Problem von Johannes - 21 Jahre

Antwort: Schlechter Mensch

Hallo Anna,

Vielen Dank für deine Antwort! Ja, du hast mir etwas mit deine Antwort etwas weitergeholfen. Allerdings muss ich noch ein paar Dinge dazusagen, die du nicht wusstest: Der Junge, der meine Cousine „angegraben“ hat war nicht zurückhaltend oder schüchtern, sondern ganz normal. Nur das er so jemand ist, der sehr viele Mädchen anbaggert. Letztens waren wir wieder zusammen in einer Bar und er hat es bei vier Mädchen versucht die bei uns saßen, er hat mir auch selber zu mir gemeint das es bei der einen nicht so gut lief aber bei der anderen umsobesser wo er gerade dran ist und es bei meiner Cousine bestimmt auch klappen würde wenn sie „voll genug“ ist. Klar ist er mit meiner Cousine befreundet und sie auch, aber sie hat mir im Nachhinein auch gesagt das sie nur Freundschaft will und mehr nicht. Das ich in dieser Situation, in der dich das letzte Mal war ihm nicht die Meinung gesagt habe hat nichts mit Charakterstärke zu tun gehabt sondern eher mit Charakterschwäche, weil ich mich einfach nicht getraut habe ihn mal beiseite zu nehmen und ihn darauf anzusprechen. Mit der Tatsache, dass ich mich nicht annehmen kann so wie ich bin liegst du genau richtig. Meine Freunde sind schon ganz in Ordnung, aber sie sind weitaus mutiger und dominanter als ich und sind so wie sie sind und sagen dass, was sie sagen möchten. Ich bin in der Hinsicht viel zu lieb und nett. Letztens hat auch ein Freund hinter meinem Rücken gemeint, das ich ein Lappen bin und nichts kann, weil ich in der Hinsicht nicht männlich genug bin und zu verschlossen. Bei ihnen fühle ich mich relativ wohl, es gibt Situationen wo es super ist und dann läufts mal wieder schlecht. Klar wünsche ich mir Freunde zu finden die genauso drauf sind wie ich oder die besser zu mir passen, aber ich bin nunmal jemand, der wie du bestimmt weis in der Vergangenheit so seine Probleme hatte und es deshalb ziemlich schwierig ist für mich neue Kontakte zu knüpfen. Und auch wenn du mir Sport oder Kraftsport empfiehlst, das mache ich schon. Seit ungefähr 3 Jahren gehe ich ins Fitnessstudio und trainiere regelmäßig. Ich habe auch ganz gut Muskeln, aber das hat leider nicht viel verändert…

Ich habe auch keine richtigen Ideale oder Regeln nach denen ich lebe (abgesehen von dem Straight Edge –Lebensstiel). Ich bin unzufrieden mit mir, weil ich nicht mutig genug bin Dinge zu sagen, die ich denke oder gerne sagen würde, aus Angst mich unbeliebt zu machen oder jemanden „auf die Füße zu treten“. Du lagst richtig, das ich innerlich hin und her gerissen bin zwischen Männlichkeitsidealen, Ängsten und meinem gelernten, sprich wie ich aufgewachsen bin und was ich für richtig und was ich für falsch empfinde. Mir wurde schon mehrmals gesagt, das ich zu lieb und nett bin, gerade wenn es auch im das Thema Frauen und Beziehungen geht. Denn ich bin jemand, der sich sehr sehr dolle eine Beziehung wünscht und es mich sehr unglücklich macht noch immer keine richtige Beziehung gehabt zu haben oder zu haben… Mit den Mädchen hat es noch nie geklappt hat. Bisher wurde ich immer nur enttäuscht von den Mädchen, obwohl ich mir auch verschiedene Flirt und Datingtipps anschaue und gesehen habe auf YouTube und so schonmal eine Menge lernen konnte…

Ich möchte mich einfach verändern, weil ich mit mir sehr zuzufrieden bin. Ich möchte alleine glücklich sein können, ich möchte den Mut haben Dinge zu sagen, die ich sagen will und so sein zu können, wie ich bin. Das ist der Grund warum ich Hilfe oder einen Rat suche… :(

PaulG Anwort von PaulG

Lieber Johannes,

du hast ja nun schon mehrfach mit meiner Teamkollegin Anna geschrieben. Dass ich diese Antwort verfasse, bedeutet nicht, dass Anna dich "verstoßen" wollte; das ist nicht der Fall. Sie hatte allerdings das Gefühl, es könnte dir helfen, wenn du eine männliche Sicht auf dein Problem bekommst, und ich habe daher mit ihr abgesprochen, dass ich diese Antwort übernehme.

Männlichkeitsideale sind eine schwierige Sache, Johannes. Schau her - du hast geschrieben:

"Nur das er so jemand ist, der sehr viele Mädchen anbaggert. Letztens waren wir wieder zusammen in einer Bar und er hat es bei vier Mädchen versucht die bei uns saßen, er hat mir auch selber zu mir gemeint das es bei der einen nicht so gut lief aber bei der anderen umso besser wo er gerade dran ist und es bei meiner Cousine bestimmt auch klappen würde wenn sie „voll genug“ ist."

Du musst dich entscheiden, ob du anders sein willst - oder so wie Andere. Das ist ein Unterschied. Es ist eine Sache, dass jemand deine Cousine angräbt - sie entscheidet selbst, ob sie darauf eingeht oder nicht. Eine andere Sache ist es, dass er dir erzählt, wie wenig sie ihm bedeutet. Nach dem Motto: "Wenn ich die erstmal abgefüllt habe, hat sie keinen eigenen Kopf mehr." Damit beschreibt er schon ganz gut, dass es ihm vor allem um Sex geht. Was Frauen auch wissen. Manche Typen haben eben das Glück, immer diejenigen Frauen zu treffen, die für ihr Werben gerade empfänglich sind. Woran liegt das? Keiner weiß es. Ein Teil ist unverschämtes Glück, ein Teil Gedankenlosigkeit und dadurch Selbstsicherheit, ein dritter die Unsicherheit oder Naivität - oder die Bereitschaft - der Angesprochenen; ich kenne selbst solche Männer. Die Frage ist halt: Macht es einen glücklich, so zu sein? Bist du eifersüchtig - ich denke, ja. Warum eigentlich? Du bist nicht auf der Suche nach dem, was sie suchen. Du willst etwas Ernsthaftes. Und allein in deiner Stadt gibt es mindestens tausend Frauen, die genau nach dir suchen. Solange du noch befürchtest, "nicht männlich" zu sein, weil du du selbst bist (und nicht wie andere Männer), wirst du aber immer gehemmt sein, sie zu finden. Oder sie dich. Weil sie nämlich genau dasselbe mit ihren Geschlechtsgenossinnen erleben. Was muss ich machen, um "die Frau in mir rauszulassen"? Oder reicht es, wenn ich einfach nach meinen eigenen Grundsätzen lebe? Du hast diese Grundsätze sehr wohl, aber du erkennst sie nicht, weil du dich noch nicht entschieden hast: Willst du "ein Mann" sein (das heißt, wahlweise ein Ekel oder ein Macho oder ein Aufreißer oder ein Clown oder...?) oder möchtest du dir selbst genug sein?

Meinst du wirklich, wenn dein Kumpel von dir gesagt kriegt "Lass bloß meine Cousine in Ruhe, du hast sie gar nicht verdient!", wird er deswegen seine Art unbedingt ändern? Du drehst die Menschen nicht um. Es ist manchmal sehr befriedigend, manchmal aber auch sehr aufreibend, jemandem die Meinung zu sagen, der die Welt anders empfindet als du. Es ist nicht verkehrt, wenn du weiter mit ihnen zu tun hast und Sachen unternimmst; wichtig ist, dass du dich nicht mit ihnen gleich machst. Und schließlich - du hast Recht: Irgendwann ist der Moment, an dem man "Nein!" sagen muss. Vielleicht braucht es aber bei dir noch eine Weile, bis du es so mächtig spürst, dass du es über dich bringst? Dann gib sie dir. Der Punkt wird kommen. Für mich war er bei einigen meiner Freunde gekommen, als ich merkte, dass ich ihre politische Einstellung nicht teile. Und für dich wird er möglicherweise kommen, wenn du mit aller Macht fühlst, dass du den Lebensstil deines jetzigen Freundeskreises nicht teilst. Du musst nicht Knall auf Fall die Bande kappen, wenn du es noch nicht schaffst. Versuche lieber, statt dass du darum ringst, herrisch aufzutreten, deine Fähigkeiten zu verfeinern und schlagfertig zu werden. Wie wäre es, wenn du deinem Kumpel in der Situation gesagt hättest: "Jede hier im Raum, aber meine Cousine hat in jeder Situation zu viel Grips, um sich von dir rumkriegen zu lassen!" Mal ehrlich, wir sind unter Männern: Du kannst nur dann Achtung und Respekt finden, wenn du zu dir stehst und dich nicht verbiegen lässt. Bist du ein "Lappen" weil du deiner Cousine vertraust, dass sie weiß, was gut für sie ist? Ich gehe davon aus, dass du (auch wenn du jetzt das Gegenteil meinst) anders gehandelt hättest, wenn eine handfeste Gefahr für deine Cousine bestanden hätte. Warum willst du unbedingt Johannes, der Dominante, sein, statt Johannes, der Entspannte und Ruhige? Erfolg bei Frauen hat vor allem mit deiner Ausstrahlung und deiner Selbstachtung zu tun. Solange du noch überlegst, was bei dir anders werden müsste, um landen zu können, hast du deinen Stand schon erschwert. Erst waren es Muskeln, jetzt sind es Verhaltenszüge - ja, wenn du so weitermachst, wirst du immer etwas finden, wovon du sagen kannst: "Wenn ich das erst habe, wird alles gut!" Damit schiebst du die entscheidenden Taten nur hinaus.

Auch das mit diesem "zu lieb und zu nett" ist so eine Sache. Es gibt viele Frauen, die jemanden Verständnisvollen, Warmherzigen, Zärtlichen, Ruhigen und Zuvorkommenden möchten; was irritieren kann, ist, wenn du in allem nachgibst und Angst hast, anzuecken. Das erste Beispiel, was mir einfällt: Wenn meine Freundin mich fragt, wie ihr ein neues Kleidungsstück steht, dann will sie nicht hören "Oh, Schatz, es steht dir super!", nur weil sie es ist. Sie will eine ehrliche Antwort - keine beleidigende, keine abwertende, aber eine offen vorgetragene. Du hast schon recht: Es ist wichtig, seine eigene Meinung zu haben und zu vertreten. Nur macht es wenig Sinn, wenn man sie nur hat, um auszuteilen. Es kommt auf den richtigen Augenblick an. Und in diesem Fall musst du sie, wie schon gesagt, auch nicht harsch und unfreundlich vortragen - das kann auch auf subtile Weise gehen. Hierzu empfehle ich dir eher, dich mit "Schlagfertigkeit" und "Schwarzem Humor" zu beschäftigen, dann kannst du dir ein kleines Repertoire anlegen. Flirt- und Datingtips sind gut, wenn sie dir Sicherheit geben, doch können sie die individuellen Wünsche und Vorlieben einer Person nicht abbilden, der du begegnest. Du musst offen sein, dich in eine Situation hineinzuwerfen, statt im Vorfeld genaue Pläne zu entwerfen. Deine Kumpels machen es nicht anders. Ihre größte Stärke ist nicht, dass sie so mutig sind, um Mädchen anzubaggern; ihre Stärke ist es, dass sie nicht groß darüber nachdenken, wenn es nicht klappt. Bei dir ist es genau andersherum - du könntest sogleich ein tiefgründiges Gespräch beginnen, aber sobald die kleinste Unsicherheit auftaucht, macht dich das wanken und du ziehst dich zurück. Daher ist es auch wichtig, solche Misserfolge und kleinen und größeren Peinlichkeiten zu erleben, denn nur so merkst du, was du an dir selbst vermisst, und traust es dir irgendwann zu. Es ist nicht jedem gegeben; es kommt, aber kann auch nicht unbedingt erzwungen werden.

Wie du siehst - Männlichkeitsideale sind der Versuch, ein Schema über uns alle zu stülpen, deren Anliegen es doch sein sollte, unsere Persönlichkeit zu entwickeln. Du bist nun mal kein Aufreißer - das ist auch in Ordnung. Ein besseres Leben als das, welches wir haben, bekommen wir nicht, warum also versuchen, es zu ändern? Es lässt sich nur leben. Du gehst durch einen Prozess, den du nur bedingt steuern kannst. Wenn du dein Ziel nicht aus den Augen verlierst, kannst du es schaffen. Wenn du aber nur entweder gleich alles können willst, womit du jetzt noch Schwierigkeiten hast, oder dich selbst aufgeben - das klappt nicht. Nimm es dir wieder und wieder vor, irgendwann klappt es auch. Solange du ein Ziel vor Augen hast, gibt es auch eine Möglichkeit, es zu erreichen. Wenn du aber schon irgendwie akzeptiert hast, dass du nie wirst, was du sein willst (wobei - wenn du es bist, wirst du ein anderes Ziel haben), dann kommst du nicht vom Fleck.

Unsere heutigen Männlichkeitsideale haben das Problem, das sie - wie übrigens auch die Konventionen, die Frauen betreffen - noch aus einer früheren Zeit stammen, die nur hartnäckig ausklingen mag, und die einige Menschen mit Gewalt wieder herbeiführen möchten. Noch immer gilt es als "männlich", viel Sex und wenig Scham zu haben, viel zu versuchen und dabei wenig zu fühlen. Dass man auch bestimmte Dinge hinterfragt und seine Jugend nicht mit endlosen, vermeintlich Spaß bringenden Aktionen füllen will, sondern das Ganze eher ruhig und schüchtern angeht (und vielleicht ganz tolle, einmalige Erfahrungen damit macht!), das gilt noch immer als unfein. Ebenso wird Frauen oftmals noch vermittelt, dass sie die ganze Idiotie der Machos hinnehmen, und die Männer, die sie interessieren, nicht ansprechen sollten. Auf diese Art bewegen wir uns in Rollenvorstellungen, die prinzipiell nicht schädlich sind, wenn Leute sich ins Leben stürzen und daran Gefallen haben, einem bestimmten Plan zu folgen - aber nicht jeden glücklich machen, dem sie durch die Konvention aufgenötigt werden. Du kannst eine andere Art Mann sein, Johannes, als sie vielleicht noch in der Generation unserer Väter gefragt war, ich weiß es nicht. Es ist nicht leicht, sich angesichts der Tatsache, dass das Leben Anderer mit so viel mehr Action gefüllt scheint, davon freizumachen, genau dasselbe erleben zu wollen. Dass einem das nicht gegeben ist, ist kein Nachteil, sondern - wenn überhaupt - ein Fingerzeig des Schicksals in die Richtung, die nur für einen persönlich bestimmt ist. Es ist halt schwer, sie zu entdecken, wenn der große Strom in eine andere drängt.

Wenn du ein Mädchen triffst und mit ihr schöne Erfahrungen machst, Johannes - was vielleicht schon bald der Fall sein wird - dann wird innerhalb Minuten der magische Bann gebrochen sein, wird alles dir klein erscheinen, was du jetzt noch ersehnst und was dich ängstigt. Doch vorher - und das verstehe ich - zweifelt man an sich. Ich will dir nur dieses sagen: Es kommt nicht auf die Menge an. Die Liebe überwiegt. Du kannst auf dem Weg der Behutsamkeit und Aufmerksamkeit tausendmal mehr und Schöneres empfangen, als dein Kumpel, der Aufreißer, auf dem Weg der Spontaneität und Unverfrorenheit findet. Dies ist der seine, er bringt Spaß, aber bisweilen auch Frust. Du bist auf eine ganz andere Schiene gesetzt. Du musst es nur erkennen. Und wenn du es für dich annimmst, dann sind das, was du jetzt für deine Schwächen hältst, deine Stärken - und dann kannst du diese selbstbewusst vertreten. Ich wünsche dir, dass du den Mut findest, bei dir selbst zu bleiben, die Überwindung, dich selbst zu dir zu bekennen, und die Stärke, die Reaktionen anderer Leute auszuhalten. Wenn du durch dieses Feuer nämlich einmal hindurch bist, wird man dich dafür bewundern, dass du DU bist, statt dich dafür zu belächeln, dass du nicht SIE bist.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul