Problem von Laura - 16 Jahre

Bin ich magersüchtig?

Wie der Titel schon sagt, befürchte ich, an einer Essstörung zu leiden. Ich bin 1,57m klein und wiege dabei ca. 49kg. Ein ganz normales Gewicht also. Wenn ich mir aber anschaue wie mein Essverhalten aussieht, weiß ich nicht, ob es wirklich so 'normal' ist. Es fing vor ca 5 Monaten an. Damals habe ich ca. 62kg gewogen. Ich wollte einige Kilo abnehmen und hab deshalb mit diner Diät angefangen. Irgendwann fing das Ganze an außer Kontrolle zu geraten. Ich fing an meine Kalorienzufuhr zu senken. Zuerst 900kcal, dann 500kcal. Mitlerweile liegt mein Limit bei 300kcal. In den letzten Tagen hatte ich aber öfter unkontrolierte 'Fressanfälle', ich stopfte Essen in mich hinein ohne überhaupt darauf zu achten was es ist. Während diesen Tagen ist mein Gewicht auf 53kg gestiegen. Mittlerweile bin ich auch wieder dabei diese Kilo loszuwerden...
Jedes Mal wenn ich esse fühl ich mich sehr schlecht. Vorallem die letzten Tage an denen ich ja so viel gegessen habe waren sehr schlimm. Ich hatte danach starke Depressionen, hab fast die ganzen Nächte durchgeweint und an paar der Tage habe ich mich auch geritzt. Ich ertrage es nicht, dass ich so die Kontrolle verlieren konnte und dass ich gegessen habe und vorallem, dass ich zugenommen habe. Ich habe vor einigen Tagen auch angefangen mich zu übergeben und nehme Abführmittel, in der Hoffnung wenigstens einen Teil von dem was ich in mich reingestopft habe loszuwerden...
Ich weiß nicht was ich denken soll... Ich fühle mich viel zu dick um an Magersucht zu leiden und auch diese 2 Wochen, in denen ich so viel gegessen hatte lassen mich denken, ich sei total normal? Ich hab mich zwar schlecht gefühlt, aber ich habe ja gegessen... Ich weiß wirklich nicht was ich nach der Sache noch denken soll...

Ich hoffe ihr könnt mir helfen. Mir einfach sagen, ob ich wirklich an Magersucht leiden könnte... Ich weiß, ihr seid keine Ärzte, die mir eine Diagnose stellen können, aber ich brauche einfach nur jemanden, der mir sagen kann, was mit mir los ist. Ob ich krank bin oder ob ich nur übertreibe und das Alles doch normal ist. Ich hoffe ihr werdet mit antworten

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Laura,

ich fühle mich nicht berechtigt, dir eine Antwort zu geben, ob du nun unter einer Essstörung leidest oder nicht. Nicht deshalb, weil ich kein Arzt bin - sondern weil du ja selbst schon gemerkt hast, dass da was falsch läuft. Ich möchte dir ganz offen sagen: Dein Essverhalten macht mir absolut Sorgen. Und ich möchte dir dringend empfehlen, zu überdenken, ob das der richtige Weg sein kann - wenn du dich nicht in Gefahr bringen magst.

Die Antwort auf die Frage: "Bin ich zu dick?" hängt vor allem davon ab, was man darunter versteht. Ich kenne dich nicht, habe dich noch nie gesehen, und kann daher nicht beurteilen, ob du - verglichen mit deinen Freundinnen - vielleicht etwas dicklich bist. Was ich dir aber auf jeden Fall sagen kann, ist, dass du nicht "zu dick" bist. Du bist noch immer in einem Alter, in dem man viel Energiezufuhr benötigt, noch wächst, sich vieles entwickelt. Es gibt nichts Falscheres, was man da tun kann, als bewusst zu hungern. Und verzeih mir: Ich kann mir nicht vorstellen, dass du bei 300 Kalorien am Tag gut bedient bist. Diese geringe Menge ist höchst bedenklich. Ich kann dich nur bitten, von deinen Diätversuchen abzusehen. Sie bringen dir nichts weiter ein als immer neue Unzufriedenheit und immer neue, vergebliche Anläufe - die dir letztlich nichts nützen. Denn hübsch bist du auch ohne Diät.

Das Problem, das du bei dir findest, haben viele Mädchen. Man kann es nicht oft genug sagen: Wir Menschen kommen nicht verschieden auf die Welt, um uns dann unser ganzes Leben damit zu plagen, einem bestimmten Bild ähnlich zu werden. Und Spitzensportler, Models und Filmstars sind eben nun mal kein Maßstab. Diese Menschen stehen ständig unter Strom, gehen mit ihrem Körper zum Teil in einer Besorgnis erregenden Weise um, und unterwerfen sich strikten Plänen, die von anderen Leuten überwacht werden: Trainer, Manager, Stylisten, Berater und Regisseure. Wenn eine berühmte Schauspielerin hämische Zeilen über sich in den bunten Blättern findet, entwürdigende Fotos, nur weil sie mal in der Öffentlichkeit ein Eis gegessen, oder ein etwas zu kleines Top getragen hat - was wirft das bitte für ein Licht auf unsere Gesellschaft? Wie viele von den Leuten, die dann mit ekligem Lächeln über ihren Computern und über den Zeitungsseiten hängen, könnten annähernd so diszipliniert leben und das leisten, was sie leisten? Da läuft doch irgendwas falsch. Deswegen sollten wir als "einfache" Menschen auch nicht auf diesen Zug aufspringen, denn der große Chor der Lästerer wird immer irgendwas finden, auf das er seinen Spott werfen kann. Wenn man sich selbst aber genügt, sich bewusst ist, dass man nicht perfekt sein kann - außer in den Augen der wenigen Menschen, deren Meinung wirklich zählt - dann gewinnt man eine ganz andere Lebensqualität.

Was soll dein Freund dir sagen, wenn du ihn fragst: "Meinst du, ich bin zu dick?" Soll er dir antworten: "Joa, also deine Oberschenkel sind mir viel zu propper, du könntest wirklich mal weniger essen!" Willst du das? Oder ist es dir lieber, wenn er dir sagt: "Für mich bist du richtig. Und es gibt viele andere Dinge an dir, die wunderschön sind, auch wenn du keine Modelmaße hast." Das sollte im besten Fall so sein, Laura - dass er dir das sagt. Stell dich mal vor den Spiegel. Worauf hast du bisher geachtet: Ob dein Bauch zu dick ist? Ob dein Busen sich wölbt? Ob deine Schenkel die richtige Form haben? Wie wäre es stattdessen damit, dir mal die Farbe deiner Augen zu betrachten: Haben sie ein besonders tiefes Braun? Oder kleine grüne Einsprengsel? Ist deine Nase eher spitz oder knubbelig? Hast du Sommersprossen? Weiche Lippen? Ein Muttermal im Nacken? Hast du kleine Hände? Eine außergewöhnliche Haarfarbe? Versuche doch mal, wegzukommen von den Zahlen, die die Menschen reduzieren, vereinheitlichen, entmenschlichen. Wende dich doch lieber dem zu, was dich ganz einzigartig macht. Ich habe dir eben lauter Dinge aufgezählt, auf die Jungs so achten, wenn sie auf der Suche nach einer Freundin sind. Und solche, die auch einen besten Freund oder eine beste Freundin unverwechselbar machen können. Was möchtest du: Vor der ganzen Welt mit Mühe und Not, unter Häme und Qualen, Anerkennung finden? Oder von den Menschen, die dich wirklich kennen, die dich bedingungslos lieben, geschätzt und anerkannt werden?

Wenn du das Zweite willst, Laura, dann ist das Zählen von Kalorien der falsche Weg. Wie wäre es stattdessen, wenn du dir Zeit nimmst, eine ausgewogene und ausreichend nahrhafte Mahlzeit zuzubereiten? Probierst, gut und gesund zu kochen und zu essen? Mal ein bisschen verschiedene Geschmäcker ausprobierst? Das Essen ist schon seit Urzeiten ein soziales Event, zu dem auch der Genuss gehört. Wir essen nicht nur, weil wir es halt müssen, mit schlechtem Gewissen - wir essen, weil essen was Tolles ist. Wozu gibt es sonst so viele tolle Gerichte? Sport treiben kann man immer noch, und das ist ja gar kein Fehler. Aber wenn du ständig bemüht bist, irgendwelche Limits nicht zu überschreiten, wirst du nicht entspannt sein. Niemals. Und wenn du dann feststellst, dass dir das aufs Gemüt schlägt, die "Perfektion" ausbleibt, wirst du dich bestrafen wollen und dir noch härtere Regeln aufbürden. Das kann und darf einfach nicht der Weg sein. Du gewinnst damit nichts, du setzt nur deine Gesundheit aufs Spiel - und hinderst dich daran, zu sehen, wie schön du bist.

Ich wünsche dir genau das: Dass du dich traust, dir zu sagen "Ich bin schön!" Und damit meine ich nicht, dass du dich ins Bad stellst und dir diesen Satz vorbetest, ohne daran zu glauben. Ich wünsche dir, dass du darüber nachdenken kannst, warum du DU bist, nur du, darauf kommen kannst, dass du als außergewöhnlicher Mensch nicht ohne Grund als DU auf die Welt gekommen bist. Dass es, wenn du weißt, dass du als DU durchs Leben gehst, niemand Schöneren gibt als dich. Und ich wünsche dir, dass du Menschen findest, die es dir von Angesicht zu Angesicht sagen - deutlicher, als ich es hier tun konnte.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul