibung war nicht mehr möglich, deswegen musste ein operativer Eingriff getätigt werden. Der Kindsvater war froh über meine Entscheidung, er wäre auch nicht Verantwortungsbewusst genug gewesen um sich zu kümmern. Ich meine wir waren fast noch Kinder.
Ich regelte alles alleine. Ich ging zur Krankenversicherung um mir die Bescheinigung für die Kostenübernahme zu holen, dann ging ich zu diesem psychologischen Gespräch und vereinbarte zu aller letzt noch den Termin mit der Klinik.
Jetzt kommt der Clou bei dieser ganzen Geschichte also aufgepasst,
Die einzigen Personen die davon wissen sind Ich, meine beste Freundin und der Kindsvater. Sonst niemand, abgesehen von den Ärzten.
An dem Tag der Abtreibung ging es mir schlecht, ich fühlte mich von jedem mit dem ich reden musste verurteilt, vom Frauenarzt, von der Anästhesistin von jedem, sogar von den Schwestern. Ich musste etwas unterschreiben das ich erlaube, dass sich das Krankenhaus um die Bestattung der Leiche kümmert. Ich hab versucht den Vater meines Kindes vor dem Eingriff noch zu erreichen aber er hob nicht ab..
Als ich dann in den Warteraum gefahren wurde und auf dem OP-Liegeschiebetisch lag und mir der anästhesistische Assistent die Nadel ins Handgelenk legte, fühlte ich mich allein. Ich hatte Angst, ich wollte zu meiner Mama ich wollte dass sie bei mir ist und meine Hand hält. Ich wollte ihn sehen, doch letztendlich war ich alleine. Dann als ich wieder wach wurde hatte ich noch leichte Schmerzen aber sonst nichts. Das Kind war weg.
Ich weis nicht jetzt vor einem Monat wäre das kleine Ding auf die Welt gekommen, hätte ich mich dafür entschieden. Ich frage mich einfach manchmal was wäre wenn und ein Teil von mir scheint zu fehlen. Es belastet mich einfach, ich habe jemand umgebracht. Ich weiss nicht ob ich es jemals irgendwem erzählen werde. Es ist einfach, ich habe Angst verurteilt zu werden, oder dass mich mein zukünftiger Partner vielleicht sogar verlässt deswegen..
Das musste einfach mal von der Seele geredet werden. Meinen Eltern werde ich vermutlich nie davon erzählen...

Monika Anwort von Monika

Liebe Unbekannte,

"legalisierter Mord", "Ich habe jemanden umgebracht", "ich fühlte mich von jedem mit dem ich reden musste verurteilt"....
diese drei Teilsätze aus deiner Mail beschreiben relativ deutlich, warum du dich so mies fühlst.

Jemand der mordet und ein Gewissen hat, fühlt sich natürlich schuldig und wenn es dann noch das eigene Kind ist potenziert sich das Ganze ins Unendliche.

Ich glaube, es ist nicht das Umfeld, welches dich verurteilt, auch wenn es Leute gibt die strikt gegen Abtreibung sind, wird dich sicherlich jede Frau, die einmal in einer Situation wie du war verstehen können, sondern es ist dein Gewissen.

Die Frage was wäre, wenn...? Wie hätte es ausgeschaut? Wie würde es mir gehen? Hätte ich es nicht doch geschafft? Ich hätte es geliebt...

Du hast vor knapp einem Jahr erfahren, dass du schwanger bist und deine Entscheidung nicht leichtfertig getroffen. Du hast absolut erwachsen und selbstständig gehandelt. Du hast dich beraten lassen und dir Gedanken gemacht. Und letztendlich bist du zu dem Entschluss gekommen, dass du jetzt noch nicht für ein Kind sorgen kannst, dass du dich noch nicht dazu bereit fühlst.

Im Nachhinein verblassen diese Gefühle von damals deine Angst, deine Panik - du bist jetzt fast ein Jahr älter und dir kommen Zweifel. Aber verurteile dich nicht für deine Entscheidung. Versuch dich nochmal in deine damalige Situation zu versetzen und nachzuvollziehen warum du dich gegen dieses Kind entschieden hast.

Damals hast du alles alleine bedacht und alleine durchgezogen. Du hast aber trotzdem ganz deutlich gespürt, dass du jemanden an deiner Seite brauchst. Du wolltest den Kindsvater noch erreichen, du hast dir deine Mutter herbeigewünscht.
Ich denke, dass es dir auch heute noch sehr helfen würde, wenn du mit jemandem darüber sprichst. Das kann der Kindsvater sein - hat er vielleicht ähnliche Schuldgefühle wie du? Wie geht es ihm damit? Oder vielleicht doch deine Mutter? Wird sie es deinem Stiefvater vielleicht gar nicht erzählen? Und dir zur Seite stehen?
Oder auch jemand Außenstehender. Du hast selbst geschrieben, dass es dir gut getan hat alles los zu werden. Geh doch nochmal zu der Beratungsstelle. Du bist nicht die Einzige die nach einer Abtreibung zu kämpfen hat!

Aus eigener Erfahrung kann ich dir sagen, dass genau dieser erste Jahrestag am schwersten ist. Der Gedanke "jetzt wäre es zur Welt gekommen" kann einen wirklich fertig machen. Aber es wird besser! Man lernt los zu lassen, dieses ungeborenen Kind ziehen zu lassen.

Ich wünsche dir alles erdenklich Gute!!

Liebe Grüße
Monika