Problem von Anonym - 13 Jahre

Kein Tag ohne Geschrei

Liebes Kummerkasten Team
Bei mir in der Familie wurde glaube ich schon immer viel gestritten, aber so schlimm wie es im Moment ist war es noch nie! Bei uns vergeht kein Tag ohne das meine Eltern schreien (fast immer wegen Kleinigkeiten und in normalen Alltagssituationen.) Mein Vater meint dauernd das er es nicht mehr aushält. Es wird bestimmt in vielen Familien gestritten, aber ich habe das Gefühl das bei uns mehr geschrien als in normaler Lautstärke geredet wird. Das ständige Gestreite und Geschrei belastet mich wahnsinnig. Ich bin ziemlich oft krank und mein Vater macht sich deshalb auch oft sorgen, aber ich glaube das das daran liegt das mein Körper nicht in der Lage ist sich neben dem psychischen Stress auch noch um irgendwelche Krankheitserreger zu kümmern...
Ich weine in letzter Zeit sehr oft und denke auch immer öfter über Selbstmord nach. Ich habe nicht wirklich Lust so weiter zu leben und auch keine Kraft mehr übrig.

Ich wäre sehr dankbar wenn ihr mir antworten würdet!

Nuala Anwort von Nuala

Hallo du,

ich kann leider aus eigener Erfahrung sehr gut nachempfinden, wie belastend deine familiäre Situation für dich sein muss.
Ich denke trotz allem, dass zumindest für dich Hilfe greifbar ist - im besten Fall schaffen es auch deine Eltern, dass es ihnen besser geht.

Zunächst einmal sehe ich zwei wichtige Warnzeichen, die aber gleichzeitig zur Klärung und schnellen Hilfe beitragen können: Erstens fühlst du dich schon total kaputt und bist häufig krank. Zweitens sagt dein Vater schon von sich aus, dass die es so nicht mehr geht. Das ist insofern besser, als wenn alles so unterschwellig und mal besser und mal schlechter wäre. Es ist direkt greifbar und dadurch bearbeitbar.

Insgesamt denke ich, dass es ganz wesentlich ist, deinen Eltern mitzuteilen, wie sehr du unter ihrer Streit"kultur" leidest und welche Gedanken du deswegen schon hattest.

Konkret könntest du Folgendes tun:

1. Die "konfrontative" Variante wäre, dass du dich während eines besonders heftigen Streits zwischen die beiden stellst und sie dazu zwingst, sofort aufzuhören. Der Vorteil wäre, dass diese "Streit - Spirale" in diesem Moment erstmal durchbrochen wäre. Dann müssten sie dir zuhören. Dann könntest du ihnen sagen, dass du nicht mehr länger bereit bist, so mit ihnen zusammenzuleben. Du könntest im Vorfeld mit einer Freundin vereinbaren, dass du eventuell bei ihr übernachtest, wenn sie dir nicht entgegen kommen wollen. Natürlich könnte es auch darauf hinauslaufen, dass sie dich einfach übergehen und weiterschreien. In diesem Fall könntest du deine Sachen packen und zu deiner Freundin verschwinden - vielleicht wäre das für sie ein Schreckmoment, der sie mehr aufrütteln würde, als wenn du "nur" sagst, dass du alles satt hast. Manchmal sind Taten effektiver als Worte.
Ein weiterer schlechter Effekt wäre möglicherweise, dass du nicht die Kraft aufbringen kannst, dich in den Tumult zu stürzen.

2. Suche dir eine/n erwachsenene/n Verbündete/n, um mit ihm oder ihr auf deine Eltern zuzugehen. Die erwachsene Person sollte jemand sein, der du vertraust und die bereit ist, sich für deine Belange einzusetzen, aber genauso auch einigermaßen vertraut für deine Eltern sein (andernfalls kann es leicht passieren, dass sie sich bedroht fühlen von einer "fremden" Person, die sich unberechtigerweise von außen in ihre Angelegenheiten einmischt...). Vielleicht käme eine Tante, ein Onkel, ein Freund der Familie, eine Freundin der beiden in Frage. Sie/er sollte dich begleiten, wenn du mit deinen Eltern sprichst. Sie sollten einsehen, dass es nicht nur bei Lippenbekenntnissen á la "Ja ja, ich ändere mich..." bleiben sollte, sondern dass ihr alle zusammen daran arbeiten müsst, dass ihr euch insgesamt wieder wohl fühlen könnt! Ein gemeinsam erstelltes Plakat mit Gesprächsregeln und Wünsche für den Umgang untereinander könnte für alle sichtbar aufgehängt werden; ihr könntet regelmäßig "Familienkonferenzen" einberufen, um alles Wichtige zu bereden, was euch gerade wichtig ist.
Diese Person könnte dich auch zu einer Familienberatungsstelle begleiten, falls ein Gespräch daheim nicht zum gewünschten Erfolg führen würde.

3. Geh zu deinem Hausarzt/Ärztin, wenn du dich dort gut aufgehoben fühlst und schildere deinen Verdacht, dass dein Körper wegen deiner schlechten psychischen Verfassung Krankeitserreger schlechter bekämpfen kann. Vielleicht wäre das die Chance, deine Eltern wachzurütteln, wenn sie von ärztlicher Seite zu hören bekommen würden, dass sich etwas ändern muss!
Natürlich ist es auch wichtig, dass dein gesundheitlicher Zustand ab sofort regelmäßig kontrolliert wird!

Ich denke, deine Eltern streiten schon so lange auf äußerst giftige Art und Weise, dass sie dringend professionelle Hilfe benötigen. Da haben sich sicherlich viele Gewohnheiten eingeschlichen, die sehr fest verankert sind.
Es gibt z.B. Paartherapien, in denen all die Probleme, der ganze aufgestaute Frust allmählich thematisiert und bearbeitet werden. Auch eine Familientherapie ist denkbar, da es dir auch schon sehr schlecht geht und ihr euch gegenseitig negativ zu beeinflussen scheint. Für solche Fragen wäre die Familienberatungsstelle eine gute erste Adresse, da diese vielleicht Einzelheiten zu den jeweiligen Angeboten kennen und im Speziellen auf bestimmte Therapeuten verweisen können.

Es wird definitiv höchste Zeit, dass die beiden aufwachen und begreifen, wie sehr sie gefangen sind in ihren unguten Verhaltensweisen und da wohl ohne Hilfe von außen nicht wieder herausfinden.
Eine Trennung wäre ein trauriger Schlussstrich, den ich für nicht sehr geeignet ansehe, das Problem zu lösen. Denn es würde ja nichts daran ändern, dass sie bei erneutem Aufeinandertreffen wieder wie die Kampfhähne aufeinander losgehen würden. Sie sollten also dringend an ihrer Kommunikation arbeiten, sich damit beschäftigen, wie sie ihren persönlichen Stress reduzieren und diesen nicht an dir und an ihrem Partner auslassen.
Ich könnte jetzt noch mehr zum Thema Familie und Stressvermeidung schreiben, allerdings finde ich nicht, dass du diejenige sein solltest, die ganz viel unternehmen sollte, damit es den Eltern besser geht. Das müssen sie selbst hinbekommen, sie sind erwachsene Menschen und du bist von ihnen rechtlich und emotional abhängig. Deswegen: Suche dir bitte Unterstützung bei einer Vertrauensperson, die zwischen euch vermittelt. Und wenn du etwas Kraft aufbringen kannst, sprich ruhig mit deiner Mutter allein und/oder mit deinem Vater. Und wenn du noch mehr Kraft investieren willst, schreitest du direkt in den Streit ein, aber nur, um ein "Ausrufezeichen" zu setzen.

Was du außerdem rein für dich tun kannst: Möglichst viel Zeit außerhalb deines Elternhause, möglichst im Freien, verbringen. Fahre Fahrrad, gehe spazieren, mache sonstigen Sport, triff Freunde. Schreibe Tagebuch. Das baut viele negative Emotionen ab und hilft dir, auch Fortschritte und Entwicklungen über längere Zeit zu sehen, wenn du von Zeit zu Zeit im Tagebuch blätterst.
Versuche, so viel wie möglich zu tun, was dir gut tut. Frage deine Eltern, was sie dir Gutes tun können, wenn du schon ihre Streiterein ertragen musst. Ja, das ist provokant, aber ich sehe das eher als positive Frage. Denn immerhin kann es gut sein, dass deine Eltern von ihrem Temperament her dazu neigen, Konflikte lautstark zu lösen, anstatt ruhig und sachlich. Es ist ja nicht ausgeschlossen, dass ihr wirklich gerade ein viel schwierigere Phase durchlebt als früher. Das ist in Ordnung, aber sie als Eltern können trotzdem dafür sorgen, dass du weniger darunter leiden musst. Vielleicht dürftest du nun ein Haustier halten, ein Konzert besuchen, öfter eine Freikarte fürs Kino bekommen...? ;D

Ich hoffe sehr, dir ein wenig weitergeholfen zu haben. Hoffentlich kannst du dich zuhause bald wieder wohler fühlen!

Alles Liebe,
Nuala