Problem von Tim - 21 Jahre

Nicht für's Leben und diese Welt gemacht

Hallo,

seit ein paar Jahren, wenn nicht sogar schon seit meiner Realschulzeit, habe ich das Gefühl, nicht für das Leben hier gemacht zu sein. Ich habe zwar eine Wohnung, meine Verlobte, eine Job bei DPD, verdiene gutes Geld, habe Freunde und Hobbies, aber trotzdem bleibt immer das Gefühl, dass ich nicht in unsere Welt und unsere Gesellschaft passe.
Ich habe zum Beispiel schon so viel ausprobiert und wieder abgebrochen, weil ich keine Freude daran hatte. Berufsschule, Ausbildung zum Erzieher, Job bei der Post, 2 Semester BWL... Nichts davon habe ich zuende gemacht. Von allen Seiten wird mir immer erzählt, ich sei ein Nichtsnutz und mit der Zeit fängt man ja auch an, das selbst zu glauben.
Meine Eltern und Freundin sind die einzigen, die immer wieder sagen: Wir glauben an dich, du findest deinen Weg, von überall anders höre ich immer das Gegenteil.
Auch meine Wohnung und das Alleinsein wird mir zu viel. Ich würde so gern einfach zurück zu meiner Mutter und meinen Katzen, wieder zur Schule gehen und so weiter, aber meiner Freundin bedeutet die Wohnung so viel und allein kann sie sich das nicht leisten.
Im Moment versuche ich mich bei einer Kunsthochschule im Hamburg zu bewerben, mein kleiner Traum war immer Game-Design zu studieren. Ich spiele zum einen sehr gerne, zum anderen habe ich die Hoffnung, dass es mir besser geht, wenn ich meine eigenen Welten erschaffen kann.

Außerdem habe ich grundsätzlich eine Art "Weltschmerz". Immer wenn ich Nachrichten sehe, mich umsehe oder schlechte Neuigkeiten höre geht es mir tagelang schlecht. Besonders wenn es wieder um Ausrottung von Tieren, Vergewaltigungen von Frauen, Kriegserklärungen, Anschlägen... Die Liste ist ja ewig.
Damit bin ich nicht allein, ich weiß, aber es belastet zusätzlich, weil es mein Gefühl bestärkt fehl im Leben zu sein.

Ich wüsste gerne einen Weg meinen Platz zu finden, das Leben genießen zu können.

Sebastian Anwort von Sebastian

Lieber Tim,

ich kann verstehen, warum du dich so fühlst, wie du es tust! Das Lied auf dieser Welt finde auch ich unerträglich, das ich dann doch irgendwie ertrage. Leider ist ein Weg dahin teilweise die Verdrängung. Insofern finde ich es überaus lobenswert, dass du dir über die globalen Probleme deine Gedanken machst!
Es gibt Probleme, die man gar nicht oder nur sehr, sehr eingeschränkt angehen kann. Dazu passt der erste Satz dieses Spruches, den du vielleicht kennst: "Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden." (Der Spruch muss auch nicht religiös interpretiert werden.) Aber es gibt auch genügend Dinge, die man durchaus verbessern kann - wenn auch nicht unbedingt vollständig zu seinen eigenen Vorstellungen. Zum Beispiel kann sich jeder bei Greenpeace engagieren oder seinen Freunden ein offenes Ohr leihen. Ich kann mir gut vorstellen, dass du nützlich sein möchtest, sei es beruflich, privat oder ethisch. Das geht wohl jedem so, zumindest ein bisschen, aber manchen mehr oder weniger. Insofern sehe ich es als erstrebenswert an, dass du dich darum kümmerst, eine sinnvolle Tätigkeit auszuüben. Dies kann z. B. beruflich erfolgen, indem du durch deinen Job anderen Menschen helfen oder zumindest deine Brötchen verdienen möchtest. Dies kann aber z. B. auch ethisch erfolgen, indem du dich (zeitweise) ehrenamtlich engagierst. In Orientierungsphasen können solche explizit sinnstiftenden Aufgaben hilfreich sein und dich mental stabilisieren.
Allerdings sehe ich es als sehr wichtig an, dass du dich beruflich spezialisierst. Dies muss keinesfalls beim ersten Versuch glattgehen und du solltest dir auf jeden Fall genug Ruhe gönnen, um (gemeinsam mit deiner Freundin?) eine besonnene Entscheidung zu treffen, zumal du ja unter keinem unmittelbaren Zugzwang stehst, schließlich hast du derzeit ja einen Job. Und deine Familie und deine Freundin/Verlobte scheinen dich ja auch zu unterstützen. Nimm dir Zeit!
Zwar kenne ich dich persönlich nicht, aber das muss ich auch nicht, um sagen zu können, dass jeder eine reelle Chance erhalten sollte, sich in unserer Welt einzufinden und ein wertvoller Teil von ihr zu werden - so auch du! Man sollte mit Rückschlägen leider umgehen können. Dass du sozial auf Hindernisse stößt, indem dir negative Haltungen eingeredet werden, die nicht deiner inneren Einstellung entsprechen, ist sehr schade, leider aber keine Seltenheit, da die Dinge aus fremder Perspektive auch anders wirken können; manch einer möchte dich vielleicht sogar wirklich einfach nur ärgern. Und tatsächlich finde ich es heutzutage, da man tendenziell erst vergleichsweise spät anfängt zu arbeiten, etwas schwierig, mit dem Gefühl umzugehen, dass man bisher wahrscheinlich mehr Leistungen und Ressourcen dieser Welt in Anspruch genommen hat als man selbst geleistet bzw. zur Verfügung gestellt hat. Aber so ist das eben, ich kenne das. Das sollte dich aber nicht entmutigen, vielleicht sehen andere das ähnlich (was du nur nicht erfährst), zumindest ist es normal. Du hast aber genug Kraft, um über den Dingen zu stehen! Du bist in einem stabilen Umfeld, das dich trägt! Dies alleine sollte dich froh und munter stimmen, du bist für viele Menschen offensichtlich eine Bereicherung.
Es ist normal, nicht richtig zu wissen, was man mit seinem Leben anfangen möchte! Du bist noch recht jung, andere dümpeln mit 30 noch in ihrem Bachelor herum oder noch ganz andere Sachen! Jeder hat das Recht, sich mehrfach umzuentscheiden. Auch spätere potenzielle Arbeitgeber sind nicht nur scharf auf einen lückenlosen Lebenslauf, in erster Linie zählt, was du kannst und ob du für deine Entscheidungen hinreichende Gründe hast. Und eine gewisse Orientierungsphase wird jedem zugestanden, wenn man dann irgendwann mal spezifischer wird. Allerdings beginnt diese ernste Phase jetzt, nehme ich an. Ich würde mich an deiner Stelle in absehbarer Zeit für eine Möglichkeit entscheiden. Ich finde es wichtig, seine Träume zu verwirklichen. Das gilt für deine Idee mit dem Game-Design-Studium, aber mindestens ebenso für deinen Anspruch an eine gewisse Freude bei deiner Arbeit. Es gibt viele Menschen, die diesen Anspruch nicht haben und dadurch einfach irgendwas machen, was sie nicht ausfüllt. Ich finde gut, dass du Freude in deinem Leben haben möchtest! Mach dir klar, ob du wirklich Game-Designer werden möchtest, informiere dich eingehend, sprich z. B. Menschen an, die das studieren oder studiert haben! Und wenn es dir gut gefällt, mach es! Was kann schon passieren, höchstens, dass du wieder bei der Post o. Ä. arbeitest - es gibt schlechtere Ausgangssituationen.
Ich wünsche dir, dass du eine richtige Entscheidung triffst! :-) Und alles Gute dir.

Liebe Grüße

Sebastian