Problem von Anonym - 17 Jahre

Ich habe Angst...

Am 24. Mai 2015 hatte meine Mutter einen schlimmen Schlaganfall. Ich war dabei wie es passiert ist und die Leute um mich herum sagen ich habe mit einem Trauma zu kämpfen da sie im 2 Monatigen Koma mehrere Male fast gestorben wäre. (da sie generell sehr krankheitsanfällig ist)
In dieser Zeit hatte ich mit meinem Vater keinen Kontakt, dh ich war mit meinen 2 Brüdern alleine und wir mussten alles alleine stämmen was an Kosten und Aufgaben auf uns zu kam. Mein Bruder musste sogar mein Sorgerecht beantragen damit ich nicht ins Heim muss. In dieser Zeit wurde ich extrem schlecht in der Schule, aber warum das so ist hat irgendwie keinen iteressiert. Ich musste monatelang zusehen wie meine Mutter unter den Folgen ihres Anfalles litt und es Schmerzt sehr wenn ich daran denke.
Ich habe ANGST dass es nochmal passieren kann oder, dass einen meine Brüder etwas passiert. Ich weiss, dass mein Bruder nicht sehr gesund ist genauso wie mein Vater.....ich habe Angst dass er vielleicht auch einen Schlaganfall erleidet oder gar einen Herzinfarkt da das bei seinem Übergewicht nicht unwahrscheinlich ist. (die Tatsache das ich viel in der Schule über dieses Gebiet lerne macht es nicht besser).
Seit unser Vater uns verlassen hat kämpfe ich auch mit einer "Essensstörung". Seit alles zerbricht, fresse ich nur noch in mich hinein, das obwohl wir nur wenig Gelb besitzen seit ich ein kleines Mädchen bin. So bin ich innerhalb von einem Jahr von 56kg auf 89kg gekommen. Ich hatte nie viel Selbstvertrauen und schon vor einem Jahr wurde mir gesagt ich wäre Fett.....
Ich fühle mich schlecht wenn ich nichts im Haushalt tue und nicht Arbeite um meine Familie zu unterstützen. Ich habe Angst dass mein Bruder sich wegen mir zu viele Sorgen machen muss und will nicht dass er so lange arbeitet.....aber anders können wir unsere Rechnungen nicht bezahlen.....
Wenigstens geht es meiner Mutter wieder besser aber sie hatte vor kurzen einen epileptischen Anfall und ich mache mir wieder mehr Sorgen um sie.
Ich versuche meine Gefühle so oft wie möglich zu unterdrücken und rede mit niemanden da mir niemand wirklich zuhört. Die meisten nehmen mich nicht ernst. Ich fühle mich schlecht und nutzlos. Wie ein Walross dass nur im Weg steht. Von allen Seiten höre ich Kritik und es wird alles was ich tu in Frage gestellt.
Ich habe einfach nur ANGST und ich will dass das aufhört. Es wird einfach zu viel Druck auf einmal von allen Seiten auf mich eingeübt dass ich langsam den Verstand verliere.

Anna Anwort von Anna

Liebe Anonyme,

vielen, vielen Dank für Dein Vertrauen uns gegenüber! Ich kann mir vorstellen, dass es Dir sicher nicht leicht gefallen ist, so offen über Deine Situation und Deine Gefühle zu berichten und finde es sehr beeindruckend, wie gut Du Deine Lage in Worte fassen kannst. Noch bewundernswerter aber finde ich es, wie gut Du es schaffst, mit dieser unheimlich schweren und belastenden Situation umzugehen.
Auch, wenn Du Dich wahrscheinlich nicht für sonderlich stark hälst und auch, wenn Du merkst, dass irgendwie alles aus dem Ruder zu laufen scheint - es ist nicht selbstverständlich, eine Situation so gut auszuhalten und dabei auch noch so selbstreflektiert wie Du damit umzugehen.

Ich kann mir vorstellen, dass es Dir mit den Umständen sehr schlecht geht: die Angst um Deine Mutter, die Angst um Deine Brüder, die ständigen Gedanken, was die Zukunft bringt und der starke Wunsch helfen zu wollen, aber sich absolut machtlos zu fühlen. Die Situation, in der Du Dich befindest, ist eine Grenzsituation und nichts, womit 17jährige eigentlich konfrontiert sein sollten. Aber leider bist Du nun mitten drin und vielleicht kann ich Dir einige Hilfestellungen geben, um mit ihr besser umzugehen.

Wenn unsere Sicherheit erschüttert wurde, zum Beispiel durch den Tod oder eine schwere Krankheit eines nahestehenden Menschen, spüren wir die Folgen davon meist erst, wenn sich das Schlimmste gelegt hat und es nun darum geht, wie man mit dem Ganzen im Alltag umgehen soll. Dass Du nun so viel isst, ist wahrscheinlich eine Reaktion darauf und ein Versuch Deines Unbewussten mit dem Erlebten umzugehen. Je schwerer man ist, desto mehr bleibt man am Boden. Je mehr man isst, je mehr man schmeckt und fühlt, sich füllt, desto mehr hat man die Sicherheit noch in der Realität zu sein, nicht abzuheben. Und die Sicherheit, die Du verloren hast, dass Mutter und Vater weitesgehend gesund sind und für Dich sorgen können, versuchst Du nun vielleicht durch das Essen wiederzubekommen.
Ein erster Schritt könnte es sein, ein Ernährungstagebuch zu führen, in dem Du genau aufschreibst, was Du wann und in welcher Situation im Alltag isst und wie es Dir damit geht - in dem Moment und hinterher. Das könnte Dir helfen, ein Bewusstsein über Dein Essverhalten zu schaffen.
Außerdem ist es unheimlich wichtig, dass Du Dich bewegst und Sport machst. Du kannst im Moment Dein Essverhalten zwar nicht so gut kontrollieren, aber Du kannst kontrollieren, wie viel Sport Du zum Ausgleich machst. Die Bewegung würde Dir außerdem gut tun, um Deine Angst ein wenig im Schach zu halten. Gibt es eine Sportart, die Du magst? Und vielleicht einen Sport, denn Du zusammen mit einer Bekannten oder Freundin machen könntest? Auch alleine joggen zu gehen und dabei Musik zu hören, kann Wunder wirken. Versuch es doch mal.

Ein weiterer Punkt, der Dich sicherlich sehr belastet, ist die Angst. Nachdem, was Du erlebt hast - den plötzlichen Schlaganfall, dann einen epileptischen Anfall, also Dinge, die kurz und spontan passieren - kann ich absolut nachvollziehen, dass Du furchtbare Angst davor hast, dass das Ganze wieder passiert. Durch den Schock kommt man schnell in einen angespannten und auf Gefahr ausgerichteten Modus. Auch körperlich spürst Du die Angst wahrscheinlich sehr stark durch Anspannung, verschwitzte Hände und schnelles Atmen.
Diese Angst wird denke ich wieder vergehen, wenn Du genügend Zeit hattest, das Erlebte zu verarbeiten. Aber es gibt Möglichkeiten, sie schon jetzt einzudämmen und in Schach zu halten. Empfehlen kann ich Dir da, wie schon gesagt, Sport und Bewegung, eine möglichst gesunde Ernährung (Achtung: hier geht es jetzt nichtd darum weniger zu essen, sondern das RICHTIGE zu essen), pflanzliche Beruhigungsmittel, die Du zum Beispiel im dm bekommst, wie Johanniskraut, Baldrian oder Lavendel und Entspannungstechniken, dazu hier mehr: http://hochsensibelsein.de/category/entspannungstechniken/

Ich kann verstehen, dass Du im Moment gerne allen helfen möchtest, alles richtig machen möchtest, am liebsten direkt aus eigener Kraft die ganze Situation verändern willst, aber das ist ein langsamer Prozess, der erst mit der Zeit Besserung bringt. Du kannst nicht von Jetzt auf Gleich alles ändern und allen helfen. Du kannst nur das tun, was auch in Deiner Macht steht. Es sind kleine Dinge, die Deine Familie unterstützen und über die Zeit eine große Wirkung mit sich bringen. Du könntest Deinem Bruder vielleicht als Aufmerksamkeit einen Tee machen, wenn er von der Arbeit heimkommt, oder Du könntest einen kleinen Einkauf machen. Es gibt sicher sehr viele und auch sehr kleine Tätigkeiten, die gemacht werden können und zum Positiven beitragen. Schau Dich erstmal nach denen um, ehe Du Dich überforderst, dann gar nichts tust und Dich dann schlecht fühlst.

Und noch einmal: die Situation, in der Du bist, ist sehr schwer und diese Schwere spürst Du nicht nur in Dir selbst, Du musst sie auch anerkennen. Es ist okay, wenn Dir gerade die Fäden etwas aus der Hand gleiten, es ist okay, Angst zu haben und sich überfordert zu fühlen. Ich bin sicher, dass es Deinen Brüdern genauso geht. Würde es Dir vielleicht helfen, mit ihnen mal über Deine Gefühle zu sprechen?

Ich wünsche Dir alles, alles Gute!

Viele Grüße,

Anna