Problem von Marieke - 17 Jahre

Durcheinander

Hallo liebes Kummerkastenteam,

Ich habe lange überlegt ob ich euch schreiben soll, weil mir selbst das selbst schwer fällt. Doch ich fasse meinen Mut mal zussamen und fange an. Also ich bin mitlerweile 17 jahre alt aber angefangen hat alles als ich 13 war, Zuhause hatte ich ziemlich stress mit meinen Eltern und in der Schule lief es auch nicht wirklich gut. Mein Vater ist oft ausgerastet und irgendwann habe ich angefangen mir für alles die Schuld zu geben, weil Papa es gesagt hat ich sei schuld. Und dann habe ich angefangen mich zu ritzen, dies ging eine Zeit lang so bis es mir etwas besser ging. Doch dann kam der Tag wo ich mich in ein Mädchen verliebt habe, was mich total durcheinander gebracht hat. Ich war damals 14 Jahre alt und wusste nicht was es ist, habe es dann einfach als normal hingenommen und dachte das es irgendwann vrobei gehen wird. Doch so kam es nicht, ich fühlte mich immer mehr zu Frauen hingezogen desto älter ich war. Mir wurde es immer unangenhmer und ich began mich wieder zu ritzen. Dann habe ich einfach gedacht es ist so und habe mich meinen Freunden anvertraut, die haben es alle sehr gut aufgenommen und das hat mir Mut gemacht. Doch vor meinen Eltern hatte ich Angst und habe es lange geheim gehalten bis vor etwa einem halben Jahr, ich hatte eine Freundin und meine Mutter hat es sich schon gedaht. Somit habe ich es dann eher ungewollt meine Eltern erzählen müssen, mein Vater ist total ausgeflippt und meinte das es ihm peinlich ist und hoffte es sei eine Phase. Dann war es mit meiner Freundin vorbei, weil sie mich betrogen hat. Das war vor etwa 3 Monaten. Zwischendurch habe ich mich immer wieder geritzt, weil mir das alles zu viel wurde und ich mich nicht wohl gefühlt habe. Jetzt bin ich an so einem Punkt wo ich sehr durcheinander bin, ich habe einen Besten Freund und könnte mir durchaus mehr mit ihm vorstellen aber gleichzeitig habe ich noch Gefühle für meine Ex. Ich fühle mich von Frauen auch einfach mehr angezogen bis auf meinem Besten Freund, er ist der einzigste Mann von dem ich mich auch angezogen fühle. Er meinte auch, das es sich mehr mit mir vorstellen könnte doch das unsere Freundschaft dadurch eventuell kaputt gehen könnte. Aber das Problem ist auch, dass ich mich oft wie der Männliche Part fühle und mich auch gerne so kleiden möchte und all sowas. Und ich möcht ihm auf keinen Fall verlieren, weil er mir immer beisteht. Ich habe mich mal wieder geritzt, weil zuhause gar nichts mehr läuft. Ich werde nur noch angemacht und möchte am Liebsten weg. Mir wird alles zu viel. Ich weiß nicht mehr wer ich eigentlich bin.. ich fühle mich nur traurig und denke da dran wie schön es wäre die Klinge an meinem Arm zu spüren. Ich habe schon dadrüber Nachgedacht, das ich eventuell Depressionen haben könnte. Denn ich leide auch oft unter Schlafstörungen oder wollte mich schon mal umbringen. Dazu muss ich sagen, das ich Gesundheitlich nicht immer so ganz Fit bin, 2014 wurde bei mir zwei Bandscheibenvorfälle festgestellt die ich auch so gut wie jeden Tag spüre indem ich sehr starke Rückenschmerzen habe. Ich weiß nicht wie das alles weiter gehen soll vorallem weil ich im August meine Ausbildung als Sozialpädagogische Assistentin anfangen werde und dafür müsste ich eigentlich stabil sein bzw. werden. Ich habe auch eine Therapie gedacht doch davor habe ich einfach zu viel Angst, ich möchte mich nicht alles immer wieder hoch holen und mich jemanden neues anvertrauen. Ein mal war ich beim Psychologen und habe mich total unwohl gefühlt. Ich kann einfach nicht mehr, das geht schon so viele Jahre und immer wieder denke ich, ich erlebe alles nochmal von vorne.

Danke schon mal und Liebe Grüße.

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Marieke,

wenn du die Klinge an deinem Arm spürst, ist es für dich erleichternd, zugleich mit dem Blutfluss, mit dem Schmerz durch die Schnitte, deine inneren Belastungen zurückzudrängen. So verstehe ich dich? Für dich ist es seit langem eine Methode geworden, die du wählst, wenn es dir schlecht geht, wenn der Druck zu groß wird. Ich kann es verstehen. Nur - wenn du dir auch noch so weh tust, das eigentliche Problem wird nicht verschwinden.

Du hast dir bereits viele Gedanken über deinen Zustand gemacht, das finde ich sehr gut. Es zeigt, dass du auf dich achtest und deine Probleme als solche wahrnimmst. Bei dir kommen viele Dinge zusammen: Die Unsicherheit in der Liebe, der Stress zuhause, deine Verletzungen, die bevorstehende Ausbildung... es ist begreiflich, dass du in solchen Momenten manchmal lieber zur Klinge greifst, als es weiter zu ertragen, und das Gefühl, nichts ändern zu können. Aber das täuscht: Es lässt sich ändern, in Stabilität überführen. Vielleicht kann ich dir ein paar Wege aufzeigen. Doch voranstellen möchte ich, dass du die Sache mit dem Ritzen nicht unterschätzen solltest: Abgesehen davon, dass die Wunden gefährlich sein können, wird es dir zwar für eine kurze Weile Erleichterung schaffen, jedoch nie die Themen aus der Welt räumen können. Im Gegenteil - es zementiert sie, denn was mag dir als deutlicherer Beweis scheinen, dass dir die Lage entgleitet, als die Narben an deinem Arm? Bitte, hab da Acht auf dich. Wenn du nicht direkt mit deinen Eltern reden willst, was ich wirklich verstehen könnte, dann versuche, es durch andere Strategien zu ersetzen. Schließe die Klingen weg, wenn das geht. Oder vereinbare mit einer Freundin, ihr deine Gedanken mitzuteilen, sie anzurufen, wenn es dich reizt. Da die Sache sich schon so lange hinzieht, wäre es wirklich gut, wenn du versuchst, davon weg zu kommen.

Großen Raum nimmt bei dir die Frage nach deinen Gefühlen, und auch nach deiner sexuellen Neigung ein. Ich möchte dir sagen: Es ist okay, wenn man auch mal zweifelt. Wie solltest du auch nicht? Dein Vater hat dir schließlich vermittelt, dass es ihm missfällt, wenn du Frauen lieben solltest. Bisher sah es danach aus. Nun fühlst du dich außerdem zu deinem besten Freund hingezogen. Diese Verwirrung muss belastend sein - doch du darfst dir erlauben, es nicht sofort zu wissen. Ganz egal, ob du feststellst, dass du Männer, Frauen, oder vielleicht beide Geschlechter lieben kannst, alles ist in Ordnung und zu respektieren. Wenn dein Vater das nicht einsehen mag, ist das unschön, aber im Wesentlichen sein Problem. Lass dich nicht hemmen auf deinem Weg, dein Glück zu finden, weil jemand anders Bedenken hat - er mag auch dein eigener Vater sein. Wohl, er gehört einer anderen Generation an, und es mag für ihn schwerer sein, sich damit abzufinden. Erwarten kannst du es trotzdem. Derzeit bist du getrennt, du trauerst deiner Exfreundin noch nach, und gleichzeitig mischt dein bester Freund dein Gefühlsleben auf; das ist schon Durcheinander genug, und es soll dich nicht auch noch belasten, dich fragen zu müssen, ob deine sexuelle Orientierung richtig ist, sollte sie sich nicht auf Männer richten. Nichts davon ist falsch. Dein Vater wird nicht der Letzte und Einzige sein, der sich daran stößt - doch du kannst und sollst ihnen den Gefallen nicht tun, dich selbst zu verleugnen, weil du damit nicht glücklich würdest.

Wenn dein bester Freund Gefühle für dich hegt - hast du mit ihm schon einmal darüber gesprochen, was dich umtreibt? Ich fände es gut, wenn dein Freund akzeptieren könnte, dass du etwas Zeit brauchst. Unabhängig davon, ob der neue Partner nicht dasselbe Geschlecht hat wie der alte, braucht es immer Zeit, bis man bereit ist für etwas Neues. Und du könntest deinen Freund bitten, dir diese Zeit zu gewähren - Zeit, in der ihr nicht über eine mögliche Zukunft sprecht, er keine Antworten von dir erwartet und annimmt, dass die Trauer in dir noch zu groß ist. Du kannst ihm versprechen, ihm zu gegebener Zeit zu sagen, wie es in dir aussieht. Aber vorerst wird es wenig Sinn machen, sich gleich in etwas Neues zu stürzen, wenn du über deine Ex noch nicht hinweg bist. Es mag ja sein, dass es dich jetzt zu deinem Freund hinzieht, auch wenn er ein Mann ist; aber weder nützt es euch, noch hat er es verdient, dass du dich auf ihn einlässt, obwohl du innerlich noch nicht bereit bist. Wenn er dich wirklich liebt, wird er es verstehen, dass es nichts mit ihm zu tun hat, sondern mit deiner inneren Unruhe, die sich erst legen muss.

Zurzeit schwankst du zwischen verschiedenen Lebenswelten, die Entscheidung fällt dir schwer: Liebe ich Frauen oder Männer? Fühle ich mich mehr von der männlichen Rolle oder der weiblichen angezogen? Das alles sind natürlich auch Kategorien, die auch nicht für jeden gelten müssen. Möglicherweise gefällt es dir eher, burschikos aufzutreten, in Männerkleidern, und auch gegenüber deinem Partner, selbst wenn es ein Mann wird, nicht das scheue, zärtliche Wesen zu markieren, sondern dynamisch aufzutreten. Das alles ist legitim. Es ist nichts, wogegen man sich entscheidet, wenn man einen Mann liebt, sondern rein eine Sache von Absprachen. Dein Freund sollte dich so lieben, wie du bist, und wie du dich am wohlsten fühlst. Schließlich entsteht ihm dadurch kein Nachteil. Und wenn du mit einer Frau zusammen findest, dann ist es genauso okay. Vielleicht wird sie dann eher in der femininen Rolle leben, das kommt natürlich wiederum auf die Person an. Wichtig ist mir: Du musst nicht Frau sein, die Männer liebt, um dann auch die Frau (das heißt, die Klischees, die man so zuschreibt) zu erfüllen. Jede Partnerschaft ist ohnehin anders. Es gibt Beziehungen, in denen die Frauen der tonangebende Part sind, oft auch, weil sie von ihrer Persönlichkeit her selbstbewusster sind, das Leben entschlossener angehen. Und es gibt Männer, die dazu stehen, dass sie auch mal eine Ansage brauchen. Du siehst, hier sprechen wir über Kategorien, die im Grunde längst überholt sind, und die du deshalb auch nicht mehr erfüllen musst. Wie du deine Beziehung gestaltest, in welcher Weise eure Kommunikation stattfindet, welchen Part du einnimmst, was du von deinem Partner oder Partnerin erwartest, und was er oder sie von dir - das alles hängt davon ab, wie ihr es euch einrichtet. Vorher ist es aber legitim, wenn du noch überlegst, wohin es dich eher zieht, wie es sich für dich am besten anfühlt.

Wenn du eine Liebe "auf den zweiten Blick" erlebst, also mit jemandem, den du schon lange gut kennst und dem du vertraust, ist natürlich gerne mal die Angst da, man könnte die Freundschaft dadurch zerstören. Speziell, wenn es zur Trennung kommen sollte. Aber sag selbst - was ist besser: Deinen Gefühlen zu folgen, und dich zu erinnern, dass, was nach einer Trennung kommt, sich immer auch erst nach einer Trennung zeigen wird - oder aus Angst vor der Zukunft einzuknicken, und dadurch der Freundschaft auch einen Sprung zuzufügen? Wie du es auch machst: Wenn dein bester Freund für dich so viel Gutes wirkt, dann kann er das auch als dein fester Freund, wenn du es mit ihm wagen möchtest. Solltet es geschehen, dass ihr euch trennt, wird euer Verhältnis zwar kaum mehr dasselbe sein, kann aber immer noch freundschaftlich funktionieren und auf einer großen Vertrauensbasis stehen. Dass zwischendurch Einiges an Enttäuschungen und Schmerz sich ereignen kann, ist wahr, aber es muss nichts heißen. Das habt ihr beide in der Hand. Und ich nehme an, wenn du mit ihm offen darüber sprichst, wirst du feststellen, dass es ihm ganz ähnlich geht. Es ist immer ungewohnt, von einer Form des Kontakts in eine andere, noch intimere zu kommen. Aber egal, ob ihr auch nur Freunde bleibt - auch da erfährt euer Verhältnis Wandlungen, Umbrüche. Sie sind etwas Normales, weil ihr euch in eurer Persönlichkeit entwickelt, auf andere Dinge Wert legt, neue Themen in eurem Leben aufbrechen. Auf all das muss eine Freundschaft sich einstellen. Und eine Beziehung ist ein gewichtiger unter diesen Faktoren, aber letztlich auch nur einer von vielen. Wenn du also krampfhaft die Freundschaft wahren willst, in dem Bestreben, etwas zu erhalten, was sich ohnehin nicht halten lässt, veränderlich ist - dann hast du nichts gewonnen. Wenn ihr beide mehr füreinander empfindet, dann wäre es das Vernünftigste, über die Ängste zu reden und es in der besten Absicht zu versuchen. Noch ist dann alles offen, was die Zukunft bringt.

im Hinblick auf deine Verletzungen wäre es wohl am besten, wenn du dich so weit wie möglich schonst. Es wird sich fatal auswirken, wenn du dich auch körperlich so sehr belastest. Zumal das Seelische und das Körperliche ja in Zusammenhang stehen. Stabilität allerdings ist ja auch etwas Relatives: Möglicherweise schaffst du es leichter als Andere, zwischen deinen eigenen Problemen und dem, womit deine Ausbildung dich konfrontieren wird, zu trennen. Im Übrigen kann man nicht erwarten, dass jemand, der in einem solchen Beruf arbeitet, immer zu einhundert Prozent stabil ist. Wichtig ist, dass er seinen Aufgaben nachkommt, seine Grenzen kennt und sich unter Kontrolle hat. Was nach Arbeitsschluss passiert, ist immer nochmal etwas Anderes. Und vorstellbar ist doch auch, dass die Ausbildung deine Gedanken positiv umlenkt, dir Input schafft und dich bestärkt? Außerdem ist doch noch ein wenig Zeit. Es wäre falsch, jetzt die Flinte ins Korn zu werfen, denn auch wenn du später im Arbeitsleben stehst, wirst du privat immer wieder mal sehr geprüft werden. Es wird nicht die letzte Situation sein, in der viel auf dich einstürzt, und wenn dein Anspruch ist, dass in solchen Lagen immer alles super sein muss (obwohl du darauf nur begrenzt Einfluss hast), stresst dich das eher noch mehr. Gut wäre es, wenn du die verbleibende Zeit nutzt, um dich zu kräftigen: Überanstrenge dich nicht, aber vermeide auch nicht die Bewegung; genieße das Frühlingswetter, gestalte deine Ernährung bewusst und lecker, und suche nach Wegen, die Schlafprobleme ein wenig einzudämmen. Nachdenken könntest du etwa über ein leichtes Schlafmittel, dass du erstmal eine Weile nimmst, über entsprechende Tees, oder sogar Meditation. Ich denke, was immer es ist - es kommt darauf an, dass du dich forderst, deine Energie, die jetzt in deine vielen Grübeleien und Ängste fließt, produktiv umsetzt. Verliere dabei jedoch nicht deine Verletzungen aus den Augen. Es ist niemandem genützt, wenn du tust, als wärst du ganz ohne Schwachstellen - was da ist, will so weit als möglich auskuriert sein. Andererseits bringt es auch nichts, untätig zu bleiben. Dass du uns all das aufgeschrieben hast, war schon sehr gut. Nun gilt es, die verbleibende Zeit zu füllen und dir Struktur zu geben: Durch das Essen, durch Spaziergänge, Telefonieren mit Freunden, Unternehmungen mit der Clique. Versuche, mit deinem Freund zu klären, dass im Moment noch nichts gesichert ist, es aber bei dir arbeitet. Wenn deine Entscheidung eher zu deiner Exfreundin hin geht (wenn sie sich dir wieder öffnen sollte), oder allgemein eher zu Frauen hin, solltest du auch da mit offenen Karten spielen. Setze dich aber nicht unter Druck. Ich denke, du solltest den Mut haben, die Menschen, die dich schätzen, auch soweit in die Pflicht zu nehmen, dass sie dir erlauben, deine Entscheidungen in deinem Tempo zu treffen und zu Ende zu bedenken. Wenn du keine psychologische Unterstützung möchtest, ist das auch in Ordnung. Solange du nur den Anspruch an dich aufgibst, auf alles eine Antwort wissen zu wollen, kannst du es auch so schaffen. Aber zögere nicht, dich zu äußern, zu besprechen, und auch selbst etwas zu fordern. Denn auch wenn Andere gerne etwas bekommen oder wissen möchten - wenn du dich opferst, deine Befindlichkeiten ignorierst, und überstürzt, ist auf Dauer nichts gewonnen. Wenn du also die Lasten, die du dir auflegst, etwas milder gestalten kannst, weil ich dir sage, dass es nicht sein muss - dann wäre ich sehr froh. Denn das ist dein gutes Recht.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul