Problem von Anonym - 22 Jahre

Feedback an Paul: Angst vor Nähe und Intimität // Ich kann die Nähe mit ihm nicht finden

Lieber Paul,

dein Vorschlag über einen Abend mit der Matraze am Fenster, in dem die Zeit einfach so verstreicht, hat mich sehr berührt, aber auch sehr wehmütig gemacht, weil es genau das ist, was ich mir so wünsche und so vermisse, aber nicht weiß, ob ich in ihm und mit ihm finden kann.

Er ist ein wunderbarer Mensch, der niemanden Schaden zufügen will und ich kann nicht sagen, dass er etwas wesentlich falsch gemacht hätte. Er ist einfach, wie er ist. Aber doch gibt es vieles, was ich vermisse und vermisst habe, in all der Zeit mit ihm, weil ich bin, wie ich bin.

Ich habe das Gefühl, dass es kein Zufall ist, dass ich ihn getroffen habe und wir zusammen gefunden haben. Ich hatte große Angst vor einer Beziehung, habe mich jahrelang davor zurückgezogen, konnte mich nie auf einen Menschen einlassen. Ich wollte immer Unabhängigkeit und Freiheit. Und genau diese Sicherheit hat er mir geboten. Er hat immer betont wie wichtig ihm die Unabhängigkeit ist. Hat gesagt, dass man alleine im Leben zurecht kommen muss, hat mir nie voll und ganz vertraut und ist immer ein Stück bei sich geblieben.

Als er die körperliche Nähe zu vermissen und einzufordern begonnen hat (leider konnte er hierbei seine Vorwürfe/Enttäuschung nicht verbergen), habe ich versucht ihm zu erklären, dass ich den Weg mit ihm zusammen gehen will, konnte jedoch nicht erklären wie. Und wir haben ihn auch nicht gefunden. Ich habe mich häufig damit allein gelassen gefühlt. Wenn er sich mir körperlich genähert hatte, aber ich es nicht ihm in gleicher Form zurückgeben konnte, hat er mit Enttäuschung reagiert und sich zurückgezogen. Einmal war die Situation auch kurz bevor er zwei Wochen beruflich verreist war, dass er mich mit der Enttäuschung zurückgelassen hat und als er zurückgekommen war, hatte er die gleichen Erwartungen und diegleiche Enttäuschung ohne dass wir darüber seitdem auch nur ein Wort verloren hätten. Ich hab mich damit allein gelassen gefühlt. Ich hatte das Gefühl er wollte, dass ich mich in dieser Zeit um mein Problem alleine kümmere, damit es gelöst ist, wenn er zurück ist. Auch hat er mir gemeint Ich bemühe mich nicht genug und betont, dass es in Ordnung ist Ängste zu haben, wenn man sie löst. Ich hab mich mit allem auseinandergesetzt und bin weiter gekommen, doch ich habe das Gefühle diese nächsten entscheidenden Schritte nicht alleine gehen zu können und zu wollen. Doch auch, wenn ich betone, dass es mir wichtig ist darüber zu reden, läuft es immer gleich ab. Er erzählt mir von seiner Enttäuschung, dass er nach all dieser Zeit mehr erwartet hätte und wenn ich ihm zu erklären versuche, dass ich es alleine nicht schaffe, möchte er von mir konkete Vorschläge, was er tun kann. Doch die hab ich nicht. Ich hätte nur ihn gebraucht. Ich hätte nur das Gefühl von Nähe gebraucht. Ich habe das Gefühl er hätte geglaubt, dass Zeit das Problem löst und nicht verstanden, dass es die Nähe ist, die fehlt.

Ich bin mittlerweile wieder in Deutschland. Unser vorletzter Abend war ein Donnerstag. Wir hatten wenig Zeit, in der ein Teil von seinen beruflichen Problemen eingenommen wurde und da er am nächsten Tag arbeitete, musste er auch zeitig ins Bett. Er hatte versprochen, dass wir an meinem letzten Abend machen würden, was ich will, solange ich will. Leider hat er mich (obwohl er wie er selbst sagt seine Zeit auf Arbeit frei einteilen kann und selbst entscheiden kann, wann er geht), erst recht spät am Abend angerufen. Ich war bei ihm zu Hause und wir haben gekocht und auch etwas über seine Arbeit geredet. Der intensivere Teil war, als er mich, ob ich die Beziehung wirklich ernst meinen würde, da er aufgrund schlechter Erfahrungen gefragt hatte, Angst vor einer Fernbeziehung hatte. Ich habe Ja gesagt, da ich es immer Ernst gemeint habe und ich ansonsten die Beziehung auch niemals eingegangen wäre. Ingesamt hatten wir nur zwei Stunden Zeit an diesem Abend. Denn er war um elf Uhr bereits so müde, dass ich gesagt habe, ich würde ihn nach Hause zu mir bringen, wo er schlafen kann. Ich aber wollte, da es mein letzer Abend in der Stadt war, in der ich ein Jahr gelebt und die mir so ans Herz gegangen war, nochmal nach draußen gehen, nochmal die Plätze besuchen, an denen ich immer gewesen war. Doch ich hab mich an diesem Abend so einsam gefühlt wie noch nie zuvor. Ich konnte nicht verstehen, warum mich mein Freund an meinem letzten Abend alleine durch die Stadt laufen lassen konnte, obwohl er mir einen Tag zuvor das Gegenteil versprochen hatte. Mich hätte keine Müdigkeit der Welt abgehalten bei ihm zu sein. Ich bin spät in der Nacht zurückgekehrt, weil ich lange da gesessen und nachgedacht habe, während er bei mir zu Hause geschlafen hat.

Am nächsten Morgen wollte er sich hingegen mir wieder körperlich annähern. Doch ich konnte es nicht und wollte es nicht, da mir die emotionale Nähe fehlte und ich Angst vor seiner erneuten Enttäuschung hatte, mit der er mich schon wiederholt allein gelassen hat.
Wenn es nicht um dieses Thema geht ist er liebevoll und herzlich und ich habe jeden Moment genossen, wenn er mich im Arm gehalten habe. Doch ich vermisse so vieles.
Ich vermisse mich mit ihm in den Moment fallen zu lassen und die Zeit zu vergessen, was er selbst von sich sagt, noch nie gekonnt zu haben. Er hat immer seine Arbeit und seine Probleme im Kopf und denkt daran, was es noch zu erledigen gibt, selbst, wenn wir einen inigen Moment verbringen.

Ich vermisse das Gefühl der Leichtigkeit.

Ich vermisse, dass mir jemand sagt, dass ich etwas besonders für ihn bin oder etwas für ihn bedeute. Er kann mir sagen, dass ich ihm fehle, aber mehr nicht und das obwohl ich ihm bereits gesagt habe, dass ich noch nie jemanden so vertraut habe und mich noch nie so wohl gefühlt habe bei jemanden, also dass er etwas ganz besonders für mich ist. Seine Antwort: „Ich weiß.“

Ich vermisse, dass ich mit jemanden innige Gespräche führen kann über Gedanken und Gefühle. Leider sprechen wir meist nur über den Alltag oder über vergangene Erfahrungen. Nie aber teilt er mit mir, was er gerade denkt oder fühlt. Und wenn ich ihn frage, erzählt er mir, dass er gerade daran gedacht hat, was er am nächsten Tag erledigen muss. Es entstehen keine Gespräche, in denen man die Zeit vergisst und sich nahe fühlt. Ich hab immer das Bild im Kopf, wie ich mit jemanden bis in die Nacht hinein rede, lache und mich ihm nahe fühle. Wie ich mich darüber austausche, was ich denke und was ich fühle. Was die Wünsche und Träume sind. Einfach reden. Die ganze Nacht lang. Oder wenigsten eine ganze Weile. Ich hab manchmal veruscht solche Gespräche aufzbauen, hab versucht mehr über seine Träume zu erfahren. Doch er ist sehr verschieden von mir. Es wirkt nüchterner, realer. Wirkliche Verbundenheit konnte ich nicht aufbauen.

Ich vermisse, dass sich jemand Sorgen um micht macht und mich fragt, ob ich gut zu Hause angekommen bin. Denn das hat er noch nie, auch wenn ich nachts um 01:00 alleine von ihm nach Hause gegangen bin, kam bis zum nächsten Tag kein Wort mehr.

Ich vermisse, dass jemand mir zeigt, was ich ihm bedeute, mich überrascht, auf seine Art, welche auch immer das ist. Es wäre schön, wenn er für mich ein einziges mal eine Kerze aufgestellt oder spontan bei mir zu Hause vorbeigeschaut hätte. Mir vielleicht eine Blume mitgebracht hätte. Ich hätte mich gefreut, wenn er einmal für mich gekocht hätte. Oder wenigstens an meinem letzen Abend mir eine Kleinigkeit mitgegeben hätte. Ich habe sogar den ersten Schritt gemacht. Ich habe einmal für ihn ein Essen und seine Lieblingsnachspeise gekocht. Ich habe Kerzen für ihn aufgestellt. Doch nie hat er für mich eine Kerze angezündet. Auch an meinem letzten Abend nicht.

Ich hatte das Gefühl, dass er nie versucht hätte für mich eine angenehme Atmosphäre entstehen zu lassen, in der wir viel Zeit hätten uns langsam näher zu kommen. Wenn wir zusammen im Bett lagen, verging maximal eine halbe Stunde oder eine Stunde bis er so müde war schlafen zu wollen. Und in die Zeit dazwischen wollte er die körperliche Nähe bringen.
Ich wünsche mir stundenlang zusammen zu sein, in denen man nichts macht als beisammen zu sein, vielleich bei Kerzenschein und Musik den Moment genießt, in denen man sich langsam näher kommt, in denen man über seine tiefsten Wünsche redet. Ich vermisse es jemanden so nahe zu sein.

Doch nach all der Zeit, in der ich ihn kennen lernen konnte, glaube ich, dass er das nicht will und das er es nicht braucht und vielleicht auch nicht kann. Ich glaube, dass er zufrieden ist sich über den Alltag auszutauschen und nichts weiter. Ich glaube, dass er die Stunden nicht mag, die einfach so verstreichen. Und ich glaube, dass er mir nicht wirklich vertrauen kann. Einmal war er das gesagt hat und zu anderen, weil er den Blick abwendet oder die Augen schließt, wenn ich ihn eine Weile anblicke.

Ich habe erfahren, was ich vermisse und brauche, doch ich weiß nicht, ob ich es bei ihm finden kann. Ich weiß nicht, ob unsere Leben zusammen passen. Er kann sich nicht in den Moment fallen lassen, doch ich brauche es. Er möchte diese Unabhängigkeit, doch ich will Verbundenheit. Er teilt seine Gefühle nicht mit mir, doch gerade das ist es, was mir so wichtig ist um mich jemanden nahe zu fühlen.

Doch obwohl ich all das geschrieben habe und all das weiß, gelingt es mir nicht, ihm das zu sagen, habe ich Angst vor dem was passieren wird. Ich habe das Gefühl, wenn ich ihm das schreibe, kritisiere ich ihn als Person und akzeptiere ich nicht, wie er ist. Und genau das will ich nicht, da er ein wundererbarer Mensch ist, der nichts falsch gemacht hat. Der einfach so war, wie er ist.

Doch, dass das nicht mit dem zusammengeht mit dem, wie ich bin. Davor hab ich Angst. Weil er mir viel bedeutet und weil ich den Gedanken nicht ertragen kann ihn zu verletzen und seine Hoffnungen zu zerstören. Ich weiß, dass es Liebe zwischen uns gibt, doch ich weiß nicht, ob das reicht.

Ich fühle mich schlecht wegen meiner Wünsche. Ich fühle mich schlecht nicht sagen zu können es genügt mir zu wissen, dass ich ihm wichtig bin.

Doch ich weiß nicht wie ich mit dem Gefühl fehlender Nähe und dem Wunsch nach Verbundenheit und Vertrauen umgehen soll.

Die liebsten Grüße

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

du hast leider eine Weile auf deine Antwort warten müssen. Die letzte Zeit hatte ich schlaflose Nächte wegen diverser Hausarbeiten für mein Studium. Jetzt, wo ich gottlob "von den Toten auferstanden" bin und alles abgegeben habe, kann ich dir besser antworten, und werde das auch gleich tun.

Das Interessante ist: Du bist dir sehr bewusst, was du dir wünschst - und wenn man deinen Text liest, drängt sich einem unwillkürlich eine leise Trauer auf; die Lösung wäre so nahe, und obwohl ihr sie euch so innig wünscht, könnt ihr nicht zugreifen. Wie in der Vergangenheit schon, wird deutlich, dass dein Freund und du einfach vom Naturell her sehr unterschiedlich seid. Er ist ein pragmatischer und arbeitsamer Mensch, der gerne alles gleich macht und gut macht, und in dessen Augen mit der nötigen Willenskraft und Disziplin alles zu schaffen ist. Für ihn ist es schwer nachvollziehbar, warum das bei deinem Problem nicht gilt. Ich würde meinen, es verunsichert ihn, dass er es hier mit etwas zu tun hat, für das man sich nicht einfach nur anstrengen muss, sondern einfach mal probieren und hoffen, dass es gut wird. Es ist ein Stück weit Glückssache, es braucht viel Zeit und Geduld, und man sieht nicht gleich Erfolge - all das bedeutet aber nicht, dass nichts passiert. Im Studium und im Beruf ist das in der Regel nicht so: Da ist es nur der berühmte "innere Schweinehund", den man abschütteln muss, und je mehr das gelingt (zu Deutsch: Je mehr man sich zusammenreißt) desto erfolgreicher ist man. In persönlichen Fragen funktioniert dieses Schema nicht. Mir scheint, dass sein Ordnungssinn und seine Entschlossenheit dich an seiner Seite sicher fühlen lassen; was du aber vermisst, ist Spontaneität, Kreativität, Verrücktheit. Er liebt alles, was einem Ziel folgt, bei dem man den Fortschritt sieht und das man verstehen kann; hier geht es jedoch um etwas, das man angehen muss, ohne sich im Klaren zu sein, wie es ablaufen wird, wie lange es dauert, wo es endet. Sein Innerstes sträubt sich dagegen, weil er nur schwer einsehen kann, dass es eben nicht an der nötigen Disziplin deinerseits fehlt, sondern dass seine bewährte Herangehensweise hier nicht greift.

Was er dir vermittelt, ist: Du verlangst viel von mir. Was du ihm vermitteln möchtest, ist: Ich kann dir nichts versprechen. Im Grunde ist es das, was ihr einander schon zu Anfang eurer Beziehung gesagt habt. Jetzt geht es darum, dass sich die Erkenntnis auch setzt. Für ihn heißt das - er muss sich (wenn er das kann) aus Liebe zu dir in einen Bereich vorwagen, der ihm fremd ist, auf dem er sich nicht sicher bewegt. Das kann ihn sehr verstören, und ich denke, er merkt längst, dass das die einzige Möglichkeit ist. Deshalb sträubt er sich auch so dagegen. Wieder und wieder möchte er es so schaffen, wie er immer alles geschafft hat - doch es geht nun mal nicht. Vermutlich - und das muss ich klar sagen - wirst du von ihm schwerlich die volle Ladung Romantik bekommen können. Er ist nun mal ein eher nüchterner und verbindlicherer Typ, der nichts dem Zufall überlässt und keine Luftschlösser baut. Um dir näher kommen zu können, muss er sein gewohntes Terrain verlassen und etwas wagen, das ihm nicht so entspricht. Ich kann absolut verstehen, dass es dir schwer fällt, ihm das klar zu machen, weil du fürchtest, er könnte sich persönlich angegriffen fühlen. Um ehrlich zu sein: Das ist sogar sehr wahrscheinlich! Wenn er es aber rational angeht, könnte er feststellen, dass ihr einfach verschieden seid. Es erfordert schon ein hohes Maß an Selbstreflexion, sich einzugestehen, dass man zwar in dem Sinn nichts falsch macht, aber mit dem Bewährten das Ziel einfach nicht zu erreichen ist. Ich kann dir nicht sagen, ob es ihm gelingt. Die einfachste Möglichkeit, die mir einfiel, wäre, ihm genau die Dinge, die du jetzt mir berichtet hast, in einem Brief zu schreiben.

Denn eins ist klar: Ihr werdet nicht gut miteinander auskommen, wenn du nicht deutlich machst, worum es dir geht. Es ist absolut verständlich, dass du dir schwer tust, weil das Risiko besteht, dass er es in den falschen Hals bekommt. Vielleicht hat er aber genau das bisher nicht verstanden: Dass du dir wünschst, dass ER eine Rolle in deinem Entwicklungsprozess übernimmt. Bisher ist er stiller Begleiter gewesen, ein Verfolger, der dir zuhört und nachhakt, wie es denn steht. Damit soll es doch aber nicht aufhören. Du wünschst dir, dass er dir hilft, eine Atmosphäre zu schaffen, in der du dich öffnen kannst. Vielleicht kannst du es ihm so vermitteln. Du wünschst dir nicht, dass er mehr leistet, willst nicht sagen, dass du unzufrieden mit ihm bist - du willst sagen, dass du es nicht alleine kannst. Und ich gebe dir vollkommen Recht: Es ist nicht einfach, seine Worte so zu wählen, dass du die möglichen Missverständnisse umschiffst, dass er es weder als Anspruchshaltung an sich noch als persönliche Kritik an ihm versteht. Doch, Hand aufs Herz: Er liebt dich. Wäre es nicht besser, wenn ihr vielleicht eure erste Krise besteht, statt ihr auszuweichen? Ich will dir zu nichts raten, was eure Liebe gefährden könnte - andererseits weiß ich, dass es dich innerlich auffressen und äußerlich einschnüren wird, ihm nicht ganz klar vermittelt zu haben, dass du in keinem Zeitplan bist, sondern ein Bedürfnis nach Ruhe, Nähe, Romantik und Gelöstheit hast. Und, ein vielleicht überraschender Gedanke: Vielleicht könnte auch ihm das helfen, die kleinen Dinge ein wenig mehr wertzuschätzen?

Sieh die Rollen einmal andersrum: Ganz so, als ob der Kern des Ganzen nicht darin bestünde, dass ihr Schwierigkeiten habt, Intimität aufzubauen. Es ist nie falsch, wenn man sich als Frau einen gewissen Wert gibt. Selbst wenn du keinerlei Probleme hättest, die Körperlichkeit zuzulassen, solltest du trotzdem darauf achten, dass euer Liebesleben nicht von Routine getragen und auf reine Befriedigung ausgelegt ist, sondern dass es immer wieder etwas Besonderes ist. Wäre euer Problem nicht das, was es ist, wäre es vielleicht, dass er in diesen Dingen unbesonnen und überschnell wäre. Dann wäre es an dir, seine Hände zu führen, ihn auf einen Stuhl zu drücken und erst einmal dem Sonnenuntergang zuzuwenden. Sich lieben, ist eine Sache; intim sein, eine weitere; und Liebe machen, eine dritte, die man sich erst aneignet. Jetzt, wo du in Deutschland bist, wirst du merken, dass auch er dich vermisst. Vielleicht bietet diese teilweise Trennung die Möglichkeit, dass auch er einmal in sich geht und zu Überlegungen kommt: "Ach, ich hätte doch damals nicht...!" oder "Warum war ich nur immer so...?" Diese Chance besteht. Wenn du ihm nicht alles so brachial "vorknallen" magst, dann probier es scheibchenweise. Schreibst du ihm Briefe? Wenn nicht, tu es. Die Dinge, die du mir geschrieben hast, deine Wünsche und Gedanken, kannst du ausgestreut hineinbringen, kannst sie aus Bildern sprechen lassen - nicht, indem du von ihm forderst, wie du zu tun fürchtest, sondern indem du einfach dein Kopfkino berichtest: Kerzen und Blumen, Überraschungsbesuche und schöne Stunden zu zweit, und dazwischen gemeinsame Erinnerungen, Sachen, die du an ihm liebst, Träume, die du hast... und Zeit, Zeit, Ruhe, Ruhe. "Ich träume oft davon, dass wir, wenn wir uns sehen..." - "Ich fände es so schön, könnten wir nächstes Wochenende zu..." -"Ständig muss ich mir vorstellen, wie es aussehen würde, wenn du..." Vielleicht ist es über geschriebene Worte zu schaffen, was im direkten Gespräch (bisher) nicht geglückt ist: Nämlich dass du ihm ein Bild von dir übermittelst, das kein so negatives und unbewegliches ist, wie du Angst hast, eines zu zeichnen. Sondern einfach das der Frau, die sich nach ihm sehnt, die ihn liebt, und von was sie träumt und was sie leidet. Möglich, dass es auch gar nicht mehr so wichtig sein wird, was zuletzt an deinem Studienort im Ausland war. Möglich, dass ihm all das klein vorkommt, wenn du nicht mehr persönlich da bist, und er ein Bedürfnis entwickelt, deine Wünsche zu erfüllen - solange es euch nur schöne Stunden gewährt, sobald ihr euch seht.

Ein Stück weit ist es natürlich schon ein Spiel mit dem Feuer. Allerdings - es würde ohnehin nicht ausbleiben, dass es Konflikte gibt, und es bringt nie etwas, sie aufzuschieben. Das Problem ist weder, dass ihr beide keine Bereitschaft hättet, gemeinsam an der Sache zu arbeiten, noch, dass du überzogene Erwartungen an ihn hättest. Der Grund ist mehr, dass das, was du dir wünschst, nicht darin besteht, was er zu liefern müssen glaubt. Für ihn erscheint Sicherheit und Verlässlichkeit das Wichtigste, und im Übrigen tut er sich vielleicht auch schwer, an sich selbst zu bemerken, dass er in seiner eifrigen und atemlosen Art manchmal verletzend sein kann, wenn er die feinen Zwischentöne nicht trifft, die es braucht. Das ist ja nichts, was zu einem Vorwurf reicht; es liegt nicht in seinem Naturell, das zu spüren, dafür hat er andere Qualitäten, die du an ihm liebst. Darum - traust du dich, ihn an die Hand zu nehmen? Auch dafür ist es am Ende notwendig, dass du mit ihm sprichst. Du musst ihm sagen, dass es anders ist, als er es wahrnimmt, so sehr du ihn verstehen kannst.

"Es ist nicht so, dass ich nicht an mir arbeiten möchte. Du weißt, dass ich dich liebe, und ich schätze unglaublich die Stabilität, die du mir schenkst, und das Verständnis, das du für mich hast. Aber ich muss dir auch gestehen: Ich bin vollkommen hilflos. Wenn ich einfach innere Knöpfe drücken müsste, die auf "Aus" gestellt sind, glaub mir, ich würde es doch sofort tun. Doch was du dir wünschst, kommt nicht einfach so, es braucht Zeit. Und es ist auch nicht Zeit, wie du es dir vorstellst, dass man einfach wartet und mit sich zu Rate geht. Du musst der Zeit Farbe geben. Du musst mir helfen. Bitte, schenk mir doch Stunden nur für uns, bitte, lass nicht jede Minute einen Sinn haben." Nimm du ihm seinen Laptop weg und stoß ihn auf die Eckbank eines Restaurants, zieh ihn an einen See und nimm ihm sein Handy aus der Tasche. Nimm seine Hand, und sag: "Ich will gerne, dass du mich berührst. Aber mein Herz muss erst spüren, dass du ganz bei mir bist und mir zuhörst, dass unsere Herzen einander hören. Ich kann gar nichts entscheiden und erzwingen in mir, so sehr ich es mir wünsche. Ich bin auf dich angewiesen, dass du meiner Zeit Farbe gibst. Ich weiß nicht, wie ich es dir noch sagen soll, dass ich dir nicht vorwerfe, wie du bist. Ich verlange nichts von dir, ich habe nur Wünsche, und wenn sie dir unverschämt scheinen, dann akzeptiere ich das, aber deswegen werde ich, wenn es so weitergeht, dich trotzdem ein ums andere Mal enttäuschen müssen. Ich bin gefesselt im Dunkeln, ich wünsche mir, dass du eine Kerze anzündest und einen Garten für mich pflanzt. Ehe ich meine Fesseln abstreifen kann, muss ich erst das Gefühl habe, sie wären gar nicht mehr da. Nur du kannst es schaffen. Mein ganzes Herz sehnt sich danach, dass du es versuchst. Ich verlange nichts von dir, will es auch nicht, aber wenn ich es nicht verhindern kann, musst du entscheiden, ob du bleiben willst. Wenn du glaubst, ich hätte Einfluss auf diese Sache, so wie man sich durchringen muss, ins dunkle Wasser zu springen oder einen Anruf zu machen, dann irrst du dich. Denn es gibt nur einen Weg, und den finden wir nicht, der kommt zu uns."

Wenn man so zurückdenkt, ist es schon eine Art Dilemma, in dem du dich befindest: Was immer du dir wünschst, kann dein Freund als Erwartung empfinden, die nach Monaten der Geduld seinerseits eigentlich unangebracht ist (findet er); dabei würdet du erwidern, dass du seit Monaten versuchst, ihm zu erklären, dass diese Art von Geduld nichts bringt, und dir alles lieber wäre, als damit immer noch keinen Erfolg gehabt zu haben. Dass das aber so ist (wenn wir ehrlich sind, ist es so), kann für ihn leicht so wirken, als wäre er in seinem ganzen Sein und Wesen nicht recht. Es ist schwer, jemandem begreiflich zu machen, dass man ihn mit jeder Faser liebt, und dass man gerade deshalb herzlich wünscht, ER würde doch endlich die Knöpfe drücken, die ja gar nicht so schwer zu finden sind. Doch da sind die Naturen unterschiedlich. Und schwer ist es auch, jemandem klarzumachen, dass man die seine liebt und schätzt, und doch einen ganz bestimmten Zug sehr vermisst.

Ich kann an diesem Punkt nur die Hoffnung aussprechen, dass die Entfernung vielleicht einen Teil dazu beiträgt, euch nicht zu entfremden, sondern die Sehnsucht und die Bereitschaft von seiner Seite zu stärken, nicht bestimmte Dinge einzufordern und Tage zu zählen, in denen etwas Bestimmtes passiert sein soll. Denn, stell dir vor, es gelingt euch wirklich: Wie herrlich, wie heilig ist dann dieser Anlass? Kann man ihn sich ohne Kerzen und Blumen vorstellen? Ich nicht, auch wenn du mich kitschig oder altmodisch finden magst. Was ich im letzten Absatz beschrieben habe, ist jedoch eine Sache, die am ehesten auch dadurch kommt, dass man an gewisse Tiefpunkte hinabsteigt und sich besinnt. Vielleicht ist ein solcher für euch gerade erreicht - für dich in deinem Frust, nicht zu ihm vorzudringen, und für ihn in seiner Fixierung auf etwas, was immer funktioniert hat und halt hier gerade nicht funktioniert. Ich gestehe offen, die entscheidende Erkenntnis muss er machen, mit ihm steht und fällt es - und ich wünsche euch, dass es klappt. Ich möchte dich weder pessimistisch stimmen noch ohne Rat zurücklassen. Wenn es einen gibt, liebe Anonyme, dann den, jetzt nicht pessimistisch zu sein. Wenn es geht. Ich wünsche dir weiterhin gute Gedanken, und ich wünsche mir auch ganz persönlich, dass diese Liebe ihren Weg findet. Solange man daran glaubt - oder sich wenigstens nicht mit dem Gegenteil abfinden will - ist immer noch viel möglich.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul