Problem von Anonym - 13 Jahre

Mir wird zur Zeit alles zu viel

Mir wird zur Zeit alles zu viel. Ich gehe in die 7. Klasse Gymnasium (musisch) und bin gerade nicht nur Notentechnisch überfordert. In meinem Hassfach Latein mogle ich mich mit ner 4 durch aber nur weil mein Lehrer nicht al zu streng bewertet ich hatte aber auch schon 5er und 6er. In Englisch hatte ich zwar noch keine 5 oder 6 aber da bin ich auch nicht sooo gut. Zuhause ist gerade viel los weil meine Eltern bald Silberne Hochzeit haben und dazu auch noch der 50. Geburtstag von meiner Mutter kommt. Ich würde seeehr gerne reiten lernen, meine große Schwester (sie arbeitet schon) würde es mir sogar zahlen als Gegenzug müsste ich aber mit einem Blasinstrument anfangen weil ich Klavier spiele aber man damit nicht in der Blasmusik mitspielen kann. Bis auf 2 sind alle meine Geschwister dort und meine Eltern waren auch einmal. Von meinem großen Bruder werde ich immer zum Vokabeln lernen genötigt aber die Wörter gehen rechts rein und links raus. Manchmal wenn ich glaube allein zu sein stelle ich mich vor einen Spiegel und weine. Ich stelle mir dann immer vor wie ich allen sage, dass mir alles zu viel wird und dass das alles nur meine Mauer war. Ich glaube ich habe vergessen, dass wir einen Bauernhof (Milchvieh) haben und dass meine beste Freundin letztens die Schule gewechselt hat sodass ich sie nur in den Ferien sehen kann. In der Schule fühle ich mich jetzt trotz meiner Freundinen um mich alleine. Letztens habe ich mich mit einer sehr fest gestritten weil ein paar Freundinnen sie verkuppeln wollten, es aber nicht auf die Reihe gebracht haben sodass ich ihnen etwas geholfen habe. Anscheinend habe ich zu viel gesagt .... sie sind jetzt trotzdem zusammen. Anfangs war ich in einen echt süßen Jungen in meiner Klasse verknallt nur fang ich an mich in den verkuppelten Jungen zu verlieben und bin der Meinung, dass er eine bessere verdient.... Er hat auch ein Pferd und ich glaube, dass ich auch ein bisschen deshalb reiten lernen will, es war aber auch ein Kindheitstraum von mir. Ich heule gerade weil meine Schwester mich geschlagen hat. Zugegeben ich habe zu erst geschlagen aber nur weil sie so erniedrigend und gemein war. Ich kann nicht gut kochen und backen weil es mir noch nie jemand richtig gezeigt hat und weil ich mal eine seeeehr starke Verbrennung hatte sodass ich immer heule wenn ich z.B. ein Schnitzel in eine Pfanne legen muss weil das Fett da so spritzt. Oft werde ich ausgelacht wenn ich nicht weiß was in einen Biskuit kommt oder wie lange Frühstückseier brauchen. Dazu kommen noch viele zeitweilige Probleme wie Schulaufgabe etc. Ich stelle mir oft schöne Dinge vor z.B. eine Hochzeit in weiß, viel Geld zu haben, eine von den coolen Mädchen zu sein, ein Leben ohne Verantwortung über Tiere und Sich selbst, ein Stadtkind dass jede Ferien in den Urlaub fährt zu sein (war noch nie im Ausland)... Ich glaube dass war alles und ich freue mich auf eine Antwort
LG U.

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

man merkt sehr deutlich, dass gerade sehr viel auf dich eindrückt. Es ist nur verständlich, dass du dich am Ende fühlst. Ich muss dir gestehen: Ich habe den Eindruck, dass die Erwartungen deiner Familie an dich sehr hoch sind. Was deinen Eltern sinnvoll scheint, was deine Geschwister ohne Probleme bewältigt haben, das muss deswegen nicht auch für dich das Beste sein. Es gibt bei euch die Schultradition - und nun hast du mit Problemen zu kämpfen. Heißt das jetzt, dass du weniger begabt wärst? Keineswegs. Man muss nicht in jedem Fach glänzen. Bei dir ist es so, dass deine Probleme eher im Bereich der Sprachen liegen. Vielleicht liegen andere Dinge dir dafür mehr? Mir kommt es vor, als ob jeder unbedingt von dir wollte, dass du ein bestimmtes Bild erfüllst, in ein bestimmtes Schema passt. Wenige scheint zu interessieren, ob du vielleicht einfach ein anderer Mensch bist. Nicht schlechter, anders, mit anderen Interessen, anderen Vorzügen. Das ist sehr traurig. Ich möchte dir sagen: Du kannst schon stolz auf dich sein, dass du all das so gefasst erträgst und dir solche Mühe gibst. Aber jeder hat seine Schmerzgrenze. Und du musst dich nicht schämen, dass deine gerade erreicht ist. Es steht dir zu. Doch etwas ändern lässt sich nur, wenn du auf dich aufmerksam machst.

Für dich mag es schwer sein, was ich dir jetzt sage. Aber tatsächlich wäre es gut, wenn die Situation, die du dir so oft vor dem Spiegel ausmalst, einmal Wirklichkeit werden würde. Denn es geht nicht darum, dass du versagt hättest. Im Gegenteil, du schlägst dich wirklich gut im Leben. Doch niemand kann erwarten, dass du das schaffst, was andere schaffen, weil du du bist. Es wäre gut, wenn du dich deinen Eltern öffnen könntest. Wenn du es nicht allein möchtest, mit Unterstützung. Du kannst dich auch an einen deiner Lehrer wenden, oder jemanden aus Familie und Freundeskreis dem du vertraust, an Schulsozialarbeiter oder Schulpsychologen. Das Wesentliche ist aber: Diese Anspannung, die du in dir trägst, muss einmal von dir abfallen. Und das kann sie am besten, wenn du erzählst, was dich umtreibt. Für die Anderen erscheint es vielleicht gar nicht so schlimm, wenn sie lachen, weil du etwas gerade nicht weißt, oder dich triezen. Das ist aber nur so, weil es für SIE nicht so tragisch war, weil sie in den Dingen keine Probleme hatten, oder weniger, die dir schwer fallen. Auch sie hatten sicherlich ihre Schwächen - bloß das Glück, dass niemand je so dran gerührt hat. Und nun ist es bei dir anders, und du musst es ausbaden, obwohl du gar nichts dafür kannst. Wenn du deiner Familie einmal gesagt hast, was mit dir los ist, wird sich wohl nicht schlagartig alles bessern - aber es wird für dich eine gewisse Erleichterung eintreten. Es ist eine Sache, mit seinen Problemen zu kämpfen, und vor aller Welt zu tun, als ob nichts wäre. Es ist eine andere Sache, einfach mal reinen Tisch gemacht zu haben, auch wenn die Lösung noch auf sich warten lässt. Allein dieses Gefühl "Jetzt ist es raus!" ist schon recht angenehm, vielleicht auch die Genugtuung, die Anderen ein wenig geschockt zu haben. Denn auch Eltern können sich darin täuschen, was ihre Kinder leisten können und aushalten. Und auch für sie ist euer Heranwachsen ein Lernprozess. Du kannst dazu beitragen, aber du musst auf dich aufmerksam machen. Andernfalls wird es nicht besser. Stehe für dich ein - denn sonst frisst die ganze Belastung dich auf. Und das wäre furchtbar. Es ist nichts Sträfliches, in deinem Alter in der Schule zu kämpfen zu haben, sich mit Ängsten und Zweifeln abzumühen; es ist ungerecht, wenn man dir deshalb Vorwürfe macht. Man kann nicht voraussetzen, und auch du selbst solltest es nicht, dass du alles klaglos und locker erträgst. So ist der Mensch nicht. Und du hast gewiss viele andere Qualitäten, die nur gerade hinter den vielen Ansprüchen der Menschen um dich herum verschwinden. Doch sie sind da - und ich glaube, du wärst ein glücklicherer Mensch, sie ausleben zu können.

Du hast einige Dinge aufgezählt, die dich quälen, Schwierigkeiten, unerfüllte Sehnsüchte... all das zusammen ergibt eine sehr große Belastung. Ich kann mir gut vorstellen, dass du da nicht mehr ein noch aus weißt. Beginnen wir einmal mit der Schule: Ist es für dich tatsächlich schwer, die Sprachen zu lernen - oder könnte es nicht auch sein, dass du soviel Druck erfährst, dass du dich kaum mehr konzentrieren kannst? Ich zum Beispiel hatte eher Probleme in Mathe. Und ich muss gestehen: Irgendwann habe ich den Kampf so ziemlich aufgegeben. Es war nicht so schlimm, weil ich anderswo gute Noten hatte. Doch vielleicht würde ich heute, wo seit der Schule etwas Zeit vergangen ist, die Dinge anders lernen können. Damals war mein eigener Anspruch zu hoch, und vielleicht auch der Druck von außen zu groß. Wie siehst du das bei dir? Es ist doch möglich, dass vielmehr Fähigkeiten in dir schlummern, als du glaubst. Und genau da liegt das Problem: Deine Misserfolge erscheinen dir als Bestätigung, dass du "schlecht" bist. Vielleicht hast du aber auch einfach nur vermittelt bekommen, dass du es nicht schaffen kannst? Von deinem Bruder vielleicht auch - auch wenn er es gar nicht böse meint. Es ist nicht immer leicht, selbst wenn man jemanden helfen will, ihm auch klar zu machen, dass er gar nicht so wenig Potenzial hat, wie er glaubt. Oder zu vermeiden, ihm noch zusätzlich diesen Eindruck zu geben. Wenn du Vokabeln lernst, lebst du da schon so in der Angst vor dem Versagen, dass du innerlich schon kaum mehr dabei bist? Hast du schon solche Angst vor dem nächsten ekligen Kommentar, dass du schon denkst, er müsste kommen, du würdest es gar nicht packen? Ich verrate dir was: Der Mensch, der keine Probleme und Schwachstellen hat, ist noch nicht geboren. Vielleicht zählen die Sprachen wirklich nicht zu deinen Stärken; vielleicht traust du dir aber auch selbst zu wenig zu. Auch das ist ein Grund, mit deinem Schmerz nach außen zu gehen, damit der Druck nachlässt. Unter Druck etwas tun zu müssen, was man nicht leiden kann - das ist keine schöne Situation. Und da es auch um drei Fächer gleichzeitig geht, wie will man das wissen, wo anfangen? Wäre es möglich, dass du dich zuerst auf ein Fach konzentrierst? Eine gute Note in nur einer der Sprachen zu bekommen, könnte dein Selbstbewusstsein schon heben. Welche wäre das? Und hinzu kommt: Du musst nur mit "ausreichend" bestehen. Zumindest mal für dieses Schuljahr. Später mag es anders werden, du kannst wiederholen, wenn du Ruhe hast, und im Abitur wirst du vermutlich auch nicht in jeder dieser Sprachen geprüft werden. Doch das Abiturzeugnis ist das einzige wirklich wichtige Zeugnis, das man bekommt. Das solltest du immer in Erinnerung behalten, wenn jemand dich aufzieht. Zwar ist es nicht verkehrt, beizeiten gewissenhaft zu arbeiten - aber das tust du ja, du hast einfach nicht die Kraft für alles auf einmal. Das ist menschlich, das sollte man respektieren. Möglicherweise muss deine Familie das noch merken und lernen. Was du jetzt an schlechten Noten bekommst, sagt über deine Zukunft noch gar nichts aus. Mach dir nicht auch noch selbst Stress, und rede dir nicht ein, du hättest nichts drauf. Das stimmt nicht. Du kannst nicht auf allen Hochzeiten tanzen. Und ich denke mal, auch deiner Familie ist eine ausgeglichene Tochter, die ihren Weg geht und glücklich wird, lieber als eine, die sich in Stress auflöst und vor lauter Angst scheitert, wo sie gar nicht hätte müssen? Du wirst mir vielleicht sagen: "Nein, genau das wollen sie, genauso reden sie." Der Punkt ist aber: Sie merken es selbst nicht. Und umso wichtiger ist es, dass du auf dein Recht pochst.

Als ich in der Grundschule war, fiel es mir sehr schwer, mich in das ganze System einzufinden. Ich war ein verträumtes Kind, ich war lieber für mich und wollte nie lange bei den Spielen der anderen dabei sein. In der Schule sitzen, wo es laut ist, mit vielen anderen Leuten, ständig irgendwas tun müssen, und wenn man's nicht macht, gibt es Ärger - tja, für mich was das eine schwierige Erfahrung. Meine Eltern hatten damals schon ziemlich viel Ärger mit mir, bis ich meinen Weg gefunden hatte. Das war auch auf dem Gymnasium nicht anders. Ich weiß noch, wie ich einmal einen sechs in einem Lateintest hatte (ich gebe zu, ich hatte ganz einfach nicht gelernt), und mein Vater völlig geschockt und wütend war. Ich habe irgendwann die Schule gewechselt - und wenn ich auch nicht zu den besten Schülern gehört habe, wurde es danach besser. Aber auch für meine Eltern war es ein langer Weg: Vom Anfang, wo sie noch alles kontrollieren, alles sehen, alles wissen wollten, wo eine 3-4 noch eine Katastrophe war, bis zu dem Punkt, als sie wussten, dass ich es irgendwie schaffe, dass sie mir vertrauen können. Eltern wissen zwar meist um die Schwächen ihrer Kinder, aber nicht immer tun sie das Richtige, um ihnen abzuhelfen. Und vielleicht geht es deinen Eltern ähnlich wie meinen: Sie haben noch nicht erkannt, dass du deinen eigenen Kopf hast, deine eigenen Träume, dass du viel klüger und bewusster bist, als sie es sich denken, dass du die Probleme siehst und nicht ignorieren wirst. Gerade auch in der Schule. Sie haben viele Wünsche für dich, doch so gut das gemeint ist, daraus ergeben sich auch viele Ansprüche. Zum Beispiel auch das mit dem Instrument. Da du auf einem musischen Gymnasium bist - wenn das Klavier dir eher liegt, solltest du es nicht aufgeben. Wie das mit dem Reiten ist, musst du selbst entscheiden: Du schaffst dir damit ja gleich zwei neue, sehr zeitaufwendige Beschäftigungen, zwei Hobbys. Kriegst du das alles noch unter? Da das Reiten für dich ein Traum ist, solltest du es nicht aufgeben, aber pass auch auf, dass du dich nicht überlastest. Vielleicht wartest du auch noch ein halbes Jahr oder ein Jahr - und wenn es in der Schule bis dahin entspannter ist, vielleicht kommst du dann auch ohne diesen Handel dazu? Ich möchte deiner Schwester nichts Böses unterstellen. Allerdings scheint es mir schwierig, wenn du zum jetzigen Zeitpunkt deinen Terminkalender immer voller lädst. Ob der Wunsch, reiten zu lernen, eher was mit deinem Schwarm zu tun hat - das kannst du am besten beurteilen. Aber eigentlich wäre es doch schade, wenn du diesem Wunsch nicht nachgehst, ob du ihn jetzt für dich gewinnst oder nicht, oder? Überlege es dir. Ich würde dir sehr wünschen, dass du dir deinen Traum erfüllen kannst - doch pass auch auf, dich nicht zu übernehmen, das wäre wichtig.

Und ja - glaubst du, ich hätte mit dreizehn gewusst, was alles in einen Biskuit kommt? :) Mein bester Freund ist ein Hausmütterchen gewesen, damals, er hat das von seiner Oma gelernt und ich hatte das Nachsehen... mittlerweile weiß ich solche Sachen auch - aber wer dich deshalb auslacht, vergisst vermutlich, dass es ihm irgendwann mal nicht anders ging. Schließlich musst du nicht alles können. Schwierig wird es in Fällen wie mit dem Schnitzel: Ich wäre wirklich froh, wenn du deine Eltern bittest, dass sie dich mit solchen bestimmten Dingen erst einmal verschonen. Es gibt so viele andere Dinge, die man in Haushalt und Küche tun kann. Es stimmt wohl, dass man seine Angst nur ablegen kann, wenn man sich mit ihr auseinandersetzt, jedoch wäre es schlimm, wenn du so darauf gestoßen wirst, dass du vor Angst irgendwann eine weitere schlimme Verletzung erleidest. Du hast Recht, wenn man einen Hof hat, bringt das viel Verantwortung mit sich, die andere Menschen nicht haben. Wahrscheinlich ist es für deine Eltern erfüllender als für dich, so zu leben - aber du bist ja nicht in alle Ewigkeit dazu verdammt. Du träumst den Traum, den im Lauf der Zeit schon viele Bauernkinder geträumt haben, und du hast das Glück, dass du ihn dir erfüllen wirst. Vielleicht wird irgendwann in den nächsten Jahren mal über die Schule ein Auslandsaufenthalt für dich möglich? Es ist zwar noch eine Weile hin, bis du deinen Abschluss machst, Zeugnisse in diesem Jahr sind also kein Grund, in Panik zu verfallen. Andererseits, was heißt diese Zeit schon, auf dein ganzes Leben hin betrachtet? Die Träume, die du hast, sind vielleicht nicht fern. Und vielleicht fällt es dir auch leichter, wenn du dich erinnerst, dass all das nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zu dem Leben ist, das du selbst bestimmst. Ich bin zwar kein richtiges Stadtkind, aber auf dem flachen Land wohne ich auch nicht gerade. Und so wie du von der Welt und der Stadt träumst, träumt meinereiner manchmal von Stille, von Stillstand und Einsamkeit, sehnst sich weg von der Hektik und den ständigen Veränderungen, hinein in eine immer gleiche, beruhigende Routine. So siehst du, wie unterschiedlich die Welten sind, und auch die Träume. Du wirst dir das andere Leben auch noch erobern, doch vorerst geht es um deine Gesundheit. Ich fände es wirklich toll, wenn du den Mut findest, dir den Beistand zu suchen, den du brauchst, und auch den Druck zu mildern, den du auf dich selbst ausübst. Das Wichtigste auf dem Weg zu einem entspannteren Leben ist genau das: Nie zu vergessen, dass man nicht alles leisten kann. Und das muss auch deine Familie einsehen. Ich wünsche dir, dass es bald dazu kommt.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul