Problem von Anonym - 18 Jahre

Angst, ihn zu verlieren beziehungsweise ihm irgendwann nicht mehr zu genügen...

Hallo liebes Kummerkasten-Team,

ich schreibe euch, weil ich mir momentan nicht zu helfen weiß.
Vor eineinhalb Jahren habe ich (18) einen Jungen/Mann (20) kennengelernt, und es dauerte auch nicht lange, bis ich mich in ihn verliebt habe und auch er hat sich in mich verliebt. Nun sind wir seit knapp einem Jahr ein Paar und eigentlich könnte es nicht besser laufen. Wir haben viel Spaß zusammen, lachen viel, reden über alles, haben viele Gemeinsamkeiten etc, er ist lieb, zuvorkommend, unterstützt mich wo es geht, tröstet mich wenn es mir schlecht geht und umgekehrt genauso, bei ihm kann ich einfach ich selbst sein und er ist der Erste, den ich wirklich richtig liebe.
Nun ist es aber leider so, dass ich unter starken Verlustängsten leide, welche ihren Ursprung vermutlich in meiner Kindheit finden. Zusätzlich bin ich auch nicht sehr selbstbewusst, was das ganze noch bestärkt. Dadurch habe ich eigentlich fast täglich Ängste, dass ich meinem Freund vielleicht bald nicht mehr genüge oder er das Interesse an mir verliert und mich verlässt, auch kann ich es schwer nachvollziehen wieso er "ausgerechnet in mich verliebt ist".
Vor mir hatte er bereits ein paar Beziehungen und seine Ex-Freundinnen waren allesamt sehr hübsche Frauen, was mich natürlich noch mehr zweifeln lässt, dementsprechend bin ich auch leider sehr eifersüchtig und male mir die schlimmsten Sachen aus, wenn er mit seinen Kumpels unterwegs ist, obwohl ich ihm eigentlich vertraue!
Ich habe mit ihm bereits darüber geredet, mehrere Male, und er versichert mir jedes mal, dass er mich liebt und ich die Erste bin, mit der er sich vorstellen könnte, alt zu werden. Auch dass er mit mir zieht, wenn ich bald weiter weg studiere, bestätigt dies ja im Grunde.
Ich war auch ein paar Mal bei einer Psychologin, schon bevor ich mit meinem Freund zusammengekommen bin, aber ich konnte mich ihr gegenüber einfach nicht richtig öffnen, was letztendlich also nichts gebracht hat.
Diese Angst und die Zweifel machen mich fertig.
Ich will ihm vertrauen und ich will die Zeit mit ihm genießen, ohne ständig von Zweifeln geplagt zu werden.
Habt ihr vielleicht Ratschläge für mich, wie ich eventuell besser damit umgehen kann oder ähnliches?

Liebe Grüße und Danke im vorraus.

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

frage dich: Warum solltest du ihm nicht mehr genügen? Was sollte ihn dazu bringen, dich fallen zu lassen?

Du hast beschrieben, dass ihr eine sehr tolle und angenehme Beziehung führt. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass er demnächst eine andere junge Frau trifft, die ihn so in den Bann zieht, so Besitz von ihm ergreift, so seinen Verstand ausschalten kann, dass er all das wegwirft: Eure schöne Zweisamkeit, euer Vertrauen, eure gemeinsamen Zukunftspläne und -wünsche. Was bedeutet eine noch so hübsche Frau im Vergleich zu dem, was du ihm bietest, was er sich mit dir wünscht? Er kennt sie nicht. Sie mag faszinierend sein, aber weiß er im Zweifelsfall, was unter der schönen Schale liegt? Und wer hat überhaupt behauptet, dass du nicht so hübsch wärst wie seine Ex-Freundinnen?

Worst case: Es passiert, er trennt sich von dir, weil er auf einmal meint, sein "soul mate" getroffen zu haben. (Alles deutet jedoch darauf hin, dass gerade DU das für ihn bist!) Dann wirst du es nicht verhindern können. Du kannst es nie wissen. Es gibt keine absolute Sicherheit. Was es aber gibt, ist die Möglichkeit, dein Selbstbewusstsein zu stärken. Und dafür solltest du dir zunächst einmal klar machen, dass es nichts gibt, wofür er eine andere Frau dir vorziehen müsste. Schon gar nicht das Aussehen. Wann hast du zum letzten Mal mit deinem Freund darüber gesprochen, warum er dich liebt? Was ihn sofort an dir begeistert hat, als ihr euch kennen lerntet? Welche Dinge an deinem Äußeren ihn immer wieder aufs Neue verrückt machen? Ich bin sicher, er wird Antworten auf diese Fragen haben, die dich verblüffen. Und die dir zeigen können, wie toll du eigentlich bist. Ob er, aus welchen Gründen auch immer, irgendwann jemanden trifft, der vermeintlich toller ist, dagegen gibt es keinen zuverlässigen Schutz. Eine gewisse Grundvorsicht ist ja auch keineswegs falsch. Jedoch wirst du damit die Ereignisse nicht aufhalten. Das hast du ja bereits erkannt. Die Kunst ist jetzt, an den Punkt zu kommen, wo du dir sagst: Wen sollte er denn Anderes lieben - außer mir?

Mürbe und verzweifelt kannst du immer noch sein, wenn (falls!) er sich jemals von dir trennt. Jetzt aber hast du einen Freund, der dich aufrichtig liebt und begeistert, dem du vertraust, mit dem du lachen und traurig sein kannst - der sich vorstellen kann, sein Leben mit dir zu verbringen. Wenn es überhaupt eine Gefahr gibt, die das zerstören kann, dann dass du es nicht mehr schätzen kannst. Aber es nützt dir ja auch nichts, dir immer wieder zu sagen, wie toll du bist - wenn du eben nicht weißt, wem er unterwegs so alles begegnet. Deshalb: Spiele doch mal in Gedanken durch, was du tun würdest, wenn dein Freund dir einen Seitensprung beichten würde. Oder wenn du merken würdest, wie eine Andere ihn heftigst zuflirtet. Würdest du dann in Schmerz versinken? Oder fuchsteufelswild werden? Oder könntest du es mit deinem Freund besprechen, ihm vielleicht verzeihen? Und glaubst du nicht, wenn er dich wirklich liebt, würde er das umso mehr belohnen? Ein Knacks in eurer Liebe wäre noch nicht ihr Ende. Noch lange nicht. Es könnte sogar der Auftakt zu neuer Wärme und Nähe sein. Jedenfalls dann, wenn du es (im Falle eines Falles) nichts als das Ende siehst, sondern als den Moment, in dem es stark zu sein und zu kämpfen gilt.

Du wirst deine Angst nur besiegen können, wenn du ihr nicht mehr erlaubst, dich zu überwältigen. Das sagt sich so leicht, ich weiß. Aber so heftige und unangenehme Gefühle wie Angst, Trauer, Wut und Hass kommen immer wieder, sie lassen sich nicht ganz aus dem Leben verbannen. Man tut sich aber leichter mit ihnen, wenn man mit ihnen rechnet. Wenn man die Angst nicht als entsetzliche Gefahr sieht, sondern als etwas, das irgendwo auch natürlich und gesund ist, in jedem Fall aber ein Fingerzeig: Du weißt, was du an deinem Freund hast, und du willst ihn nicht verlieren. Sag daher zu deiner Angst: "Ich kenne dich. Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt. Aber ich liebe diesen Mann und ich will ihn, und ich werde um ihn kämpfen, was auch passiert." Der griechische Philosoph Diogenes beschrieb das so: "Ich habe meinem Gefühl einen Namen gegeben, und ich rufe es "Hund!" " Verstehst du? Deine Angst ist eklig, aber sie sagt dir auch, dass du etwas Kostbares besitzt. Ob du es behalten kannst, hängt nicht von irgendeiner Diskobekanntschaft deines Partners ab, sondern vor allem davon, ob du diese als Gefahr betrachtest. Ist sie das? Oder gibt es nicht eigentlich keinen Beweis, was sie dir überlegen machen sollte? Wie schon gesagt, frag deinen Freund! Er wird wissen, dass du nicht auszustechen bist, und warum.

Mach dir überdies klar: Die Quelle deiner Angst existiert längst. Zwar hat dein Freund keine Affäre, aber sicherlich gibt es Mädchen, die ihn in ihre Träume aufgenommen haben. Die sich vorstellen könnten, mit ihm zusammen zu sein, und sich vielleicht immer auch mal Hoffnungen machen. Und die ihr Glück auch versuchen. Danach musst du deinen Freund nicht fragen. Er hat es möglicherweise auch gar nicht gemerkt, trotzdem wird es so sein. Denn dass dein Freund der Tollste ist, das weißt du ja selbst am Besten, oder? Es ist schon richtig, dich zu fragen: Warum sollten Andere anders denken? Sie tun es auch nicht! Er ist begehrt! Aber du bist halt nicht zu toppen! Und wer garantiert dir denn, dass nicht morgen ein faszinierender junger Mann in dein Leben tritt, der dich ganz aus dem Konzept bringt? Nehmen wir mal an, das geschieht. Machst du dann etwa Schluss mit deinem Freund? Sicher nicht. Und so ist es andersrum auch bei ihm. Er hat dir sehr ernsthaft gesagt, was du ihm bedeutest, und das weist auch auf seine Reife und sein Verantwortungsbewusstsein hin.

Einen entscheidenden Faktor gibt es nämlich, den das Gefühl der Eifersucht ausklammert, von dem es will, dass wir ihn vergessen: Die Vernunft. Wenn der Partner ernstlich so schwach ist, etwas wie das, was ihr beide habt, für etwas Schillerndes, aber viel Unsichereres wegzuwerfen, dann muss er vorher gelogen haben. Eine Liebe, wie ihr sie aktuell habt, schließt so einen Fall eigentlich aus. So wie du es schilderst, kann ich dir als Mann sagen, dein Freund ist gewiss glücklich mit dir und liebt dich. Wäre das schon länger nicht mehr der Fall, gut, dann könnte eine Gefahr bestehen. Das tut sie aber nicht, solange es ihn bei dem Gedanken schüttelt, dich zu verlieren. Und genau so sieht's nämlich aus. Du bist sein Goldstück, und kein abgegriffenes Stück Messing. Er liebt dich, und weil er dich liebt, wird er dich nicht aufgeben. Sollte das je passieren, dann ist die andere Frau nicht der Grund, sondern nur das Ende vom Lied. Die Gründe lägen dann früher. Bei euch gibt es keine - weil du eben nicht "weniger hübsch" bist. Weil "hübsch sein" (in den Augen der Gesellschaft) nicht automatisch "zum Verlieben" heißt. Im Gegenteil. Selbst wenn du nicht hübsch wärst (aber es gibt keine hässlichen Frauen), wärst du immer noch etwas viel Besseres: Eine zum Verlieben. Know the difference.

Du bleibst nie ganz die, die du jetzt bist. Er aber auch nicht. Auch er verändert sich. Sollte es daher jemals geschehen, dass er dich nicht mehr liebt, dann heißt das nicht, dass du generell ungenügend und unausstehlich wärst. Ihr wärt dann ein Stück eures Weges zusammen gegangen, aber hättet euch auseinander entwickelt. Das ist dann gar keine Wertung, sondern einfach eine Feststellung, die für dich bedeutet, du wärst noch immer eine tolle Partnerin - nur halt nicht mehr für ihn. Allerdings ist Veränderung ein Prozess, der sich nicht aufhalten lässt. Und wenn ihr in zusammen angeht, werdet ihr euch quasi immer wieder neu ineinander verlieben. Das gibt es nämlich auch. Und wenn du das Leben mit vollen Händen umarmst, dann wirst du ihm auch immer genügen. Wenn er doch irgendwann nicht mehr mit dir zusammen sein möchte, dann bedeutet es nicht, dass du "nicht genügst". Das hieße dann: Er ist toller denn je, ich bin schlecht. So sieht die Wirklichkeit nichts aus. Sie ließe sich eher beschreiben: "Wir waren ähnlich, jetzt sind wir anders geworden. Zu anders." Und anders heißt weder schlecht noch ungenügend, niemals. So wenig wie du es jetzt bist, in keinster Weise - und für deinen Freund schon gar nicht.

Liebe Grüße und alles Gute euch beiden,

Paul