Problem von Anonym - 14 Jahre

Ich hasse mein Leben ich will sterben...

Hallo liebes KuKa Team,
dies ist nun schon mein 4 Anlauf und ich hoffe das ich wenigstens jetzt mal Hilfe bekomme :(
Nun zu meinem eigentlichen Problem: ich bin schon ca seit dem 10 Lebensjahr suizidgefährdet (also seit 4 Jahren) und ritze mich deswegen auch. Ich komme einfach nicht mehr mit meinem Leben klar, mir wird alles zu viel und es gibt für mich wirklich nichts erfreuliches mehr, bzw. nichts mehr für das es sich lohnt zu leben... Ich habe auch aufrgrund meines Aspergers und meinen Depressionen keine Freunde, ich fühle mich von allen gehasst, ungeliebt, ausgeschlossen und minderwertig aber ich habe selbst ein Problem mit anderen Menschen... Es ist einfach so das ich ALLE Menschen hasse!! Alle! Ich komme nicht mit ihnen klar, knüpfe keine Kontakte, meide es mit ihnen irgendwas zu tun zu haben und gehe immer auf abstand. Ich habe mit meiner Klasse und mit meinen Parallelklassen und überhaupt mit so ziemlich jedem ein Problem... :( schön wenn ich angeguckt werde könnt ich so ausrasten, bei mir ist das immer so eine gewisse Abneigung und ich werde total aggressiv wenn Menschen in meiner Nähe sind...über mich lästern und lachen alle und keiner will was mir mir zu tun haben. Ich hasse es so und ich finde ich passe einfach nicht ins Bild... Zudem habe ich oft totale Wutanfälle in denen ich Sachen zerstöre und auch meine Hasen und Eltern schlage. Danach gehe ich ins Zimmer und ritze mich und ich habe meiner Mama auch eigentlich versprochen das ich es nicht mehr mache aber ich tu es immer wieder :( :( :( wie soll ich nur ohne Hilfe davon los kommen. Auch ein großes Problem von mir ist das ich dauernd nur lüge, lüge, lüge und lüge und gar nicht mehr ohne das kann. Ich habe überall erzählt ich hätte Lungenkrebs und würde schon seit ich 10 bin rauchen... Außerdem hab ich von meinen Mitschülen pornografische Comics gemalt um besser dazustehen... Ich hab gesagt ich hätte schon mal Sex gehabt und habe einen aggressiven bluthusten vorgetäuscht und ich denke das all die Lügen die ich erzähle in meiner Welt jedenfalls wirklich existieren... Das ist sehr schwer zu verstehen aber ich denke oft das meine Lügen wahr sind, ich bekomme gar nicht mehr mit ob ich eigentlich Wahrheit oder Lüge erzähle weil für mich die Lügen eben der Wahrheit entsprechen :( das klingt doof aber für mich ist das auch nicht toll das ich jeden Tag lüge, ich denke ich komme nur mit Unwahrheiten weiter... Ich hasse mich so sehr dafür!! Ich lüge meine Eltern, meine Lehrer, meine Mitschüler und alle anderen Leute an und ich weiß auch dass das nich richtig ist aber weil mir das wahre Leben nicht gefällt denke ich mir so eine lügenwelt und suche Zuflucht in der Welt der Toten, da ich in der Lage bin mit Geistern zu sprechen und sie wahrzunehmen... Viele aus meiner Familie sind dort aber meine Mama will nicht das ich soetwas mache weil es mich psychisch total kaputt macht. Ich schlafe und träume sehr schlecht, ich weiß einfach nicht mehr weiter ich will einfach nur noch sterben!!!! Ich komme mit nichts mehr klar... Ich will einfach nur noch raus aus meinem Körper, aus meinem Leben, aus dieser Welt... Ich meine das toternst und alle die sagen das ist nur um Aufmerksamkeit zu bekommen die wissen gar nicht wie schlimm die Lage für mich ist. Ich halte das nicht mehr aus und will einfach nur noch sterben, Ritzen alleine reicht mir nicht mehr... Leider ist keiner da mit dem ich reden kann, niemand, ich bin völlig alleine was das angeht... Ich kann auch mit meinen Eltern nicht reden sie würden es nie verstehen und würden mich sofort wieder in der psychatrie einweisen lassen :( mit den Lehrern kann ich erst recht nicht reden die wollen mich von der Schule haben und sagen ich schaffe nicht und außerdem hab ich schon richtig viel Mist gebaut was die Schule betrifft... Was soll ich nur tun ich brauche wirklich Hilfe sonst bring ich mich um!

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

du hast wirklich eine Antwort verdient, und ich möchte dich um Entschuldigung dafür bitten, dass du bisher zu kurz kamst und auch jetzt länger warten musstest. Ich hoffe, dir vielleicht ein paar Gedanken mitgeben zu können, die für dich hilfreich sind.

Mein erster Eindruck deines Textes ist der: Du bist in Gegensätzen gefangen. Du verspürst eine heftige Abneigung, Menschen in deiner Nähe zu haben, auf der anderen Seite möchtest du gern gefallen, dich in Szene setzen; aus diesem Grund hast du die vielen Geschichten erfunden, von denen die meisten wahrscheinlich wissen oder zumindest ahnen, dass sie so nicht wahr sind. Das macht natürlich deinen Standpunkt bei ihnen nicht besser. Du wünschst dir Hilfe, jemanden zum Reden, aber schaffst es nicht zuzulassen, dass jemand sich dir nähert. Du hast keine Freude an deinem Leben, lehnst die Welt ab, möchtest sie verlassen - andererseits zeigst du ein großes Gespür dafür, was dir gut tut und was nicht, und wünschst dir Ansprache und Verständnis.

Ich hoffe, dass ich dich mit all dem richtig verstanden habe. Es ist recht kompliziert, aber ein großes Glück sehe ich: Du erkennst selbst, worin das Problem besteht, und weißt im Grunde, was sich ändern muss, was eintreten muss, damit es sich bessert. Darüber hinaus bist du bereit, auch deine Fehler gegenüber Anderen zuzugeben. Man kann also sagen, dass du reflektiert bist und über dein Handeln nachdenkst, dass du auch bei dir selbst ansetzt. Das stimmt mich hoffnungsvoll, dass deine Probleme sich lösen lassen. Wichtig ist aber, dass du weißt: Es muss von dir ausgehen. Du musst es wollen, musst es mittragen. Es wird sich nichts bessern, wenn du nicht entschieden hast, ob das Leben oder der Tod dir wichtiger sind. Ich bitte dich deshalb: Entscheide dich für das Leben. Denn du bist noch jung, und dein Text verrät eine feinfühlige Person mit einer großen Tiefe ihrer Gedanken, um die es unfassbar traurig wäre, würde sie so jung sterben. Das bist du.

Das Schwindeln und die erfundenen Geschichten sind der Anfang. Überleg dir einmal genau: Was erhoffst du dir davon - oder hast dir erhofft - wenn du Sachen erzählst, die nicht wahr sind? Aufmerksamkeit? Respekt? Vielleicht war es auch eine Art, dich zu verteidigen? Wenn du wirklich so krasse Geschichten erzählt hast, wie du sagtest, dann wird das nicht unbedingt zu deiner Beliebtheit beigetragen haben, sondern man wird dir eher mit leichtem Schaudern begegnet sein. War das dein Ziel? War es das, was du mit "besser dastehen" meintest? Besser dastehen, im Sinne von "einen Ruf haben, eine feste Position, wenn es auch nicht die beste ist; unnahbar sein, Ehrfurcht bekommen? Das ist dir vielleicht zum Teil gelungen. Als es dann überhand nahm, haben die Anderen sicher bemerkt, dass es unwahr ist. Und zweitens trat das Problem auf, dass man nicht mehr wusste, was man dir jetzt eigentlich glauben kann. Das ist vielleicht auch jetzt noch teilweise der Fall.

Eine der ersten Entscheidungen, die du also treffen musst, ist die, konsequent nicht mehr zu lügen. Wenn es für dich ein Zwang ist, dann versuche wenigstens, es bei kleinen Schwindeleien zu belassen, und nicht mehr so heftige Stories zu ersinnen. Denn dann merkt man das nicht nur sofort, sondern hört dir auch kaum mehr zu. Es ist auch gar nicht notwendig, dass du deinen Schritt groß ankündigst. Wenn deine Sprache sich mäßigt, deine Sätze nicht mehr so wild und furchterregend daher kommen, dann wird das auffallen. Du musst es aber auch tun. Ansonsten wird jeder, ob Mitschüler, Eltern oder Therapeuten, dir früher oder später etwas unterstellen, das dir nicht recht ist. Wenn sie nicht mehr darauf vertrauen können, dass deine Erzählungen stimmen, dann werden sie anfangen, Sätze für falsch zu halten, die wahr sind, und umgekehrt; werden beginnen, Dinge über deinen Kopf hinweg zu entscheiden, weil sie glauben, dass es nichts nützt, dich nach deiner Meinung zu fragen. Daher kann ich dich nur beschwören: Ehrlichkeit macht das Leben leichter. Gegen kleine Notlügen und bisweilen größere, die man macht, um Probleme abzuwenden, und die ohne Folgen bleiben, gegen sowas ist nichts einzuwenden. Sobald man aber anfängt, sein Leben auf Lügen aufzubauen, wird man irgendwann nicht mehr für voll genommen. Und das ist es doch, was du gern verhindern, was du stoppen möchtest, oder? Beginne darum rasch damit, und zwar im Stillen, ohne es groß auszurufen. Dass du stiller wirst, gemessener, abgeklärter, macht sich dann schon bemerkbar. Und man wird sich nicht mehr sagen: "Ach die, lasst die, bei der ist eh nichts wahr!", sondern sich überlegen: "Hm... sie scheint sich etwas beruhigt zu haben. Was ist denn bei der eigentlich los? Kann ich das irgendwie erfahren?" So viele junge Leute verbreiten soviel Mist und erzählen das Blaue vom Himmel herunter, da bist du kein schwarzes Schaf, das sich in Grund und Boden schämen müsste. Aber trotzdem solltest du dich am Riemen reißen, und, wo immer möglich, bei der Wahrheit bleiben.

Als einen Grund für die Lügen hast du auch genannt, dass das wahre Leben dir nicht gefällt. Gegenfrage: Weißt du denn so genau, was das wahre Leben ist? Oder bildet die "Lügenwelt" nicht in Wahrheit einen Schutzmantel, um die Realität gar nicht wahrnehmen zu müssen? Ist es wirklich so, dass du die Wirklichkeit kennst? Oder hast du dich schon beim ersten Kontakt erschrocken abgewandt, und weißt vielleicht gar nicht, ob sie mittlerweile anders ist? Ob sie immer viel größer und vielfältiger war, als es dir vorkam? Und wie ist das mit der Welt der Toten: Haben nicht auch die mal gelebt? Nährt nicht die jenseitige Welt sich aus dem, was in der diesseitigen vorgefallen ist? Ist die Welt der Toten - was immer du genau meinst, wie immer du dorthin gelangst - nicht ein Abbild, der Wirklichkeit, die vergangen ist? Weil sie sich gewandelt hat zur heutigen Wirklichkeit? Und ändert sich diese Wirklichkeit überhaupt - oder wechseln nur die Menschen, die mit den immer gleichen Herausforderungen, den gleichen Ängsten, Träumen und Wünschen durchs Leben spazieren?

Unser ganzes Leben ist nur ein Spaziergang durch ein ewiges Heute. Auch mein verstorbener Opa war einmal jung wie ich, hat sich die gleichen Fragen gestellt, hat Zweifel empfunden wie ich, Wünsche gehabt, die nicht in Erfüllung gingen, hat für die Verwirklichung seiner Pläne gearbeitet - und war erfolgreich, oder ist gescheitert. Da wo er jetzt ist, wird er sich vermutlich Gedanken machen, ob er aus dem wertvollsten, was er besaß - seinem Leben! - das Beste gemacht hat. Dein Leben ist ein großes Geschenk, und wenn du dir klar machst, dass es nie ganz sinnlos ist, nie alle Hoffnung vorbei, niemals kein Ausweg vorhanden ist - Gott sei Dank auch, weil wir mit unserer Geburt in diesem Land großes Glück hatten -: Wenn dir das bewusst wird, dann kann sich etwas verbessern. Denn im Leben gilt es nicht, dies und das und jenes nach Plan und Lehrbuch abgehakt zu haben: Schule, Job, Familie, Haus, Boot, und so weiter. Du hast die Freiheit, im Leben verschiedene Wege zu gehen - und wie sich zeigt, sorgt gerade das oft für Schmerzen. Das Leben ist kein vorgezeichneter Pfad, sondern ein Irrgarten, wenn du so willst. Aber einer, in dem man fröhlich wandern kann, wenn man sieht, dass überall die Zweige so herrlich grün, die Vögel so niedlich, und die Menschen am Wegrand oft auch freundlich sind. Nicht immer. Aber man darf sich nicht täuschen: Es gibt sie. Die Kunst ist, unter dem Wust an Hässlichkeit und Trauer, Schmerz und Tod und Hass und Brutalität das Herrliche und Schöne heraus zu filtern. Was dich betrifft, sehe ich zum Beispiel eine junge Frau mit sehr starken Emotionen, einem großen Bewusstsein ihrer selbst, einer Bereitschaft zur Selbstkritik, sensibel und doch mutig, die also ein großes Potenzial in sich birgt - leider versteckt unter eine Vielzahl unglücklicher Fügungen. Also solltest du Schritt für Schritt daran gehen, die Folgen dieser Fügungen zu bereinigen.

Ich möchte dir auch raten, ob du nicht (noch einmal) über einen Aufenthalt in einer Klinik nachdenkst. Es mag sein, dass du unangenehme Erfahrungen dort gemacht hast. Aber das wäre etwas, worüber du mit deinen Eltern sprechen könntest, da sie sicher erleichtert wären, wenn du dich offen für Hilfe zeigst. Du hast selbst bemerkt, das deine Probleme dich nicht nur ersticken, sondern dass du auch einen Ansprechpartner vermisst, der dir wirklich helfen kann. Im Rahmen einer Therapie könntest du einen oder eine finden - du kämst nicht nur mit anderen Jugendlichen zusammen, denen es womöglich ähnlich geht, sondern du wärst vor allem davor geschützt, dir etwas anzutun. Und ich sage das nicht, weil ich dir nicht vertraue, sondern weil deine Äußerungen für mich Anlass zur Sorge sind. Das Ritzen ist ein Zwang, der dich im Griff hält, und mit dem du auch nicht allein bist. Er birgt aber eine große Gefahr, und vor allem wird er deinen seelischen Schmerz zwar zeitweilig betäuben, ihn aber nicht beseitigen. Ich hoffe darum wirklich sehr, dass meine Antwort dich noch gesund erreicht.

Dass du mit den Lehrern nicht reden magst, nachdem du bisher eher unangenehm aufgefallen bist, verstehe ich gut. Jedoch würde ich nicht unbedingt so weit gehen, zu sagen, dass sie dich am liebsten von der Schule haben wollen. Ich habe mein Freiwilliges Soziales Jahr an einer Schule gemacht, und kann dir sagen, dass Lehrer oft viel mehr über ihre Schüler wissen und merken, als diese sich bewusst sind. Dass dein Lehrer dich spüren lässt, wenn du ihn nervst, wenn er sich nicht mehr zu helfen weiß, das ist das Eine; dass er aber durchaus darüber nachdenkt, was bei dir los sein könnte, wie man dir helfen könnte, das ist die andere Seite, die du nicht mitbekommst. Ich schreibe das nicht, um dich dazu zu bewegen, dich an einen Lehrer zu wenden - sondern um dir zu zeigen, dass nicht alles ist, wie es scheint. Falls es einen Schulpsychologen oder Vertrauenslehrer bei euch gibt, kannst du über diese mal nachdenken, weil sie auch vermitteln können. Vergiss nicht: Wir reden hier ja nicht von einem Streitgespräch nach irgendeinem unschönen Vorfall, sondern davon, dass du deine Probleme einräumst und um Hilfe bittest. Für deinen Lehrer, der das hört, könnte unter Umständen nichts überraschender und erfreulicher sein, als dass du es einsiehst und sich eine Gelegenheit bietet, vielleicht zum Besten aller eine Lösung zu finden.

Am Ende wird es nicht gehen, ohne dass du dich jemandem öffnest - Lehrer, Eltern, Verwandte oder Bekannte - und schließlich an jemanden kommst, der dir zuverlässig helfen kann: Eine Therapie beginnst. Und wenn es die schon gibt oder eine gab, die nicht erfolgreich war, dann sollte die Suche weitergehen. Es ist eine Tatsache, dass allein das Wort "Psychologe" auf dem Türschild noch nicht sagt, dass der Mensch dadrinnen einem helfen kann. Es muss auch auf der persönlichen Ebene passen. Aber wenn sich nicht gleich der richtige Ansatz findet, gibt es ihn sicher dennoch - irgendwo. Lass dich nicht entmutigen, sondern sei dir bewusst, dass du es wert bist, zu leben und ernst genommen zu werden. Wenn du die richtigen Schritte ergreifst, wird das jeder unterstützen. Du merkst ja selbst, dass es ohne Einsatz von deiner Seite, ohne Arbeit an dir, nicht geht. Aber ich glaube, bei dir große Einsicht und Bereitschaft dazu zu sehen. Und was sollte das Anderes heißen, als dass es wieder aufwärts gehen kann? Schöpfe Mut! Nur wenn du dir sagst, dass es weitergeht, kann es auch weitergehen. Möglicherweise braucht es eine längere Zeit, bis du dir dessen wirklich bewusst bist: Dass du weitermachen willst. Und dass das geht. Dann ist dies deine Aufgabe. Aber dich hängen zu lassen, wird nichts als Frust und Schmerz nach sich ziehen. Ich vertraue darauf, dass du die innere Stärke, die Tapferkeit und die Vernunft hast, nicht aufzugeben, sondern zu kämpfen. Sehe ich das richtig? Ja? Dann wünsche ich dir von Herzen, dass die großartige Persönlichkeit, die du darstellst, sich erwerben kann, was sie verdient: Ein fröhliches und selbstbestimmtes Leben, in dem sie Anerkennung findet. Bei anderen Leuten - vor allem aber bei sich selber. Und letzteres kann sie, von sich, schon jetzt haben. Wenn sie mir glaubt - und wenn sie selbst es wünscht.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul