Problem von Anonym - 18 Jahre

Ich weiß es nicht

Hallo.
Ich weiss nicht wirklich wie ich anfangen soll, deswegen fang ich einfach mal mit Bruchstücken von meiner Geschichte an.
Seit dem ich in die Grundschule gekommen bin wurde ich immer ausgegrenzt und hab nicht wirklich Freunde gefunden. Meine Eltern hatten auch nicht viel Zeit für mich, weil sie beide den ganzen Tag gearbeitet haben und sich sonst eher mit meinem Eltern Halbbruder beschäftigt haben, weil er von Geburt an Depressiv ist. Als ich in die vierte Klasse gekommen bin wurde er das erste mal in die Psychatrie eingeliefert. Mir hat damals niemand erzählt was los war. Er war einfach weg und trotzdem hat sich weiterhin nur alles um ihn gedreht.
Als ich dann in die weiterführende Schule gekommen bin hat das Mobbing angefangen. Meistens wurde ich beschimpft und meine Sachen in den Müll geschmissen. Dadurch hab ich eine nervöse Tickstörung und eine Sozialphbie (darauf komm ich später nochmal zurück) entwickelt.
Anfang der neunten Klasse hab ich anggefangen mich zu ritzen und hab Selbstmordgedanken entwickelt. Ich hab schnell gemerkt, dass das schlecht ist, aber ich hab es nicht von selbst geschafft davon los zukommen. Also hab ich meinen Eltern davon erzählt. Sie haben es mir nicht geglaubt. Erst zwei Monate später als die Schulpsychologin wegen mir angerufen hat, haben sie mir geglaubt und mich sofort in die Psychatrie gebracht. Dort hab ich einen Jungen kennengelernt mit dem ich heute zusammen bin. Dadurch & weil ich endlich von gleichaltrigen Akzeptiert wurde ging es mir in der Psychatrie richtig gut. Das wurde auch von den Betreuern und Ärzten bemerkt. Dementsprechend haben sie mich nicht ernst genommen und mich nach 2 Wochen nach Hause geschickt. Ich hab danach noch für ein halbes jahr täglich mehrmals geritzt. Ich bin zwar drei Monate nachdem ich entlassen wurde mit dem vorhin erwähnten Jungen zusammengekommen, aber es ist eine Fernbeziehung.
Ich hab zwar langsam damit aufgehört mich zu ritzen, hab meinen Schulabschluss gemacht und hab eine Ausbildung angefangen, aber ohne es zu merken wurde ich statt nach Ritzen nach Essen süchtig.
Es war so, dass mein Freund Magersüchtig war und er hat am Anfang nur gegessen hab wenn ich auch gegessen habe. Also hab ich gegessen. Seine Familie ernährt sich nur Fettig und mit Fertigprodukten, während meine nur Biolebensmittel ist, kaum Fleisch, viel Gemüse. Am Anfang hab ich über die Abwechslung gefreut, aber mittlerweile Essen ich das ganze Fertigzeug auch heimlich wenn meine Eltern nicht da sind.
Dazu kommt noch meine vorhin genannte "Sozialphobie" (ich weiss icht wirklich was es ist). An machen Tagen stellen andere Menschen kein Problem dar, aber manchmal (und das kommt immer öfters vor) bekomm ich Panik in der Nähe von anderen Menschen, weil ich mich beochbachtet fühle. Ich hab das Gefühl, dass ich keine Luft mehr bekommen, ich fang an zu schwitzen und will am liebsten um mich schlagen (dabei ist es auch egal, ob es eine Person ist oder eine größere Gruppe). Danach geht es mir immer Schlecht und ich hab in letzter Zeit immeröfters das Bedürfnis mich dann zu Ritzen.
Dazu kommt, dass ich es immernoch nicht schaffe Freunde zu finden auch wenn ich eigentlich welche will. Ausserdem hab ich das Gefühl, dass ich eigentlich glücklich sein müsste, weil ich es trotzdem nicht bin fühl ich mich noch schlechter. Es gibt soviele Leute denen es schlechter geht.

Liebe Grüße

Anna Anwort von Anna

Hallo Du,

vielen Dank für Dein Vertrauen und Deine ausführliche Schilderung Deiner Situation. Besonders ausschlaggebend für meine Antwort finde ich Deinen allerletzten Satz: "Es gibt soviele Leute denen es schlechter geht." Leid kann man nicht relativieren. Es fühlt sich immer furchtbar an. Es gibt vielleicht Tage und Situationen, die sich weniger schlimm anfühlen als andere Tage und Situationen, aber Du kannst Dein Leid nicht mit dem anderer Menschen vergleichen. Und genau hier liegt, glaube ich, Dein Hauptproblem - Du nimmst Deinen Schmerz und Deine schlechten Gefühle nicht erst genug. Vielleicht ernst genug, um Dich damit an uns zu wenden, aber nicht ernst genug, um den letzten Satz wegzulassen.
Als erstes solltest Du akzeptieren, dass es Dir schlecht geht und Dich damit nicht schuldig fühlen. Du bist als Schattenkind aufgewachsen, das heißt als ein Kind, dass in seiner Familie immer im Schatten eines Bruders oder einer Schwester gestanden hat, warum auch immer. In Deinem Fall lag es daran, dass Dein Bruder depressiv ist und sich Deine Eltern hauptsächlich um ihn gekümmert haben. Deine Eltern würden jetzt vielleicht sagen: "Ach was, das haben wir doch gar nicht. Sei nicht so undankbar, wir waren immer für Dich da!" Vielleicht ist das auch ein Satz, der irgendwo in Dir herumgeistert. Aber - wenn Du es so empfunden hast, dass sie nicht für Dich waren, dann waren sie auch nicht. Die Gefühle, die Du deswegen hast, sind echt, was Deine Eltern letztlich getan haben oder nicht. Du fühlst Dich so und deswegen IST es so.
Es gibt auch Schattenkinder, die im Schatten eines "glorreichen", besonders erfolgreichen Geschwisterteils aufgewachsen sind - die haben in der Jugend und im Erwachsenenalter das Problem, dass sie sich selbst immer als zu schlecht erachten, egal, wie gut ihre Leistungen auch sind - das Beste ist grade gut genug. Da Du das Schattenkind eines Kranken bist, relativierst Du Deine eigenen Probleme: "So schlecht geht es mir sicher gar nicht." oder "Ich sollte mich nicht so anstellen" usw.
Es kann sehr gut sein, dass sich dieses Denken/ Fühlen im Ritzen äußert. Da Du nun schon sehr lange ritzt und es einfach nicht besser zu werden scheint und ich Dich auch nicht gut genug kenne, um sicher zu sagen, woher das kommt, rate ich Dir dringend, einen Psychotherapeuten aufzusuchen! Eine Langzeittherapie ist eine wunderbare Methode, zu sich selbst vorzudringen und herauszufinden, wer man ist und warum man unter bestimmten Dingen so leidet.

Auch die Esssucht, die Du schilderst, kann Dir langfristig zusätzliche Probleme bescheren und sollte nicht unterschätzt werden! Symbolisch gesehen, kann man das Essen/ die Nahrungsaufnahme mit der Mutterliebe gleichsetzen. Magersüchtige haben oft unter schwerem Erwartungsdruck gelitten und hatten immer das Gefühl nicht gut genug zu sein, also verzichten sie auf diese giftige Beziehung zur Mutter, von der sie sich nie richtig geliebt gefühlt haben und verzichten so aufs Essen. Umgekehrt, also bei einer Esssucht, wäre es so, dass sich mit der vermehrten Nahrung Liebe "reingestopft" wird, die man so lange vermisst hat. Essen bereitet Glücksgefühle, es fült die innere Leere in uns, was man gerne auch wörtlich nehmen kann und "macht uns zu jemandem". Vielleicht isst man aber auch so viel, weil man das Gefühl hat, alles hinnehmen zu müssen und keine Grenzen mehr setzen zu können. Man nimmt einfach alles auf, ob es sich gut anfühlt oder nicht, denn man fühlt sich dazu verpflichtet. Aber auch hier gilt: was Deine Gründe sind, kannst nur Du selbst herausfinden und kein Psychologe, kein Therapeut und auch keine Beraterin wie ich, können Dir das sagen.

Die Sozialphobie klingt auch nach einem sehr ernsten Problem, das Du unbedingt mit psychologischer Hilfe angehen solltest. Dir fehlt das Vertrauen in andere Menschen und wenn Dir jemand zu nah kommt, bekommst Du Angst. An sich ist das ganz natürlich - vielleicht hast Du das mal in Aufzügen beobachtet, wenn die Menschen darin gezwungen sind, so nah beieinander zu stehen. Meistens gucken sie an die Decke oder auf den Boden und niemand fühlt sich so richtig wohl, dazu gezwungen zu sein, weniger als eine Armeslänge (also eine "Verteidigungslänge") bei jemand Fremden sein zu müssen. Beginnt man allerdings unter der Angst vor Anderen zu leiden, kann man den Alltag nicht mehr gut bewältigen dadurch, dann ist es an der Zeit, daran zu arbeiten, denn immerhin gibt es ja auch Menschen bei denen es sich lohnt, sie kennenzulernen und dann nah an uns zu lassen. :)

Ich hoffe wirklich, ich konnte Dir einige hilfreiche Dinge mit auf den Weg geben und habe das Gefühl, noch immer nicht genug gesagt zu haben. Bitte lass doch nochmal von Dir hören!

Liebe Grüße, Anna