Problem von Anonym - 19 Jahre

Warum ist meine Mutter so stur und kann ich ihr überhaupt noch helfen?

Hallo!
Ich lebe zusammen mit meinem Bruder und meinen Eltern. Alles gut soweit und die meiste Zeit würde ich es auch gar nicht anders haben wollen. Nur, es gibt auch häufig Streitereien, eigentlich nur mit meiner Mutter.
Ich liebe meine Mutter! Aber oft denke ich mir auch in purer Verzweiflung, warum sie so ist wie sie ist.
Erst einmal sollte ich anmerken, dass sie eine schwierige Kindheit hatte, einen gewalttätigen Vater und eine Mutter, die wirklich nicht besonders fürsorglich war. Ich weiß, dass es schwierig ist mit solchen Dingen abzuschließen und ich verfluche ihre Eltern dafür, was sie ihr angetan haben, aber es belastet nun auch noch uns als Familie und soweit sollte es doch nun wirklich nicht kommen, oder?!
Es gibt typische Situationen mit meiner Mutter, wo ich nicht nur sie, sondern auch mich anzweifle. Denn ich weiß meine Reaktionen oder Gedanken sind in diesen Momenten auch fragwürdig und ich schäme mich im Nachhinein auch dafür.
Z.B: Wir fahren am Wochenende immer in den Garten. Wenn wir dann wieder nach Hause fahren im Sonnenuntergang und es eigentlich eine Zeit ist, wo jeder entspannt und glücklich sein könnte und dazu läuft auch noch gute Musik im Radio, bringt sie einfach mal folgenden Satz: "Jetzt ist ***** schon seit so lange tot..." und lächelt in Wehmut zu mir nach hinten. Sie redet so oft von Personen, die in ihrer Familie gestorben sind und wie "merkwürdig" es doch sei, dass niemand über sowas in den Nachrichten redet, nur über Prominente, die sterben. Ich möchte dann immer aus dem fahrenden Auto springen, dabei sollte ich wohl einfach mitfühlend reagieren, aber ich kann es nicht! Zuerst einmal, weil sie ständig gute Momente versaut mit ihren pessimistischen Gedanken und zum zweiten, weil es ganz logisch ist, dass davon nichts in den Nachrichten zu hören ist, nämlich weil ihre Familie nicht bekannt genug ist! Es mag wohl traurig sein, aber auch nicht so traurig und dazu ist es auch schrecklich, wenn man sich selbst immer traurig werden lässt mit derartigen Gedanken. Ich habe auch manchmal traurige Gedanken, aber ich belästige andere nicht ständig damit. Es ist auch irgendwann Zeit mit Dingen abzuschließen. Menschen sterben nun einmal. Seit ihr Onkel und ihr Stiefvater gestorben sind, tut sie oft so, als ob die Welt der schrecklichste Ort ist und als ob sie auch noch das schrecklichste Leben abbekommen hätte. Was sie dabei vergisst, ist, dass sie es verdammt gut hat. Wie ich auch. Wir sind nicht arm, wir können uns gutes Essen leisten, wir haben einander! Aber sie bringt uns ständig runter und lässt mich noch viel pessimistischer werden, als ich es mir für meine depressivsten Phasen erträumen könnte.

Zweite Sache. Wenn sie nicht gerade total fertig ist mit ihrem "furchtbaren" Leben, dann ist sie sehr wahrscheinlich in einer merkwürdig zwiespältigen Phase zwischen Wahn und Euphorie in der sie jeden beleidigt und über ihre Worte dann lacht und sich richtig witzig findet. Z.B. sitzen wir einfach so am Tisch und sie ist "gut gelaunt" und sagt dann zu meinem Vater so Dinge wie "Gott, du siehst aus wie deine Mutter" oder sie macht sich über mich lustig, egal was ich tue, wenn ich mich verschlucke, prustet sie gekünstelt in ihre Faust und sagt dann sowas wie "Na, zu gierig gewesen, was?" oder sie macht die dämlichsten rassistischen Aussagen und lässt Dinge fallen, die einfach nicht wahrheitsgemäß sind, einfach nur, damit es jemanden zum Lachen bringt?! Oder damit sie selbst lachen kann, denn meistens lacht sonst niemand darüber. Es ist einfach merkwürdig und nicht wirklich nett und ich mag wohl sensibel sein, aber auch mein Bruder findet es nicht cool und mein Papa sagt nur "Tja, lass sie doch, so ist sie". Es sind auch einfach fiese Dinge, die sich in ihrer Mimik abspielen, die gehässig sind und die ich nicht wirklich in hier im Geschriebenen verfassen könnte.
Warum ich sie nicht darauf anspreche? Das tue ich. Aber dann passiert Folgendes:
"Lass das doch, das ist nicht mal witzig"
Sie: "Ja, ich weiß *wehmütiges Gesicht*, ihr seid mich ja bald los. Ihr wärt ohne mich sowieso besser dran, richtig?"

Sie überzieht alles. Man kann nicht eine geringe Kritik äußern ohne dass sie gleich davon spricht, dass sie auszieht oder irgendjemand von uns auszieht, weil sie ihn rausschmeißen wird.

Ja! Das bringt mich zu einem anderen Punkt! Sie hat eine völlig falsche Vorstellung vom Familienleben. Sie ist Hausfrau und putzt wirklich 24/7 im Haus herum, staubsaugt die ganze Zeit umher und schreit jeden an, der nicht bei drei irgendetwas irgendwo weggeräumt hat. Wir drei sind uns alle einig, dass sie maßlos übertreibt in ihrem Putzwahn, aber was kann man dagegen tun? Sie fängt oft an zu weinen und vom Ausziehen zu reden, weil alles im Haus so dreckig ist (Es ist alles lupenrein sauber, so sauber, dass ich es hasse und mich nicht wohlfühlen kann, weil man ja auch nirgendswo anfassen oder etwas abstellen darf!!!).
Wenn ich sage, es ist alles sauber, sie soll sich nicht so aufregen, sagt sie nur in gehässigem Ton "Ja, weil ich hier auch alles sauber halte! Ihr würdet das ja nicht machen!"
Oft nennt sie mich dann im selben Atemzug auch noch faul und blind für Arbeit und was nicht alles. Vor allem jetzt, wo ich bis September erstmal nichts zu tun habe bis das Studium anfängt, hat sie in mir ihr gefundenes Fressen, denn sie kann mich ständig in meinem scheinbaren Nichtstun aufziehen. Und mein böses ich denkt dann "Naja, alles was du tust ist, wegwischen, was nicht da ist, alsoooo" und mein gutes ich möchte mich dafür selbst verprügeln.
Und sie sagt jetzt auch andauernd "Es ist mein Haus, ich bestimme die Regeln" und sie sagt es selbst zu meinem Vater, der das ganze Geld nach Hause bringt! Und alles muss nach ihren Vorschriften verlaufen; sie sagte zu mir vor einer Woche circa nach einem Streit, dass ich keine Rechte habe in diesem Haus, weil ich ja auch nichts tue. Daraufhin erklärte ich ihr, dass es egal ist, wer was tut, Rechte hat hier jeder in dieser Familie, aber sie meinte nein. Einfach stur geblieben und gesagt NEIN NEIN NEIN...und das war's. Ich meine, das ist einfach nicht richtig. Ich hasse Unfairness und das stinkt mir sehr danach, es geht mir nicht mal so sehr darum, dass es mich betroffen hat. Vor allem, ich werde ja bald wieder beschäftigt sein mit der Uni und sie wird weiterhin im Haus umherputzen und ich weiß, egal was ich mache, ich werde sowieso immer unterer Rang für sie sein, einfach weil sie sich für etwas besseres hält. Gleichzeitig aber auch nicht, gleichzeitig hasst sie sich nämlich und mäkelt andauernd an ihr rum! Einerseits sagt sie "Gott, ich bin so fett und hässlich" und dann sagt sie "Gott, ich bin wirklich die einzige Person mit Hirn"
Aber das ist sie nicht! Sie ist stur und schwierig. Und ich verfalle so oft in Streitereien mit ihr ohne dass ich überhaupt dort landen will! Aber sie triezt mich mit irgendwelchen Anschuldigungen oder Beleidigungen und dann sage ich, dass ich es nicht in Ordnung finde, dann kommt irgendeine unangebrachte Aussage von ihr und *schwupps* da ist der Streit. Sie wird auch handgreiflich. Ich kann diese Momente abschätzen, es passiert immer dann, wenn sie merkt, dass mit Geschrei nicht weiterkommt, dann weiten sich ihre Augen und sie bekommt so einen starren Blick und dann presst sie die Lippen zusammen.

Also, im Zusammenschnitt:
Die meiste Zeit kommandiert sie jeden herum und hält sich für den absoluten Boss und die einzig saubere und intelligente Person und beleidigt und verletzt andere Leute in ihrem Umfeld.
Manchmal beleidigt sie sich (ihren Körper, in der Regel). Sie lässt keine Kritik von anderen zu und macht dann dicht. Im Streit wird sie zu einem Kind und schreit grundlos herum, obwohl man dicht bei ihr steht und man sie auch so sehr gut verstehen kann. Sie lässt niemanden ausreden. Wenn dann jemand zu Wort kommen will, verlässt sie den Raum. Es gibt keine Diskussionen in ihren Augen, sondern nur Streit und Aggression.

Okay...ich weiß, das ist ein ewig langer Text, aber nun ja, eigentlich will ich nur, dass alles besser läuft zwischen uns. Ich möchte zugegebenermaßen auch einfach ein wenig mehr Ruhe und nicht immer mit dem Gefühl leben, dass sie eine tickende Bombe ist, die gleich losgeht. Ich möchte auch mal, dass sie ihre Fehler eingestehen kann und nicht ich immer meine und dass sie nicht so pessimistisch ist....Denn das zieht ich auch runter, ja ich weiß, egoistisch von mir.
Sie geht in eine Therapie, aber keine Ahnung, wirklich Wirkung zeigt das nicht. Ich habe auch das Gefühl, dass es nicht sonderlich hilft, wenn sie Situationen der Therapeutin schildert und dabei wichtig Details auslässt wie ihre Aggressivität oder ihren Putzwahn oder ihr gestörtes Verhältnis zu ihrem Körper usw. Ich glaube, sie redet dort hauptsächlich darüber wie scheiße fies wir drei doch sind, weil wir nicht sauber machen etc.
Ihr unter die Arme greifen ist nebenbei bemerkt nicht drin, weil sie einen dann aus dem Zimmer scheucht und sagt, dann hätte sie ja gleich doppelt Arbeit, weil wir das nicht richtig können (auch wieder nicht wirklich logisch, aber okay)

Danke fürs Lesen! Ich freue mich sehr über eine Reaktion auf mein Problem...

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

ich finde es bemerkenswert, dass du in deiner Überschrift die Frage aufgeworfen hast, ob du deiner Mutter noch helfen kannst. Zeugt doch dein Text eher von - meiner Meinung nach absolut berechtigtem - Ärger über sie. Daher muss ich die Gegenfrage stellen: Willst du ihr helfen? Oder wünschst du dir - was ich wirklich verstehen könnte - sie möge endlich einmal aus ihrem Trott aufwachen?

Deine Mutter scheint zu den Menschen zu gehören, von denen man sich denkt: "Du müsstest mal statt meiner hier sitzen und dich selbst hören." Die Beschreibung deiner Mutter vereinigt viele Facetten, die mir alle irgendwie nicht unbekannt sind: Ewige Nörgler; Selbstgerechte; Kaffeetisch-Polterer; Über-volljährige-Leute-wie-über-Kleinkinder-Redende; Dünnhäutige; Irrationale; Mimosen; Menschen, die ihr eigener Stern in ihrem eigenen Sonnensystem sind, und sich beständig wundern, warum der Lauf der Welt nicht um sie kreist. Ich nehme auch wahr, dass du deine Mutter dennoch liebst, und ich möchte sie mit dem, was ich geschrieben habe, nicht beleidigen. Nachdem mir all das durch den Kopf ging, machte sich in mir aber das Gefühl breit, dass es schwer sein dürfte, deine Mutter noch rational zu erreichen. Deine Schilderung erweckt in mir den Eindruck eines Menschen, der - so viele gute Eigenschaften er auch hat, und so dankbar man ihm für vieles ist - einfach nicht immer ganz zurechnungsfähig ist. Dieser Satz mag dich schocken - er ist, bitte glaube mir das, nicht als Beleidigung gemeint. Ich drücke mich zu deinem Schutz so aus, weil es dich auch deshalb so belastet, weil du dem abhelfen willst. Aber das wird kaum gehen. Weder ist es deine Aufgabe, noch hast du (zumal wenn dein Studium beginnt) die Zeit und Kraft dazu übrig.

Deine Mutter hat sich auf ihrer kleinen Insel behaglich eingerichtet. Welche Möglichkeiten stehen dir offen? Du kannst auf Konfrontationskurs gehen. Aber wird dich das befriedigen? Wenn es dein Ziel ist, ihr all das, was doch wahr ist, und was sie einfach nicht sehen will, mal gesagt zu haben - dann, vielleicht, ja. Denn dann ist entscheidend, nicht den Kopf eingezogen zu haben, sondern dagegen gestanden zu sein, wenn sie ungerechtfertigte Vorwürfe erhoben hat. Doch wenn es dein Ziel ist, sie aufzurütteln, ein Umdenken anzustoßen, dann wirst du wahrscheinlich nie zum Ende kommen. Sie braucht vielleicht sehr Therapie; in jedem Fall kann sie nichts mehr beeindrucken, was du ihr entgegenzusetzen hättest. Du hast bereits alles versucht. Jetzt kannst du damit fortfahren, in der Hoffnung, dass sie wenigstens einen gewissen Respekt aufbaut, und du dein Studium einigermaßen in Ruhe wirst bewältigen können. Fraglich ist dabei nur, ob du dabei nicht zuviel von dir verlangen würdest. Wie würde sie reagieren, wenn du dich vor sie hinstellst und ihr sagst: "Du wirst in meinem Zimmer nicht mehr putzen, erstens weil es sauber ist, zweitens weil es mich stört, drittens weil du mich nicht lässt, um mir das dann vorzuwerfen!" Wahrscheinlich würde es ziemlich heftig hergehen. Aber vielleicht könntest du, wenn du viele solcher Situationen schaffst, deiner Mutter wenigstens verdeutlichen, dass du kein leichter Gegner bist. Jedoch: Ist das ein sinnvoller Weg? Ist es zielführend, wenn man mit der eigenen Mutter Rivalitäten unter einem Dach austrägt, statt miteinander auszukommen? De facto ist sie es, die dir das aufzwingt. Darum ist meine Sorge auch eher, dass es dich zu sehr belasten könnte. Wie steht dein Vater dazu? Schaltet er sich in Streitsituationen ein? Und bleibt er eher von ihren Launen verschont? Könntest du dich ihm mitteilen? Oder sonst jemandem, der einen besseren Draht zu deiner Mutter hat? Denn wenn die Situation auf Dauer so bleibt, wird es für dich wirklich schwer erträglich werden. Du könntest nun darauf hinarbeiten, dir in absehbarer Zeit einen Auszug zu ermöglichen; oder du könntest versuchen, dir wenigstens einen kleinen Freiraum zu erkämpfen. Wie ich aber oben sagte: Ich weiß nicht, ob das, was das an Kraft kosten würde, im Verhältnis zum erwartbaren Gewinn steht. Wirklich ignorieren lässt sich das Ganze ja auch nicht.

Was dir noch bleibt, ist: Versuche es mit Humor: Du hast geschrieben, dass die Fabeleien deiner Mutter deine eigene pessimistische Stimmung stellenweise verstärken. Warum? Letztlich doch einfach, weil sie auch in den schönsten Momenten nicht davon lassen kann, unheilvoll zu schwadronieren, oder? Dann sage ihr es. Aber nicht laut, nicht drohend, sondern zynisch: "Ach, Mama, wenn wir nicht so gut leben würden, könnte man fast Mitleid mit dir haben...", "Oh... ist dir so langweilig, dass du es uns vorwerfen musst, wenn wir uns nach deinen Verboten richten...?" Vielleicht hilft es dir, all diese Grundüberlegungen, warum (was wir alle wissen) ihre Redens- und Verhaltensweisen so unrichtig und realitätsfern sind, warum das, was sie für bemitleidenswert hält, in Wahrheit selbstgerecht ist, all diese Dinge in knappen Sätzen zusammenzufassen. Die du über den Tag streuen kannst, bestimmt und scharf, um dann gar nichts mehr zu sagen. Warum nicht auch einfach mal grinsen? Warum nicht (in kleinen Dosen) durchscheinen lassen, dass du andersrum genauso kannst? Es geht nicht darum, einen Wettstreit mit deiner Mutter vom Zaun zu brechen. Aber im Augenblick ist das Gefühl der Falschheit und Ungerechtigkeit dessen, was du von ihr hörst und erfährst, möglicherweise auch deshalb so groß, weil es sich oft schwer in Worte fassen lässt. Versuche es auf den Punkt zu bringen. Versuche, dich schlagfertig zu zeigen, aber nicht wütend. Lass dich nicht auf Diskussionen ein. Deine Mutter, so viel sie auch arbeitet, provoziert dich letztlich in derselben Weise, in der es auch Kinder in ihren rebellischen Momenten tun: Zuerst wird jeder Vorwurf zurückgegeben; dann wird an unnötigen Punkten herumverhandelt; dann wird auf die Ehrgefühle des Anderen eingedroschen. Kann man täglich in Schulen, Straßenbahnen, in unzähligen Kommentarsparten des Internets beobachten. Und nirgends gibt es eine Lösung. Glücklich ist allein der, der das letzte Wort behalten hat - oder wenigstens die Gewissheit, dass der Andere nur Vorwürfe wiederholen kann, die offensichtlich falsch sind oder die man bereits widerlegt hat. Und das Witzige ist ja: Oft tappen gerade die Leute, die solchen Stänkerern mal so richtig die Meinung sagen wollen, in ihre Falle. Denn diese Wut, diese Hilflosigkeit angesichts so viel Dummheit hervorzurufen, den Anderen aus der Fassung zu bringen - genau das ist ja das Ziel. Man will ihn dazu bringen, was er selbst an einem kritisiert. Und so bestätigt auch der Ausgang der Streitereien deiner Mutter immer wieder ihre niedrige Meinung von ihrem Umfeld: Denn wer so leicht zurückbeißt, den kann man doch nur mit schlechtem Gewissen angetroffen haben? Pustekuchen. Und deshalb ist es auch wichtig, überlegen zu bleiben, und zielgerichtet zu antworten. Liefere ihr nicht Kleinigkeiten, auf die sie dann wieder einhacken kann, sondern halte dich knapp, aber bestimmt. Versuche nicht mehr, sie zu belehren; sie lebt in ihrer Welt. Aber versuche, sie zu entwaffnen. Und ihre Waffe, das ist ihre Bereitschaft, sich um keine Pietät zu kümmern. Es soll nicht in Abrede gestellt sein, dass sie viel für euch getan hat, und dass du sie trotzdem noch lieb hast. Aber tut es nicht gerade deswegen so sehr weh? Eben. Und eben deshalb wäre es auch der falsche Weg, sich völlig zurückzuziehen. Wenn du in deinem Weltbild ruhst und sie durchschaut hast, dann wird es dir auch nicht mehr so nahe gehen, was sie sagt.

Ich wünsche dir, dass du zu etwas mehr Leichtigkeit findest. Vergiss nicht: Wenn deine Situation auch nicht rechtfertigen kann, dieselben Keulen wie sie auszupacken (wir wissen nicht, was in ihrem Leben sie zu dem gemacht hat, was sie ist), darfst du dich trotzdem im Recht fühlen. Vergiss nicht: Du musst nicht viel geben auf das, was sie sagt. Sie tut es letztlich vor allem zu ihrer eigenen Befriedigung, nicht, weil so viel substanzielle Sorge dahinter wäre; man kann auch in die Gewohnheit kommen, sich irgendwo zwischen Selbstmitleid und ständigem Argwohn behaglich eingerichtet zu haben, und gar nicht mehr weg zu wollen. Dann holt man sich die Bestätigung, die man sucht, von den Menschen, denen man misstraut, auf diese unangenehme Weise, die du beschrieben hast. Vielleicht kannst du ihr nicht direkt vermitteln, dass etwas falsch läuft bei ihr; aber vielleicht kannst du ihr den Spaß an ihrer behaglichen Nische verleiden. Das wäre für sie nicht angenehm, aber was sie daraus macht, könnte euch allen nur nützen. Und in dieser Hoffnung verbleibe ich.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul