Problem von Gillian Heinsohn - 14 Jahre

Was will ich? Bin ich schon depressiv?

Ich möchte etwas erleben, doch zur gleichen Zeit ist es mir egal. Ich will leben, aber es it mir egal.
Ich lebe nur um des Lebens Willen, ohne Sinn, ohne Ziel, ohne Lust.
Trotzdem will ich nicht sterben.
Wenn ich etwas gefährlichem nahe komme, fühle ich mich unwohl, kriege Angst und will von diesem Ort weg, nur aus Angst mich zu verletzen oder sogar zu sterben. Aber ich verstehe nicht warum.
Ich habe keinen Grund zum Leben.
Vielleicht ist es auch Instinkt bedingt.
Ich bin mir bewusst dass wenn ich sterben würde, es viele Menschen gäbe die darum trauern und die ich dadurch sogar evt. depressiv machen könnte.
Aber ich bin egoistisch.
Wenn ich nicht mehr bin, kann es mir doch auch egal sein, oder?
Ich will nicht dass diese Menschen traurig sind, aber ich weiß nicht ob es mir im Endeffekt egal ist.
Ich gebe zu egoistisch zu sein.
Ich will auch jetzt nicht den Trauerkloß raushängen lassen, denn unglücklich bin ich nicht.
Ich lache oft mit meinen Freunden und meiner Familie.
Trotzdem fühle ich mich so als wäre ich in einem dunklen schwarzen Loch gefangen, ganz alleine. Ich fühle mich fast die ganze Zeit müde und würde am liebsten für immer in meinem Bett schlafen, auch wenn das kindisch klingen mag. Ich fühle mich allein mit meinen Gedanken welche ich nicht ordnen kann. Ich weiß nicht was ich will.
Ich fühle mich so als würde ich für immer alleine in diesem Loch gefangen sein.
Aber ob mich das stört, weiß ich nicht.
Ich bin gerne alleine, doch gibt es viele, und besonders meine Eltern, die das nicht verstehen. Sie denken ich vereinsame und werde „komisch" dadurch.
Vielleicht haben sie auch recht damit.
Aber was ist das Problem „komisch“ zu sein? Alle wollen doch immer was „Besonderes“ sein, sie wollen „Jemand“ sein. Trotzdem wird man angeguckt wenn man sich anders als der Rest verhält.
Ich bin mir unsicher ob ich glücklich, depressiv, oder unerfüllt bin
Trotzdem sage ich es nochmal, um es zu verdeutlichen: Ich bin nicht unglücklich.
Mir fällt es schwer meine Gedanken in Worte zu fassen.
Ich lebe vor mich hin, aber ob ich das will weiß ich nicht.
Manchmal denke ich mir „du musst mal was erleben, aus deinem Zimmer raus, auf andere zugehen, neue Kontakte knüpfen!“ aber dann ist es mir auch wieder egal. Wenn ich nur in meinem Bett mit meinen Gedanken liegen würde, wäre das so falsch? Oder muss ich wirklich ein Teil dieser Gesellschaft sein? Es interessiert doch eh keinen bis auf mich. Also warum will jeder erfolgreich und glücklich sein?
Einfach nichts zu tun wäre doch viel einfacher, oder? Also warum diese Mühe? Alles was wir tun, zur Schule gehen, Studium, Familie etc. tun wir doch nur um im Ende Erfolgreich zu sein und und „Jemand“ nennen können. Warum also dieses Streben?
Allerdings muss ich zugeben, dass das Verlangen nach Erfolg und Glück auch ich spüre. Was ich daran nicht verstehe, ist warum? Ist es weil mir seid meiner Geburt dieses Denken eingetrichtert wurde, oder ist es doch mein Eigenes Wollen?
Mir fällt es sehr schwer wie schon gesagt, meine Gedanken in Worte zu fassen, und ich hoffe dass was ich meine ist verständlich geworden.

Ich schätze ihre Antwort :)

Anna Anwort von Anna

Liebe Gillian,

vielen Dank für Deine lange und sehr tiefgründige Nachricht. Was Du geschrieben hast, hat mir sehr bewegt und ich finde Deine Gedanken sehr philosophisch. Die Fragen, die Du Dir stellst, sind sehr wichtige Fragen:
Wer bin ich?
Was möchte ich?
Wer bin ich in dieser Gesellschaft?
Und als wer hätte mich diese Gesellschaft gerne?
Habe ich ein Recht auf eigenes Sein?
Bin ich egoistisch, wenn ich ich selbst sein will?
Und vor allem: Wozu das Ganze?

Dass Du Dir in diesem Alter diese Fragen stellst, zeichnet Dich als eine ganz besondere, tiefgründige und meiner Meinung nach sehr reife Person aus. Ganz zu schweigen davon, wie toll und ausdrucksstark Du das Ganze formuliert hast.

Was Du beschreibst, ist das Gefühl der Verlorenheit. Du fühlst Dich alleine, obwohl Du unter Menschen bist. Du fühlst Dich traurig, obwohl Du keinen konkreten Anlass hast. Du fühlst Dich lebendig, aber Dich beschleicht das Gefühl tot zu sein. Du willst leben, aber weißt einfach nicht, wozu Du das tun solltest. In der Philosophie nennt man diese Gefühls- und Denkrichtung Existenzialismus. Man geht davon aus, dass das eigene Leben keinen Sinn hat, es sei denn man gibt ihm einen. http://www.zeit.de/2010/32/KI-LUCHS-Existentialismus
Aber was bedeutet das eigentlich? Sinn? Wenn ich den Wasserkocher anschalte, hat das den Sinn mir einen Tee machen zu können. Wenn ich mit meiner Katze zum Tierarzt fahre, hat das den Sinn ihre Gesundheit zu erhalten und wenn ich meiner Mutter etwas zum Geburtstag schenke, hat das den Sinn, ihr eine Freude zu machen. Sinn bedeutet, dass die Handlungen, die wir tun einen bestimmten Zweck haben. Wir wollen damit was erreichen, entweder für unser eigenes Glück oder für das jemand anderen. Wenn ich jetzt mit meiner Katze zum Tierarzt fahre, dann weiß ich ganz genau, was ich antworte, wenn mich jemand fragt, warum. Und zwar will ich, dass es ihr gut geht. Das Gleiche gilt auch für das Kochen von einem Tee - er schmeckt mir gut, oder aber ich habe Bauchweh und will meinem Körper was Gutes tun. Hier ist der Sinn, die Antwort auf die Frage, warum ich etwas mache, sehr leicht.
Es gibt aber viele Dinge, die wir tun, von denen wir eigentlich gar nicht so genau wissen, warum wir das jetzt machen. Wenn ich Dich frage, warum Du für eine Klassenarbeit lernst, würdest Du mir sicher antworten, dass Du eine gute Note schreiben willst. Dann würde ich Dich fragen, warum Du denn eine gute Note schreiben willst - damit tust ja niemandem was Gutes, es dient auch nicht direkt Deiner eigenen Gesundheit oder der Deiner Katze - also warum tust Du es? Dann würdest Du antworten, weil Du das Schuljahr schaffen willst. Warum willst Du das Schuljahr schaffen? Naja, um einen guten Abschluss zu machen, um später einen guten Job zu bekommen, um "erfolgreich" zu sein. Aber ich finde Deine Frage absolut berechtigt, wenn Du wissen willst, was es eigentlich bedeutet erfolgreich zu sein, ob man selbst erfolgreich sein muss, um ein Jemand zu werden. Das, was wir in unserer westlichen, kapitalistischen Gesellschaft als erfolgreich betrachten, ist tatsächlich nur eine ganz bestimmte Sichtweise auf Erfolg, die einem, wenn man eben hier lebt, schon von Anfang an eingetrichtert wird. Man lernt nicht, weil man Spaß daran hat, Neues zu entdecken. Man lernt, weil es um gute Noten geht. Man studiert dann später nicht, um sich selbst zu finden und seine Energie in etwas zu stecken, worin man SINN sieht, man studiert um einen guten Job und viel Geld zu bekommen.
Dass man verzweifelt, wenn man sowas eingetrichtert bekommt und den Sinn in all dem, was man tut, nicht mehr sieht, ist nur allzu verständlich.

Wenn man den Sinn in den eigenen Taten, den Dingen um einen herum und im eigenen Leben nicht mehr sieht, bekommt man depressive Gefühle. Man weiß nicht mehr, warum und wofür man etwas tut, man fühlt sich entfremdet, verloren und es fällt einem schwer, im Alltag noch irgendwas Wichtiges und Relevantes zu sehen.
Wichtig ist es aber, die Depression, in der Du steckst, als etwas Gutes zu betrachten, als einen Neuanfang. Die Fäden in Dir sind sich gerade am sortieren, Du denkst viel nach, Du ziehst Dich zurück, Du brauchst viel Zeit für Dich alleine, weil es in Dir gerade viel zu verstehen, viel einzuordnen gibt. Vor allem, wenn Vieles auf einmal passiert und man gar nicht die Zeit hat das alles zu verarbeiten, kommt es vor, dass man sich mehr und mehr depressiv fühlt. Das, was es zu verarbeiten gibt, staut sich auf, man hat aus bestimmten Gründen gar nicht mehr die Kapazitäten, alles zu verarbeiten. Als hätte man zu viel gegessen und hat dann Bauchweh, weil man es nicht verdauen kann. Das Gegessene sinnvoll umzuwandeln und in sich "einzugliedern" ist also unheimlich wichtig, damit man es dann in Energie umwandeln und für etwas benutzen kann. Was der Sinn in Deinem Leben ist und was Du für Dich als richtig in Deinem Leben erachtest, kannst Du erst herausfinden, wenn Du durch die depressiven Gefühle gegangen bist und zu Dir gefunden hast.
Der Sinn wird sich Dir zeigen und dann findest Du einen Zweck für Dich und Dein Leben, der ganz passend auf Dich persönlich zugeschnitten ist, der nur Deiner ist und der nichts mit eingetrichterten Werten, mit falscher Schulmoral und geldorientiertem Lernen zu tun hat. Dann machst Du etwas, weil Du es willst, weil Du einen Sinn darin siehst und nicht, weil es jemand so von Dir erwartet.

Hier findest Du übrigens noch einige Infos zu Depressionen: http://www.deutsche-depressionshilfe.de/stiftung/depression-erkennen.php
Achtung vorab: eine Depression oder eine depressive Phase entsteht nicht nur aus gesellschaftlichen Gründen oder weil man durch Entfremdung von seinen Taten keinen Sinn mehr sieht. Oft ist es auch anders herum so, dass man keinen Sinn sieht, WEIL man unter einer Depression leidet. Ich würde Dir daher auf jeden Fall raten, Deinen Hausarzt aufzusuchen und Dich untersuchen zu lassen, denn Gründe für Depressionen können sehr vielfältig sein und sind nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Doch warum auch immer Du Dich im Moment so entfremdet fühlst, ich weiß, dass das vorbei geht und ich wünsche Dir viel Kraft und Geduld dabei.

Alles Liebe,

Anna