Problem von Jovana - 20 Jahre

Suizidgedanken, Depressionen(?)

hallo :)
Ich weiss echt nicht zu wem ich sonst gehen soll,also habe ich mich dazu entschieden, mich an euch zu wenden.
Es klingt wahrscheinlich sehr dumm und sinnlos und ich weiss ihr habt bestimmt besseres zu tun und Leute mit echten Problemen, dir wirklich eure Hilfe benötigen doch ich weiss nicht mehr was ich tun soll und ich habe mich deshalb dazu entschieden mir bei jemandem Hilfe zu holen.
Ich weiss selber nicht was wirklich los ist.
Ich hatte schon immer Suizidgedanken doch in den letzten 2-3 Monaten ging es mir immer schlimmer.
Ich weiss nicht ob ich Depressionen habe und was mit mir los ist und was ich dagegen tun kann. Ich sehe es auch nicht wirklich ein weiterzuleben, der einzige Grund wieso ich noch lebe sind meine Mitmenschen, deren Leben ich durch einen Selbstmord stark beeinflussen würde.
Ich weiss nicht wie oder ob ihr mir helfen könnt doch ich hoffe dass es einen Versuch wert war.
Danke fürs durchlesen

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Jovana,

ich danke dir, dass du dich an uns gewandt hast. Es ist auch in Ordnung, wenn du sagst, dass du dich im Moment selbst nicht ganz verstehst. Du hast deiner Ratlosigkeit und deinem Gefühl der Verlorenheit Ausdruck verliehen - das ist ein wichtiger Schritt, um dem abzuhelfen. Du kannst nicht von dir erwarten, im selben Augenblick, in dem du uns über dein Problem berichtest, auch gleich die Gründe vollständig antizipiert zu haben; dann könntest du dir auch gleich selbst antworten. Aber dafür bin ich hier. Und ich sage dir gleich, dass ich zwar nicht die Lösung schlechthin anzubieten habe - aber ich hoffe, dass es mir gelingt, dir ein wenig Mut zu machen.

Folgenden Satz hast du in deiner Zuschrift geschrieben:

"Es klingt wahrscheinlich sehr dumm und sinnlos und ich weiss ihr habt bestimmt besseres zu tun und Leute mit echten Problemen, dir wirklich eure Hilfe benötigen..."

Ach, das ist also dein Motto? Du wünschst dir Hilfe, aber eigentlich fühlst du dich gar nicht wert, Hilfe zu bekommen? Liebe Jovana, es stimmt, wir bekommen jeden Tag Zuschriften von den verschiedensten Leuten. Und wir können leider nicht jede beantworten, zumindest nicht gleich. Mag sein, dass es immer jemanden gibt, der nach irgendwelchen Kriterien mehr Leid empfindet, als man selbst gerade fühlt. Trotzdem darfst und sollst du deine Probleme artikulieren. Es ist nie umsonst, und wenn du es nur getan hast, um es mal auf den Punkt zu bringen. Schäme dich nicht auch noch deiner Schmerzen, denn du hast ein Recht darauf, dass sie ernst genommen werden. Ich kann sie zwar nicht von dir nehmen, aber ich kann dir dieses sagen: Wenn du sie in dich hineinfrisst, sie vergräbst, werden sie irgendwann umso stärker hervor brechen. Und dann kann es in der Tat passieren, dass dir die Kontrolle über dich selbst entgleitet. Aber was willst du? Was ist dein Ziel? Hast du noch Ziele, hast du noch Träume? Was meinst du damit, wenn du schreibst, ein Selbstmord würde das Leben deiner Mitmenschen beeinflussen? Da gibt es verschiedene Möglichkeiten: Da sind Familie und Freunde, die bestürzt und traurig wären - vielleicht auch ein furchtbar schlechtes Gewissen hätten, weil sie dich zuvor vernachlässigt haben; da sind Leute, mit denen du dich nicht gut stehst, denen du vielleicht du eine letzte Verzweiflungstat klar machen willst, was sie dir für Schmerz bereitet haben. Das sind alles mögliche Effekte. Was aber fehlt in dieser Auflistung? DU. Du fehlst. Du wärst tot. Vergangen. Und ist das wirklich dein Wunsch? Wenn du dir jetzt das Leben nimmst, dann hält das Entsetzen über deinen Tod einen Monat, oder ein Jahr, vielleicht auch zwei. Dann aber beginnt das Vergessen - ein erzwungenes Vergessen gar, weil man sich denkt: "Es ist zu entsetzlich mit der Jovana, ich darf nicht daran denken..." Und "Ich konnte ihr ja nicht helfen", werden sie sich denken, "Ich weiß einfach nicht, was los war..." Aber werden sie sich damit nicht in die Tasche lügen? Sicherlich. Doch was dein Selbstmord anrichten würde, würde dazu führen, dass sie es tun. Das Erschrecken, dass du damit anrichten würdest, hätte zur Folge, dass letztlich keiner sich eingestehen kann, dass er an deinem Schmerz vielleicht Anteil hatte. Wer wollte schon daran schuldig sein? Wenn du dir jetzt das Leben nimmst, wirst du ein ewiger Quell sinnloser Tränen, ewiger Selbstgerechtigkeit. Jeder wird fassungslos davor stehen, und niemand wird die Stärke haben, einzugestehen, dass es nicht ohne Alternative war. Es ist menschlich, dass es so käme. Was aber, wenn du weiterlebst?

Wenn du weiterlebst, kannst du kämpfen. Wenn du weiterlebst, wirst du in einer näheren oder ferneren Zukunft sterben - niemand weiß genau, wann. Doch bis dahin wirst du der Welt noch etwas geben können. Wirst du dir die Möglichkeit eröffnen, auf dein Leid hinzuweisen, und dagegen anzuarbeiten. Wie gesagt, niemand weiß, wann das Ende kommt. Aber es ist ein Unterschied, ob du als ewiger Makel in Erinnerung bleibst, als Zeichen für die Schande der Lebenden, die sie verdrängen müssen, um weiterleben zu können. Oder ob du in Erinnerung bleibst als eine junge Frau, die mitten auf ihrem Weg das Schicksal eingeholt hat, aufrecht bis zum Schluss. Dann bist du vielleicht früher gestorben, als die Natur es verlangt hätte. Hättest vielleicht nicht alles bis zur Neige gelebt. Aber du wärst in der Auseinandersetzung mit dem Leben gestorben, und man würde sagen: "Jovana hat gekämpft, sie war tapfer... Wir hatten es nicht einfach miteinander, aber sie hat sich niemals unterkriegen lassen." Dann werden sie zugeben, dass sie sich oft falsch verhalten haben, ganz ohne Groll und Heuchelei. Weil du von ihnen gegangen wärst, ohne dich geschlagen zu geben, warum auch immer. Egal, ob es in siebzig Jahren ist, oder ob es dich, ohne dass du es willst, in näherer Zukunft trifft. Wenn du dir aber jetzt ganz bewusst das Leben nimmst, mit dem erhobenen Zeigefinger stirbst - dann werden sie alle nicht anders können, als sich über dich zu belügen, damit es für sie weitergehen kann. Dann wird das Entsetzen für einen Augenblick riesig sein, aber die Unehrlichkeit danach nur umso größer.

Depression ist ein großer schleimiger Pilz, der auf deinem Herzen wuchert. Er hasst Sonnenlicht, er hasst Spaziergänge am Fluss, er hast Teller mit Pasta, er hasst fetzige Musik. Gib sie ihm. Verbrenne ihn. Depression ist ein Stachel, der sich in deine Glieder bohrt, der dich lähmt und plagt. Er hasst es, wenn sie bewegt werden, wenn Stimmen um dich herum sind, er hasst das Blättern von Buchseiten. Was er liebt, sind die dunklen Höhlen unter Bettdecken, die Schwärze von geschlossenen Rollläden, verweinte Shirts, verschmiertes Make-up. Dann kann er sich richtig schön strecken und tiefer bohren. Darum gib ihm das, was er hasst. Spring auf und mache alles, was zum Leben gehört. Geh nach draußen. Zieh dich an und mach dich schön, du musst es nicht für dich sein, aber für die Welt musst du es sein, damit sie dich sieht, damit du Stimmen hörst, damit du den Wind spürst, damit dein Körper nicht zerfällt, sondern atmet und lebt. Du musst nicht vor allen so tun, als wäre nichts - aber du musst dich beschäftigen, musst dich anstrengen, in Atem halten, aktiv sein. Stillstand und Passvität sind die größten Helfer der Depression, die je größer wird, je mehr man davon hat. Aber je mehr man einfach wagt, das zu tun, wovon die Depression sagt, man hätte kein Recht dazu - desto eher fällt sie in sich zusammen. Und den Anfang kannst nur du machen. Das kann dir keiner abnehmen, einfach keiner. Aber du bist es wert, weil du nämlich nicht geboren wurdest, um in der Blüte deines Lebens zu sagen, das war's. Nein - du bist geboren, um zu leben, um dich mitzuteilen, um etwas zu geben. Und wenn du dir versagst, dass es so kommen soll, dann nimmst du der Welt etwas. Die Depression will, dass du dich der Welt nicht zeigst, damit sie nicht merken kann, was ihr in dir entgeht. Deshalb, fasse dir ein Herz, trau dich, zu sagen, dass es nicht vorbei ist. Denn Schmerz und Trauer und auch Hoffnungsschwund sind Teil des Lebens. Aber man darf sie nicht kultivieren, sonst werden sie zu groß. Es ist verstehbar, wie es dazu kommt, doch hast du es nicht verdient. Das flüstern sie dir nur ein, glaub mir.

Ich hoffe sehr, dass ich sie übertönen konnte. Habe ich? Ich wäre wirklich froh, wenn.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul