Problem von Anonym - 13 Jahre

Keinen Sinn im Leben, spiele mit Selbstmordgedanken

Hallo liebes KuKa-Team...
Ich habe euch schon einmal geschrieben, aber leider keine Antwort erhalten.... Deshalb versuche ich es jetzt einfach noch einmal... Mein Leben hat keinen Sinn mehr. Alles ist so kompliziert geworden in letzter Zeit. Ich fühlte mich von meinen Eltern unter Druck gesetzt (Noten mäßig) und habe deswegen mit SVV angefangen. Ich weiß das es ein Fehler war... Und irgendwann hab ich es nicht mehr ausgehalten und bin für eine Nacht abgehauen. Dann kam die Polizei usw also meine Eltern haben das mit dem SVV raus gefunden. Es war der schrecklichste Tag in meinem Leben. Mein Vater sagte nur das ich geisteskrank bin und meine Mom weinte... Sie ist erst gestern aus einem 3 wöchigen Urlaub zurück gekommen und fragte ob ich sie über haupt vermisst habe. Ich hätte so gern ja gesagt aber es wäre eine Lüge. Ich fühle eigentlich gar nichts mehr, nur eine gähnende Leere in mir. Ich bin nicht depressiv, glaube ich, aber ich kann nicht mehr fühlen. Es gibt Momente in denen ich wieder ganz "normal" bin und dann.... Alles weg. Nichts ist lustig, nichts traurig, NICHTS berührt mich. Ich fühle mich wie ein Stein... Was ist nur falsch mit mir?!?! Die Gedanken sind am schlimmsten. Jede Sekunde können sie mich heimsuchen... Am Anfang dachte ich das mit SVV aufhören leicht ist. Aber es ist schwer und mir fehlt die Kraft. Ich weiß nicht mehr weiter. Was soll ich tun??? Bei uns in der Stadt gibt es keinen freien Psychologen mehr und ich habe nicht nicht unter Kontrolle!! Da mein Vater herzkrank ist, liegen bei uns Überfall Medikamente herum, die bei überdosierter Einnahme garantiert zum Tod führen würden und nicht selten bin ich kurz davor, sie einzunehmen. Aber ich habe es noch nicht getan. Ich möchte kein Dasein als lebloser Stein fristen. Ist das wirklich die einzige Lösung?! :(( meinen Eltern kann ich das nicht sagen, sie würden sich nur noch mehr aufregen als auch so schon... Kann mir irgendjemand helfen???? Ich möchte mich schon mal im Voraus bedanken falls ich eine Antwort bekomme. Und wenn nicht... Auch nicht so schlimm. Ihr sollte euch erstmal um die wichtigeren Fälle kümmern. Danke fürs Lesen und liebe Grüße!

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

was müsste denn noch alles im Argen liegen in deinem Leben, damit du dich auch als "wichtigerer Fall" betrachten würdest? Gerade dieser Satz von dir zeigt mir, dass du einer bist - und leider war arbeite ich oft viel zu langsam, sonst hättest du eher eine Antwort bekommen. Was ist darin ausgedrückt, wenn jemand so etwas über sich sagt? Vor allem, dass die Person, die uns gerade geschildert hat, dass sie es für möglich hält, bald nicht mehr da zu sein, sich "unwichtig" findet. Weil dein Tod aber durchaus nichts Belangloses wäre, liebe Anonyme, sondern im Gegenteil etwas sehr Schlimmes, darfst du dich getrost als wichtigen Fall betrachten. Die Art, wie du dich selbst abwertest, zeigt mir nur, wie dringend er ist.

Ich nehme bei dir das Bedürfnis wahr, die Kontrolle über dich selbst zurück zu gewinnen - du hast erkannt, dass es mit dir abwärts geht, dass etwas falsch läuft. Das Trickreiche ist: Auch ich kann dir letztlich nicht sagen, woran es liegt. Du hast geschrieben, dass der schulische Druck dir zusetzt, die Erwartungen deiner Eltern. Aber ist das die Wurzel der inneren Leere, die du fühlst? Oder ist da noch mehr? Von deinen Eltern, so wie du sie beschreibst, habe ich den Eindruck, dass sie zu der Sorte Eltern gehören, die ihre Kinder zwar liebt, aber aus lauter gutem Willen ihren Kindern Dinge erweist, die ihnen nicht helfen. Wie muss es sich anfühlen, wenn der eigene Vater sagt: "... das Kind ist ja geisteskrank."? Diese Frage ist übrigens rhetorisch. Auch mein Vater hat das einmal über mich gesagt, auch wenn es lange her ist. Und das Verrückte ist: Aus lauter Liebe, aus lauter gutem Willen. Wenn sie nur immer gute Ratgeber wären, um zu wissen, wie man jemandem helfen kann! Leider machen sie auch blind. Blind dafür, dass du eine eigene Persönlichkeit hast, dass das, was deine Eltern sich für dich wünschen, dir nicht entsprechen muss. Ich habe das Gefühl, dass deine Eltern sich zwar um dich sorgen, auf der anderen Seite es ihnen aber leicht unangenehm ist, dass mit dir los ist, was mit dir los ist - auch wenn du es dir ja nicht ausgesucht hast. Und wahrscheinlich hast du recht: Sie würden es noch schlimmer finden, noch mehr entsetzt, alarmiert sein, als sie es schon sind, wenn du es ihnen erzählst. Das heißt nicht, dass du es ihnen verschweigen solltest. Aber du kannst in der Tat abwägen, ob es dir im Moment gut tun würde.

Der leblose Stein ist ein interessantes Bild. Denn auch wenn du diese Taubheit, diese Leere und Dumpfheit empfindest, eines bleibt dir doch: Das Gefühl, dass es nicht gut ist? Der Wunsch, dass es aufhört, dass es weitergeht mit dir und deinem Leben? Es ist scheinbar ein Widerspruch, aber nur scheinbar: Das Verlangen nach dem Leben - und doch diese Abgeschlossenheit. Ein mächtiges Gefühl in einem Raum, der leer von Gefühlen ist. Ich kann dir keine endgültige Antwort geben, wie es dazu kommt. Vorstellen könnte ich mir, dass dies die Antwort deines Selbst auf den Druck ist: Rückzug, Abstumpfung; "Tun wir doch so, als wäre nichts!" - sagt ein Teil von dir; der andere sagt: "Ich will lieber Schmerzen leiden, als nichts zu fühlen!" Recht hat er! Und genau darum ist es auch wichtig, dass du dich deinen Ängsten und Schmerzen stellst. Dafür braucht es nicht unbedingt einen Psychologen. Aber es ist wichtig, dass du weiterhin das tust, was du instinktiv schon richtig machst: Dich nicht in die Abstumpfung zu ergeben, sondern dich auch in Momenten größter Erschöpfung daran zu erinnern, dass ohne Beschwerden keine Heilung möglich ist. Wenn die Leere dich zu erfassen droht, dann denke ganz fest an etwas, das du an ihrer Stelle gern hättest: Die Freude über eine gute Note? Die Erinnerung an einen Kuss? Die Vorfreude auf einen schönen Abend? Das ist eine schwere Aufgabe. Doch ist sie nötig. Du hast das bemerkenswerte Talent, wenn dir alles zuviel wird, dich in dein Versteck zurückzuziehen, wo andere Menschen verwundet liegen bleiben, nur damit die Welt weiter auf sie eintritt. Du aber kannst die Wunden, die seelischen Wunden, verbergen und überspielen - zum Preis der Gefühle. Das hast du bemerkt. Tausend Tränen sind besser, als ein Stein zu sein - du hast absolut recht. Aber wenn man schon einmal so weit ist, dann ist dieser Zustand der Leere genauso verlockend, wie er erschreckend ist. Dein verletztes Selbst drängt darauf, sich in diese Ödnis zu flüchten - und oft gelingt es; dein Verstand hält dagegen, aber er hat nichts vorzubringen, wofür es sich lohnen würde, sich den Gefühlen auszusetzen. Das ist schwer - doch du hast den richtigen Weg eingeschlagen. Und solange du nicht nachlässt, musst du einen endgültigen Verlust deiner selbst auch nicht fürchten. Es sei denn, du begehst den Fehler, dir etwas anzutun, was ich schrecklich fände. Nur ein Gutes hat es vielleicht, wenn jemand diesen schrecklichen Gedanken hat: Er beweist, dass ihm am Leben gelegen ist. Sich vom Leben nichts mehr zu erhoffen, muss nicht zwangsläufig heißen, dass jemand das Leben nicht liebt. Oft heißt es sogar das Gegenteil. Mit jeder Faser strebt er (oder sie) nach dem glücklichen Leben, doch glaubt, es nicht finden zu können. Es ist aber da. Und vielleicht glaubst du mir ja, wenn ich dir das sage? Schön wäre es - und würde mich ein wenig von der Sorge befreien, du könntest dir etwas antun.

Du kennst die Dementoren aus "Harry Potter". Die haben ja unter Anderem den Zug, dass sie Menschen die Seele aussaugen können, so wie sie ihnen ihre glücklichen Erinnerungen nehmen. Nun überlege dir: Was wäre dir lieber - Schmerzen bis zur Unerträglichkeit, oder, die Sonne zu spüren, aber sich nicht mehr zu freuen, zu essen, aber nicht zu genießen, zu leben, aber an nichts zu hängen? Keine Erinnerung, kein Gefühl, nur schlichtes Wandeln? Beides ist schrecklich. Und ich weiß spontan nicht, was mir furchtbarer schiene, müsste ich mich entscheiden. Wie verständlich ist es da, wenn du, auch ohne es zu wollen, Räume schaffst, in denen dein Gefühls- und Seelenleben sich von dir spaltet und dich als wandelnde Hülle zurücklässt - denn was wäre die Alternative? Die Antwort ist: Schmerz - aber Schmerz, der überwunden werden kann. Schmerz, der dich erinnert, dass es etwas Anderes gibt außer ihm. (Denn wäre Schmerz normal, wäre er nicht schrecklich.) Schmerz, der dich ins Leben zurück holt. Wenn du das willst. Und genau das ist auch der Grund, warum es wichtig ist, ihn zu vermissen, selbst wenn das widersprüchlich scheint. Ohne Schmerz gäbe es kein Glück, und nur Schmerz ermöglicht, es zu suchen und zu finden. Wenn du nun voller Schmerz bist, wie groß muss dein Glück sich anfühlen, sobald du es gefunden hast! Ist das keine Motivation?

Nichts kann einen Stein lebendig machen. Aber ein Stein kann in deiner Hand warm werden. Er kann seine Farbe verändern, wenn die Sonne darauf fällt. Er kann geformt und bearbeitet werden. Und vielleicht sind das, was du erlebst, auch nur Schlacken in dem Prozess, aus dem unscheinbaren Klumpen einen Edelstein zu machen? Der darunter schon verborgen liegt. Wie ich schon sagte: Es gibt keine Möglichkeit, den Schmerz hinwegzuheben in einer Situation wie deiner, außer dich dem Ganzen zu stellen. Vielleicht möchtest du zurzeit nicht mit deinen Eltern über deine Probleme sprechen, aber vielleicht kannst du ihnen wenigstens abringen, dass sie etwas weniger auf gute Noten drängen? Denn perfekt sein muss keiner. Für dich ist es von Bedeutung, dass du die Gefahren von dir entfernst, den Druck minderst. Versuche nicht, alles auf einmal zu schaffen, sondern konzentriere dich auf bestimmte Schulfächer - so kannst du deinen Eltern, wenn du einige gute Noten schreibst, den Eindruck nehmen, es bestünde Gefahr, und dass nicht alles perfekt läuft, werden sie dir dann vielleicht nicht mehr so anlasten. Schließ die Klingen weg, mit denen du dir Verletzungen beigebracht hast, oder leg ihnen etwas bei, das dich erinnert, dass das Selbstverletzen zwar den augenblicklichen Schmerz bannen, die Probleme aber nicht lösen kann: Das kann alles Mögliche sein, ein aufmunternder Satz, ein Schokoriegel, ein Kindheitsfoto. Überlege dir, wie du aus deinem Leben emotionale Momente herauskitzeln kannst, die dich wiederum ans Leben binden: Wann hast du zuletzt gesehen, wie du als Baby aussahst? Wann hast du zuletzt dein erstes Lieblingsessen gegessen? Wann zuletzt einem Freund oder einer Freundin geschrieben, die du lange nicht gesehen hast? Wann zuletzt eine Katze gestreichelt? Es gibt vieles, das uns wehmütig werden lässt, bei dem wir denken: "Wenn ich heute Abend sterben müsste, ich müsste jetzt unbedingt noch..." Ja - was, das ist die große Frage. Und sogar wenn man mit Suizidgedanken spielt, wenn nicht gerade dann, bleibt sie beklemmend. Solange der Tod eine beherrschbare Größe zu sein scheint, sogar eine, über die man selbst gebieten kann, besonders, wenn er als Option zum Leben erscheint - dann kommt es einem manchmal vor, als sei er eher zu erhoffen als zu fürchten. Aber der Tod hat nichts wirklich Befriedigendes, nichts Beherrschbares. Er ist Teil der Natur - aber er ist nie so, wie wir ihn erwarten. Ich sorge mich um dich, weil du Gedanken hast, dem Leben zu entsagen. Weil das furchtbar wäre. Aber ich verstehe auch, dass es sich so leicht sagt für mich, als Mensch, der nicht in deiner Haut steckt. Ich wünsche dir, dass du das Leben neu entdecken kannst. Und vielleicht kann ich dir dieses darum mitgeben: Im Augenblick unseres Todes, so stelle ich mir das vor, erkennen wir, was wir nicht gelebt haben. Wie schrecklich müsste es sein, würde eine so junge und hoffnungsvolle Person, wie du es bist, die schuldlos aus dem Leben scheidet, nichts Geringeres sehen als... sich selbst! Ganz und gar, weil sie sich selbst keine Chance geben wollte. Verstehst du mich jetzt besser?

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul