Problem von Anonym - 14 Jahre

Ich hasse mich&möchte nur noch sterben

Hey liebes Kummerkasten Team! Ich habe seit längerer Zeit starke Probleme mit mir selber.Wenn ich zurück denke,dann hatte ich mich irgendwie noch nie Akzeptiert.Als ich 6 oder 7 war,hat meine Mum mir immer gesagt,dass wen man Lügt ,wächst einem eine lange Nase.Ich habe mich also in das Badezimmer gestellt,in den Spiegel gekuckt und solche Sachen gesagt wie: Ich bin hübsch,ich bin dünn(Ich war schon immer pummelig.),ich bin beliebt und so etwas.Dann bin ich zu meiner Mutter und habe ihr gesagt,dass ich mich im Spiegel angelogen habe und mir keine lange Nase gewachsen ist.Das ist eine Geschichte,die ich mir bis heute gemerkt habe.Jedenfalls konnte ich mich noch nie so Akzeptieren,wie ich bin.Seit ungefähr einem dreiviertel Jahr,hat sich das nicht Akzeptieren in einen regelrechten Hass umgewandelt.Und seit ca.3-4 Monaten ist es immer schlimmer geworden.Egal was ich mache,ständig begleitet mich das Gefühl zu versagen.Es ist teilweise auch so,dass ich mich nicht mehr raus traue,weil ich Angst habe,dass mich irgendwelche Leute schief anschauen etc.Das mit dem Hass hängt auch da viel zusammen,dass ich in der 2 Klasse stark gemobbt wurde und meine Mutter hat es mir nie geglaubt.Bis heute kann ich mich noch daran erinnern,wie mich meine Mitschüler im Hort auf den Boden gedrückt haben,mich ausgelacht haben,weil ich weine und mich auch beleidigt haben.Ich hatte dann immer große Angst irgendwo hin zu gehen.Egal wie oft ich es meiner Mutter erzählt habe,nie hat sie mir es geglaubt.Dazu hat es auch kein Lehrer oder so mitbekommen,also wurde ich immer als die abgeschoben,die Lügt.Bis heute hat sich daran nicht viel geändert.Ich habe immer noch Probleme in der Klasse,besser gesagt,wegen 1-2 Personen.Wenn die zwei was gegen mich sagen,macht die hälfte der Klasse mit.Oftmals machen die das,wenn ich lache,oder wegen meinem Gewicht.(Ich bin ca. 1,63 und wiege so 70Kg.)Das komische ist aber,dass sie mich trozdem seit 3 Jahren immer zum Klassensprecher wählen.Außerdem wissen sie nicht,dass mir das Lachen hilft,in Momenten nicht anzufangen mit weinen und machen alles nur noch unerträglicher.Vor fast zwei Jahren hatte ich mich auch angefangen zu ritzen,weil sich meine Mutter von meinem Stiefvater getrennt hatte.(Meinen Erzeuger kenne ich nicht&mit meinem Stiefvati bin ich fast 7 Jahre aufgewachsen)Nach der Trennung,ging es halt ständig um meine Schwester und wie schwer sie es hätte usw.Am Anfang hatte ich Wut auf mich selber und gab mir die Schuld.Nach ner' gewissen Zeit ,habe ich die Schuld auf meine Mutter und meinen Stiefvater geschoben.Es hat gedauert bis ich wieder ein gewisses Verhältnis mit ihm aufgebaut habe.Mit meiner Mum habe und hatte ich schon immer große Probleme.Wenn sie ihre Austicker hat und plötzlich anfängt alles und jeden anzuschreien und wie verrückt irgendwo dagegen zu hauen oder so ,bekomme ich immer eine riesen Angst,dass ihr die Hand irgendwann mal an mir oder meinen Geschwistern ausrutschen könnte.(Sie sind 5&1)Jedenfalls gebe ich mir die Schuld,dass sie so ist,wie sie ist.Allgemein herrscht kein gutes Familien Verhältnis bei uns.Seit einem Jahr ritze ich mich wieder "regelmäßig" ,es gab mal eine Zeit wo ich es geschafft habe,ohne mich zu schneiden auszukommen.Es ist auch so,dass ich eine panische Angst vor Waggen habe&daher ,wenn ich beim Artzt bin,mich weigere auf eine Wagge zustellen.Zu oft habe ich deswegen schon angefangen zu weinen.Keiner denkt,dass ich so denke,oder das es mir so geht.In der Schule bin ich fröhlich,lache und bin auch seit diesem Schuljahr Schülersprecherin.Ich hatte lange überlegt,ob ich das Amt annehmen sollte,da ich letztes Schuljahr von unserem ehemaligen Schülersprecher empfohlen wurde und vielen hat diese Idee gefallen.Jetzt bin ich an einem Punkt,wo ich Angst habe,dass ich Fehler mache,es nicht schaffe oder so.Immer wenn ich an was nicht denke,beginne ich mich im Kopf zu beleidigen und runter zu machen.Es hilft mir,über meine "Fehler " weg zukommen .Genauso geht es mir ,wenn ich Volleyball Training habe.Immer wenn ich etwas falsch mache,oder der Balll nicht über's Netz geht o.ä. beginne ich mich zu beleidigen.Zurzeit bin ich auch an einem Punkt,wo ich hungere um mich gut zu fühlen,wenn ich doch etwas esse,dann ritze ich mich.Meine Schnitte werden auch immer tiefer.Die einzigste Person die mich immer zu 100% versteht ist meine beste Freundin,da es ihr ähnlich geht.Das Problem ist,dass sie vor über einem Jahr in ein anderes Bundesland gezogen ist,wegen ihrer Mutter.Jetzt lebt sie bei ihrem Dad.Einerseits bin ich froh,dass ihre großen Schwestern und so,organisiert haben,da sie hier auf die falsche Bahn gerutscht ist, unter depressiven Verstimmungen litt etc.Aber ich vermisse sie schrecklich,da ich sie in dieser Zeit so sehr brauche.Sie selber kommt mit sich auch nicht klar&hasst sich auch.Immer wenn wir uns in den Ferien sehen wollten,haben es ihre Eltern nicht erlaubt.Dabei möchte ich sie wenigstens nocheinmal sehen.Meine Gedanekn schwirren ständig darum,dass ich abnehmen muss,damit man mich mag,oder Akzeptiert.Wenn ich mit Freundinen draußen bin,fühle ich mich jedes mal schrecklich und klinke mich raus,weil sie alle so dünn&hübsch sind.Deswegen treffe ich mich auch immer seltner mit mehrern Freunden.Es gibt nur wenige Menschen,wo mir es so nicht geht.Die meisten Jungs wollen auch nichts mit mir zutun haben und auch das schiebe ich auf mein Aussehen ,Charakter!Ich kann es auch niemanden glauben,wenn jemand sagt:Du bist hübsch,oder hast einen guten Charakter!Eigentlich hatte ich auch nie Probleme in der Schule,aber derzeit fühle ich mich so,als würde ich nur versagen.Ich mache mir Druck,weil so viele erwarten,dass ich immer gute Noten schreibe etc. und am Ende,werden meine Noten schlechter.Jetzt steh ich auch unter dem Druck von meiner Mutter,dass wenn meine Noten schlechter bzw. nicht besser werden,dass ich im Januar nicht auf das KraftKlub Konzert darf.Wenn ich zB.meiner Mum sage,dass ich mich hässlich fühle,kommt nur so etwas,wie ich würde ihr die Schuld dafür geben,dass sie hässliche Kinder zeugt,damit würde ich auch meine Geschwister beleidigen und und und.Jeden Tag fühle ich mich schrecklicher und habe nur dann ein Gefühl vom Erlog,wenn ich es geschafft habe nichts zu essen,oder ganz wenig.Ich fühle mich im inneren nur noch Leer.Ich fühl mich nicht schlecht,aber auch nicht gut.Seit längerer Zeit denke ich an Suizid und seit ein paar Wochen,gehe ich regelmäßig den Zugplan durch und lerne ihn Auswendig,so das ich immer weiß,wann der nächste Zug kommt.Ich habe auch bei meiner Oma,den Medizin Schrank durchsucht,da sie Schlaftabletten hat.Die Sache it die,ich habe nicht viele Freunde.Keiner weiter würde mich vermissen,ich wäre endlich aus meiner Klasse,so wie es sich einige wünschen,es würde nicht mal auffallen!Zwar hat eine Freundin mal gesagt,dass sie es nicht ertragen könnte,dann ständig auf diesen leeren Platz zu schauen&zu wissen,dass ich nicht wieder komme,aber irgendwie hält mich das nicht mehr,so wie am Anfang,wo ich noch mega gerührt davon war.Meine Mutter würde endlich aufhören mich zu beleidigen&runter zu mache.Ständig kreisen mir diese Gedanken durch den Kopf.Ich bin Verzweifelt und habe Angst vor den Prüfungen,die ich zB. schon nächstes Schuljahr habe.(Besuche die 9.Klasse ),ich habe Angst,dass ich sie nicht schaffe&wenn ich das mal erwähne,heißt es nur,du bist bescheuert,dafür bist du zu gut in der Schule,aber mich lässt die Angst nicht los.Allgemein habe ich Angst vor der Zukunft.Ich möchte nicht wissen,was in ein paar Jahren ist,wenn ich sehe,wie intolerant die Menschheit ist,oder warum wie Krieg führen...Ich habe auch Angts ,dass ich so wie meine Mutter werde.Sie hat hohe Schulden usw.Ich fühle mich auch irgendwie gespalten.Ich war schon manchmal in Jungs verliebt,jedoch nur einmal so richtig.Aber mich ziehen auch Mädchen an und ich denke manchmal das ich für sie Gefühle habe,aber irgendwie auch wieder nicht.Niemand weiß,dass ich schon mal in ein Mädchen verliebt war.Ich Akzeptiere das&finde es auch nicht schlimm,aber derzeit komme ich mit den ganzen Gefühlen nicht mehr klar.Ich hatte mich auch schon an meinem Schulsozialarbeiter gewandt,aber da geht es derzeit nur darum,wie wir die Probleme mit meiner Mum lösen könnten.Ich hatte nur mal erwähnt,dass ich mich selber hasse,bei dem Rest traue ich mich nicht,es zu erzählen.Ich weiß einfach nicht mehr was ich machen soll.Ich hasse mich so sehr und es wird einfach nicht besser.Es fühlt sich so an,dass dieser ganze Druck drumherum,mich nur noch mehr fertig macht&ich mich immer mehr hasse.Ich weiß nicht,wie oft ich schon weinend vor einem Spiegel "zusammen gebrochen"bin.

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

wenn du hier und jetzt einen Wunsch frei hättest - was würdest du dir wünschen? Das Aussehen zu haben, das dir gefällt? In eine andere Familie geboren zu sein? Mehr Mut zu haben? Einen Freund zu haben? Oder etwas ganz Anderes?

Man muss sich nicht zu einhundert Prozent selbst gut finden, um ein erfülltes Leben zu führen. Es ist sogar gut, wenn man sich selbst hinterfragt, und Kritik annehmen kann. Was aber gar nicht geht, wenn man zufrieden leben will, dann ist es der Wunsch, gar nicht geboren zu sein. Oder als jemand auf die Welt gekommen zu sein, der völlig anders ist. Denn man kann nicht aus seiner Haut. Du hast deine Rechte und dazu gehört das Recht auf Glück. Um es zu erlangen, musst du nicht restlos von dir selbst überzeugt sein. Aber du musst sagen können: Ich bin ich, ich lasse mich nicht verbiegen, mir steht zu, was jedem sonst auch zusteht - egal was die Anderen meinen.

Die größte Illusion, die wir uns im Leben machen, ist die, dass man etwas sein MUSS, um anerkannt zu werden. Ich kann als Mensch mit einer hellen oder einer dunklen Hautfarbe zur Welt kommen, eine Frau oder ein Mann sein, ich kann schlank sein oder kräftig, picklig oder glatt, ich kann von Geburt an gelähmt sein, oder ein erfolgreicher Sportler... das alles sind Dinge, auf die wir nur begrenzt Einfluss haben. Diejenigen, die das Glück haben, in einer besseren Situation zu leben, mit einem angeblich "besseren" Aussehen gesegnet zu sein - diese Menschen nehmen sich ständig das Recht, über die weniger Begünstigten zu lachen, zu höhnen, zu schimpfen. Warum? Es gibt eine Wahrheit, die die Menschheit niemals kapiert, die man ihr aber wieder und wieder einbläuen muss, damit sie niemals vergessen wird: Wir alle sind gleich. Wir haben das Gleiche verdient. Und als wer wir geboren sind, oder mit welchen Makeln und Handicaps uns das Leben ausstattet, das zählt nichts. Niemand ist vor seiner Geburt ein Topmodel oder ein Profisportler gezeigt worden, worauf er sagte: "Das will ich sein!" Und niemand hat deshalb das Recht, sich über dich zu erheben. Vielleicht bist du ein kräftiger gebautes Mädchen, vielleicht hast du keine einfachen Eltern mitbekommen - aber dafür kannst du nichts. Es gibt für dich keinen Grund, nicht schlicht und einfach darauf zu bestehen, dass man dich so, wie du bist, gut findet. Viele tun das nicht, weil sie nicht begreifen, dass sie einfach nur etwas mehr Glück hatten. Andere haben selbst genug mit sich zu tun. Und dann gibt es da dich, du selber: Warum glaubst du, dass es so sein müsste? Ich kann verstehen, dass es dich plagt. Aber solange du nicht alle Sätze von wegen "Ich wäre so gern wie..." über Bord wirfst, kannst du nicht glücklich werden. Du bist bereits perfekt, weil es nichts Besseres als dich gibt. Weil niemand besser als ein Anderer ist. Weil, ganz egal was deine Eigenschaften sind, niemand das Recht hat, auf dich herab zu schauen. Und das ist es, dem du in deinem Leben Ausdruck verleihen solltest.

Geh einmal für dich durch: Was sind die letzten Beleidigungen, blöden Sprüche, die letzten Dämlichkeiten, die man dir ins Gesicht geschleudert hat? Wie haben sie sich einen Witz gemacht über Dinge, die dich nicht freiwillig ausmachen: Deine Figur, dein Gesicht, deine Haare, deine Wunden - hätte das Schicksal anders entschieden, wären sie, wo du bist. Und umgekehrt. Vielleicht ist ihnen ja gar nicht bewusst, wie alles das auf dich wirkt. Sie - ihr - seid auch in einem Alter, in dem einen vielfach nur sein Drang nach Beliebtheit und nach "Gehört-werden", nach "Ankommen" und "Im-Mittelpunkt-stehen" antreiben. Dass man irgendwo inwendig spürt, dass man sich hier über einen Menschen mit Gefühlen lustig macht, ist da nebensächlich. In beiden Situationen - betroffen und verursachend - bin ich selbst schon gewesen... Auch von daher kann ich dir sagen: Es bist nicht du. Das Problem ist der Mensch. Und Menschen sind manchmal viel hinterhältiger, als sie müssten - weil sie schwach sind. Du musst dich nicht dazu herablassen. Wenn du etwas in deinem Leben ändern möchtest, dann ist das meistens auch gut. Aber du musst intensiv in dich spüren, ob du es willst, weil du meinst, damit Anderen zu gefallen. Es gibt Beliebtheit, "Ich will so sein, weil ich denke, dass sie es so wollen" - und es gibt ein "Ich fände das toll, ich würde mich wohler fühlen damit, es entspricht mir". Nur die zweite Kategorie sind Dinge, die du umsetzen musst. Von allem Anderen lass die Finger. Denn sie sind dir nicht angemessen. Zwar gibt es Fälle, in denen etwas in beide Kategorien gehört, das ist richtig. Auf der anderen Seite wird man dich dann nicht dazu drängen müssen.

Im Augenblick verlangst du Unmögliches von dir, und trotzdem bemühst du dich, den Schein nach außen zu wahren: Was immer du tust, machst du genau, planst voraus, hast immer die Befürchtung, dein Handeln könnte unschöne Folgen haben. Es ist nicht verkehrt, bedacht und vorsichtig zu handeln. Aber es ist zwecklos, Konflikten auszuweichen, indem man sie unter den Teppich kehrt. Was deine Mutter betrifft, du wirst noch einige Zeit zuhause wohnen - daher ist es ratsam, manchmal lieber nichts zu sagen. Dennoch solltest du nie vergessen, dass auch sie gewiss ihre Probleme hat, dass nicht alles an dir liegt, wenn überhaupt etwas. Umso wichtiger ist es, dass du es mit dem Sozialarbeiter besprichst. Ob dir das eine Lösung an die Hand gibt, ist natürlich nicht sicher. Wobei es dir helfen kann, ist zu erkennen, dass eben nicht alles an dir hängt. Deine Mutter - und alle Menschen um dich herum - haben ihre Probleme, und du wirst Streit, Peinlichkeiten, Ärger, Frust und Enttäuschung nicht verhindern, indem du berechnest, ängstlich Pläne machst und abwägst, nichts riskierst. Man kann all dem nicht aus dem Weg gehen. Aber nicht, weil es unmöglich ist, es selbst zu vermeiden. Sondern weil es immer jemanden gibt, der sich gar nicht diese Mühe macht. Und dann steht man da. Für dich könnte es wichtig sein, zu lernen, dass du nicht die einzige Person mit Verantwortung bist. Es ist ehrenvoll, nicht zu spät kommen zu wollen, Andere schützen zu wollen, niemandem zur Last fallen zu wollen - aber wie du dich bemühst, nicht jeder hat dafür Verständnis. Das Leben zwingt dich früher oder später, richtig unangenehme Situationen durchzustehen. Dann ist es besser, du bist dir im Klaren, dass es nun mal einfach so ist. Und eben nicht "deine Schuld, meine Schuld, hätte ich doch nur!" - nein! Es ist nicht möglich, die totale Kontrolle zu haben. Zwar ehrt es dich, dass du so planvoll und gewissenhaft bist, aber es geht nicht immer auf. Irgendwann quält es dich bloß noch, weil es zur Katastrophe wird, wenn etwas misslingt. Doch es gibt noch so etwas wie Zufall, wie Missgeschick, höhere Gewalt, es gibt Mitmenschen, die einfach nur blöd sind - all diesen ist es egal, wie gut du alles ausgetüftelt hast. Du wirst nicht verhindern, dass manches nicht funktioniert, wirst es nicht schaffen, unangreifbar zu sein. Daher braucht es dich auch nicht zu grämen, wenn etwas nicht nach Plan läuft. Aber ich bin mir klar: Das zu wissen, und es wirklich so zu empfinden, sind zwei verschiedene Dinge.

Ob es um Prüfungsangst geht, ob es die Befürchtung ist, jemanden zu enttäuschen - immer malen wir uns ganze Ketten von Ereignissen aus, die schrecklich sind. Dabei haben wir nur in einem Punkt Einfluss darauf: Wir können uns klar machen, ja, die Möglichkeit besteht - aber ich muss mich dem stellen. Du weißt ganz genau, dass du intelligent und leistungsstark genug bist, deine Prüfungen zu bestehen. Und dass du die Möglichkeit hast, dich darauf vorzubereiten. Ob irgendetwas geschieht, das dich aus der Rolle bringt, das es schief gehen lässt, das weißt du nicht. Es ist extrem unwahrscheinlich, das ist wahr - aber wenn es dir Angst macht, ist es mit diesem Wissen nun mal nicht getan. Also stell dir vor, worst case, es klappt nicht - was dann? Dann gibt es ein zweites Mal. Es wird nicht angenehm. Es würde nicht angenehm. Aber es wäre kein Riss in deiner Biographie, sondern es wäre ein zweiter Anlauf, und den würdest du ganz sicher packen. Aber es passiert ja nicht. Du lebst in einer Gesellschaft, die dich nicht fallen lassen wird. Sofern du dich nicht selbst fallen lässt! Was auch immer dich an Vorwürfen treffen könnte, wenn die Prüfung nicht gelingt - es wäre nicht das Ende. Und wie ist es mit den anderen Dingen? Deine Mutter mag schwer berechenbar sein. Doch du hast dich bereits geöffnet, hast es jemandem erzählt - und dass sie so ist, bleibt auch Anderen nicht verborgen. Euch kann nichts passieren, und du bist im Ernstfall stark und alt genug, auf dein Recht zu pochen. Lass dir niemals den Mund verbieten, lass dir niemals einen Traum ausreden, lass dir niemals deine Probleme klein reden - sprich alles aus. Und es gibt immer jemanden, der es hören will. Was Anderes denke gar nicht erst. Nicht jeder mag dich mögen, niemals in deinem Leben. Aber wenn du zu dir stehst, kommst du immer wieder auf die Füße. Hör auf, Fehler an dir zu bemängeln, die keine sind. Beginne, dir zu sagen, was du schon so früh so lächerlich fandest: Dass du in Ordnung bist. Vielleicht findest du dich nicht schön - aber für jemand Anderen bist du es. Und es ist ja auch so, dass schön und hässlich Schubladen sind, die sich jemand ausgedacht hat. Dass jemand, der dich wirklich liebt - ob Junge oder Mädchen - in diesem Moment diese Schubladen ignorieren wird. Da steht drauf "Groß, schlank, blond, zart, ohne Falten" für die Mädchen, steht drauf "Muskulös, athletisch, schmerzfrei, überlegen" für die Jungs. Doch wer immer sich das überlegt hat, er hat damit nichts Rechtes getan. Er hat es lediglich geschafft, die Welt glauben zu lassen, dass es so stimmen würde. Wäre das tatsächlich so, dann gäbe es keine Menschen mehr, die anders sind. Es kann also nur Quatsch sein. Und inmitten der Realität, inmitten all der vielen einzigartigen, besonderen Menschen, hast auch du deinen Platz - und auch auf dich warten Begegnungen, Freundschaften, die dich unersetzlich finden. Vielleicht kommen sie bald. Die, die sie jetzt haben, haben sie dann womöglich schon verloren. Was also ist dir lieber? Irgendwann holt das Pech jeden mal ein, wird der Schönste alt, der Stärkste krank, der Härteste verletzt. Wenn du über dich hinaus wächst, werden sie zu spüren bekommen, wie es dir jetzt geht. Ich verspreche es dir.

Was wird das Erste sein, was du tust, wenn du morgen in deine Klasse gehst? Was immer es ist, überleg dir mal: Was, wenn ich es ganz anders machen würde? Und was wäre das dann? Welche Rituale hast du gefunden, die dir Konflikte ersparen sollen, welche Handlungen befolgst du, die dir dafür hilfreich scheinen? Wo hast du gelernt, dich wegzuducken, klein zu machen, dich zurückzuhalten? Kannst du all das ausfindig machen? Dann gebe ich dir die Aufgabe: Denke über Wege nach, wie es sich abändern ließe. Wie du deutlich machen kannst, dass du keine Marionette bist. Sondern ein selbstständiger und wertvoller Mensch, der so ist, wie er ist. Und entweder so anerkannt wird, oder - nun, dann kann man dich gern haben. Du wirst es niemals allen recht machen können. Aber du kannst dich mit dem Wissen ausstatten, dass nicht jeder dich mögen muss, dass du darauf bestehen darfst, wie du bist (solange es niemandem schadet). Welches Gewicht sollte eine Äußerung von jemand für dich haben, dem du es niemals recht machen kannst? Der dich plagt, weil er das will, und nicht, weil ausgerechnet du es bist? Was um alles in der Welt treibt dich dazu, es den Menschen recht machen zu wollen, die dir keinen Grund geben, sie zu mögen? Die keine Gründe liefern können, warum es wirklich schön (und nicht bloß nützlich) sein könnte, von ihnen gemocht zu werden. Mach dich nicht länger zum Sklaven der Leute, die dir nichts zu bedeuten haben. Diejenigen, die dich annehmen, wie du bist, müssen dein Maßstab sein. Und was du eigentlich bist - das erkennst du am ehesten, wenn du aufgibst, was man dir aufzwingt.

Du hast übrigens viel geleistet: Du hast dich in der Schule gehalten, du bringst ein Mindestmaß an Verständnis für deine Familie auf, du suchst nach der Liebe - es wirkt normal. In dir drin tobt es trotzdem. Jedoch soll das nicht verhindern, dass du dir auch mal kräftig auf die Schulter klopfst: Noch hast du dein Leben in der Hand. Noch bist du dir bewusst, dass es nicht den Tatsachen entspricht, wenn Andere sagen: "Ach, tu mal nicht so!" Das sagen sie, weil sie einfach nicht weit genug blicken können. Ob du es ihnen je klar machen kannst, weiß ich nicht. Was ich weiß, ist: Du hast dich nicht aufgegeben. Bisher jedenfalls nicht. Du weißt, dass du leidest - und dieses Leid lässt du dir nicht verbieten. Es hört sich komisch an, doch es ist schon eine große Leistung, zu wissen, dass man falsch verstanden wird - oder dass der Rest einen nicht verstehen will.

Diese Leistung hast du erbracht, und du kannst sehr stolz auf dich sein. Darauf, und auf deine Fähigkeit, dich selbst zu begreifen, dich hinein zu denken in andere Leute - selbst die, die es umgekehrt nicht tun. Deine Beharrlichkeit und deine Tapferkeit, und schließlich auch deinen Mut, dich zu öffnen. Glaubst du nicht, dass viele Jungs gern so eine Freundin hätten - die versucht, sie zu begreifen, die offen ist, die gewissenhaft ist, die sich sorgt und die Zähne zusammenbeißen kann? Die nicht nur einfach hübsch ist, sondern einen Charakter hat. Und auch wenn es einer ist, an dem man sich reiben kann - ein Charakter ist besser als keiner. Meinst du außerdem nicht, dass sich eben das auch in deinen Ämtern widerspiegelt? Und ich für meinen Teil habe lieber Menschen um mich, mit denen ich mich auseinandersetzen kann und muss, die mich in mir selbst weiterbringen, statt nur Ja zu sagen und dann zu erwarten, dass alles schon klappt. Ich habe lieber einen Freund, der bereit ist, Fehler zuzugeben, statt einen, der sie gar nicht merkt. Dann werde ich ihm auch sagen, dass es gar nicht so wild ist. Ich habe lieber eine Partnerin, die manchmal etwas schwierig ist, statt eine, von der ich nie weiß, was ich mit ihr anfangen soll - oder die viel zu beliebt ist... Und nebenbei bemerkt: Auch du bist sicher hübsch. Ob jemand still ist oder lauter, verrückt oder sanft, unbequem oder sensibel - solange es dem Wesen entspricht, solange man sich nicht verbiegt, solange wird man auch sympathisch gefunden. Das scheint dir nicht so, aus zwei Gründen: Erstens könnte es sein, dass du bisher zuviel versuchst hast, jemand anders zu sein. Es könnte aber auch sein, dass die, die dich gern kennen lernen würden, selbst noch zu sehr in ihren falschen Denkweisen haften. Und vielleicht bist du die, die den Stein erst ins Rollen bringen muss? Die zeigen muss, dass sie wer ist? Woraufhin man sagen wird: "Jetzt kann ich nicht mehr warten, sie ist einfach toll, ich muss es ihr sagen!" Weißt du, ob es so ist? Ich könnte es mir gut vorstellen. Genauso ist es in allem. Dein Umfeld greift das auf, was du bietest - und das ist entweder formbare Knetmasse, oder ein fester Edelstein. So wie du es im Grunde bist. Es gibt nur Edelsteine. Manche lassen sich vom Leben trüben und spröde machen. Aber so einer bist du nicht. Das glaube ich fest - und dasselbe wünsche ich dir.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul