Problem von Anonym - 17 Jahre

Was soll ich tun?

Hallo ihr lieben,
Ich bin einfach komplett ratlos!
Mal vorweg:
Ich wurde jahre lang schwer gemobbt bis ich dann die Schule gewechselt habe. Ich habe immer noch keine Freunde in der Schule und außerhalb hatte ich nur meine Nachbarin als beste und einzige Freundin. Leider habe ich mich mit ihr zerstritten und habe nun keinen mehr, außer einen Lehrer mit dem ich mich gut verstehe.
Da ich mich ständig zurückziehe, werde ich von vielen nur als "Psycho" bezeichnet. Auch die Lehrer fragen mich alle immer ob es mir nicht gut geht und die Schulleitung rief bei uns Zuhause an weil sie den Verdacht hatte, ich hätte Selbstmord Gedanken.
Vor einiger Zeit war ich dann wegen starken Ohrenschmerzen beim Arzt und der erklärte mir dann, dass ich Hochsensibilität habe. Das heißt ich nehme Sinneseindrücke und Gefühle viel stärker war, da viel größere Reitze dabei entstehen.
Durch diese angeborene Empfindlichkeit bin ich im Alltag häufig überfordert.
Niemand aus meiner Schule versteht mich. Ich kann es den anderen aber einfach nicht erklären, weil ich nicht weiß wie.
Dazu kommt, dass mich die meisten irre finden, weil ich mit einem strengen Lehrer meiner Schule "befreundet" bin.
Ich bin irgendwie selbst daran Schuld, immer wenn er Pausenaufsicht hat unterhalten wir uns, da gucken alle schon so komisch. Aber ich kann irgendwie nicht anders, er hört mir zu und erzählt tolle Geschichten. Er muntert mich auf und lächelt mir immer zu. Irgendjemanden brauche ich ja!
Ich habe auch schonmal versucht nicht zu ihm zu gehen, aber da hat er direkt nach der Aufsicht nach mir gesucht und gefragt warum ich nicht gekommen bin. Irgendwie habe ich das nicht ausgehalten, also werde ich mich nie wieder vor ihm verstecken.
In meiner Familie läuft auch alles schlecht:
Meine Onkel wollen nichts mit uns zu tun haben, Tanten habe ich keine. Meine einen Großeltern sind tot, die anderen kenne ich nicht. Meine Eltern schämen sich immer nur für mich und schauen immer nur nach meinem Geschwisterkind.
Ich fühle mich irgendwie alleine und bin überfordert. Ich weiß nicht was ich denken soll und habe Angst eines Tages wirklich mal Selbstmord zu begehen!
Eigentlich will ich aber leben und ich möchte so gern dazu gehören, zu den anderen!
Aber am aller liebsten möchte ich vertanden werden.
Habt ihr vielleicht ein paar Tips, was ich tun oder wie ich mich verhalten könnte, um aus diesem Loch heraus zu kommen?
Ganz liebe Grüße

Nuala Anwort von Nuala

Hallo du,

ich falle gleich mal mit der Tür ins Haus und schreibe: Hut ab! Dein Arzt hat dich auf das Thema Hochsensibilität gebracht. Ich kann zwar nicht einschätzen, ob er das nur auf deine Hörleistung bezogen hat, denn das allein wäre eigentlich als Kriterium zu wenig, um zu sagen, dass du hochsensibel seist. Doch finde ich die Tatsache erstaunlich und erfreulich, dass er das Phänomen kennt und dich darauf hingewiesen hat. Anhand der Beschreibungen deiner Situation kann es durchaus sein, dass du hochsensibel bist. Das ist aber keine Erkrankung, sondern lediglich eine charakterliche Ausprägung mit Schokoladenseiten, aber auch Schattenseiten. Guck dir bitte die Soforthilfe zum Thema Hochsensibilität an, sofern du sie noch nicht kennst:
http://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/53/Hochsensibilitaet.html Dort kannst du einen feinen Überblick über dieses Phänomen nachlesen, am Ende stehen auch weiterführende Internetseiten. Es gibt auch einige empfehlenswerte Bücher, unter anderem von E. Aron, der Pionierin auf dem Gebiet. Wenn du dich mit dem Ganzen befasst, achte auf dein Bauchgefühl - es wird dir sagen, ob du hier "zuhause" bist oder eher nicht. Es kann ja auch sein, dass du zufällig ein sehr feines Gehör hast und es für die anderen Bereiche Erklärungen gibt, die nicht mit Hochsensibilität zu erklären sind. Falls du jedoch merkst: Ja, das bin ich! Ich bin hochsensibel - hast du etwas ganz Wichtiges über dich selbst herausgefunden.
Dieser Fährte solltest du dann aus mehreren Gründen nachgehen: Zum Einen erklärt es dir zu großen Teilen, warum die Mehrheit deiner Mitschüler und überhaupt deiner Umwelt anders "tickt" als du bzw. warum du oft anders empfindest und dich anders verhälst als der Großteil der restlichen Menschen. Zum Anderen sind mit HS oft ganz andere Bedürfnisse verbunden, d.h. eine etwas andere Lebensgestaltung kann angebracht sein, um sich dauerhaft wohl in seiner Haut zu fühlen.

Nun aber zu deinen genannten Schwierigkeiten. Mal abgesehen von der Möglichkeit, dass du eine HSP (hochsensible Person) bist, möchte ich dir ein paar allgemeine Tipps und Überlegungen mit auf den Weg geben.

Stichwort ehemals beste Freundin: Ich habe keine Ahnung, wie tiefgreifend euer Streit war, doch meine ich, dass sich ein Versuch der Aussöhnung lohnen würde! Immerhin scheint sie dir einmal viel bedeutet zu haben und bestimmt bist du traurig über den freundschaftlichen Verlust... Auch wenn es unendliche Anstrengung und Überwindung kostet, so plädiere ich dafür, dass du einen großen Schritt auf sie zugehst und sie darum bittest, mit ihr einen Neuanfang machen zu dürfen. Denn ganz provokant gefragt: Was hast du schon zu verlieren? Du kannst nur gewinnen, und das wäre doch genial! :)
Denk doch einfach in Ruhe darüber nach, was genau euch entzweit hat und wie ihr wieder Frieden finden könntet. Vielleicht kannst du ihr in einem Brief von deinen Gefühlen schreiben.

Was deinen Lehrer angeht, hast du wohl einen wirklich aufrechten erwischt, der es gut mit dir meint. Solange sich eure Unterhaltungen im schulischen Rahmen bewegen und nicht privater werden, ist dagegen überhaupt nichts einzuwenden.
Vielleicht spürt er, dass du eine besondere soziale Position einnimmst und möchte dich stärken. Das fände ich toll von ihm.
Wenn du noch einen Mehrwert aus den Gesprächen mit ihm ziehst, ist das umso besser!

Bezüglich deiner Eltern kann ich nur vage bleiben, da ich eure familiäre Situatation nicht einschätzen kann. Frage dich bitte kritisch, ob du ihnen nicht ein wenig Unrecht tust, wenn du nur das Negative von ihrer Seite her siehst - manchmal übersieht man die Liebe, die mitunter versteckter daher kommt (z.B. durch materielle Zuwendung). Ich will damit nicht in Abrede stellen, dass du dich unwohl fühlst, doch möglicherweise gibt es durchaus Zuneigungsbekundungen und auch Wertschätzung, die du eventuell nur nicht als solche erkennen kannst. Auch hier empfehle ich ein direktes Gespräch mit ihnen. Manchmal müssen Kinder Aufmerksamkeit direkt einfordern, weil die Eltern im Alltag "betriebsblind" sind... oder nicht merken, wann sie richtig gemein sind und die Grenzen ihrer Kinder immer wieder überschreiten!

Und zu deinem innigen Wunsch, zu den anderen dazuzugehören. Das verstehe ich voll und ganz und wahrscheinlich die allermeisten anderen Menschen auch. Nur ist es nicht immer so einfach, das hast du leider selbst erleben müssen.
Ich rate in solchen Lagen gerne dazu, sich möglichst nicht auf die große Masse zu konzentrieren, sondern auf ausgewählte Einzelpersonen. Besonders dann, wenn du tatsächlich hochsensibel sein solltest, ist das umso bedeutsamer, denn die Mehrheit hat andere Bedürfnisse und Wahrnehmungen als HSPs, was häufig mit unterschiedlichen Interessen und Freundschaftsstilen einhergeht (z.B. sehnen sich HSPs oft nach intensiven Freundschaften, die über bloßes "Abhängen" und (scheinbaren) Oberflächlichkeiten hinausgehen). Suche dir die Mitschüler, bei denen du von Grund auf ein gutes Gefühl hast, auch wenn du sie kaum kennst. Du kannst ja versuchen, Kontakt zu ihnen herzustellen, wenn eine Anfangssympathie vorhanden ist. Gerade im schulischen Bereich gibt es ja doch immer wieder Anknüpfungspunkte wie gemeinsame Projekte, AGs, Hausaufgaben, Schulversammlung, etc.
Desweiteren solltest du versuchen, über deine persönlichen Interessen auch außerhalb deiner Schule neue Leute zu treffen, vielleicht auch aus unterschiedlichen Altersgruppen.
Eine Brief - oder Mailfreundschaft kann ebenfalls eine feine Sache sein; im Netz findest du einige Internetseiten für Briefkontakte.

Was deinen Wunsch anbelangt, verstanden zu werden: Auch das ist etwas, was ich für meinen Teil sehr gut nachempfinden kann - und gerade HSP haben ein deutlich erhöhtes Bedürfnis, exakt so wahrgenommen und verstanden zu werden, wie sie insgesamt sind mit all ihren Facetten. Leider ist es relativ selten, dass man von Menschen, die ganz anders ticken, in dieser Hinsicht richtig gut verstanden wird. Man kann viel erklären, Beispiele finden, etwas beschreiben - doch ob die andere Person etwas damit anfangen, geschweige denn es WIRKLICH genau so verstanden hat, wie man es meint, ist immer fraglich. Daher denke ich, dass du dich ein Stück weit mit dem Gedanken anfreunden müsstest, dass ein umfassendes Verständnis eher unrealistisch ist, egal ob du hochsensibel bist oder nicht. Das ist aber nicht so schlimm, solange du Menschen suchst und findest, welche dir ähnlich sind und in einigen für dich wichtigen Bereichen mit dir konform gehen. Es ist als Minderheit stets eine Herausforderung, seine Wünsche und Ansichten gegenüber der breiten Masse zu vertreten, dabei auch noch gehört zu werden. Das geht Homosexuellen, politischen Splittergruppen, Behinderten, psychisch Kranken, religiösen Kleingruppen usw. ähnlich. Deswegen ist es eben so wichtig, sich mit Gleichgesinnten zusammenzuschließen. Da ist zugegebenermaßen auch Geduld und eine gewisse Frustrationstoleranz gefragt, doch wenn du über dich selbst gut Bescheid weißt und dadurch mehr ins Reine mit dir selbst kommst, gehen manche Dinge fast schon von alleine :) Andere Menschen spüren ja auch, wer ihnen ähnlich ist und wo sie sich aufgehoben fühlen.

Ich wünsche dir alles Liebe!
Nuala