Problem von Mono - 36 Jahre

Welchen Sinn hat ein Leben, das keinen Sinn mehr ergibt?

Guten Tag,

es ist das erste Mal, dass ich meine Situation in einem Forum bzw einer Webseite für Seelsorge schreibe. Zwar hatte ich schon mehrere Therapieanläufe und auch schon einen mehrwöchigen Klininkaufenthalt, der mir zeitweilig auch gut getan hat, doch nichts greift so richtig, sodass ich nicht wieder ins Leben gefunden habe.

Ich bin 36 Jahre alt,m, lebe seit 3 Monaten alleine und getrennt, bin arbeitslos - mache jedoch eine berufliche Weiterbildung, um mir auf dem Arbeitsmarkt etwas Rückenwind zu verschaffen - habe zwei kleine Kinder (vier und ein Jahr(e) alt) und leide seit 2013 an einer wiederkehrenden, sich verstärkenden Depression.

Die Beziehung ist zu einem großen Teil durch die Symptome der Depression sabotiert worden und obwohl ich genügend Fehler von meiner Seite ausgehend sehe, hege ich einen tiefen Groll gegenüber meiner Ex - nicht wegen ihrer eigenen Verfehlungen, sondern - wegen Ihres Unvermögens, die eigenen zugeben zu können, wodurch alles unverarbeitet bleibt.

Ich bin mit AD eingestellt und nehme sie täglich, ohne dass sich jedoch eine für mich merkbare Besserung einstellt. Meine negativen Gedanken bestimmen meine Tage, obwohl ich mich zeitweise durch erlernte Techniken zur Bewältigung der depressiven Symptome ablenken kann. Dies sind jedoch, wie schon geschrieben, Ablenkungen und sobald ich wieder im gewohnten Trott bin, falle ich automatisch wieder in ein Loch.

Seit geraumer Zeit habe ich Selbstmordgedanken, eigentlich seit meiner Kindheit, doch erst seit ein paar Monaten sind sie so eindringlich, dass ich schon diverse konkrete "Pläne" bereit habe.

Das einzige, das mich noch davon abhält, ist der Gedanke an meine Kinder und dass ich Ihnen das Trauma nicht zufügen will, ihren Vater durch Suizid verloren zu haben.
Doch dieses Hindernis schmilzt langsam dahin mit dem Gedanken, dass ich Ihnen in meiner Depression, meiner Launenhaftigkeit und der daraus entstehenden Unfähigkeit, ein fähiges und verlässliches Elternteil zu sein, erheblich mehr Schaden zufügen könnte als durch die ultima ratio.

Ich gebe zu, dass ich in einer Hinsicht ein Egoist bin, denn ich kann mir ein Leben ohne meine Kinder nicht mehr vorstellen. Doch zudem fürchte ich, dass ich dadurch meinen Kindern unterbewusst die Verantwortung für mein Leben auferlege. Denn kriselt es einmal in der Beziehung mit meinen Kindern, so fällt mir sogleich "der Himmel auf den Kopf" und die ganze Frage nach dem (Un-)Sinn des Lebens stellt sich mir um so stärker.

Ich bin mir der Unsinnigkeit dieser Gedanken und dieser Situation bewusst, weiß um die Schäden und die Schmerzen, die ich verursachen könnte und dennoch beherrschen sie mein Denken und meine Gefühle bestehen bloß noch aus Leid!

Ich weiß mir selbst nicht mehr zu helfen und fürchte, aus Erfahrung, dass mir auch von professioneller Seite her niemand wirklich helfen kann. Aus diesem Grund wählte ich auch den Begriff der "Ultima Ratio", da ich für mich alle mir bekannten verfügbaren Mittel und Wege probiert habe und gescheitert bin. Welchen Sinn hat denn ein Leben, das keinen Sinn mehr ergibt?

Wider aller Erwartungen schreibe ich diese Zeilen mit der Hoffnung auf ein wenig Hoffnung

Vielen Dank fürs Lesen


Mono

Anna Anwort von Anna

Lieber Mono,

vielen Dank für Dein Vertrauen, das Du uns hier entgegenbringst und vielen Dank für die ausführliche Schilderung Deiner Situation. Wenn ich Deine Zeilen lese, stimmt mich das sehr traurig und finde, dass es Dir gut gelungen ist, in Worte zu fassen, was Dich bewegt, wie es um Dich steht und welche Gefühle der Duktus in Deinem Leben geworden sind.

Ich würde Depressionen gerne einmal philosophisch aufrollen:
Der Mensch kann, wie jedes Lebewesen, nur wachsen - physisch, wie psychisch - durch zwei abwechselnde Zustände. Aufnahme und Ruhe. Wir wachsen, in dem wir die Welt um uns herum aufnehmen, körperlich durch Nahrung, geistig oder seelisch durch Wissen, Erfahrungen, zwischenmenschliche Inhalte. Doch das Aufnehmen alleine macht uns nicht größer, bringt uns nicht weiter, wenn wir das Ganze nicht auch verarbeiten. Ob es mit der Nahrung geschieht oder mit geistigen Inhalten, diese Dinge für uns positiv eingliedern und uns dadurch "erweitern", können wir nur, wenn wir sie mit persönlicher Marke durchlaufen gelassen haben. Mit der Nahrung nehmen wir das auf, was für uns förderlich ist, der Rest wird ausgeschieden. Ebenso ist es mit Ereignissen im seelischen Leben - wir gliedern das für unsere Person ein, was sinn-voll erscheint. Erleben wir etwas, das wir nicht sofort verstehen oder von dem wir nicht wissen, was wir davon halten sollen, brauchen wir erstmal eine Zeit, bis wir es genügend "verdaut" haben. Wir müssen dann mal "eine Nacht drüber schlafen" oder wir haben vielleicht auch länger "an was zu knabbern". Und hier fängt das Problem an. Was, wenn man etwas aufgenommen hat, was man einfach nicht verarbeiten kann? Was einfach zu schwer zum Verdauen ist? Oder wenn einfach viel zu viel auf einmal passiert ist, sodass wir mit der Verarbeitung und sinnvollen Eingliederung gar nicht mehr hinterher kommen?
Im Physischen werden wir dick. Wir haben mehr aufgenommen, als wir verarbeiten konnten - wir werden träge, kriegen unmittelbar danach Bauchschmerzen, schlafen schlecht und alles Weitere fühlt sich einfach nur noch anstrengend an.
Im Psychischen ist es genau so. Wir sind einfach nicht mehr "definiert", die Grenzen unserer Person sind irgendwie verschwommen, weil in uns so viele Inhalte sind, die wir noch nicht bewertet haben, die irgendwie noch nicht in das eingegliedert worden sind, was wir den Sinn unseres Lebens nennen. Und irgendwann ist dieser Verarbeitungsmechanismus dann verstopft, es fließt nicht mehr, nichts kommt mehr durch und uns geht es immer schlechter. Das nennt man dann Depression. Wie ein Teich, der mehr und mehr umkippt, weil kein Wind mehr Bewegung in das mit Blättern und Dreck verstopfte System bringt. Es ist einfach kein Sauerstoff mehr da.

Was man in so einem Fall tun kann, ist zu versuchen, das System wieder in Gang zu bringen, wieder arbeiten zu lassen, die Steine, die das Mühlrad blockieren, aufzulösen, rauszuholen und die ganze Sache wieder ins Rollen zu bringen. Welche Möglichkeiten würden Dir für eine solche Aufgabe einfallen? Wie könnte man das schaffen?
Ich denke, man sollte sich so viel wie möglich mit sich selbst auseinander setzen. Schau Dir die Steine an, die das Ganze blockieren. Guck Dir an, was Dein System zum Stillstand gebracht hat. Wenn Du es Dir angeguckt hast, weißt Du, womit Du es zu tun hast. Und wenn Du weißt, womit Du es zu tun hast, weißt Du, was Dich heilen könnte, welche Dinge es sind, die Dir fehlen und die Du nie genügend bekommen hast.
Du sagst, Du hättest schon so gut wie alles ausprobiert - nichts hätte geholfen. Ich verzichte deshalb darauf, Dir Links zu Internetseiten über Depressionen zu schicken oder Dir Selbstmord-Notfall-Nummern zu geben. Du weißt, dass Du eine Depression hast - sicherlich bist Du über das Thema schon topinformiert. Ich verzichte darauf, Dir zu sagen, wie schön das Leben ist und dass es schon kurz genug ist - ich verzichte auf leere Worte und auf Standartfloskeln. Der Schlüssel zu Deiner seelischen Gesundheit bist Du selbst. Der Zugang zu Deinem Unbewussten muss freigeschaufelt werden und das geht nicht von jetzt auf gleich. Aber es geht. Und dafür brauchst Du sehr viel Geduld. Es gibt Möglichkeiten, das Ganze zu beschleunigen. Zum Beispiel in dem Du den Stoffwechsel Deines Körpers in Bewegung bringst - wie engverstrickt Seele und Körper sind, ist eine der kniffligsten Fragen der Philosophie. Außerdem beschleunigst Du ungemein, wenn Du psychische Hilfe in Anspruch nimmst - eine Therapie ist der "Fettburner" schlechthin, der Energydrink für die Seele. Ein Klinikaufenthalt hat Dir gut getan? Dann bleib da dran, was Dir gut getan hat, denn es war dann der richtige Weg. Versuch es mit einer Therapie weiter. Kein Therapeut der Welt kann Dich heilen, er kann Dir nur einen angeleiteten Weg zu Dir selbst bereiten und dieses Selbst zu finden, das, was manche Religiöse vielleicht Gott nennen würden, ist es, was Dich heilen wird. In der Bibel heißt es doch: Und sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.
Ich will Dich natürlich nicht, auf Gefahr hin, dass Du nicht religiös bist, mit solchen Dingen nerven. ;) Nur sind Parallelen da zur Philosophie und zur Psychologie.
Du musst Dich und Dein Leben neu erfinden, wie die Hauptperson in der "Unendlichen Geschichte" endlich begreifen, dass Du die Hauptperson bist und der ganzen Welt endlich einen NEUEN NAMEN geben.

Ich wünsche Dir alles, alles Gute auf Deinem Weg und würde mich freuen, wieder von Dir zu lesen!

Anna