Problem von Lea - 19 Jahre

Bitte um Rat, ich weiß nicht was ich weiterhin tun soll

Hallo,
ich versuche meine Gedanken zu ordnen, aber das ist nicht so einfach. Hoffentlich ist es dennoch verständlich.
In der Schule früher hatte ich noch nie ein großes Selbstbewusstsein, ich war nie eine von den Beliebtesten in der Klasse /Stufe. Ich interessierte mich nicht für Schminken/Mode oder ähnliches. Wenn einer mich mit Worten angegriffen hatte habe ich direkt einen Satz parat gehabt. Allerdings fing ich an mich Abends wenn ich dann alleine war zu ritzen. Mein erster Freund wusste das, hatte auch viel Verständnis, aber er hat mich einfach noch weiter runtergezogen. Daher habe ich mich von ihm getrennt. Ich fing früh an viel feiern zu gehen und zu trinken. Ich fand es gut wenn mich jemand angeschaut hat. Damals war ich sehr naiv. Mein zweiter Freund war sehr beliebt. Am Anfang hat er mich behandelt als wäre ich das einzige Mädchen auf der Erde. Doch mit dem Moment wo wir zusammen waren änderte es sich sofort. Er hat mich wie Dreck behandelt. Wenn ich da war schlief er oder hat mit mir geschlafen. Ich wollte das nicht sehen. Vielleicht wollte ich einfach nur nicht alleine sein. Ich weiß es nicht. Er hat mit mir geschlafen wann er wollte und wie er wollte. Ich möchte es nicht Vergewaltigung nennen, da ich bis auf hin und wieder ein "Nein" nichts dagegen getan hab. Ich denke ich hätte einfach gehen können von daher bin ich es wahrscheinlich selbst Schuld. Ich war ihm allerdings sehr schnell nicht mehr genug also hat er mich verlassen. Das war wahrscheinlich gut für mich, dennoch habe ich wochenlang zuhause gesessen und getrauert. Mein derzeitiger Freund ist das Gegenteil. Er behandelt mich jeden Tag aufs neue wie man es sich nur wünschen kann. Ich liebe ihn sehr und würde einfach alles für ihn tun, er nutzt es aber niemals aus.
Ich habe einfach schreckliche Angst, dass er mich einfach verlassen würde -auch nach einem Jahr noch- manchmal sitze ich einfach neben ihm und fange an zu weinen. Er sagt mir zwar immer er würde das nie tun, aber die Angst ist einfach da, dass er sich irgendwann eine normale Freundin sucht. Um etwas besonderes zu sein, etwas worauf er stolz sein kann habe ich angefangen weniger zu essen. Ich weiß, dass ich ihn nicht dadurch an mich binden kann, aber dennoch habe ich das Gefühl durch die pure Angst nichts Wert zu sein immer gestörter zu werden. Obwohl alles gut ist habe ich wieder angefangen mich zu ritzen. Der Druck den ich mir selbst mache Gewicht zu verlieren trifft immer mehr auf ärger, mit Freunden oder meiner Mutter. Ich weiß sie wollen mir nichts böses, wenn sie wollen, dass ich zunehme, aber ich reagiere dann total gemein und verletze sie. Aber ich will das nicht.
Und jetzt hat mein Freund mich gestern beim Geschlechtsverkehr gefragt ob ich etwas tun würde. Da ich ihm sehr vertraue und er mir jede Kontrolle gelassen hat hab ich gesagt es sei okay. Doch jetzt im Nachhinein ist für mich nichts okay. Ich kann ihm keinen Vorwurf machen, er hat alles richtig getan, aber ich fühle mich ohne jeden Grund an damals erinnert und einfach so benutzt.
Ich weiß ich bin es selbst schuld, dass ich jetzt so bin wie ich bin. Und es ist auch meine eigene Schuld, dass ich meinem Freund sagte es sei okay, aber ich möchte euch bitten, habt ihr irgendeinen Rat für mich, dass es leichter wird für mich mit der Tatsache zu leben? Schließlich ist es eh passiert und ich kann es nicht ändern. Aber ich möchte mich ändern, ich möchte die Menschen die mir wichtig sind nicht mehr "aus Reflex" verletzen. Ich möchte auch nicht, dass mein Freund mich ständig so ertragen muss. Mal total emotional, mal kalt wie ein Stein. Ich brauche dringend Rat von euch ich weiß nicht weiter
Tut mir leid für die Länge des Textes.

Liebe Grüße

Anna Anwort von Anna

Hallo Du,

vielen Dank für Dein Vertrauen uns gegenüber. Kein Angst, Dein Text hat genau die richtige Länge und ich bin froh darüber, dass Du von Deiner Situation so ausführlich erzählt hast, denn so kann ich mich viel besser da hinein versetzen. Ich finde es übrigens sehr beeindruckend, wie offen und klar Du über Deine Gefühle bescheid weißt und sie in Worte fassen kannst. So selbstreflektiert sind nicht Viele.

Dass es Dir zur Zeit nicht gut geht, kann ich mir gut vorstellen. Verlustangst ist eines der stärksten Gefühle in Beziehungen und nicht immer leicht zu ertragen. Sie verleitet einen dazu, sich selbst zu sehr anzupassen und Dinge zu sagen und zu tun, mit denen man sich eigentlich gar nicht identifizieren kann, nur um zu gefallen, um nicht verlassen zu werden.
Die Verlustangst war sicher auch einer der Faktoren, worunter Deine sexuelle Selbstbestimmung in Deiner letzten Beziehung gelitten hat. Übrigens denke ich, dass Du auf dem richtigen Weg bist, diese Zeit zu verarbeiten. Jetzt erkennst Du, dass Du Dich damals in dieser Situation sehr unwohl gefühlt hast und so langsam steigt die Wut in Dir darüber hoch, was Dein damaliger Freund mit Dir gemacht hat und auch darüber, was Du mit Dir hast machen lassen. Dein damaliger Freund hat sich sehr verletzend, sehr eigensüchtig und sehr rücksichtslos verhalten, Dir und wahrscheinlich auch anderen Menschen gegenüber. Und ich finde, Du gehst viel zu hart mit Dir ins Gericht, wenn Du Dir selbst die Schuld daran gibst, wie er Dich behandelt hat. Abhängigkeit kann schwere Folgen haben und Abhängigkeit bedeutet nicht nur physische oer materielle Abhängigkeit, sondern auch emotionale. Und Dein damaliger Freund hat diese schamlos ausgenutzt! Es ist wichtig, erstmal bei dieser Wut zu bleiben. Höre auf, Dir ständig selbst Vorwürfe zu machen. Würdest DU jemanden sexuell ausbeuten, wenn sich dieser aus emotionaler Abhängigkeit heraus nicht wehren würde? Wenn Du das Gefühl hättest, der Partner will nicht so richtig? Wahrscheinlich nicht, oder? Das unverschämte respektlose Verhalten kam also von IHM.
Aber dass Du auch wütend auf Dich selbst bist, kann ich verstehen und ich denke, dass Du mit diesem Selbstzweifel und diesen Gefühlen noch oft und sicher auch lange zu kämpfen haben wirst. Es ist wichtig, sehr wichtig, dass Du Deine sexuelle Selbstbestimmung wiederfindest und auslebst. Sag lieber einmal zu oft Nein, als einmal zu oft Ja und dann mit den negativen Gefühlen leben zu müssen. Ergreife im Sexuellen die Initiative, bestimme DU, wann und wo und wie und frage DU Deinen Freund, ob er nicht darauf oder darauf Lust hätte. Nimm Dir außerdem die Zeit über die Fragen Deines Freundes nachzudenken, ehe Du antwortest. Und am besten: sprich mit Deinem Freund darüber, dass Du in solchen Situationen schnell Ängste bekommst. Sex geht euch beide was an und es stärkt die Intimität und das Vertrauen zwischen euch, wenn er von Deinen Ängsten erfährt.

Dass Du an Dir ein ungesundes oder sagen wir erstmal unnormales Essverhalten feststellst, ist sehr aufmerksam und selbstreflektiert von Dir. Es ist vor allem ein erster Schritt auch hier die zugrunde liegenden Ängste und Gründe für dieses Verhalten zu erkennen.
Wer isst, wer Nahrung aufnimmt, wer philosophisch gesprochen die Welt um sich herum aufnimmt, der hat Gewicht, der zählt sozusagen, zumindest auf der Waage. Wer Gewicht hat, der ist jemand. Der ist da, den sieht man. Was würdest Du sagen, welche Angst steht dahinter, wenn man also nicht isst? Würde dieser Jemand sich gerne dünn machen? Nicht da sein? Verschwinden? Oder einfach nicht auffallen? Je weniger man wiegt, je weniger "Selbst" man mit sich herum trägt, desto weniger Angriffsfläche hat man, oder? Wer will einem dann schon was? Immerhin nimmt man selbst ja nichts in Anspruch, stellt generell keine Ansprüche, will am liebsten ja nicht "mitmischen" oder teilhaben an der Welt.
Du nimmst Dich selbst nicht wichtig genug. Dein Freund liebt Dich nicht mehr, nur weil Du nicht "auffällst", weil Du "weniger" bist, weil da weniger ist, wofür Du selbst einstehen musst. Dein Freund liebt Dich gerade WEIL da was ist, WEIL Du da bist, WEIL Du so bist wie Du bist.
Tief in Deinem Inneren weißt Du das sicher auch, immerhin erkennst Du die Problematik ja selber und wie gesagt, ich glaube, das ist schon mal ganz viel wert und ein erster Schritt. Aber alte Verletzungen, unverheilt und nur vergraben, liegen tief und können weiter ins Innere eitern und ausstrahlen, wenn sie nicht wenigstens gereinigt wurden.
Was würde Dir selbst einfallen, um so eine alte Wunde zu reinigen?
Mir würden einfallen: mit Menschen, denen Du vertraust, darüber sprechen. Darüber schreiben, vielleicht einen Brief, auch einen an Deinen Exfreund (Du musst ihn nicht abschicken). Dir mit Dir selbst darüber einig werden, was es genau war, was Dich verletzt hat und versuchen, dagegen anzugehen, das heißt entweder solche Situationen vermeiden, solche Menschen, oder aber an Deiner Selbststärke arbeiten, an Deinem Selbstvertrauen, auch in schwierigen Momenten die Kontrolle zu behalten.
Vielleicht helfen Dir diese beiden Übungshefte:
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Ich bin immer vorsichtig damit, jemanden zu einem Therapeuten zu schicken. Und da ich Dich nicht gut genug kenne, weiß ich auch nicht, ob das bei Dir notwendig ist. Aber nachdem, was Du erzählt hast, nachdem was Du erlebt hast, könnte ich mir vorstellen, dass die Mehrheit an Menschen da vielleicht schon ganz gut bei einem Therapeuten aufgehoben wäre. Du erzählst, dass Du bereits Verhaltensauffälligkeiten hast wie Deine Ernährung. Das musst Du unbedingt im Auge behalten!
Hier ein Link, der Dir vielleicht weiterhilft:
http://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/31/Professionelle-Hilfe-Wie-finde-ich-einen-Psychotherapeuten.html
So oft eine solche Hilflosigkeit zu empfinden, Kontrollverlust zu empfinden, kann zu Depressionen führen. Ich glaube, eine Therapie ist eine Möglichkeit, die Du in Betracht ziehen solltest.

Dass Du dieselben Ängste zur Zeit mit Deinem Freund erneut durchlebst, ist nur allzu verständlich. Dein Freund liebt Dich, Dein Freund hält zu Dir und wenn es noch so lange dauert, irgendwann vertrauen Deine Gefühle ihm vielleicht. :-) Ich freue mich sehr für Dich, dass Du nun endlich einen richtigen Partner gefunden hast. Eine Beziehung mit einem Menschen, der einen aufrichtig liebt, ist das beste Heilmittel, das es gibt, um tiefe seelische Wunden zu schließen. Aber versuche, Dich nicht mehr in der Position der Hilfbedürftigen zu sehen, in der Position derjenigen, die Glück haben kann, geliebt zu werden. Dein Freund hat ebenso großes Glück mit Dir und es ist sehr, sehr wichtig für eine stabile Beziehung, dass Du Dir darüber im Klaren bist!

Ich wünsche Dir alles, alles Gute und würde mich freuen, nochmal von Dir zu lesen.

Viele Grüße,

Anna