Problem von Annika - 16 Jahre

Nicht mehr leben wollen

Ähm hallo
Ich weiß nicht genau wie ich das hier schreiben soll aber gut ich probiere es einfach mal
Also ich leide seit drei Jahren an schweren Depressionen. Ich war schon zu oft in einer Klinik ein mal auf der offenen Station und wegen häufigen Suizidversuchen schon öfter als mir lieb auf der geschlossenen... Dort war es ziemlich schrecklich.... Deswegen will ich da nicht nochmal hin, aber weiterleben ist zu anstrengend. Ich habe auch schon konkrete Pläne. Halt wann? Wie? Wo?Nur ich habe Angst das es ein 6 mal schief geht und ich in die blöde Klinik muss. Mein Eltern würden mich wenn ich überlebe danach sofort in eine Wohngruppe stecken.
Ich weiß einfach nicht mehr weiter. Ich will doch einfach nicht mehr leben. Und ich weiß auch nicht ob es normal ist wirklich sterben zu wollen.. Halt nicht nur damit der Schmerz weg geht und die ganzen Probleme. Sondern wirklich nicht mehr leben. Es ist ok wenn ihr mir nicht antwortet. Ich meine ich würde mir auch nicht antworten... Aber trotzdem fände ich es schön...

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Annika,

mehrere von uns haben sich in den letzten Tagen zusammengetan, und Gedanken zu deinem Problem gesammelt. Sowohl Julia als auch ich wollten gern eine Antwort schreiben - und schließlich haben wir beschlossen, dass du von uns beiden eine bekommst. Sie schließen sich direkt an. - (Paul)


Hallo liebe Annika,

Es freut mich sehr, das Du Dich mit deinem Problem an uns gewandt hast und uns damit dein Vertrauen entgegenbringst!

Du hast da wirklich schon einiges hinter Dir und Es tut mir Leid für Dich das dein Leben dich bisher nicht überzeugen konnte, wie schön Es sein kann. Lass mich dich fragen: Was wünscht Du Dir, wenn Du deine Augen schließt? Ist es tatsächlich der Wille nicht mehr Leben zu müssen? Oder ist es viel mehr Der Wille dein Leben anders zu leben, als Du es aktuell tust?

Ich möchte Dir gar nicht mit Aussagen kommen wie: „Alles wird sich bessern. Dein Leben wird wieder schöner Sein.“ Das wäre nicht die Wahrheit und würde letztendlich nur aus Mitgefühl und Mitleid gemeint sein. Einen wirklichen Fahrplan, wie das Leben für Dich wieder lebenswert wird, kann Ich dir nicht geben, liebe Annika. Bist Du des Lebens so müde geworden, weil Du bisher keinen Erfolg siehst. Oder etwa, weil Der Auslöser von all dem immer noch nicht bekämpft ist?

Du hast hier geschrieben, gehst Aber selbst nicht davon aus, das man Dir antworten wird. Warum nicht? Warum würdest Du Dir selbst keine Antwort geben? Du hast diesen Schritt gewagt hier zu schreiben und Ich bin froh darüber, das Du geschrieben hast. Was hast Du dir erhofft, indem Du uns geschrieben hast? Was ist es, was Dich zu dem Schritt gebracht hat, deine Nachricht nach dem Schreiben auch an uns abzusenden?

Als Ich deinen Text las, stellten Sich mir direkt einige Fragen: Möchtest Du Hilfe bekommen, damit Sich dein Leben verbessern kann, oder Möchtest Du Hilfe bekommen, wie Du deine Angst besiegen kannst vor dem, was bei Einem weiteren misslungenen Selbstmordversuch passieren könnte? Hast Du wirklich Angst, das Deine Eltern dich wieder in die Klinik und dann in eine Wohngruppe bringen, oder liegt das alles nicht eher daran, dass Du Angst hast, das man Dir dort wieder nicht helfen kann?

Ich kann keine Wünsche erfüllen und bin keine gute Fee, die dir dein Leben erleichtern kann, oder Dir die Entscheidungen in deinem Leben abnehmen kann. Ich kann nicht dafür sorgen, das Selbstmordversuche funktionieren und Ich kann auch nicht dafür sorgen, das Du Morgen früh wach wirst und plötzlich weißt, was zu tun ist in deinem Leben. Ich kann Dich keinen Spaß und keine Freude empfinden lassen, weil Du es dir wünscht. Ich kann Deinem Leben kein Ende setzen, weil Du dein Leben wegwerfen möchtest.

Ich kann mir durchlesen was Du schreibst. So wie alle Teammitglieder hier. Ich kann mir dann Gedanken um Dich machen und um eine Antwort an Dich. Ich kann manchmal Richtungen und Mögliche Wege aufzeigen, damit man lernt Sie selbst zu sehen oder überhaupt in Betracht zu ziehen. Das kann Ich bei Dir auch versuchen, aber das heißt nicht, das Es immer alles so funktioniert, wie man Es sich wünschen würde. Wir sind Menschen, wie auch Du. Wir haben alle eine Wegstrecke hinter uns und weitere viele Richtungen vor uns.

Manchmal nimmt das Leben tatsächlich komische Abzweigungen. Manchmal landet man dann irgendwo, wo man Niemals gedacht hätte, wo man landen könnte. Manche Dieser Abschnitte auf jedem Weg erfordern mehr Einsatz von uns. Andere Zeiten fallen uns leichter. Trotzdem gehen wir täglich unseren Weg entlang und schauen wo Wir landen. Manchmal kommt aus einer Anstrengung auch etwas ganz anderes heraus, was man zuerst nicht wollte. Was dann doch zu etwas Erstrebenswertes werden kann, wenn man denn lernt Es anzunehmen wie Es ist.

Warum sollte Es für Dich in deiner Zukunft nicht besser werden können, wenn Du nicht versuchst dein Leben abzubrechen? Wieso solltest Du von dauerhaftem Leid und Pech verfolgt sein? Mir fällt kein Grund dafür ein, warum Dies so sein sollte. Kannst Du es dir erklären, warum dies So ist?

Du schreibst hier, das Du seit 3 Jahren Depressionen hast. Warum? Was war der Auslöser? Gibt Es einen, oder war es ein schleichender Prozess in deinem Leben? Warum hast Du nicht mehr Die Hoffnung, das Es in deiner Zukunft etwas gibt, was noch auf Dich wartet? Wie war deine Zeit vor den Depressionen? Was Sind die schönsten Erinnerungen an Deine Kindheit? Warum kannst Du dir nicht vorstellen, das Es da etwas gibt, was Dich dein Leben genießen lassen kann?

Nur Du kannst Dir all Diese Fragen selbst beantworten. Ich kann Die Antworten nicht wissen. Du selbst hast Dir noch vieles zu sagen. Wo würdest Du dich nun lieber sehen? Warum sollte Es nicht möglich sein, das Du etwas schaffen kannst, was Dich glücklich machen würde? Wenn Du selbst nach einer Lösung suchen möchtest für dein Leben, dann findest Du diese auch ganz sicher bei Dir selbst. Dann, wenn Du danach suchst wirst Du es finden. Nicht von heute auf Morgen. Aber mit der Zeit, die vergehen muss bis Du merkst, das Das Leben Lebenswert sein kann.

Ich kann dir mit großer Sicherheit sagen, das Es im Leben oft Schwierig sein kann. Ich versichere Dir aber auch eines: Es bringt weder Rückzug, noch Angriff etwas, wenn man das Leben nicht mehr wertschätzt. Da bringt Es nichts, wenn man nur weint und Da bringt Es auch nichts, wenn man wütend Durch das Leben geht und Sich über Die Ungerechtigkeiten des Lebens beklagt. Das kann befreiend sein und wenn Es hilft, soll man Es tun. Aber Es verändert das Leben an Sich nicht. Das kann man nur stemmen, wenn man die Schwierigkeiten angeht und versucht da irgendwie raus zu kommen aus der Situation die einem nicht gefällt. Und dann kann man das Leben betrachten und Sich überlegen, wie man Es sich schön machen kann, mit Sich selbst. Denn kein Mensch verbringt dein ganzes Leben an Deiner Seite. Du bist Die einzige Person, die immer bei Dir ist. Und diese eine Person sollte Es sich so schön wie möglich machen, damit man glücklich und Zufrieden sein kann.

Da sind deine Eltern, welche dir durch deine Idee (?) einen klaren Strich durch die Rechnung machen. Du siehst es Als Bestrafung, das Die Möglichkeit einer Wohngruppe und ein weiterer Klinikaufenthalt stattfinden könnte. Aber Warum? Klar, deine bisherigen Klinikaufenthalte waren nicht von Erfolg gekrönt und Es ist auch schwierig etwas immer wieder zu versuchen, wenn man lange dabei keinen Erfolg spürt. Was aber ist es, was Dich nicht durchhalten ließ und was Ist das, was Du dabei ändern kannst? Was liegt in deiner Hand und was Ist Entscheidung von Ärzten der Klinik und von deinen Eltern?

Du hast Sicher kein Interesse mehr daran, das Man „Für Dich“ entscheidet, wenn Es doch für Dich kein „Preis“ ist, sondern eher eine „Niete“ die du meinst zu ziehen. Aber was wird vielleicht doch „zu deinem Besten“ entschieden? Was kannst Du vielleicht erst später als „zum Besten für Dich“ ansehen und begreifen? Ich möchte mir nicht anmaßen dich verstehen zu können, dir helfen zu können, aus deiner Situation. Ich kann Dir keine Hilfe für das Sterben bieten und kann Nicht deine Angst bekämpfen, vor weiteren Rückschlägen. Vielleicht glaubst Du mir aber, das Ich dir gerne antworte? Vielleicht glaubst Du mir auch, das Ich nicht möchte, das Du dich umbringst? Vielleicht glaubst Du mir zusätzlich, das auch niemand anderes den Tod für Dich wünscht? Das ist vielleicht sehr viel verlangt, Ja. Vielleicht ist es auch nicht möglich so viel Vertrauen in mich zu stecken. Aber, was könnte Ich Dir böses wollen?

Das sind alles Prozesse die Du durchgehen kannst. Die brauchen Zeit. Gibst Du dir diese Zeit? Bei so vielen Versuchen dich selbst umzubringen: Hast Du dich nie gefragt, warum Du noch Leben darfst? Warum Es gut ist, das Du noch lebst? Warum kämpfst Du da so mit Dir selbst? Du bist dein eigener Feind gegen Dich selbst, wenn Du weiter versuchst deinem Leben ein Ende zu setzen. Warum kann Es das schönste Gefühl was Du in deinem Leben hattest nicht immer wieder geben? Du musst Dich umschauen und Dir ansehen, was Es um dich herum gibt und was Dir gefällt. Guck Dich dabei ab und zu selbst im Spiegel an.

Du schreibst, das Du es schön finden würdest, wenn Du eine Antwort erhältst. Ich habe Dir gerne geantwortet und Ich würde Es schön finden, wenn Du Dir nun wert bist, wenigstens ein Auge für einen Moment auf deine Zukunft zu lenken. Mit Blick darauf, was Dir wichtig ist, was Dir wichtig war und wieder wichtig werden soll. Mit dem Blick auf das, was für deine Zukunft wichtig für Dich ist. Lass Dir Zeit darüber nachzudenken. Weil Du es Dir selbst wert sein solltest. Ich kann mir da auch viele Gedanken zu all den Fragen über Dich machen. Ich kenne jedoch die Antworten nicht, die kennst tatsächlich Nur Du, Annika. Auch nicht immer alles sofort. Aber vielleicht kannst Du Antworten für Dich suchen und Finden. Zu Fragen Die ich Dir gestellt habe und Zu Fragen, Die du dir selber stellen möchtest.

Wenn Es dir hilft, dann schreibe mir erneut. Schreibe alles auf, was Dir nun durch den Kopf geht. Dann lese Ich wieder und versuche, wenn Es möglich ist auch erneut eine Antwort für Dich zu verfassen. Weil Du noch genug vor Dir hast, in deinem Leben. Wenn Du das Gefühl hast, das Dein Kopf platzt und all Diese Gedanken Dich so sehr belasten, das Es schwer für Dich ist weiter zu machen. Dann spreche Dich aus. Wenn Du niemanden in deinem Umfeld so viel Vertrauen entgegen bringen kannst, dann rufe bei Der Telefonseelsorge an und spreche Dich dort aus. Es gibt immer Möglichkeiten – Ich denke, auch für Dich!

Ich wünsche Dir Alles Liebe und Alles Gute und Kraft für deinen Weg.

Julia


Liebe Annika,

Bist du ganz ehrlich, dass es für dich in Ordnung ist, wenn wir dir nicht antworten? In diesem Fall müsste ich nicht weiterschreiben. Was aber ist, wenn ich es trotzdem tue - einfach, weil ich gern möchte? Ich glaube nämlich nicht, dass es dir völlig egal ist. Zumindest möchtest du daran, ob wir dir antworten oder nicht, doch sehen können, ob du der Welt wirklich so überflüssig bist, wie du glaubst. Und weil du es eben nicht bist, deshalb schreibe ich dir auch.

Ich habe jetzt schon einigen jungen Leuten geraten, die in der Situation waren, ihrem Leben ein Ende setzen zu wollen. Was dich von den meisten unterscheidet, ist, dass du fast alles schon hinter dir hast, was viele - hoffentlich zu ihrem Vorteil - noch vor sich haben. Besonders die Zeit in einer Klinik. Anderen sagt man: "Versuch das, es könnte dir gut tun, dir helfen!" Bei dir kann ich mir das sparen. Dir kann man nichts vormachen, du hast versucht, was man versuchen konnte - ohne Erfolg. Du warst in einer Klinik, du leidest noch immer. Es hat dir nichts genützt - oder sagen wir, vielleicht bist du auch an die falschen Menschen geraten. Diese Möglichkeit besteht leider immer. Was ich mich jetzt frage, ist: Was möchtest du von mir hören? Möchtest du, dass ich dir sage, wie du dir das Leben nehmen kannst? Oder dass ich zumindest mein Okay gebe, dass du es tust? In beiden Fällen werde ich dich enttäuschen müssen. Mir ist überhaupt nicht daran gelegen, dass du deinen nächsten Geburtstag nicht erlebst. Mir ist im Gegenteil sehr viel daran gelegen, dass du noch viele weitere erlebst.

Dein Text gibt mir das Gefühl, das Leben hätte dir gar nichts mehr zu geben. So wie ein Mensch sagt: "Ich mag einfach keine Bananen essen, erkennt es doch endlich an!", so sprichst du über deinen Selbstmord. "Ich habe einfach keine Lust aufs Leben, versteht mich doch endlich!" Verstehen kann ich dich vielleicht - auch wenn ich nicht so anmaßend sein will, zu behaupten, ich könnte den Schmerz, den du seit langem leidest, wirklich nachempfinden. Das kann ich nicht, denn ich stecke nicht in deiner Haut. Es muss viel Schlimmes passiert sein, bis jemand, der noch das ganze Leben vor sich hat, sagt, er oder sie will nicht mehr. Was war das bei dir? Was war der Anfang? Und wenn du so wenig Lust zu leben hast, warum erscheint es dir dann schlimm? Ist es vielleicht so, dass es eine Zeit gab, in der du durchaus Träume hattest? Schmerz lässt sich nur empfinden, wenn man etwas hat, das einem lieber ist, etwas kennt, das anders ist. Wenn Schmerz die Normalität des Menschen wäre, wer hätte dann noch Angst vor Schmerzen? In einer Welt, in der Depressionen der Ist-Zustand wären, würden die Leute vielleicht mit Märchenhochzeiten und Torten gefoltert werden, wer kann das wissen? Und auch, wenn deine Träume nicht so kitschig sind, musst du doch welche haben. Oder wenigstens den Zustand vermissen, in dem du sie dir erlaubt hast. Ansonsten wäre doch der Schmerz gar nicht schlimm. Wenn die Dinge, derentwegen du das Leben ablehnst, wirklich nichts weiter wären, als das Leben selbst - dann gäbe es auch keinen Grund für dich, dich töten zu wollen. Kannst du mir folgen? So komme ich zu dem Gedanken, warum es dir nicht gleichgültig sein kann, ob wir dir schreiben. Und ich schreibe dir - nicht weil jemand mich verpflichtet hat, sondern weil ich es ganz nett fände, wenn du den nächsten Sonnenaufgang noch erlebst. Darf ich so bescheiden sein? Ich danke dir für deine Zuschrift.

Ob es normal ist, sterben zu wollen? Ich denke, die Aussicht, ewig zu leben auf dieser Welt, wäre für mich auch nicht das Reizvollste. Wenn du sterben möchtest, steht es nicht in meiner Macht, dich aufzuhalten. Mir wäre es viel lieber, wenn ich dich überzeugen könnte, dir nochmal eine Chance zu geben. Mal angenommen, du würdest die Klinik, in die du kommen würdest, noch nicht kennen: Wärst du dann optimistischer? Was hat den Aufenthalt für dich so schrecklich gemacht? Waren es Mitpatienten? Fühltest du dich misshandelt, von Ärzten nicht verstanden? All das mag sein. Ist das für dich jetzt ein Grund, dich aufzugeben? Warum möchtest du nicht kämpfen? Ich habe keine Vorstellung, was du durchgemacht hast, und ich will es nicht kleinreden. Wenn du aber nicht bereit bist, dich mit all dem zu konfrontieren, bleibt dir tatsächlich nur, zu vegetieren oder dir das Leben zu nehmen. Beides kann aber keine Alternative sein. Du hast die Situation, in der du bist, nicht gewollt, du hast dir deine Probleme nicht ausgesucht - warum solltest du kapitulieren? Warum ausgerechnet jetzt, wo du schon soviel ausgestanden hast, alles vergebens gewesen sein? Siehst du überhaupt nicht die Möglichkeit, über deine Ängste zu reden, ziehst du eine andere Klinik gar nicht in Betracht? Und könnte die Wohngruppe nicht ein Weg sein, dich wieder mit dem Leben behutsam in Berührung zu bringen - dem echten Leben, dem, in dem du Entscheidungen triffst, Freuden hast, statt dass Andere für dich entscheiden? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es mich traurig macht, dass du den Überlebenswillen verloren hast. Denn wenn dein Anspruch ist, entweder glücklich zu sein oder, wenn es bleibt wie es ist, zu sterben - dann hast du dir eine sehr schwierige Entscheidung aufgebürdet. Denn vor dem fetten Leben kommt erst das Überleben. Das ist ein Unterschied.

Überleben, das heißt, über die Medikation handeln, aushalten, wenn die Eltern was erzählen von wegen "Wir machen uns ja bloß Sorgen um dich!", das heißt, nicht in Wut zu verfallen, wenn jemand den Kulturbeutel nach Klingen durchsucht. Dies ist nicht die Straße zum Tod, wenn du es nicht zulässt. Dies kann auch die große Prüfung deines Lebens sein, die dich für alle Zeit davor bewahren wird, vor den Gefühlen anderer Menschen keinen Respekt zu haben. Wie jene, die dich oder Mitpatienten dahin gebracht haben, ob gewollt oder ungewollt. Nimmst du noch wahr, dass die Therapie nicht deine Bestimmung ist? Dass die Therapie auf das abzielt, was jenseits davon ist? Niemand kann dir abnehmen, dich dem zu stellen. Doch es gibt immer einen Weg aus dem Dunkel. Wenn dir bislang niemand Hilfe in der Weise geboten hat, wie sie dir passend scheint, warum nicht darüber reden? Es hört sich naiv an von mir. Ist es vielleicht auch. Aber auch wenn mich mit deinen Eltern und Ärzten verbindet, dass ich gerne möchte, dass du überlebst - ich habe keine Vorstellung, wie das gehen sollte, wenn du dich nicht bewusst dafür entscheidest. Es muss von dir ausgehen, ansonsten hast du in der Tat recht, wenn alle sagen "Wir machen das nur zu deinem Besten...", und du dir denkst "Ihr wisst doch gar nichts!" - in der Tat. Sie reden dann über eine Person, die du nicht bist. Sie glauben, in dir läge irgendwo noch Sehnsucht danach, ein gutes Leben zu haben. Wenn sie nicht da ist, ist alle Hoffnung umsonst. Ich glaube aber, sie ist da - sie hat nur den Weg zum Ziel und das Ziel selbst verwechselt.

Ich kenne von dir nur das Gefühl, das du in deinem Text zum Ausdruck bringst - deine Geschichte kenne ich nicht. Magst du sie uns erzählen? Und vielleicht findest du auf diesem Weg schon wieder etwas heraus, wie du dir eigentlich das Leben mal vorgestellt hast. Das Leben besteht nicht aus der Klinik. Das Leben ist jenseits davon. Wenn du sterben möchtest, weil du die Therapie als das Einzige siehst, dann könntest du auch am Leben bleiben. Und hättest dabei den Vorteil, dass es besser werden kann. Ich sage dir ganz offen: Die Heilung kann kommen. Aber dahin braucht es Tränen und durchwachte Nächte, Streit und Verzweiflung und Wut, Medikamente, die besprochen werden müssen, Gespräche, die geführt werden müssen. Die Klinik und besonders die geschlossene Station erschien dir schrecklich. Sie ist es auch. Weil junge Menschen dort nicht hingehören, wo sie abgetrennt sind von der Welt, verwiesen auf ihre innere Aufgewühltheit und zusammengesetzt mit Leuten, die sie entweder erschrecken (wenn es Mitpatienten sind), oder die sie kalt finden mögen (wenn es Ärzte und Betreuer sind). Man kann Glück haben oder nicht - in jedem Fall bringt es etwas, wenn man seine Bereitschaft zeigt, zu arbeiten. Mit Abwehr wirst du den Griff um dich nur noch fester schließen. Denke dir ruhig, dass sie keine Ahnung haben. Es mag sogar stimmen. Aber nur sie können dir die Struktur bieten, die du brauchst, um dich allmählich ans Leben zu gewöhnen. Und wenn du sagst, dass du das Leben ablehnst, aber eigentlich das System Klinik meinst, dann zeigt mir das nur, wie groß dein Überlebenswille wirklich ist.

Das wundert dich? Überleg mal: Mit dem Menschen, der gerne in einer Psychiatrie ist, und zwar so gern, dass draußen nichts mehr ist, wonach er sich sehnt, mit diesem Menschen müsste ganz gewaltig etwas nicht in Ordnung sein. Je mehr du zu verstehen gibst, dass du es hasst, desto mehr beweist du, dass es dich nach dem Leben verlangt. Was dich stört, ist, dass es dich zwingt, zu deiner Gesundung etwas auf dich zu nehmen, was du schlimm findest. Und es ist schlimm. Aber der Tod ist als Preis zu hoch, um ihn dem Leben vorzuziehen, das du haben könntest, wenn du kämpfst. So ist es einfach. Dein Lebenswille ist groß, dessen bin ich sicher. Aber deine Kampfbereitschaft hat gelitten. Nun - vielleicht hast du ja zuviel mit dir machen lassen? Überrasche sie doch alle! Schocke sie! Sag doch ganz konkret, was dich stört, und bitte um Hilfe. Wenn du dich weigerst, werden sie dich einzwängen. Und geklemmt zwischen die Therapie, die du ablehnst, und ihre Erfolge dabei, dich vom Selbstmord abzuhalten, wirst du weiter bestehen, niemals glücklich, niemals gelöst. Und neben dem Tod, den du dir irgendwie erschleichst, gibt es noch diese Möglichkeit: Zu kooperieren. Und damit alle auszutricksen. Denn wenn du nur so tust, als würdest du es akzeptieren, kannst du sie ganz schnell dazu bringen, auf dich zu hören. Oder was meinst du, wenn die da in der Klinik lieber mögen: Den Patienten, der die ganze Zeit ausflippt, sich nichts sagen lässt, die anderen drangsaliert, zu keinem freundlich ist (einschließlich dir), oder den, der sich wenigstens fügt, wenn er auch leidet? Es gibt nicht viele Lebenslagen, in denen die beste Art, zu kämpfen, die Unauffälligkeit ist, die Bereitschaft zur Arbeit. Doch hier ist es so. Und nur auf diese Art kannst du frei werden. Wenn du es erst bist, fragt keiner mehr danach, welchen Anteil sie daran hatten. Es wird nur von allen heißen: "SIE hat gekämpft!" Und ja - das wäre es doch wert, stolz zu sein? Sterben kannst du jeden Tag. Überleben kannst du nur heute. Bisher haben sie all das mit dir gemacht - erfolglos. Jetzt kann es nur noch durch deine eigene Initiative besser werden. Versuche es wenigstens.

Vielleicht habe ich all das jetzt jemandem erzählt, die sich von mir genauso wenig verstanden fühlt, wie von allen vorher. Dann muss ich damit leben. Was ich dir klar machen wollte, ist das Folgende: Niemand wird es einfach hinnehmen, wenn du sterben willst. Und ich kann und werde dir auch keinen Rat in diese Richtung geben. Aber ich habe die Hoffnung, dass du das nicht eigentlich meinst, wenn du sagst, dass du nicht mehr willst. Sondern dass du das Leben meinst, dass du seit längerer Zeit führst. Es ist nicht schön. Und es ist auch nicht auf Dauer gedacht. Da du doch aber diesen Schmerz fühlst - wie sollte dann der Weg, ihn zu beseitigen, leicht sein? Der Tod ist es auch nicht. Denn der Tod beendet das, was ist. Aber er schweigt sich darüber aus, was noch hätte sein können. Wenn man nur erst einmal überlebt hätte. Ich kann dir den Wunsch nicht einpflanzen, leben zu wollen - leben jenseits der Therapie. Was der beste Weg wäre, sie einmal erfolgreich zu beenden. Aber vielleicht konnte ich dich ein wenig daran erinnern, dass es mehr gibt als das. Das wäre schön.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul