Problem von Anonym - 23 Jahre

Sexuelle Belästigung von dem Freund meiner Schwester

Hallo,
Ich habe lange gezögert über mein Problem zu reden. Der Freund meiner Schwester belästigt mich schon seit einer ganzen Weile. Erst fing es mit harmlosen Berührungen ausversehen an, doch mittlerweile ist es pure Absicht. Es ist so schrecklich wenn er das macht. Ich versuch ihn weg zustoßen aber er ist viel stärker als ich. Er nutzt immer einen Moment aus wenn meine Schwester grad nicht im Raum ist und dann fasst er meine Brust an. Aber mittlerweile bleibt es nicht dabei er versucht immer wieder mir zwischen die Beine zu fassen.
Ich trau mich keinem etwas zu sagen da ich mich so dafür schäme. Ich fühl mich schuldig, weil ich es nicht schaffe ihn abzuwehren. Ich trau es mich nicht meiner Schwester zu sagen da sie psychisch labil ist und ich Angst habe das sie sich was antut.

Was soll ich nur machen ich kann meiner Schwester nicht mehr in die Augen sehn weil ich mich so schuldig fühl?

Nuala Anwort von Nuala

Hallo du!

Ich finde es super, dass du dich uns offenbarst und somit über deinen Schatten gesprungen bist! Deine Zeilen alarmieren mich ehrlich gesagt. Daher bin ich motiviert, dir nun auf dieses heikle Thema zu antworten, vor allem auch deswegen, weil du uns offenbar schon zweimal geschrieben hattest ohne Antwort.
Ich versuche, alle Aspekt deiner Schilderung miteinzubeziehen. Besonders wichtig seid ihr Schwestern. Doch bei allem Verständnis für deine Schwester, der es schlecht geht und welche du nach Kräften schützen möchtest, stelle ich mich vehement hinter dich - denn erstens schreibst du als Betroffene sexualisierter Gewalt und zweitens sehe ich, dass du dich selbst überforderst und dich nicht selbst schützen kannst. Mit Schützen meine ich in diesem Zusammenhang gar nicht, dass du die Attacken dieses miesen Typen nicht abwehren konntest (was eine völlig nachvollziehbare Reaktion ist, so traurig es auch ist), sondern dass du so viel Angst um deine Schwester hast, dass dich die Situation schier zu zerreißen droht.

Du kannst gar nichts dafür, dass der Freund deiner Schwester dich auf derart niederträchtige Weise belästigt! Bitte mache dir bewusst, dass du weder Schuld trägst noch sonst etwas falsch gemacht hast! Selbst wenn du splitternackt in der Wohnung umherspazieren würdest, gäbe es ihm niemals das Recht, dich anzufassen, außer du hättest ihm ausdrücklich dazu aufgefordert. Sexualisierte Gewalt hat aber nur ganz am Rande etwas mit Erotik und Sexualität zutun. In erster Linie ist es Gewalt (deswegen nennt man es heute besser nicht mehr sexueller Missbrauch). Hier ist das Ganze gut beschrieben:
https://www.fem-onlineberatung.de/de/info-zone/sexualisierte-gewalt
Dieser Kerl, ich nenne ihn jetzt einfach mal X, hat ein großes Problem. Was genau er hat, kann ich nicht sagen, das spielt hier auch keine Rolle. Tatsache ist, dass er mit sich und auch mit Frauen nicht im Reinen sein kann, sonst würde er sich nicht so übergriffig - gewalttätig benehmen. Unsere schon recht frauenverachtende Gesellschaft tut da leider ihr Übriges. Wo Frauen mehr oder weniger überall in der Öffentlichkeit als frei verfügbares Objekt und nicht als selbstbestimmtes Subjekt dargestellt werden, haben Täter leichteres Spiel, weil Frauen oft eine (Teil)schuld gegeben wird und sie häufig nicht ernst genug genommen werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass Gegenwehr zwecklos ist und solche Personen alles dürfen ohne Bestrafung!! Ganz im Gegenteil: Es ist immens wichtig, erlittene Gewalt als solche sichtbar zu machen, gerade wenn sie im Verborgenen verläuft wie in deinem Fall!

Ich habe dazu mehrere Gedanken.
Der erste bezieht sich - meiner Meinung nach - auf den Idealfall. Er setzt voraus, dass du dich erstens traust, dich zu offenbaren und dir zweitens geglaubt wird.

- Sprich mit deiner Schwester, egal wie große deine Ängste sind!
X muss ein riesiges perfides A... sein, das es vortrefflich schafft, dir Gewalt anzutun und ihr dann noch ins Gesicht zu lachen. So einen hat sie doch auch nicht verdient!! Führe dir bitte vor Augen, was das für ein Mensch ist - und gerade WEIL deine Schwester psychisch labil ist, braucht sie einen Partner, der wirklich ehrlich und integer ist und nicht nur heuchelt und eigentlich moralisch total am Ende ist! Ehrlich gesagt gehe ich auch davon aus, dass es nicht von Ungefähr kommt, dass die Attacken in diese Konstellation eingebettet sind. X kann schalten und walten, wie er will: Er muss nicht befürchten, von deiner Schwester verdächtigt bzw. in irgend einer Weise zur Rechenschaft gezogen zu werden. Er nutzt also ihre Liebe und Abhängigkeit eiskalt aus, um sich an dir (und vielleicht auch an anderen Mädchen und Frauen!) zu vergehen.

- Überzeuge sie davon, dass ihr gemeinsam zu einer Beratungsstelle geht, am besten eine, die auf sexualisierte Gewalt spezialisiert ist. Mir fällt da Wildwasser e.V. ein, das ist ein Verein, den es in mehreren Städten gibt und der dir helfen kann. Dort solltet ihr euch dahingehend beraten lassen, wie du weiter vorgehen kannst - ob für dich eine Anzeige bei der Polizei in Frage kommt oder ob ihr es für besser erachtet, X aus eurem Leben zu verbannen. Ich persönlich rate dir ganz entschieden dazu, dass ihr eine bzw. auch beide Möglichkeiten für dich/euch in Betracht zieht - aus der Sicht der potenziellen weiteren Opfer würde ich dir natürlich zu einer Strafanzeige raten. Somit würde sein Verhalten im besten Fall geahndet und andere Unschuldige geschützt werden. Ich weiß aber auch, wie schwer so ein Schritt ist. Darum denke ich, dass es in eurer Situation am wesentlichsten wäre, dass du deine Schwester einweihst, ihr felsenfest zusammenhaltet und euch gemeinsam - am besten durch tatkräftige Unterstützung via Beratungsstelle, Therapeuten und nicht zuletzt Familie und Freunde, von X löst. Sexualisierte Gewalt ist fast immer mit großer Scham bei den Betroffenen verbunden, was es sehr schwer macht, offen darüber zu berichten. Doch so schwer es auch ist: Es ist der Ausweg aus dem Leid, stillhalten verlängert die Qual für nicht abzusehende Zeit. Zudem ist leider nicht auszuschließen, dass X immer weiter geht, deine Grenzen immer mehr missachtet.

Deine Schwester braucht ein stabiles Umfeld, dazu gehören ein Freund, der das hält, was man sich gemeinhin unter einem ehrlichen und liebevollen Freund vorstellt. Dann wäre eine sichere und vertrauensvolle Therapeuten - Klienten - Beziehung wichtig. Also falls du weißt, dass sie unglücklich ist mit ihrer therapeutischen Unterstützung, könntest du ihr helfen, dort besser Fuß zu fassen, jemand Neues zu finden. Somit könntest du deiner Sorge, sie könne sich das Leben nehmen, ein Stück weit entgegen wirken.
Doch bei aller geschwisterlichen Liebe appelliere ich entschieden an dich, nicht nur das Wohl deiner Schwester vor Augen zu haben. Sie muss selbst Verantwortung für ihr Leben übernehmen, das kannst du nicht leisten. Du kannst also nicht sagen: Ich schweige wie ein Grab über das erlittene Unrecht, nur um meiner Schwester (vermeintlich) einen Gefallen zu tun.
Nicht zuletzt solltest du für dich selbst ausloten, inwieweit du über das Geschehene in einer Selbsthilfegruppe oder auch in psychotherapeutischen Sitzungen reden möchtest. Vielleicht bräuchtest du da Hilfe, vielleicht würde anderweitige Veränderung schon reichen.

Und noch etwas zum Thema Strafanzeige. Wenn er dich regelmäßig anfasst, hättest du gute Chancen, das Ganze auf Video aufzunehmen, wenn du eine Kamera versteckst. Das Bildmaterial würde deine Glaubhaftigkeit unterstreichen, würde aber auch viel Mut deinerseits bedeuten und kann sicherlich auch kritisch gesehen werden. Trotzdem: Ich finde diese Art der Gegenwehr gar nicht so verkehrt, weil sie das Ausmaß der Gewalt zu hundert Prozent widergeben und somit beweisen würde. Auch wenn es hart wäre für deine Schwester: Falls sie dir nicht glauben würde, hättest du damit den Beweis erbracht.

Falls sie dir weder glauben will, noch von X Abstand nimmt, rate ich dir definitiv, dass du zumindest DEINE HAUT rettest! Sei es, indem du den Kontakt nur noch über deine Schwester laufen lässt und ihr erklärst, dass du diese Person nie wieder sehen willst. Sei es, dass du ihn anzeigst, auch wenn deine Schwester es am liebsten verhindern würde. Es ist immer noch ein Verbrechen, das kann ich nicht oft genug betonen.

Ich wünsche dir alles erdenklich Gute und hoffe sehr, dass dein Schrecken bald ein Ende findet.

Nuala