Problem von Anonym - 12 Jahre

sehr nah am wasser gebaut und viele Sorgen

Hallo! Ich habe ein Problem, welches mich schon sehr lange belastet..
Ich muss bei jeder Kleinigkeit anfangen zu weinen. Sei es bei einer kleinen Diskussion mit meinen Eltern oder bei dem Gedanken niemanden zu haben mit dem ich reden kann. Selbst jetzt habe ich Tränen in den Augen. Ich bin eigentlich ein sehr offener und fröhlicher Mensch , aber bei dem Gedanken irgendwann unbeliebt zu sein oder bei meinen Eltern zu "versagen" breche ich oftmals in Tränen aus. Ich will einfach wieder ein normales Leben ohne so viele Sorgen und Tränen führen:(...

JuliaG Anwort von JuliaG

Hallo liebe Anonyme,

das schnelle Weinen kenne ich sehr gut, weshalb ich mich gerne deiner Zuschrift annehmen möchte. :)

Aus der eigenen Erfahrung heraus, kann ich sehr gut nachfühlen, wie sehr dich das schnelle Weinen belastet. Häufig hat man das Gefühl, dass man sich bei Diskussionen nicht durchsetzen kann und auf andere schwach und mimosenhaft wirkt. Jedoch kann ich dich beruhigen: Häufig geht man mit sich selbst strenger ins Gericht, als eigentlich nötig. Das bedeutet für dich: Deine feinfühlige Ader ist keineswegs eine Schwäche und ich beweise dir gerne das Gegenteil. :)

Zu aller erst: Woher kommt dein Weinen?
Unsere Emotionen sind unmittelbar mit unseren Gedanken verbunden. Freuen wir uns auf eine bestimmte Sache, sind wir gut gelaunt und unbeschwert. Das zeigt sich z.B. durch große Unternehmungslust mit Freunden oder andere Dinge, die man gerne macht. Machen wir uns hingegen Sorgen um etwas, fühlen wir uns gelähmt und unsicher. Das kann sich dann wie bei dir durch Weinen zeigen. Unsere Gedanken brauchen also immer ein Ventil, durch das sie sich ausdrücken können - das sind unsere Emotionen.
Du hast dich bereits schon sehr gut beobachtet, indem du festgestellt hast, dass dir immer dann zum Weinen zumute ist, wenn du befürchtest, Ansehen zu verlieren, ungeliebt zu sein oder deine Eltern zu enttäuschen. Die Feststellung "woher kommen denn meine Gefühle" ist überhaupt die Grundlage, um dich selbst besser zu verstehen. Denn auch wir müssen manchmal für uns selbst da sein und unserer Seele etwas Trost spenden. Und das können wir am besten, wenn wir uns selbst verstehen!

Was kannst du also tun, damit du nicht mehr so schnell weinen musst?
In erster Linie bedeutet dies: Nicht mehr so viele (unberechtigte) Sorgen machen. Zugegeben: Das klingt wirklich leichter, als es getan ist. Besonders mit 12 Jahren ist das keine leichte Aufgabe - das kenne ich noch von mir selbst. In deinem Alter finden gerade ganz viele Umbrüche und neue Vernetzungen im Gehirn statt. Du machst neue Erfahrungen und trittst Stück für Stück ins Erwachsenenleben ein, das manchmal bitterer schmeckt, als man es sich vorgestellt hat. Erwachsene haben hin und wieder Sorgen - genau wie du. In der Pubertät haben sie schrittweise gelernt, mit Sorgen, Ängsten, Rückschlägen und mit Konflikten umzugehen. Daher möchte ich dich beruhigen: Dass du so sehr besorgt bist, hängt mit deiner Entwicklung zusammen. Du erinnerst dich bestimmt daran, dass du dir früher nicht um so viele Dinge Gedanken gemacht hast, oder? Ich erkläre es mir meistens so, dass einem im Kindesalter viele Sorgen von den Eltern abgenommen werden. Im Jugendalter steht man zunehmend vor der Aufgabe, selbständig mit Zweifeln und anderen Gedanken bestmöglich umzugehen, damit es einem nicht immer schlecht geht, sobald man über unangenehme Dinge nachdenkt. Du hattest also davor noch nicht die Möglichkeit, dich im Umgang mit Sorgen auszuprobieren, weshalb es dir momentan wie eine große Last erscheint - und weswegen der Kontrast umso deutlicher wird: "Nur bei Diskussionen weine ich, sonst bin ich offen und fröhlich".
Sei unbesorgt: es ist ganz normal, dass du im Moment so im Zwiespalt hängst. Je sicherer die die Vernetzungen in deinem Gehirn sind und je mehr Erfahrungen (auch unangenehme) du machst, desto entspannter und sicherer gehst du mit zunehmenden Alter mit Konflikten und neuen, ungewohnten Situationen um. Betrachte das Weinen daher als Ventil für den manchmal übergroßen Druck an Gefühlen (und damit verbundenen Gedanken) und als deine ganz persönliche Art, Probleme zu bewältigen. Das Weinen an sich ist nämlich gar kein Problem, sondern eine Form der Bewältigung. Jeder geht anders mit schwierigen Situationen um. Es gibt Menschen, die fangen an, in Streitgesprächen herum zu schreien, um sich von ihrem inneren Druck zu befreien. Da weine ich dann doch lieber. :)

Daher ist deine Aufgabe erst einmal, zu akzeptieren, dass du schnell weinst. Weil dein Körper dadurch im Moment am besten umgehen kann. Je mehr du heranreifst, umso entspannter kannst du mit schwierigen Situationen umgehen. Du findest dann vielleicht eine andere Möglichkeit, z.B. könntest du eines Tages das Weinen so lange hinaus zögern, bis du zu Hause in Ruhe weinen kannst. Wichtig ist einfach, dass du diesen Umstand erst einmal akzeptierst und deine Tränen nicht herunter schluckst. Wenn du dich verleugnest und versuchst, deine Tränen mit aller Macht zurück zu halten, brechen sie erst recht hervor. Ich habe es mir damals immer so erklärt, dass meine Tränen wie "trotzige" Kinder sind und nicht auf mich hören wollen. ;)
Wenn ich heute merke, dass ich beim Sprechen anfangen muss zu weinen, erkläre ich meinem Gesprächspartner, dass ich das ich meine Gefühle bei aller Macht gerade einfach nicht zurückhalten kann. Das tue ich, damit er weiß, dass ich das nicht weine, um ihm ein schlechtes Gewissen zu machen oder ihn zu erpressen. Es ist in diesem Moment einfach ein beruhigendes Ventil für meine Seele (und auch ein Zeichen dafür, wie verletzlich man ist). Vielleicht kannst du es so deinen Eltern erklären, wenn sie sich wundern, warum du plötzlich weinen musst. Dann können sie dich besser verstehen und auf dich eingehen. Denn das möchten Eltern: Verstehen, was in ihrem Kind vorgeht. :)

Wenn du das Weinen zulässt, konzentriere dich darauf, dich nicht darin hineinzusteigern, sondern versuche, deinem Gesprächspartner zu zuhören, dich auf ihn einzulassen und gegebenenfalls dann deinen Standpunkt zu vertreten - das lenkt dich dann auch ein bisschen von deinem eigenen Schmerz ab, den du beim Weinen vielleicht empfindest. Je mehr du dich als Herrin der Lage fühlst, desto mehr hast du deine Emotionen unter Kontrolle und kannst dich leichter beruhigen und sachlich deine Wünsche und Vorstellungen in der Diskussion äußern.

Du siehst, dass ich dir keine treffende Antwort auf die Frage geben konnte, was du denn nun gegen das Weinen tun kannst. Es ist zugegebenermaßen nicht einfach, das Weinen für immer gänzlich "aus seinem Leben zu verbannen" - nicht einmal als Erwachsener ist das möglich. Jedoch ist es ganz ganz ganz GANZ wichtig für dich zu wissen, dass...
- du dich niemals für deine Tränen zu schämen brauchst. Sie signalisieren anderen nur, dass du gerade Zuwendung brauchst.
- du dein Weinen akzeptierst. Jeder muss mal weinen. Und wir Mädchen tun das sowieso öfter, also was soll's? ;)
- du nicht stets mit deinen Tränen (und Ängsten) allein bist. Vertraue dich deinen Eltern und deinen Freunden an, auch wenn es dir noch so schwer fällt. Wenn du dich erst einmal überwunden hast und auf ihr Verständnis triffst, bist du schon einmal den schwierigsten Schritt gegangen. Vergiss nicht: Jeder hat mal Probleme, an denen er sich die Zähne ausbeißt. Andere haben oft Ideen und Lösungen, auf die man selbst nie gekommen wäre, weshalb es gut ist, miteinander zu reden. Und seien es manchmal auch nur ein paar liebe Worte - es ist auf jeden Fall wert, dass du sie an deinen Sorgen teilhaben lässt, oder, was meinst du? :)

Ich hoffe sehr, dass ich dir ein bisschen weiter helfen konnte!
Abschließend möchte ich dir noch sagen, dass Menschen, die nahe am Wasser gebaut sind, sich häufig gut in andere hineinversetzen können, außerordentlich mitfühlende Zuhörer sind und die verschiedensten Situationen blitzschnell durchschauen können. Daher glaube ich, dass du ein sehr aufmerksames, rücksichtsvolles und sehr hilfsbereites Mädchen bist. Daher gibt es für mich keinen Grund zur Sorge, dass du eines Tages unbeliebt sein oder deine Eltern enttäuschen könntest - ich glaube nämlich, sie sind echt stolz auf dich!


Ich wünsche dir alles Gute!

Sonnige Grüße,

Julia