Problem von L. - 26 Jahre

Vielleicht hilft ein Rat...

Guten Tag,

ich bin 26 Jahre alt und mein Leben bestand bisher aus Höhen und Tiefen. Von einem alkoholkranken und gewalttätigen Vater, über Missbrauch, bis zum selbstverletzenden Verhalten. Seit ca. sechs Jahren schneide ich mich „nicht“ /kaum mehr. Zwei Rückfälle sind kein Vergleich. Trotzdem habe ich meine Ausbildung zur Krankenschwester super erfolgreich als Klassenbeste abgeschlossen. Arbeite nun seit einigen Jahren in diesem Beruf, mache seit einem Jahr parallel eine weitere Ausbildung, habe super Kollegen. Dennoch habe ich starke Probleme einfach einmal Glücklich zu sein. Mir geht es oberflächlich gesehen gut, ich habe alles was man sich wünschen kann. Eine Wohnung, einen Neuwagen. Alles selbst erarbeitet. Trotzdem geht es mir immer wieder schlechter. Ich habe eine Therapie gemacht, über 1 ½ Jahre war ich in Behandlung, es ging nur schleppend vorwärts. Als es darum ging in die „Tiefe“ zu gehen habe ich diese abgebrochen. Panik. Alle Überzeugungsversuche von meiner Therapeutin halfen nichts. Sie Prophezeite mir das, was nun Realität wurde. Ich fühle mich schlecht, kann mit Kontrollverlust kein bisschen umgehen, habe Panikattacken, traue keinem fremden männlichen Wesen über den Weg, besonders wenn es dunkel ist nicht. Das zwingt mich derzeit leider zuhause zu bleiben und meine Wohnung nur selten abends zu verlassen, was wiederum zur Isolierung führt… ich leide unter meinem Perfektionismus – mein übertriebener Sauberkeitswahn, meine „kleinen“ Zwänge, meinen Drang danach alles hervorragend abzuschließen was ich beginne. Die Psychologin sagte zudem, dass ich bei einem Abbruch der Therapie niemals mehr eine Therapie bewilligt bekommen würde. Nun macht mir mein Zustand doch eine sehr große Angst. Bis vor einem Jahr war ich so sehr davon überzeugt es alleine zu schaffen. Nun habe ich einfach nur Angst vor dem nächsten Tag. Ich möchte mich nie wieder selbst verletzten, ich möchte andererseits jedoch nicht darüber sprechen müssen was alles in meinem Leben passiert ist. Ich kann es nicht aussprechen und erstrecht kann ich es nicht, mit einer Person im gleichen Raum. Dennoch sehe ich, dass ich es nicht ohne Hilfe schaffen kann. Vielleicht haben Sie einen guten Rat für mich. Manchmal hilft ein neutraler Gedanke zu einer Situation ja doch weiter…

Vielen Dank.

Anna Anwort von Anna

Hallo Du,

dann danke ich Dir doch sehr für Dein Vertrauen uns gegenüber und bin beeindruckt von Deiner Selbstreflexion und Deinem bewussten Umgang mit Dir und Deinen Problemen. Nicht jeder kann das, was ihn belastet, so gut in Worte fassen wie Du und nicht jeder zieht mögliche Rückschlüsse auf die Vergangenheit. So schlimm Deine Erfahrungen in der Kindheit waren, sie sind Dir dennoch als Ursache für Deine heutigen Probleme bewusst und ich glaube das ist ein ganz wichtiger Schritt zur Bewältigung.

Eine Psychotherapie kann von beiden Seiten jederzeit ohne Angabe eines Grundes beendet werden. Ich weiß nicht, wie schwer es ist, nach einem Abbruch eine Therapie bewilligt zu bekommen, möglich ist es aber auf jeden Fall! Wenn Du Deiner damaligen Therapeutin vertraust und Du mit ihr gut zurecht kamst, bitte sie um einen Neuanfang. Nachdem, was Du so von Deiner Situation schilderst, würde ich Dir sehr empfehlen, mit der Therapie fortzufahren. Du kannst es ja auch bei anderen Therapeuten versuchen, wenn Du mit jemand Neuem weitermachen willst.
Deine Bewusstheit der damaligen traumatisierenden Erlebnisse, auch Deine Angst und Panik vor der Konfrontation mit ihnen würde ich sogar als gutes Zeichen werten - Du bist nämlich auf dem richtigen Weg und wenn Du von dem mal abkommst, weißt Du immerhin wo er liegt. Es gibt auch viele Menschen, die ihre schlimmen Erlebnisse so weit verdrängt haben, dass sie ihnen gar nicht als mögliche Ursachen für ihre jetzigen Ängste in den Sinn kommen. Das ist bei Dir anders und daran solltest Du bleiben.

Ich kann sehr gut verstehen, dass die Angst vor der Konfrontation mit diesen Erinnerungen enorm ist und ein Therapeut wird Dich in dieser Hinsicht auch nicht direkt ins kalte Wasser werfen, sondern in dem Tempo an die Sache rangehen, wie Du es auch willst. Dein Perfektionismus ist eine Schutzfunktion, die Dir stabile Lebensumstände gewährleistet, die Dir hilft über Wasser zu bleiben. Deine Angst vor Fremden ist durchaus gerechtfertigt nach Deinen Erfahrungen. Auch das ist eine Schutzfunktion, die Dir hilft, nur so viel sozialen Kontakt zu haben, wie Du ihn auch aushälst und verarbeiten kannst. Dass Du von Zeit zu Zeit aber unter diesen Schutzmechanismen leidest, ist verständlich und da greift dann wieder die Vernunft, die sich fragt, ob es nicht auch anders geht, angstfreier, unbeschwerter, zwangloser.

Vielleicht würde es Dir auch helfen, mal mit einem Hausarzt zu sprechen, dem/ der Du vertraust. Eventuell bekommst da einen Rat, wie es mit einer Behandlung weitergehen könnte.
Auch würde ich Dir empfehlen, Dich mit Entspannungstechniken vertraut zu machen. Wenn Du schon nicht von Jetzt auf Gleich Deine Ängste lindern kannst, so kannst Du aber für ein entspannteres Körpergefühl sorgen, das Deiner Psyche wiederum vermittelt, dass erstmal alles im sicheren Bereich ist.

Ich wünsche Dir auf Deinem Weg alles, alles Gute und würde mich sehr freuen, nochmal von Dir zu lesen!

Liebe Grüße,

Anna