Problem von Anonym - 19 Jahre

Bin ich paranoid?

Hallo Leute,
ich (19/w) habe schon seit längerem ein Problem bzw. einen Teil meiner Persönlichkeit, den ich ändern möchte, aber ich weiß weiß nicht wie...
Ich war in der Schule als ich jünger war immer eine Außenseiterin und wurde gemobbt und von vermeintlichen Freunden immer wieder hintergangen. Mittlerweile hat sich das geändert, ich habe mit von falschen "Freunden" getrennt und habe jetzt auch einen kleinen Freundeskreis von engeren Freunden und einen relativ großen Bekanntenkreis. Trotzdem verhalte ich mich noch immer sehr oft paranoid und mache mir Sorgen, dass meine engsten Vertrauten mich hintergehen. Damit mache ich mir selbst unnötig das Leben schwer und teilweise habe ich so auch schon Freundschaften zerstört. Ein Beispiel: Ein guter Freund, mit dem ich normalerweise täglich schreibe meldet sich einen Tag lang nicht, obwohl er online. Ich gehe jetzt stundenlang den Sms Verlauf des letzten Tages durch um herauszufinden, was ich falsch gemacht habe, dass er mir nicht mehr schreibt oder ich ihn verärgert habe.
Solche Situationen in denen ich "aus einer Mücke einen Elefanten mache" gibt es sehr oft und meistens klärt sich das kurz darauf von selbst und ich frage mich selbst, warum ich mir darüber solche Gedanken gemacht habe.
Ich weiß, dass ich so ein Verhalten nicht von einem auf den anderen Tag ablegen kann, aber ich versuche es schon seit langem und komme einfach nicht weiter...
ich hoffe ihr habt Tipps, wie ich es schaffe nicht alles persönlich zu nehmen.
Liebe Grüße Ali

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

es hat eine Weile gebraucht, bis du eine Antwort bekommst - ich bitte dafür um Entschuldigung.

Das Schwierige an diesen Geschichten ist eben: Hundertprozentige Sicherheit gibt es nie! Man kann nie wissen, wohin eine Freundschaft sich entwickelt. Auch beste und engste Freunde mögen nach vielen Jahren Gründe finden, sich voneinander zu lösen. Zwar ist so etwas nicht unbedingt alltäglich, es gibt viele langjährige und bewährte Freundschaften, und viele, die ein Leben lang halten. Aber - und das ist ganz ähnlich wie bei Beziehungen -: Man kann das nicht wissen. Man muss darauf vertrauen, und das Verhalten eines geschätzten Menschen gibt im Großen und Ganzen darüber Aufschluss. So ist es auch bei den Kontakten, die du pflegst (würde ich mal annehmen): Wenn irgendjemand ein Problem mit dir bekäme, würdest du das ziemlich rasch ziemlich deutlich merken. Ob das dann etwas mit dir als Person zu tun hat, oder ob jemand nur irgendeine pingelige Kleinigkeit gefunden hat, in der er gerade nicht über seinen Schatten springen kann - das ist damit auch noch nicht gesichert. Selbst wenn Freundschaften zerbrechen, muss man sich also vor Augen führen, dass meist auch zwei dazugehören: Vielleicht habe ich mich verändert, vielleicht merke ich auch, dass in meinem Leben unschöne Veränderungen stattgefunden haben, die der Andere nicht mehr hinnehmen möchte. Vielleicht bin ich aber auch gar nicht schuld daran? Oder - und das solltest du stets bedenken - vielleicht ist gar nichts Schlimmes. Vielleicht ist die neue Ablehnung in einer Denkweise des jeweiligen Menschen begründet, die sonst kaum jemand nachvollziehen kann. Dann kann das die Freundschaft zwar nicht retten, verhindert im besten Fall aber, dass man sich Vorwürfe macht.

Was kannst du jetzt konkret unternehmen, um deinen Ängsten etwas abzuhelfen? Nun, zunächst mal: Nimm dich nicht so wichtig! Ich sage das jetzt so provokant, nicht um auszudrücken, dass du egoistisch wärst. Sondern um dir zu verdeutlichen: Jeder Mensch hat eine Menge zu tun - Schule, Beruf, Familie, Haustiere, Hobbys, Partner, Freunde, Internet, Wohnung, Küche, anstrengende Nachbarn, und, und... in dieser Auflistung ist man selbst als Freund oder Freundin nur ein kleiner Unterpunkt. Das heißt jetzt nicht, dass man wenig wertgeschätzt wird. Aber es heißt, dass man oftmals davon ausgeht, der Andere täte den ganzen Tag nichts Anderes, als über die Freundschaft mit einem nachzusinnen, Gedanken zu verfolgen, warum sie gut oder schlecht ist... und jedes Anzeichen sofort aufzunehmen, warum es nicht gut ist. Das aber ist falsch. Wenn du mit einem Freund telefonierst, und er ist irgendwie angespannt, ungeduldig, gereizt, kurz angebunden - muss das mit dir zu tun haben? Frage dich: Hab ich mir etwas zuschulden kommen lassen? Wenn die Antwort (wie in 99% der Fälle) nur "Nein" sein kann, dann überleg dir mal, was sonst noch die Gründe sein könnten: Hatte er Streit mit seiner Freundin? Hat seine Mutter was gesagt, das ihm nicht passt? Hat er eine Klausur vergeigt? Hat er was Falsches gegessen? Hat er was gelesen oder in den Nachrichten gesehen, mit dem er nicht klar kommt? Fühlt er sich irgendwie krank und will es nicht sein? Hat er Ärger mit dem Vermieter? Ist er übermüdet? Ist ihm in der Küche was missglückt? Ist die Heizung ausgefallen? Ist eine Baustelle vorm Haus?

Du siehst, diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Da du das, was du erlebst, als Paranoia bezeichnest, gehe ich mal davon aus, dass du sehr viel Zeit und Kraft darauf verwendest, diesen Gedanken nachzugehen. Der springende Punkt ist: Man geht dabei davon aus, dass die Anderen, deren Loyalität man zu verlieren fürchtet, ebenso viel Zeit und Kraft darauf verwenden. Das tun sie aber nicht. Sie mögen dich, nichtsdestotrotz bist du nicht der einzige (freiwillige oder notwendige) Faktor, der ihre Zeit füllt. Und es bedeutet gar keine Abwertung deiner Person oder der Freundschaft, wenn du dir von Zeit zu Zeit sagst: So wichtig bin ich für sie jetzt auch wieder nicht! Das stimmt auch. Nicht etwa, weil du ihnen nichts bedeutest, ganz im Gegenteil. Sondern weil der Großteil der Menschen den Großteil seiner Zeit einfach Besseres zu tun hat, als zu intrigieren und geheimen Groll zu nähren. Und weil man mit unheimlich vielen Dinge konfrontiert wird, die einen beanspruchen, Zeit rauben und nerven können. Dass man manchmal zu kaputt ist, um zu schreiben, oder seine gereizte Stimmung über den Tag schleppt, die mit den meisten Leuten, die man so trifft, überhaupt nichts zu tun hat - das ist eben menschlich. Wenn du also so eine Situation erlebst, in der du automatisch denken möchtest: Oh nein, was könnte er / sie nur plötzlich gegen mich haben?, ist es nie verkehrt sich zu erinnern, dass es einfach mehr und Wichtigeres im Leben gibt, als sich mit Leuten zu überwerfen, die man doch eigentlich voll nett findet.

Wenn du dir schwer tust, das Reagieren oder Nicht-Reagieren von Leuten zu deuten, oder dazu neigst, immer wieder eigene Bedeutungen hineinzulegen, die für dich bedrohlich sein könnten, dann kannst du aus der Not eine Tugend machen: Wenn es dich stresst, dass dir nicht rasch geantwortet wird (und wer ist nicht von Zeit zu Zeit darüber traurig oder verärgert?), dann könntest du versuchen, das Ansehen der Nachrichten zu begrenzen. Nimm dir vor, wirklich nur in den Pausen aufs Handy zu schauen, wirklich nur abends zu telefonieren, wenn es sich anders vermeiden lässt. Mach dich selbst ein bisschen rarer, und du wirst merken, dass deine Angst bisher auch durch ständiges Überprüfen Nahrung erhält.
Du sagst vielleicht dagegen, dass diese Herangehensweise die Angst nur noch schürt, da du ja jemanden verärgern könntest. Dagegen möchte ich anführen: Die Freundschaft kann sich ja darin umso mehr bewähren! Wem du wichtig bist, der wird damit leben können, dass er dich nicht immer sofort am Ohr hat. Oder er wird dich darauf ansprechen, und du kannst es ihm oder ihr erklären. So gewinnst du ein Stück Unabhängigkeit zurück und merkst vielleicht, wie Andere auf genau denselben Mechanismus hereinfallen, dem auch du beständig erliegst: Ein Problem mit der eigenen Person zu argwöhnen, wo gar keins ist! Und dann festzustellen, dass es sich so verhält, das ist doch sehr beruhigend. Quälend ist es nur, wenn man es dann doch gar nicht annehmen kann, wenn das Gegenüber beteuert "Ich habe wirklich kein Problem mit dir!", und man doch irgendwie nicht glaubt. Dann heißt es, standhalten. Denn nur im ständigen Austausch und Immer-wieder-erfahren kann sich die Erkenntnis irgendwann durchsetzen. Und mit etwas Glück steht am Ende eine gefestigte und gewachsene Freundschaft, die auch längere Kontaktpausen ohne größere Probleme verträgt.

Ich wünsche dir, dass deine Ängste sich bald verringern, aber auch die innere Stärke, darauf zu pochen, dass du in Ordnung bist und es keinen Grund gibt, gegen dich zu intrigieren. Es mag sein, dass das in der Vergangenheit so gewesen ist, aber deshalb muss es sich nicht wiederholen. Vergiss nicht: Es liegt nicht alles an dir, du musst dich nicht verbiegen - am besten hältst du Freundschaften, wenn du du selbst bist. Dann weißt du auch, dass du tatsächlich als du selbst gemocht wirst. Wenn aber etwas auseinander geht, gut - dann spielt immer auch das (vielleicht sehr verquere) Denken und Betrachten des Anderen eine Rolle. Man kann nicht jeden Kontakt erhalten, zumindest nicht in derselben Intensität wie zu Beginn. Genauso wenig, wie man sich mit jedem verstehen und von jedem als angenehm empfunden werden kann. Doch man kann daran wachsen, seine Erfahrungen machen - und vor allem kann das Bewusstsein und die Wertschätzung von sich selbst wachsen. Dass dir das vor allem gelingt, hoffe ich sehr für dich.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul