Problem von Juliane - 19 Jahre

Depression...vllt Selbstmord

Hai,
Ich bin 19 Jahre und habe mein leben eigendlich soweit im griff. Ausbildung,Schule mein erster Urlaub mit meinem freund. Wären da nicht immer diese Gedanken, die mir die Motivation und die Energie rauben...Ich habe diese Gedanken das ohne mich Alles besser ist. Früher mit 11jahren wurde eine leichte Depression festgestellt die Mut einer therapie anscheinend wieder weg ging Jahre lang ging es gut aber jetzt... Es häuft sich alles ich mache als Ausgleich schon sport aber das hilft nicht ich habe es meiner mom erzählt...Naja wirklich was tun ist nicht so. Ich habe angst zum Arzt zu gehen ich will nicht wo eingesperrt werden und dumme Tabletten nehmen ich möchte mein leben normal leben ohne Probleme ohne sorgen ich möchte das alles verschwindet so wie es gekommen ist...

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Juliane,

dein Problem findet erst sehr spät eine Antwort, ich bitte dich dafür um Entschuldigung!

Deine Abneigung, eine Therapie zu machen oder sogar in eine Klinik zu gehen, kann ich gut verstehen. Allerdings möchte ich hier auch die Frage stellen: Glaubst du, dass das notwendig wäre? Weil du schon einmal eine Therapie gemacht hast? Und falls du es wagst: Muss es das Ende bedeuten? Himmel oder Erde, gibt es nichts dazwischen? Willst du ein Mensch sein oder unverletzlich?

Der Grund, warum ich diese Fragen an dich richte, ist der: Es ist problematisch, wenn du als deinen Anspruch formulierst, dass ein Problem "weg" gehen müsste, damit alles wieder gut ist. Wenn ich zu den Leuten hier im Kuka von ihrer Gesundung spreche, ist damit nicht zwangsläufig gemeint, dass alles sich vollständig zum Besseren wendet. Es heißt zunächst einmal nur, dass man einen Silberstreifen am Horizont wahrnehmen kann, und Strategien erlernt, mit den eigenen Problemen umzugehen. Und - wenn man das einmal nicht mehr schafft - Menschen zu kennen, an die man sich wenden kann. Das muss nicht unbedingt ein Therapeut sein. Wenn du in deiner Welt eine Trennung schaffst zwischen "super gut" und "ganz schrecklich", hast du dir damit selbst ein schweres Los auferlegt. Denn wann immer es nicht so gut läuft, wirst du verzweifeln, dich selbst entwerten, obwohl es doch ganz ungerecht ist: Schließlich hast du deine frühere Depression in den Griff bekommen, und dein Leben bis jetzt ganz gut gemeistert. Ist es da richtig, wenn du für dich selbst keine Hoffnung siehst, außer es ist alles in Butter? Es wird nicht alles in Butter sein. Niemals - das ist es bei niemandem. Aber das muss es auch durchaus nicht. Wichtig ist nur, dass du an etwas arbeitest - das können positive Ziele, oder auch Probleme sein, die es zu überwinden gilt. Doch solange du einem Ziel nachjagst, dass du mit deinen jetzigen Maßstäben nicht wirst erreichen können, muss es dich sehr unglücklich machen, auf dieser Jagd zu sein.

Der erste Schritt besteht deshalb für dich darin, dir klar zu machen: Es wird nicht perfekt. Es wird nicht perfekt. Aber auch ohne perfekt zu sein, kann das Leben eine ganze Menge Spaß machen. Wenn du von dem, was du tust, erwartest, dass es deine Menschlichkeit aufhebt - deine menschlichen Ängste, deine Zweifel, deinen Frust - dann wirst du immer enttäuscht werden. Sport hilft dir, Energien abzubauen, deinem Ärger zu begegnen, deinen Körper fit zu halten - es ebnet aber die Baustellen in deinem Inneren nicht ein. Du musst dir schon zugestehen, schwach zu sein, sonst wirst du nie an einen Punkt gelangen, an dem es dir gut geht, deinem eigenen Empfinden nach. Formuliere deine Ziele nicht mehr so: "Ich will dass es weg geht, jetzt, komplett!", sondern etwa "Ich gebe mir jetzt eine Woche. Ich werde laufen gehen. Ich werde die Wohnung aufräumen. Ich werde Musik hören, die mich pusht. Ich werde was Gutes essen. Ich werde meine Freundin anrufen. Ich werde ein Paar Schuhe kaufen. Ich werde Vokabeln lernen. Ich werde... Ich werde..." Dies und dies und dies. Setze dir erreichbare Ziele, lieber viele kleine, in einem größeren Zeitraum, damit du sagen kannst, was du gemacht hast, und dich nicht überforderst. Wenn du jeden Tag ein genaues Programm durchziehen willst, dass viel zu groß für dich ist, und das keine Rücksicht darauf nimmt, wie es dir innerlich geht, wirst du es nicht einhalten können, und daraufhin von dir enttäuscht sein. Wenn du aber einmal nachdenkst: "Was würde ich eigentlich gerne mal machen? Was muss ich besorgen? Wozu kann ich mich nicht aufraffen?..." und diese Dinge nach und nach abhakst, wirst du feststellen, dass schon das gar nicht so leicht ist. Und es kann immer weiter gehen, und wird nicht so schlimm sein, wenn eines ausfällt. Wenn du dagegen riesengroße Pläne fasst, die das Menschliche sprengen, dann wirst du stets fassungslos davor stehen, dass sie nicht funktionieren. Weil du das Zentrale vergisst: Du bist ein Mensch - Menschen müssen nicht perfekt sein, sind nicht perfekt. Sie können nur von sich erwarten, sich anzustrengen. Das verschafft ihnen keine völlige Gelassenheit, aber immerhin das Gefühl, dass etwas im Gange ist. Und genauso kann es auch dir gehen.

Daneben gibt es natürlich immer noch die Möglichkeit einer Therapie, Medikation, eines Klinikaufenthalts - aber: Auch das stellt eben noch nicht die ultimative Lösung dar. Es schafft für dich einen geschützten Rahmen, gibt dir Hilfestellung - doch die Probleme lösen kannst und wirst du letztlich selbst, indem du dich selbst überwindest und Entscheidungen für dich triffst. Früher, als meine Eltern mit mir für Klassenarbeiten gelernt haben, hatte ich oft das Gefühl, ohne den Druck und die Hilfe von ihnen hätte ich das nie geschafft. Mein Vater sagte dann: "Paul, du bist es, der in der Klasse sitzt und die Arbeit schreibt. Nicht wir." Und ebenso ist es auch bei deinen jetzigen Problemen: Nichts entbindet dich von der Notwendigkeit, selbst dagegen anzugehen, und dich auch zu manchem zu zwingen, was du vielleicht nicht möchtest. Auf der anderen Seite darfst du auch stolz sein, stolz auf das, was du schon geschafft hast - und solltest vor allem nie vergessen, dass es dein Verdienst ist, wenn es weitergeht. Und es wird. Oder darf ich das, was du uns geschrieben hast, als Nachricht lesen, dass du dir ein Ende machen willst? Ich glaube nicht - ich glaube, es ist eher ein erstes Zeichen des Aufbruchs. Nämlich, dass du erkannt hast, dass du am Grund angekommen bist. Dass es schwer wird, hochzukommen, dass du dich fürchtest, weil du diesen Weg zwar nicht allein, aber doch selbst gehen musst. Doch du weißt es schon. Du bist dir dessen bewusst, und du willst es auch - das ist kein Widerspruch dazu, dass es schwer ist. Nachdem du es jedoch erkannt hast: Warum es nicht auch versuchen? Das ist hier die Frage. Und ich denke, dass du uns geschrieben hast, weil du eigentlich schon weißt, dass du leben willst. Was dich ängstigt, ist, dass Leben Leben ist und nicht Himmel oder Hölle. Das wäre ja so einfach. Aber es ist eben nichts absolut, sondern immer vielfarbig und verschieden. Ich verstehe, wenn es nicht leicht ist. Aber ich vertraue auch darauf, dass du etwas Gutes daraus machen wirst.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul