Problem von Tobi - 18 Jahre

Ich soll mir ne Freundin suchen..

Mir wäre es am liebsten wenn Paul mir antwortet, nur er kennt die ganze Geschichte.

Hallo,

es ist lang her seitdem ich mal dieses Problem mit diesem Muslimischen Mädchen hatte, ich hoffe du erinnerst dich noch daran. Ich kann endlich sagen darüber hinweg zu sein, auch wenn es gedauert hat. Mir ging es vor 4 Monaten schon mal so, doch dann ist sie mir auf einem Fest übern Weg gelaufen und alles kam wieder hoch, sie verhielt sich sehr komisch, wollte mich unter keinen Umständen sehen, sie hat sich sogar etwas vors Gesicht gehalten. Jetzt im nachhinein finde ich es schon witzig, sie schien es genauso zu beschäftigen wie mich.

Mir persönlich geht es jetzt eigentlich gut, ich hab vor einiger Zeit den Führerschein gemacht. Ich freue mich aber nicht darüber, was ich selbst nicht verstehen kann.
Ich hab sogar ein eigenes Auto, sogar eine neues sportliches für das ich lang gespart und hart gearbeitet habe. (OK das freut mich schon)

Mein Vater ist der festen Überzeugung dass man mit so einem Auto viele Frauen beeindrucken kann, dass kann ich aber nicht glauben, nur weils in den 70ern so war muss es heute nicht auch so sein. Ich pralle auch nicht wirklich damit rum, ich mag Typen einfach nicht die sich über ihr Auto identifizieren.
Wir leben halt in einem Land und in einer Zeit in der es Selbstverständlich ist einen Füherschein zu machen und Auto zu Fahren.

Ich komme auch sonst mit meinen Eltern und anderen Familienmitgliedern gut klar, aber mich nervt es einfach bei jeder Feier hören zu müssen ob ich denn endlich schon eine Freundin hätte und wanns den dann endlich soweit bei mir wäre.
Dann kann ich mir wieder anhören warum ich nicht diese oder jene kennlernen möchte. Es ist anscheinend zu schwer zu verstehen,
dass ich SIE selber finden will, dazu brauche ich keine Hilfe.

Auf der anderen Seite beschwert sich mein Vater, dass ich nie über persönliche Dinge mit ihm Rede. Das hat aber gute Gründe:
1. Hört er mir nie zu wenn ich etwas sagen will, 2. Ist er meistens nie da, 3. Ist er entweder zu gestresst oder zu müde oder zu betrunken wenn er dann mal da ist.

Meine Mutter dagegen nimmt die Sachen nicht so ernst, sie hat nie gesehen wie sehr mich die Sache mit dem Mädchen fertig gemacht hat, für sie hieß es immer: Er ist noch jung, alles nur Kindereien und nicht ernstzunehmen. Aber sie hört sich die Probleme wenigstens an.

Bald fliegen meine Eltern für paar Monate weg, da habe ich wenigsten bisschen Ruhe.
Ich habe da ein Mädchen gesehen, sie arbeitet in einem Geschäft in der Nähe, sie ist wunderschön, hat tolle Augen und hat einen Charakter der mir gefällt. Sie hat wohl bemerkt dass ich sie ne Zeit lang an der Kasse beobachtet habe, da hat sie mich anglächelt. ich denke oft an sie, ich will, nein ich muss unbedingt wissen wie sie heißt.

Wer weiß, vielleicht wird was daraus, auch wenn meine ersten Erfahrungen zum Thema Liebe eher unschön waren, du hast mir klar gemacht das man daraus auch Erfahrungen sammeln kann.

Ich habe dieses Jahr viele tolle Menschen kennengelernt und bin ein anderer Mensch als vorher, mal sehen was 2016 bringt.

Ich sag Danke, deine Hilfe ist ein wertvoller Beitrag mich zu einem anderen, neuen Menschen zu machen.

PaulG Anwort von PaulG

Lieber Tobi,

das ist eine freudige Überraschung, von dir zu hören! Auch, wenn du natürlich ein ernstes Anliegen hast, muss ich sagen: Ich freue mich einfach, dass sich so viel bei dir bewegt hat. Und danke dir, dass du mir für die Hilfestellung dankst. Aber ich mache das gern - und im Übrigen erfahre ich in vielen Fällen ja nicht, ob meine Ratschläge hier im Kummerkasten was gebracht haben, ob sie überhaupt verstanden worden sind, oder ob sie vielleicht weitgehend nutzlos waren. Wenn ich dir helfen konnte, heißt das vielleicht in erster Linie, dass unsere Sehweisen sich gut komplettieren. Schließlich aber: Du bist derjenige, der etwas umsetzt, der sich etwas zu Herzen nimmt, das Geschriebene in sich bewegt. Dass sich etwas ändert, ist also dein eigener Verdienst - aber ich freue mich, wenn ich Anstöße dazu geben kann.

Die Sache mit den Mädchen - da fühlt man sich schnell unter Zugzwang. Ich glaube, du hast richtig erkannt, dass, wenn du mit deinem Vater darüber sprichst, auch zwei Welten aufeinander stoßen: In seiner Jugend lief es - nicht wesentlich, aber doch teilweise - anders ab. Viel wichtiger ist jedoch: Klar, man kann Mädchen beeindrucken, indem man ein schickes Auto fährt, indem man die Muskeln spielen lässt und den Macho gibt. Das funktioniert durchaus, aber man muss auch der Typ dafür sein. Es gibt Jungs, die gehen darin auf, "auf die Jagd zu gehen", die haben kein Problem, immer wieder belächelt und abgelehnt zu werden - kein Problem, in neun von zehn Fällen einen Korb zu kriegen. Sie ziehen ihren Lebensstil durch, sind draufgängerisch - und irgendwie klappt es dann doch immer wieder. Aber um so zu sein, muss man von Grund auf gewisse Eigenschaften haben: Man muss viel Selbstbewusstsein, viel Gleichgültigkeit gegenüber Missgeschicken mitbringen; es darf einen nicht groß stören, wenn man auch mal, auf gut deutsch, zur Sau gemacht wird; man muss dahinter stehen, wenn man sich über Partys, Autos, Alkohol auslässt und sich, wie du sagst, darüber definiert. Ich will damit nicht sagen, dass Männer, die so leben, grundsätzlich oberflächlicher sind. Das wäre unwahr. Aber sie müssen die Fähigkeit einbringen, in manchen Situationen einfach mal abzuschalten, sich zu sagen: "Völlig egal, was die jetzt von mir denkt, ich probier's einfach!", und "Völlig egal, was heute Abend geht, Hauptsache es bockt!", und "Ach, die Nächste kommt bestimmt!" Ich denke, es ist nicht von der Hand zu weisen, dass solche Typen etwas mehr von sich selbst überzeugt sind, ehrgeiziger, draufgängerischer, schnelllebiger - kurz: Mehr für den Moment gemacht. Das ist okay so - man kann mit ihnen viel Spaß haben. Und irgendwann in ihrem Leben kommt oft auch der Punkt, an dem sie ruhiger und häuslicher werden. Aber es ist eben nicht jeder dazu geboren.

Du bist jemand, der sehr viel nachdenkt, der Erfahrungen intensiver bearbeitet, kritischer zu sich selbst ist, und bemüht, möglichst einen gediegenen Eindruck zu machen. Das sind sehr gute Eigenschaften, aber sie würden dich in der Macho-Welt nicht glücklich sein lassen. Daraus entstehen viel zu viele Hemmungen, viel zu viel Scham, die für die Männer, die darin aufgehen, überhaupt nicht existent sind. Und weil sie eben nicht groß darüber nachdenken, immer wieder den Angriff wagen, ist natürlich auch die Überraschung auf ihrer Seite, erscheinen sie stark und haben eine höhere "Trefferquote" bei den Frauen. Dass du nicht dazu gehörst, muss dich nicht traurig machen. Denn du möchtest ja schließlich auch eine Freundin, um mit ihr wirklich Ernst zu machen. Für dich steht nicht der Sex im Vordergrund, du möchtest etwas Sicheres, Zärtliches, Gewachsenes. Und es gibt viele Mädchen, die sich auch danach sehnen. Die Krux an der Sache ist eben, dass man mit ihnen, logisch, schwieriger zusammen findet. Oder sie zu einem. Das heißt jedoch nicht, dass es nicht passiert.

Wenn du jetzt niemanden an deiner Seite hast, heißt das noch lange nicht, dass es nicht schon morgen anders wird. Oft klingt es zynisch, das zu schreiben, aber ich bin davon überzeugt: Wenn du eine Beziehung willst, unbedingt und jetzt, dann wirst du mit großer Sicherheit nicht das finden, was du suchst. Es ist wichtiger, einfach du selbst zu sein. Und auch das präzisiere ich jetzt, weil es abgedroschen klingt: Du selbst sein, das heißt die Dinge machen, die dir wirklich gefallen. Natürlich kommt man zu nichts, wenn man nur zuhause bleibt. Aber das tust du ja nicht, also ist es auch nicht angebracht, sich Druck zu machen. Man selbst sein, das heißt, alles vermeiden, wozu man eher gedrängt wird, als dass man es selbst wünschst; alles ausklammern, was man nur wegen der Konvention tun zu müssen meint, ohne dass ein Bedürfnis dahinter steckt. Man selbst sein, das heißt, in die Filme gehen, die Partys besuchen, die man mag, wo man sich wohlfühlt, die Sachen essen, die einem schmecken, heißt, all die kleinen und kleinsten Dinge ausführen, die man sich schon so lange wünscht, und nie gewagt hat. Es heißt: Nachspüren, was man eigentlich will. Und das ist gar nicht so einfach. Fast jeder von uns hat in sich einen Haufen kleiner Sehnsüchte, kleiner Unzufriedenheiten, Sachen, die man eigentlich will, aber vor sich herschiebt, offene Gespräche, vernachlässigte Wünsche. Die Kunst ist, sie zu kennen, sie abzuarbeiten - und dabei zu bleiben. Und es können ganz banale Sachen sein: Zum Beispiel auch, mal wieder das Grab der Großeltern zu besuchen, sein Haustier zu streicheln, oder etwas mehr Ordnung im Zimmer zu halten. Man muss dahin kommen, zu sagen: "Ich lebe - im Rahmen meiner Möglichkeiten - das Leben, das ich will. Ich tue die Dinge, die mir wichtig sind." Dabei muss es einem egal sein, ob man ausgelacht, verspottet, als uncool, spießig, nervig, Spaßbremse, altmodisch, geeky bezeichnet wird - denn das sind alles äußere Meinungen. Du drehst dich selbst nicht um. Und du musst das, was in dir steckt, auch erfüllen. Alles Andere wäre künstlich und aufgesetzt, und das würde letzten Endes jeder merken, der mit dir zu tun hat. Besonders eben auch Mädchen. Eine Beziehung, wie sie dir vorschwebt, ist allermeistens das Ergebnis von zufälligen Begebenheiten. Es muss schlicht und ergreifend... passieren. Traumpartner lernt man nicht kennen, indem man es plant und sich lenken lässt, sondern indem man sich sicher wird, dass, wenn man das Leben lebt, das in einem steckt, es passieren wird.

Schwieriger gestaltet es sich da schon, die "Nachbohrungen" der Verwandtschaft bei den Familienfeiern zu ertragen, und ihnen zu begegnen. Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder, du begibst dich bewusst in die "passive" Rolle, die sie dir unterstellen, sagst ihnen demonstrativ "Weiß ich doch nicht, wann es soweit ist", und "Ich habe es jetzt wirklich oft genug gehört!" Damit bestätigst du zwar ihre Vorurteile über dich, nimmst ihnen jedoch auch die Lust zum Diskutieren. Was aber im Ganzen eher unbefriedigend sein kann, da es kein besonders gutes Licht auf dich wirft. Zumindest in ihrer Wahrnehmung. Ich denke es ist besser, wenn du, wo es irgendwie geht, schlagfertig bist und den Angriff nach vorne wagst. Wenn du gefragt wirst, warum du noch keine Freundin hast, könntest du sagen: "Tja - ich bin eben extrem wählerisch!" Und wenn - was wahrscheinlich ist - darauf der Kommentar folgt: "Ach, du strengst dich ja auch überhaupt nicht an!" (oder etwas in der Art), könntest du (zum Beispiel) erwidern: "Ich bin schon genug damit beschäftigt, auf die immer selben Nachfragen zu antworten. Ich entscheide selbst, wann und wie ich zu einer Beziehung komme, und warum nicht gerade jetzt." Sie sollen ruhig merken, dass es unschön ist, wenn sie immer nachbohren, obwohl es eigentlich nicht viel zu sagen gibt. Wenn du gefragt wirst, ob du jemand Bestimmten nicht kennen lernen magst, oder weshalb nicht, kannst du darauf sagen: "Weißt du, bisher bin ich noch nicht durch ihre Kreise gedrungen. Ist ziemlich unnahbar..." (Das wäre jetzt, wenn du die Person schon einschätzen kannst, aber nur kein Interesse hast.) Manchmal, das muss man zugeben, ist es nicht ganz einfach, bei solchen Sachen höflich zu bleiben. Sonst könntest du auch einfach sagen: "Mal schauen, ob du nächste Weihnachten einen besseren Vorschlag hast." Aber es sind ja deine Verwandten, die du im Übrigen auch gern hast. Die Vorschläge, die ich jetzt gemacht habe, sind nur Überlegungen von mir - ob du da jemanden bei der Hand hast, dem du sie ins Gesicht sagen würdest, weiß ich nicht, und möchte es daher auch nicht beanspruchen. Hier sind deine Kreativität und Schlagfertigkeit gefragt.

Wichtig ist mir, dass du verstehst, worum es mir grundsätzlich geht: Für deine Familie ist dieses Nachfragen nicht unbedingt Mittel, um dich zu ärgern (sehr wahrscheinlich sogar nicht), sondern es ist Teil eines uralten Spiels, das eben auch mit deinem unerfüllten Bedürfnis und deiner Sehnsucht spielt, weswegen es dir weh tut. Sie wissen das zwar im Grunde, sind sich aber nicht immer im Klaren, wie sehr sie dich damit in die Enge treiben.

Du hast eine außergewöhnlich tiefe Liebe zu dem muslimischen Mädchen erlebt. Ich habe dir ja einige Male dazu geschrieben, und ich denke, diese prägende Erfahrung wird dich auch noch einige Zeit begleiten. Zumal sie dir ja - leider - nicht zugetan war. Als ich dich hier im Kummerkasten kennen lernte, warst du unheimlich aufgewühlt wegen dieser jungen Frau, welche so schön wie unerreichbar für dich ist (in zweifacher Hinsicht: Ihres Glaubens wegen, und weil sie nicht dasselbe für dich empfunden hat). Das hat dich schwer getroffen, und es ist gut, dass du dir selbst die Zeit gegeben hast, es zu verarbeiten. Trotzdem kann es gut sein, dass es immer wieder hochkommt, die alten Wunden weh tun. Gesteh dir das zu - es beweist dir nur, dass du die Liebe in einer ihrer tiefsten Dimensionen erfahren hast. Viele Menschen missen das ihr ganzes Leben lang. Für dich hat es einen großen Entwicklungsschub bedeutet, das darf dich stolz machen.

Gelegentlich begegne ich dem ersten Mädchen, in die ich verliebt war - tief und unglücklich. Sie war ehrlich zu mir, sie hat es mir nie vorgeworfen, und dennoch hat es mich verstört. Es kann dir immer wieder mal passieren, dass du sie triffst. Dann solltest du dich stets erinnern: Was dir mit ihr passiert ist, was du getan und versucht hast, sollte dir nicht peinlich sein. Das ist es nicht. Du hast um sie geworben, du warst teilweise vielleicht etwas blauäugig, dir selber fremd, hast sicher auch einen gewissen Druck auf sie ausgeübt - ABER: Das gehört dazu. In einer Welt zu leben, in der es (Gott sei Dank!) die Liebe gibt, kann auch bedeuten, das manchmal ungelenke, unwillkommene Werben eines Verehrers auszuhalten, und ihm offen zu begegnen. Du hast sie ja schließlich nicht gestalkt, du wolltest sie nur glücklich machen - und du hast ihren Willen stets respektiert. In ihren Augen war das vielleicht irgendwann nervig, aber das ändert nichts daran, dass du aus Liebe gehandelt hast - und auch aus Liebe inne gehalten in deinem Werben, als klar wurde, dass es nichts wird. Auch sie kann sich da mal an ihrer eigenen Nase fassen: Sicher hat sie sich nicht immer ideal verhalten. Heute kannst du das sehen. Und an der Liebe, die du hattest, ist absolut nichts Peinliches. An der Liebe ist generell nichts Peinliches. Wo die Liebe in Wahnsinn und Verfolgungswahn ausartet, da muss man sie bremsen. Du jedoch hattest die Courage, dich beizeiten selbst zu bremsen, warst bereit, lieber selbst zu leiden, statt sie zu bedrängen.

Wenn du daran zurückdenkst, kommst du dir vielleicht lächerlich vor. Das warst du aber nicht. Du warst verliebt, du hast ihr alles geboten - dein Herz, deine Tränen, deine Zeit, deine Gesundheit. Sie wollte es oder konnte es nicht annehmen, gut. Aber deswegen kannst du ihr trotzdem - gerade deswegen kannst du ihr offen entgegen treten. Lächle, wenn du sie das nächste Mal siehst. Freundlich, wenn ihr euch seht. Grüße sie. Und wenn ihr Blick genervt oder mitleidig wird (oder sie ihn gar nicht erwidern mag!), dann lächle wieder. Diesmal aber auch mitleidig. Denn so schmerzhaft es war, mit ihr nicht zusammen sein zu können - du weißt auch nicht, ob dir vielleicht Manches erspart geblieben ist. Dieses Risiko gehört dazu, das ist klar. Aber wenn sie dich wirklich so geringschätzig behandelt, dann spricht es nicht gerade für sie. Gewiss, vielleicht hat es kulturelle Gründe, dass sie dir entfliehen möchte. Doch auch auf einer persönlichen Ebene kann das heißen, dass du ihr kaum auf Augenhöhe hättest begegnen können. Du brauchst niemanden, die verächtlich ist - und auch keine, die unterwürfig ist.

Du kennst auch deine Eltern selbst so gut, dass du sagen kannst, wo zwischen euch die Schwierigkeiten in der Kommunikation sind. Das zeichnet dich besonders aus: Du suchst immer gleich danach, die Gründe aufzudecken, warum es nicht klappt, bleibst dabei aber ohne Vorwurf, weil es dir wichtiger ist, das Problem an sich auszuräumen. Dein Vater, das weiß ich noch, scheint kein einfacher Mensch zu sein, aber du hast auch die Gründe genannt, die dazu führen. Ich glaube, ein Stück weit ist er schlicht nicht so feinfühlig, wie du es bist - und weiß oft nicht, wie er sich dir anders nähern soll. Wenn er zudem noch trinkt, wird es erstmal nicht einfacher werden, ihn bei diesem Thema zum Umdenken zu bewegen. Die Frage ist aber, ob du das eigentlich willst. Im Endeffekt will er dir ja nur gut, wenn er dich zu diesem und jenem auffordert. Du kannst versuchen, ihm das zu vermitteln, was du hier so treffend gesagt hast. Es ist aber fraglich, ob du damit etwas erreichst. Du hast schon einmal geschrieben, dass dein Vater in keiner einfachen Situation ist - und es ist wohl besser, wenn du das erst einmal respektierst, und dich im Übrigen nicht beirren lässt. Du schaffst dir nur zusätzlich Druck, wenn du einerseits klar weißt, wo deine Eltern Schwierigkeiten haben, deinen Standpunkt zu begreifen, und andererseits trotzdem ihnen entgegen kommen möchtest. Ihre Ratschläge passen so für dich nicht, dann soll es so sein.

Die größere Herausforderung für dich ist, den Frieden zu erhalten. Wenn deine Mutter dich in deinen Gefühlen nicht so ernst nimmt, dann möglicherweise auch deshalb, weil sie schwer anerkennen kann, wie ein Mädchen, mit dem du im eigentlichen Sinne keine Beziehung hattest, dich so aus dem Konzept bringen konnte. Vielleicht hat sie selbst nie so etwas erlebt - vielleicht nimmt sie diese Haltung aber auch ein, um dich zu schützen, weil dein Zustand ihr Sorgen macht, und sie dich zum Handeln bewegen will. Du kannst deinen Eltern am ehesten gefallen, wenn du versuchst, ausgeglichen zu sein, Streit vermeidest, und dich in allen sonstigen Belangen - Schule, Ausbildung, Freunde und Freizeit - anstrengst und ins Zeug legst. Was deine Eltern so denken, wirst du schwer ändern können - es muss auch bei ihnen selbst langsam reifen, dass sie dir so nicht beikommen können. Und das nimmt wahrscheinlich noch etwas Zeit in Anspruch. Gut ist aber, dass du sie nicht mit totaler Ablehnung strafst - so würdest du nichts erreichen. Bleibe trotzdem auf deinem Standpunkt, lass dich nicht beirren, aber bemühe dich, Konflikte nicht durch Aufbrausen und unüberlegte Sätze eskalieren zu lassen. Eigentlich sind deine Eltern in mancher Hinsicht genauso hilfsbedürftig wie du - und du kannst etwas dazu beitragen, es ihnen zu erleichtern. Nur weil es deine Eltern sind, wissen sie eben nicht alles am besten, was du brauchst und gut für dich ist; ihre Liebe trübt auch ihre Sicht. Sieh es so, dass du ihnen Hilfestellung gibst, wenn du es ihnen derzeit noch erlaubst, in ihrer etwas engstirnigen Sicht zu verharren - und setze deine Kräfte indessen ein, um dein Leben in die Hand zu nehmen. Deine Eltern werden früher oder später sehen, dass sie nicht mit allem Recht hatten; und es wird auch der Zeitpunkt kommen, an dem du mit ihnen darüber reden kannst, wenn sie so sind, wie mein Eindruck von ihnen ist.

Ich wünsche dir, dass auch das kommende Jahr 2016 für dich so gewinnbringend wird, wie das vergehende Jahr es war - und dass du 2016 noch mehr in dem Bewusstsein wirst beschließen können, dass du auch auf dich stolz sein darfst. Es ist eine Sache, Ratschläge zu brauchen - und eine andere, seine Probleme zu äußern, um Hilfe zu bitten; es ist eine Sache, Rat zu bekommen - und eine andere, ihn in die Tat umzusetzen, und zwar so, dass man tatsächlich davon profitiert. Das hast du alles getan, klopf dir auf die Schulter, halte das Kinn hoch - und freue dich auf die Zukunft. Ich glaube, du wirst sie zum Besten gestalten.

Liebe Grüße und Guten Rutsch,

Paul