Problem von Anonym - 18 Jahre

Wieso benehme ich mich so?

Hallo liebes KummerKasten-Team!
Beim Schreiben kommen mir gerade die Tränen. Ich habe diese Seite immer belächelt und mich gefragt: "Wer braucht sowas schon?", doch nun schreibe ich euch weil ich einfach nicht mehr weiter weiß. Meine Eltern machen gerade Urlaub und kommen erst in 2 Tagen wieder, ich sehne mich sehr stark nach ihnen und kann nicht schlafen. Ich habe das Gefühl meinen Eltern nicht gesagt zu haben wie sehr ich sie doch liebe. Vorallem zu meinem Vater war ich sehr kalt und gemein, ich habe ihm sogar innerlich den Tod gewünscht. Dabei liebe ich ihn doch so sehr und schäme mich so krass für mein Benehmen gegenüber ihm. Es sind oft Wörter wie arschloch oder bastard gefallen die ihn wahrscheinlich sehr verletzt haben . Ich hasse mich sehr dafür so ein feigling zu sein. Ich bin einfach nicht in stande ihm ich liebe dich ins gesicht zu sagen. Ich weiß einfach nicht mehr weiter


Danke

Judith Anwort von Judith

Lieber Unbekannter,

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Ja... So geht es vielen. Man denkt, "ich brauche sowas nicht, ich komme klar" -- und dann wirft einen etwas aus der Bahn und man ist dankbar für eine andere Meinung oder ein offenes Ohr.

Jedenfalls hoffe ich, dass Du inzwischen wieder glücklich vereint bist mit Deinen Eltern und sich die heftige Traurigkeit und leichte Panik, die Du hattest, gelegt hat.

Ich lese aus Deiner Email recht viel Verzweiflung und Reue raus; auch ein ordentliches Stück Selbstvorwürfe. Mein erster Rat ist daher: Durchatmen. Immer mit der Ruhe! Da läuft so viel gerade bei Dir, ich glaube Du schmeisst mehrere Dinge, Vorkommnisse und Gefühle in einen Topf.

Ich denke, dass es normal ist (in jugendlichem Alter aber auch später noch), dass man sich auch mal ordentlich mit den Eltern fetzt. Es ist ein Stückweit normal und wichtig, damit man lernt sich abzugrenzen. Man lernt als Jugendlicher sein eigenes Werteraster kennen, und das muss nicht mit den Vorstellungen der Eltern übereinstimmen. Vielleicht ist mal politisch anderer Meinung. Man wird Vegetarier, etc. Da können auch mal heftige Worte fallen. Hier ein Artikel, der das aus Elternsicht beschreibt.

http://www.sueddeutsche.de/leben/pubertaet-hilfe-ich-erkenne-mein-kind-nicht-wieder-1.1836139

Was man als Jugendlicher in der Pubertät auch lernt, ist, seine Gefühle zu verstehen und sie zu artikulieren. Und ich denke, dass Du hier noch ein Stück Arbeit vor Dir hast, was aber auch normal ist! Den Eltern (oder anderen Menschen) zu sagen, dass man sie liebt, ist ein Schritt. Seine Gefühle zu offenbaren ist immer auch ein Stück Verletzlichkeit. Was, wenn man ausgelacht wird? Zurückgewiesen wird? Der andere nicht so antwortet, wie man möchte? Gerade wenn man eine heftige Streitphase hinter sich hat, ist das ein grosser Schritt.

Vielleicht schreibst Du Deinem Vater mal einen Brief. Du kannst doch gut schreiben; manchmal fällt das leichter als ein direktes Gespräch. Sag ihm, dass er Dich schon manchmal extrem nervt, aber dass Du möchtest, dass er weiss, wieviel er Dir bedeutet.

Allgemein kann ich nur raten, dass Du versuchst, den Konflikt (d.h. konkret das, was Dein Vater gemacht hat, und was Dich stört) von der Person an sich zu trennen. Also, einfacher ausgedrückt: Du solltest lernen sachlich zu kritisieren, nicht auf der menschlichen Ebene. Also, zB. wenn Dein Vater Dir nicht das Auto leihen möchte, dann betitel nicht ihn als A***loch, sondern beschreibe, was in Dir vorgeht: 1. Enttäuschung, 2. Ärger (Du bist vielleicht verabredet und kommst nun zu spät), 3. Unverständnis (vielleicht gibt es es Dir sonst immer und warum nun heute nicht?) etc. Kritisiere sein Verhalten und seine Wirkung auf Dich. Nicht ihn und seine Charakter.

Es wäre super, wenn Du so lernst, im Alltag Deine Gefühle zu verstehen und zu beschreiben. Und nicht in Wut brüllen und überreagieren, um dann zu merken, in der Wut und der Aggression steckte eigentlich viel Verletzung und Traurigkeit, die hätten gezeigt werden können. Der Ansatz der "Gewaltfreien Kommunikation" kann da helfen; hier ein Video zum Thema Kommunikation:

https://www.youtube.com/watch?v=FG3W1pS5s-o

Verletzlichkeit ist letztendlich eine Stärke!

Ich wünsche Dir viel Erfolg und Mut bei der Suche in Dir selbst und bei Ausdruck Deiner Gefühle, Deinen Eltern und auch anderen gegenüber.

Herzliche Grüsse,
Judith